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AfD: Die Angst vor Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht


Unruhe wächst
Warum die AfD die Linke Sahra Wagenknecht fürchtet

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 26.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht (l.) und AfD-Chefin Alice Weidel: ahnliche Themen, ähnliche Wähler.Vergrößern des Bildes
Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht (l.) und AfD-Chefin Alice Weidel: ähnliche Themen, ähnliche Wähler. (Quelle: Collage t-online/imago images)

Gründet sie eine eigene Partei? Zumindest spielt Sahra Wagenknecht offen mit diesem Gedanken. Damit macht sie nicht nur die Linke nervös.

Sahra Wagenknecht sitzt da, im hellblauen Blazer, und spricht ruhig in die Kamera: "Für mich sind die Grünen die heuchlerischste, abgehobenste, verlogenste, inkompetenteste, und – gemessen an dem Schaden, den sie verursachen – derzeit auch die gefährlichste Partei, die wir aktuell im Bundestag haben."

Es folgen 20 Minuten, in denen die 53-Jährige die Politik der Grünen zerreißt: von Waffenlieferungen an die Ukraine und an Saudi-Arabien über die Reaktivierung von Kohlekraftwerken bis hin zur Chinapolitik.

Hunderttausende Male wird das Video vom 21. Oktober in kurzer Zeit gesehen. Nachrichtenagenturen zitieren daraus, so gut wie jedes deutsche Nachrichtenportal berichtet über den Frontalangriff. In den sozialen Medien trendet "Wagenknecht" da schon längst. Die Politikerin der Linken läuft, mal wieder, auf allen Kanälen.

Wagenknecht macht die AfD-Spitze nervös

Ihre eigene Partei bringt Wagenknecht mit solchen Aktionen immer wieder in Erklärungsnot. Zu wenig haben ihre Positionen oft mit den Beschlüssen der Linken zu tun. Doch Wagenknecht sorgt längst nicht nur in der Zentrale ihrer Partei für Unruhe. Auch an einem anderen Ort in der Hauptstadt wächst die Nervosität. Zumal seit Wagenknecht immer häufiger damit liebäugelt, eine eigene Partei zu gründen. Was, wenn sie es tatsächlich tut? Wie sehr würde sie uns schaden? Diese Fragen stellen sie sich derzeit bei der AfD.

Alice Weidel, Partei- und Fraktionschefin der Partei, hat bereits eine Antwort. "Frau Wagenknecht bekommt aus großen Teilen unseres Wählerumfeldes großen Zuspruch", sagte Weidel t-online. "Selbstverständlich ist da eine gewisse Konkurrenz entstanden, mit der wir uns auseinandersetzen müssen."

Weidel sieht gerade in Ostdeutschland, wo die AfD am erfolgreichsten ist, ein Risiko durch eine Wagenknecht-Partei: "Sie ist wahnsinnig populär und spricht besonders im Osten dieselben Wähler an wie wir: Jene, die die Folgen der Energiekrise besonders hart spüren, die genug haben vom linksgrünen Mainstream und dem Versagen der Regierung."

Wagenknecht folgt gleich auf Weidel in der Gunst der AfD-Wähler

Alarmiert haben dürfte Weidel nicht zuletzt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der "Bild"-Zeitung: Wagenknecht ist demnach die beliebteste Politikerin Deutschlands, beliebter als alle Minister der Ampelkoalition. Nur ein Mann, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, schneidet noch besser ab als Wagenknecht.

Die Umfrage liefert gerade auch für die AfD brisante Details: So ist Wagenknecht bei deren Wählern die zweitbeliebteste Politikerin, direkt hinter Alice Weidel. Erst auf Platz drei folgt Tino Chrupalla, Weidels Co-Partei- und Fraktionschef. Schlimmer noch aus Sicht der AfD: 63 Prozent ihrer Wähler fänden es demnach gut, wenn zur Bundestagswahl eine Partei mit Sahra Wagenknecht als Spitzenkandidatin anträte.

Alice Weidel mit Ach und Krach bei den eigenen Anhängern etwas beliebter, Tino Chrupallla deutlich unbeliebter – die AfD-Spitze muss das schmerzen. Alice Weidel will aus den Erkenntnissen bereits Konsequenzen ziehen. Die AfD müsse ihr sozialpolitisches Profil schärfen, sagte sie t-online. Und müsse gerade in diesem Politikbereich "starke Köpfe einsetzen und prominent machen".

Für den Politikwissenschaftler und AfD-Beobachter Johannes Hillje sind Weidels Sorgen nachvollziehbar. Wagenknecht propagiere Grünen-Bashing, Antiamerikanismus, Putin-Nähe und arbeite angesichts der Russland-Sanktionen am Narrativ eines Wirtschaftskriegs der Bundesregierung gegen die eigene Bevölkerung und Industrie. Das sei nichts anderes als das, was die AfD mache. "In vielen Punkten ist Wagenknechts Populismus schon lange nicht mehr von dem der AfD zu unterscheiden", so Hillje.

"Frau Wagenknecht, kommen Sie zur AfD"

Begonnen hat diese Annährung bereits 2015, während der Flüchtlingskrise, die die AfD erst wieder groß machte. Nach dem Sprengstoffanschlag eines syrischen Asylbewerbers im bayerischen Ansbach 2016 gab Wagenknecht indirekt Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitschuld. Merkels "Wir schaffen das" sei leichtfertig gewesen, die Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen offensichtlich mit erheblichen Problemen verbunden.

Die Linke protestierte ob dieser groben Vereinfachung der Fakten, die AfD aber lobte Wagenknecht. "Ganz richtig", sagte der damalige Chef der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg. Schuld am Anschlag habe maßgeblich die "verfehlte deutsche Flüchtlingspolitik". Und Poggenburg sprach gleich eine Einladung aus: "Frau Wagenknecht, kommen Sie zur AfD."

Wagenknecht distanziert sich von der AfD

Wagenknecht lehnte damals ab – und daran hat sich trotz aller inhaltlichen Nähe auch nichts geändert. Auf Nachfrage von t-online teilte sie mit, die AfD dulde offen extremistische und rassistische Mitglieder in ihren Reihen und vertrete einen marktliberalen Kurs, der den Reichen nütze und denjenigen mit mittleren und niedrigen Einkommen schade. Es sei deshalb "geradezu grotesk", dass die AfD jetzt im Protest gegen die unsoziale Regierungspolitik gestärkt werde. Dennoch halte sie es für kontraproduktiv, reflexhaft das Gegenteil von dem zu behaupten, was die AfD vertrete.

Wagenknecht hat diesen Satz schon oft gesagt, er ist eine ihrer Standarderwiderungen auf den Vorwurf, sie kumpele im Grunde mit Rechten: Sie sei nicht gewillt, zu behaupten, der "Himmel sei grün, nur weil die AfD sagt, er ist blau".

Experte Hillje schätzt: Wäre Wagenknecht zur AfD gewechselt, hätte die Partei wohl am stärksten profitiert. Denn der AfD fehle, was Wagenknecht biete: eine starke Führungspersönlichkeit. "Kein Höcke, kein Chrupalla, keine Weidel kommen an das Charisma und die rhetorischen Fähigkeiten von Sahra Wagenknecht heran."

Gerade im Osten besitze Wagenknecht, die in Jena und Ost-Berlin aufgewachsen ist, außerdem rein biografisch größere Glaubwürdigkeit als Alice Weidel, die Ex-Investmentbankerin mit Wohnsitz in der Schweiz, oder Björn Höcke, der im Westen aufgewachsen ist.

"Wagenknecht ist eine Ikone im rechtsradikalen Milieu"

Und inzwischen genieße Wagenknecht Anerkennung und Respekt auch in rechtsextremen Gruppen, die traditionell eine wichtige Werbeplattform, Treiber und Trommler für die AfD sind. Deutlich zeigte sich das bei einer "Montagsdemonstration" gegen die Energiepolitik der Bundesregierung in Leipzig, auf der Jürgen Elsässer, Chefredakteur des rechtsextremen "Compact"-Magazins, mit Hunderten Anhängern der ebenfalls rechtsextremen "Freien Sachsen" mit "Sahra, Sahra"-Rufen nach Wagenknecht verlangte.

"Wagenknecht ist mittlerweile eine Ikone im rechtsradikalen Milieu, sie wird dort regelrecht vergöttert", sagt Hillje. "Sie gilt als Kronzeugin der etablierten Parteien."

Würde Wagenknecht eine eigene Partei gründen, hätte sie so mit Sicherheit Chancen darauf, der AfD einige Stimmen abzunehmen, schätzt Hillje. Wie groß dieser Erfolg werden und wie lange er anhalten könnte, sei allerdings ungewiss. Die Vergangenheit habe bisher deutlich gezeigt, dass es letztlich vor allem der AfD nütze, wenn man sie und ihre Inhalte kopiere.

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Wagenknecht selbst bleibt das größte Hindernis

Am Ende dürfte das größte Hindernis für eine Wagenknecht-Partei aber wohl vor allem Wagenknecht selbst bleiben. Sie gilt als eher schwache Netzwerkerin und als jemand, der auf eigene Auftritte fokussiert, aber nicht an der oft nervenaufreibenden Parteiarbeit interessiert ist.

Im Interview mit Bild TV formulierte Wagenknecht das Problem so: Sie wünsche sich eine Partei, die die Arbeit der Bundesregierung verändern könne. "Aber es ist halt nicht so einfach, eine Partei zu gründen."

Verwendete Quellen
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