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Migration | Linda Teuteberg (FDP): "Umgekehrt wird ein Schuh daraus"


FDP-Politikerin über Migration
"Das ist Teil hybrider Kriegsführung"

InterviewVon Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 27.09.2023Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Linda Teuteberg: Die FDP-Bundestagsabgeordnete sagt, eine "realistische und wirksame Migrationspolitik" sei "zentral für den Bestand einer liberalen Demokratie". (Quelle: Christian Spicker via www.imago-images.de)

Wie wird Deutschland mit der Migrationskrise fertig? Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg sagt im Interview: Nur durch eine deutliche Begrenzung des Zuzugs – in Zusammenarbeit mit der Union.

t-online: Frau Teuteberg, heute vor acht Jahren hat Bundespräsident Joachim Gauck im Zuge der Migrationskrise 2015 gesagt: Unsere Herzen sind weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich. Acht Jahre später meldet er sich wieder zu Wort, mahnt neue Entschlossenheit an und auch zum Handeln. Warum ist dazwischen nichts passiert?

Linda Teuteberg: Der Bundespräsident hat schon damals auf das fundamentale Dilemma hingewiesen: Die Notwendigkeit, das Interesse der Bürger am Fortbestand eines funktionierenden Gemeinwesens zu verbinden mit dem humanen Ansatz, Schutzbedürftigen zu helfen. Ohne die Unterstützung der Mehrheit kann eine Gesellschaft langfristig nicht offen und aufnahmefähig bleiben. Deshalb bedarf es einer Ethik und Strategie der Begrenzung, die hilft, Akzeptanz zu erhalten. Wir haben begrenzte, real knappe Kapazitäten, Menschen unterzubringen und erst recht für gelingende Integration. Das wird spätestens jetzt auf eklatante Weise für jeden sichtbar, der mit offenen Augen durch die Kommunen unseres Landes geht. Die erneut mangelnde Einigung über die Verteilung der Kosten ist ein Symptom und sollte nicht davon ablenken, dass es um Begrenzung des Zuzugs und nicht um zusätzliche Geldtransfers gehen muss. Denn da geht es letztlich immer um das Geld der Steuerzahler, egal auf welche Ebene.

Das sah Gauck wohl schon damals kommen. Noch mal: Warum sind wir acht Jahre später nicht weiter?

Die Debatte ist seitdem zu sehr schwarz-weiß geblieben, von geradezu unpolitischer Unbedingtheit und Rigorismus geprägt. Auch 2016 und 2017 gab es keine große Debatte im Bundestag zu den Fragen: Was wollen wir eigentlich schaffen? Was können wir schaffen, und was sind wir dafür bereit zu investieren? Was erwarten wir von Menschen, die zu uns kommen? Was ist Bereicherung, was aber auch Bedrohung unserer Lebensweise? Es gibt Herausforderungen, die durch keinen Geldsegen gemeistert werden können. Integration ist ein langer kultureller Prozess und eine gemeinsame Anstrengung. Integration ist auch, aber nicht ausschließlich ein Rechenspiel.

Und darüber wurde nicht geredet?

Nur reflexhaft und nicht grundsätzlich genug. Es gab nur diese große Polarisierung zwischen Abschottung, die der AfD zugeschrieben wird, und einem Laisser-faire auf der linken Seite, das gerade auch von den Grünen vertreten wird, wo es in der Praxis gar keinen Unterschied macht, ob ein rechtsstaatliches Verfahren positiv oder negativ ausgeht. Letztere Position hatte bisher die Deutungshoheit: dass nur moralisch ist, wer faktisch für eine unbegrenzte und unterschiedslose Aufnahme eintritt. In der Defensive war, wer gesagt hat, dass die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens ein legitimes, ja ein verantwortungsethisches Anliegen ist und Dilemmata auch als solche benennt. Doch nur so, davon bin ich überzeugt, erhalten wir die Akzeptanz für das Asylrecht und für unseren demokratischen Rechtsstaat.

Das Thema ist Nährboden für die AfD. Muss man es vielleicht klein halten, weil sonst die AfD immer noch stärker und größer wird.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wichtige Themen müssen Demokraten ansprechen und um Mehrheiten für praktikable Lösungsvorschläge werben. Das Tabuisieren und Vernachlässigen realer Probleme ist der Nährboden. Solange einige politische Akteure nicht aufhören, jeden, der sich wegen hoher Einwandererzahlen Sorgen macht, mit Herablassung und politischem Hochmut zu begegnen, fallen die Lockrufe der selbsternannten Alternative weiterhin auf fruchtbaren Boden. Diejenigen zurückzugewinnen, die nicht wegen eines völkischen, extremistischen Weltbildes, sondern aus Frust und Verzweiflung den Falschen hinterherlaufen, ist geradezu unsere staatspolitische Verantwortung. Eine realistische und wirksame Migrationspolitik ist zentral für den Bestand einer liberalen Demokratie. Und diese liberale Demokratie wird im Augenblick bei der Migration nicht nur von innen durch die AfD bedroht.

Von wem noch?

Durch Diktatoren wie Lukaschenko oder Putin, die beide versuchen, über organisierte irreguläre Migration auf dem Landweg an der europäischen Außengrenze unsere Demokratien zu destabilisieren. Dieses staatlich orchestrierte Schleppertum ist Teil hybrider Kriegsführung, die in Deutschland noch immer unzureichend verstanden wird. Wir müssen zeigen, dass wir anders sind und nicht den Tod von Menschen in Kauf nehmen. Zugleich müssen wir beweisen, dass wir handlungs- und durchsetzungsfähig sind und nicht schwach und erpressbar, wie Diktatoren und Autokraten glauben machen wollen. Der Schutz der europäischen Außengrenze durch Polen ist in unserem gemeinsamen Interesse und verdient unsere Unterstützung. Zu glauben, dass das ohne bauliche Befestigung durch Grenzzäune gelänge, wäre weltfremd. Selbstverständlich gehören auch Grenzübergangsstellen, an denen man legal und geordnet einreisen kann, dazu.

Die Grünen als Ihr Koalitionspartner sehen das völlig anders. Das haben sie Bundesinnenministerin Nancy Faeser wissen lassen, die in der Frage des Grenzschutzes ähnlich argumentiert wie Sie. Und vorher auch beim Europäischen Asylkompromiss, den Frau Faeser im Auftrag der Bundesregierung mit ausgehandelt hat.

Das stimmt. Deshalb brauchen wir jetzt diese gründliche Debatte in Deutschland, weil die Grünen leider noch nicht so weit sind in der die Einschätzung, wie dringlich es ist, Migration nicht nur abstrakt zu ordnen, sondern tatsächlich auch zu begrenzen. Alle anderen EU-Mitgliedstaaten sind längst an diesem Punkt. Übrigens ist es für klassische Einwanderungsländer ganz selbstverständlich, dass ihre Migrationspolitik auch der Begrenzung des Zuzugs dient.

Die Union hat der Ampel jetzt einen Migrationspakt mit ihrer Hilfe und mit ihren Vorschlägen angeboten: Sollte die Regierung darauf eingehen?

Unbedingt. Das Migrationsthema ist eine entscheidende Frage für Zusammenhalt und Zukunft unseres Landes. Gerade weil es eine so komplexe Herausforderung ist, Migration wirksam rechtsstaatlich zu ordnen, müssen konsequent alle Hebel genutzt werden. Es gilt, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Wir müssen alle Chancen ergreifen. Auch eine Zusammenarbeit mit der Opposition. Wir brauchen den Durchbruch für einen Konsens, der lautet: Begrenzung von Migration ist ein legitimes politisches Ziel. Verantwortungsvolle Politik muss darauf achten, dass über das Asylsystem nicht in großem Umfang Personen ohne realistische Anerkennungschance faktisch einwandern.

Die zentrale Forderung der Union ist die Obergrenze von 200.000 jährlich. Gehen Sie da mit?

Die Obergrenze ist natürlich ein Reizwort, aber auch ein Popanz, dem unehrlich begegnet wird. Viele, die den Begriff ablehnen, sagen doch gleichzeitig nicht ehrlich, dass sie einfach gar nicht über Belastbarkeit, über die Notwendigkeit von Begrenzung, diskutieren wollen. Es geht nicht um die 200.001. Person, sondern darum, über Größenordnungen zu sprechen, die unser Gemeinwesen verkraften kann und will. Unsere Aufgabe ist, zu steuern, was zu steuern ist. Manche, die in anderen Zusammenhängen gern ihren Gestaltungsanspruch betonen, pflegen hier einen seltsamen Fatalismus. Dass etwas nicht zu 100 Prozent steuerbar ist, befreit nicht von der Verantwortung für das Machbare.

Wie viel Zeit bleibt für eine Lösung?

Sehr wenig. Wir haben schon zu viel Zeit verstreichen lassen und bis Mitte Februar muss eine praktikable Einigung stehen. Im Frühjahr nächsten Jahres sind Europawahlen, die werden von diesem Thema dominiert sein. Deutschland muss endlich vom Bremser zum Treiber und Ermöglicher der nötigen konsequenten Weichenstellungen auf europäischer Ebene werden. Eintreten für verstärkten Außengrenzschutz, Vorprüfungen in Drittstaaten, Ausweitung statt Einschränkung des Prinzips der sicheren Drittstaaten und so weiter, statt Nachverhandeln und Feilschen um Ausnahmen lautet das Gebot der Stunde. Würde erst einmal die Botschaft ankommen, dass nicht jeder nach Europa einreisen und bleiben kann und bestehende Hebel dazu konsequent genutzt werden, veränderte sich auch die Verhandlungssituation mit Transit- und Herkunftsländern. Europa muss Flüchtlinge und Grenzen schützen können.

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Kann an der Frage die Koalition platzen?

Jede demokratische Partei und insbesondere jede Regierungspartei steht in der Verantwortung, ihren Beitrag zur Befriedung und Lösung dieser Existenzfrage für die Handlungsfähigkeit der offenen Gesellschaft und liberalen Demokratie zu leisten. Die Frage ist nicht mehr, was eine Zumutung für die Grünen ist. Die Frage ist, welche Zumutung wir Deutschland und Europa ersparen müssen. Kontrollverlust ist übrigens nicht fortschrittlich.

Das war jetzt mehr ein Appell als eine Antwort. Danke für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Linda Teuteberg
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