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AfD vor Gericht in Münster: Zeugen mit Migrationshintergrund


AfD vor Gericht
Der große Bluff


Aktualisiert am 14.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Hessens AfD-Chef Robert Lambrou: Im Verfahren gegen den Verfassungsschutz hat die Partei Überraschungszeugen mitgebracht.Vergrößern des Bildes
Hessens AfD-Chef Robert Lambrou: Im Verfahren gegen den Verfassungsschutz hat die Partei Überraschungszeugen mitgebracht. (Quelle: IMAGO/Eibner-Pressefoto/Florian Wiegan/imago)

Vor Gericht konfrontiert der Verfassungsschutz die AfD mit ihrem völkischen Nationalismus. Doch die ist darauf vorbereitet: Sie liefert Zeugen.

Es dauert anderthalb Tage, bis sich die Vertreter von AfD und Verfassungsschutz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster einmal einig sind: Man sei an einem wichtigen Punkt des Verfahrens angekommen. Denn jetzt gehe es um einen zentralen Vorwurf gegen die AfD: den Volksbegriff, den sie verwende.

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Er ist einer von drei Punkten, der maßgeblich zur Einstufung der AfD als "rechtsextremistischer Verdachtsfall" beim Inlandsgeheimdienst beitrug – ein Label, das die AfD in diesem Berufungsverfahren trotz denkbar schlechter Aussichten gerne wieder loswürde. Zumindest aber will sie verzögern, dass sie schon bald zur "gesichert rechtsextremen Bestrebung" hochgestuft wird – die Vorbereitungen dazu laufen laut Medienberichten beim Verfassungsschutz bereits.

Die Diskussion über ihren "Volksbegriff" hätte die AfD deshalb am liebsten vermieden – mit mehr als einem Dutzend Beweis- und Befangenheitsanträgen haben ihre Anwälte immer wieder Zeit geschunden. Doch am Donnerstagnachmittag ist es trotz allem so weit.

Die AfD unterscheide zwischen einem Staatsvolk nach rechtlichen Kriterien und einem Volk nach ethnischer Abstammung, stellt der Anwalt des Verfassungsschutzes fest. So aber sehe es das Grundgesetz nicht vor. Sie diskriminiere Deutsche mit Migrationshintergrund und würdige sie zu Menschen zweiter Klasse herab. Und der Anwalt des Verfassungsschutzes liefert Dutzende Zitate von hohen AfD-Funktionären, um die Diskriminierung, den völkischen Nationalismus, zu belegen.

"Wenn sich ein Hund einem Wolfsrudel anschließt. Ist er dann ein Wolf oder bleibt er Hund?", zitiert der Anwalt des Verfassungsschutzes zum Beispiel einen Tweet von Stephan Protschka, dem bayerischen Landeschef der AfD. Gepostet mit dem Hashtag: #Passbeschenkter. Es folgen sehr viele Zitate von hohen AfD-Funktionären: Alexander Gauland, Maximilian Krah, Emil Sänze, Christina Baum, und immer wieder: Björn Höcke, der die Partei wie kein zweiter ideologisch prägt. Sie kritisieren Nationalmannschaften, die in ihren Augen keine Nationalmannschaften mehr sind. Sie vergleichen Zuwanderer mit Tieren. Sie benutzen rechtsextreme Codewörter und sprechen vom Volkstod, vom großen Austausch, von der Zerstörung des deutschen Volkes durch Zugewanderte.

AfD-Vorstand Reusch spricht jetzt zum ersten Mal

Die AfD kennt den eigenen Rassismus, die Zitate ihrer Funktionäre nur zu gut. Sie begleiten sie schon lange – und nie stärker als in den vergangenen Wochen, nachdem bekannt geworden war, dass AfD-Mitglieder mit prominenten Rechtsextremisten die Vertreibung auch deutscher Staatsbürger diskutierten. Die Zustimmungswerte der Partei sind seither gesunken, die Sorge in ihren Reihen groß: Was, wenn ihr Stern nun sinkt? Das Verfahren in Münster ist deswegen ein besonderes Problem für sie. Aber ein Problem, auf das sie sich bestens vorbereitet hat.

Zum ersten Mal im Verfahren ergreift nun Roman Reusch das Wort. Reusch sitzt im Bundesvorstand der AfD, bis 2021 saß er auch für sie im Bundestag. Früher war er Oberstaatsanwalt in Berlin, er galt dort als harter Hund. Bisher hat Reusch in der ersten Reihe des Verfahrens gewartet, aber den jungen Anwalt der Kanzlei Höcker sprechen lassen. Jetzt aber ist es Zeit für den großen Bluff – und den wird Reusch übernehmen. Der Vollblutjurist, das Vollblut-AfD-Mitglied, vom ersten Jahr an.

Reusch beklagt, was man in der AfD so oft beklagt: Dass die Medien nur behaupten, dass die Partei rassistisch sei – dabei sei das gar nicht wahr. Natürlich gebe es in seiner Partei Leute, die "Blech reden", spielt Reusch die fremdenfeindliche Zitatsammlung herunter. Das wisse er nur zu gut. Aber es gelte die alte Regel: "An ihren Taten sollt ihr sie erkennen."

Deswegen will Reusch nun Zeugen aus der Partei zu Wort kommen lassen: AfD-Mitglieder mit Migrationshintergrund. Sie halten sich in der zweiten Reihe, gleich hinter Reusch, seit Beginn des Verfahrens bereit, haben geduldig gewartet.

"Alibi-Verein" verleiht Alibi

Es sind Mitglieder des Vereins "Mit Migrationshintergrund für Deutschland", der im Sommer 2023 gegründet wurde. Gestartet mit 36 Mitgliedern ist der Verein bisher kaum gewachsen – nur 14 neue Mitglieder hat er zu verzeichnen, wie t-online bereits vor zwei Wochen berichtete. Auch ins Vereinsregister ist er noch nicht eingetragen – und insgesamt kaum aktiv. Kritikern gilt er als "Alibi-Verein", ganz ähnlich wie der Verein "Juden in der AfD". Und hier kommt er gerade recht. Perfekt, um im Verfahren den Eindruck zu erwecken, die Partei sei nicht rassistisch. "Spiegel Online" berichtete über den geplanten Coup der AfD vor Gericht bereits vor Beginn des Verfahrens.

Der gebürtige Iraner Meysam Ehtemai, die in Nigeria aufgewachsene Catherine Schmiedel und Hessens AfD-Landeschef Robert Lambrou, der einen griechischen Vater hat: Einer nach dem anderen setzt sich in die erste Reihe, erzählt kurz von seiner Herkunft und Erfahrungen in der AfD.

Er sei in der AfD Hessen mit einem sehr guten Ergebnis als Listenkandidat aufgestellt worden, für die Bundes- wie die Landtagswahl, sagt Ehtemai. Nie habe er in der Partei Rassismus erfahren – sehr wohl aber von den politischen Gegnern, die ihn immer fragten: Wie kannst ausgerechnet du in einer solchen Partei sein?

Catherine Schmiedel, die auch schon Selfies mit Björn Höcke geschossen hat, erzählt, wie sie in den sozialen Medien als "schwarzer Nazi" und "dummer Affe" beleidigt werde. Die AfD aber sei ein sicherer Ort für sie. Hier fühle sie sich zu Hause, auch programmatisch: 2019 sei sie aus Sorge vor massiver Zuwanderung und Kriminalität in die AfD eingetreten. "Thank you, thank you", verabschiedet sich Schmiedel.

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Hessens Landeschef Robert Lambrou, der Kopf hinter dem Verein "Mit Migrationshintergrund für Deutschland", beteuert: Er sei ein sehr hoher Funktionär, so wie Höcke, so wie Krah. Deren Aussagen seien "Blech" – und er behauptet: Er konfrontiere Parteikollegen wie sie und diskutiere mit ihnen.

"Dampf ablassen" vs. Macht des Höcke-Flügels

Roman Reusch behauptet nach den Vorträgen sogar: Einen dominanten rechtsextremen Flügel gebe es in der AfD gar nicht – ebenso wenig wie einen Richtungsstreit. Nur "verbale Entgleisungen" und "Leute, die Dampf ablassen". Nicht anders als die "Bierzeltreden bei der CDU".

Absurd ist diese Behauptung, Beobachter der Partei können da nur den Kopf schütteln. Die Machtstrukturen in der AfD sind komplex – aber bei Parteitagen trumpft das völkische Lager schon lange auf, ging in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich als Sieger aus heftigen Auseinandersetzungen hervor. Und sie diktieren immer stärker Personal sowie das Programm. Die nationalliberale Konkurrenz ist über die Jahre immer weiter geschrumpft und spielt inzwischen kaum noch eine Rolle.

Beim Europaparteitag im Sommer wurde mit Krah nicht nur ein Vertreter des Höcke-Flügels auf Platz eins der Europaliste gewählt. Die Macht des Flügels ist so groß, dass Höcke mit AfD-Chefin Alice Weidel im Separee hinter verschlossenen Türen alleine die Präambel und das Europa-Wahlprogramm vorverhandelte. Niemand in der Partei gilt als mächtiger als der Rechtsextremist – eben weil er so große Teile der Partei geschlossen hinter sich weiß.

Protestrufe: "AfD Rassistenpack"

Der Anwalt des Verfassungsschutzes bezeichnet die Aussagen der drei Überraschungszeugen denn auch als "nicht mehr nachvollziehbare Verharmlosung". Er verweist auf die mehrere Tausend Seite lange Beweisführung des Amtes, eine Dokumentation von "massiven Angriffen auf die Menschenwürde von Migranten". Und er betont: Wenn die AfD die Macht erhalte, Gesetze zu beeinflussen, so sei zu erwarten, dass sie das tue – und zwar ganz im Sinne von Funktionären wie Björn Höcke.

Die Richter aber entscheiden noch nicht heute. Das Verfahren wird vermutlich erst in Wochen weitergeführt werden. Am Donnerstagabend interviewen die Medien vor der Tür erst einmal Ehtemai. Hessenchef Lambrou stupst Catherine Schmiedel sanft in Richtung Kamera. Fünf Meter weiter behauptet Bundesvorstand Carsten Hütter in eine Kamera: "Höcke ist in meinen Augen kein Extremist."

Nur fünf junge Prozessbesucher trüben das Schauspiel, den großen Coup. Sie verlassen das Gericht mit Sprechchören: "AfD Rassistenpack – wir haben euch zum Kotzen satt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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