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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit in der AfD Plötzlich schlägt Krah andere Töne an

In der AfD ist Maximilian Krah tief gefallen. Nun kämpft der Ex-Spitzenkandidat der Partei gegen einen zu harten Begriff von "Remigration" – und damit gegen seine eigene Gefolgschaft. Ein Besuch in Neukölln, wo Teenies von ihm Selfies wollen.
Maximilian Krah schlendert durch Berlin-Neukölln. In Anzug und mit Aktentasche unter dem Arm läuft er an arabischen Gemüsehändlern, Frauen mit Kopftüchern und Shishabars vorbei, vor denen Männer weißen Rauch in die Luft pusten. 30 Minuten dauert es, bis Krah zum ersten Mal erkannt wird.
"Bist du nicht Deutscher?", fragt ein junger Mann mit Migrationshintergrund und lacht. Er kenne Krah von der Videoplattform TikTok. "Was machst du hier? Das ist gefährlich, pass auf!"
Krah passt auf. Am Tisch auf dem Gehweg vor einem arabischen Imbiss positioniert er sich mit dem Rücken zur Scheibe, behält die Passanten im Blick. Ausschau hält er aber nicht nach "den Migras", also Menschen mit Migrationshintergrund. "Die sind kein Problem", sagt er und winkt ab. Sorgen bereiten ihm vielmehr "Antifanten", wie Krah sie im AfD-Sprech nennt – linke Aktivisten.
Krah ist sonst nie in Neukölln. "Schampus-Maxe", wie er in seiner Partei augenzwinkernd auch genannt wird, ist mehr der Austern- als Falafel-, mehr der Villenviertel- als Brennpunkt-Typ. Auf den Vorschlag, sich in dem Stadtteil zu treffen, in dem rund die Hälfte der Bewohner eine Migrationsgeschichte hat, geht er aber gern ein. Denn der AfD-Rechtsaußen will gerade eine Botschaft senden: weniger Abschiebungen, mehr Parallelgesellschaften. Also: Mehr Neukölln wagen.
Es ist eine Wende von Krah, die gerade unter den Kräften, die ihn groß gemacht haben, Furor auslöst. Ein strategischer Schuss in die eigene Gefolgschaft, der viel verrät – über Krah, die AfD und vor allem ihr Vorfeld. Dessen Akteure und Vereine stehen außerhalb der Partei, weil sie ihr offiziell zu rechtsextrem sind, sie beeinflussen die AfD bisher aber stark.
Krah wendet sich gegen seine größten Unterstützer
Krah ist ein Produkt dieses Vorfelds. Zumindest hat er ihm zu einem guten Teil seinen größten politischen Erfolg zu verdanken. Zum Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl 2024 wurde er nicht zuletzt deswegen gewählt, weil junge Männer mit scharfen Scheiteln für ihn trommelten, in der rechtsextremen Denkfabrik Schnellroda des Verlegers Götz Kubitschek sein Buch "Politik von rechts" zum günstigen Zeitpunkt erschien und Kubitschek-Jünger der radikalsten Strömung in der Partei für ihn stimmten.
Im Wahlkampf fabrizierte Krah monatelang einen Aufreger nach dem anderen, meist im Video-Format auf der Plattform TikTok. Kurzvideos wie "Echte Männer sind rechts" oder "Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher" wurden millionenfach geklickt. Krah gilt seither als erster Social-Media- und Jugend-Star der AfD. Die Videos wiederum wurden maßgeblich von Personen außerhalb der AfD konzipiert, etwa dem jungen Aktivisten Erik Ahrens, der Rassentheorien anhängt.
Krahs Ziele waren da noch identisch mit denen des Vorfelds: Die Grenzen des Sagbaren in der Gesellschaft verschieben, immer weiter nach rechts, um den Boden zu bereiten für eine rechte Revolution – erst in den Köpfen, dann in den Parlamenten. Autoritär, nationalistisch, geschichtsvergessen.
Weit hat er dieses Spiel getrieben, oft sogar gegen den Protest der AfD-Spitze. Am Ende aber ist er wegen dieser aus Sicht der AfD falschen Prioritätensetzung tief gestürzt: Seine Parteikollegen haben ihn, den Spitzenkandidaten, nach der Wahl umgehend aus der Fraktion im EU-Parlament verstoßen.
Seither war Krah an den Rand gedrängt, ohne großen Einfluss in der Partei. "Gefangen in der Zwischenhölle", so formuliert er es selbst. Doch Krah wäre nicht Krah, gäbe er sich damit zufrieden.
Krah kämpft gegen Sellners "Remigration"
Seit März sitzt der Jurist im Bundestag, wurde dort ohne Widerstand in die Fraktion aufgenommen und schreibt an einem neuen Buch. In "sechs bis acht Wochen" will er damit fertig sein, sagt er. Gerade denkt er über den Titel nach: "Zukunft von rechts" oder "Die Zukunft ist rechts" schweben ihm vor, sagt er. Erscheinen soll es wieder bei Kubitscheks Verlag Antaios in Schnellroda. Doch die Ziele des Vorfelds und Krahs Ziele sind nun in zwei wichtigen Punkten nicht mehr dieselben.
Denn Krah wendet sich nun gegen die Begriffe der "Remigration" und der "Assimilation". Kubitschek und sein geistiger Ziehsohn Martin Sellner, ehemaliger Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung, haben besonders die "Remigration" groß gemacht. Entlehnt ist der Begriff aus der Soziologie, wo er eigentlich rein deskriptiv die Bewegung von Migranten zurück in ihre Herkunftsländer beschreibt. Sellner, Kubitschek und ihre Gefolgschaft aber haben ihn in zahlreichen Büchern, Artikeln und Videos umgedeutet, sodass "Remigration" für sie nun meint: abschieben, so viele wie nur gehen. Millionen Flüchtlinge, Ausländer, unter Umständen sogar Staatsbürger dazu bringen, das Land zu verlassen – vor allem, wenn sie sich nicht assimilieren, also die eigene Kultur nicht vollkommen aufgeben wollen. Im besten Fall abschieben, bis Deutschland wieder "homogen" ist – was es in der Form, wie es sich mancher in der Szene wünscht, nie war.
Die AfD hat sich von diesen rassistischen Fantasien ihres Vorfelds erheblich beeinflussen lassen. Nach dem Potsdamer Treffen von Rechtsextremisten, das bundesweit Massenproteste auslöste, adaptierte die Partei den Begriff "Remigration" immer stärker. Im Herbst zogen AfD-Landesverbände wie Thüringen und Brandenburg explizit unter diesem Schlagwort in den Landtagswahlkampf, im Westen druckten sie "Abschiebetickets" und traten als Abschiebepiloten verkleidet im Karneval auf. Im Bundestagswahlkampf schließlich kippte auch AfD-Chefin Alice Weidel und verkündete von der Bühne des Bundesparteitags: "Wenn es denn 'Remigration' heißen soll, dann heißt es eben 'Remigration'."
Zwar hatte da schon lange eine Arbeitsgruppe der AfD eine rechtskonforme Auslegung des Begriffs "Remigration"- für die Partei erarbeitet, in der nur die Abschiebung von Illegalen, nicht aber die von Staatsbürgern eine Rolle spielt. Pingelig achtete man auch im Bundestagswahlprogramm darauf, dass man nicht über diese Grenze trat. Doch auch in der Partei jonglieren manche Funktionäre und Landesverbände mit Zahlen und Andeutungen, die anders klingen. Stark nach Sellner.
Krah: "Das ist wie ein Kult"
Krah will darunter einen Schlussstrich ziehen. "Das ist wie ein Kult mit der 'Remigration'", sagt er auf dem Neuköllner Hermannplatz. "Dieser Kult führt von der Realität und der Gestaltungsmacht weg." Bei 20 Prozent Zustimmung liege die Partei – und müsse nun anders agieren als zuvor. Vor allem zwei Ziele verfolgt Krah mit diesem Richtungswechsel: Auf der einen Seite will er ein Verbot der Partei sowie ihre Höherstufung beim Verfassungsschutz verhindern. Auf der anderen neue Wählergruppen unter Migranten für sie erschließen.
Krah zählt ein halbes Dutzend Gerichte auf, die Urteile zur AfD gefällt haben. Intensiv habe er sich in den vergangenen Monaten mit diesen beschäftigt. Das wichtigste Urteil ist dabei das des Oberverwaltungsgerichts Münster, das im vergangenen Jahr entschied: Der Verfassungsschutz dürfe die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall beobachten, unter anderem weil die Partei ein kritisches Volksverständnis habe.
Stark fiel bei dieser Entscheidung ins Gewicht, dass es einen begründeten Verdacht gebe, dass ein Teil der AfD "deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status" zuerkennen wolle, heißt es im Urteil. Zwar betone die Partei, nicht in Staatsbürger erster und zweiter Klasse zu unterscheiden. Nicht zu erklären aber vermöge die AfD, warum viele, auch führende, Mitglieder der Partei den Verlust "ethnischer Homogenität" beklagten, das deutsche Volk ausschließlich als "Abstammungsgemeinschaft" definierten und Staatsangehörige mit Migrationshintergrund diffamierend nur als "Passdeutsche" bezeichneten.
Auch Krah hat zahlreiche Aussagen geliefert, die der Verfassungsschutz in seinen Gutachten zur AfD zitiert. Er liegt in den Top 5 der meistzitierten AfD-Politiker, nah hinter Björn Höcke. Da wünscht er sich "Homogenität" in Deutschland, da warnt er vor einem "großen Austausch", einer "Ersetzungsmigration" und einer "Umvolkung" – rechtsextreme Schlagwörter, die die Angst vor Überfremdung anfeuern sollen und das Sterben des deutschen Volkes durch Mischung mit anderen Ethnien halluzinieren. Ängste, aus denen das Konzept der "Remigration" geboren wurde.
Von vielen dieser Worte will Krah auch jetzt nicht lassen. "Wenn wir hier auf dem Hermannplatz stehen", sagt er und deutet auf die mehrheitlich arabischen Stände auf dem Wochenmarkt, "wird man schon sagen können, dass hier in den vergangenen 20 Jahren ein Austausch der ansässigen Bevölkerung stattgefunden hat." Diese "Wahrheit" wolle er auch weiterhin aussprechen. Doch die Argumentation des "Gegners", also des Verfassungsschutzes, habe sich weiterentwickelt. Und Krah findet: "In dem Moment, wo sich Komplexität erhöht, müssen auch unsere Antworten präziser, komplexer werden."
"Sie wollen natürlich diskriminieren"
Die AfD vertritt vor Gericht und in der Öffentlichkeit allerdings stets den Standpunkt, rechtlich und politisch nicht zwischen Staatsbürgern erster und zweiter Klasse zu unterscheiden, sondern alle gleichzubehandeln – ob eingebürgert, ohne oder mit Migrationshintergrund. Legt Krah damit also nicht einen Finger in eine Wunde, von der seine Partei behauptet, dass es sie gar nicht gibt?
"Wer das meint, dem ist nicht klar, was sich an verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung aufgebaut hat", sagt Krah. Zwar sei nie der weitgefasste Begriff "Remigration" von Sellner Parteiprogramm der AfD gewesen. Dessen Intention übersetzt Krah so: "Sie sagen, sie wollen nicht ausbürgern. Aber sie wollen natürlich diskriminieren – und das entlang der ethnischen Grenzen." Es gebe zulässige und unzulässige Diskriminierung, so der Jurist Krah. "Aber ich würde sagen, es riecht stark nach unzulässig."
Mit Blick auf die AfD drückt Krah sich ausweichender, vorsichtiger aus. Auch die Partei sei gezwungen, mit Blick auf ihren Volksbegriff aufzuklären und "vielleicht ein wenig nachzujustieren". Wenn man denselben Begriff verwende wie das Vorfeld und "in vielerlei Hinsicht miteinander verbunden" sei, dann müsse man diese inhaltliche Debatte führen.
An Sätzen wie diesen wird klar: Krah, der promovierte Jurist, sieht im Verfassungsschutz und der Höherstufung der Partei zur "gesichert rechtsextremistischen Bestrebung" inzwischen eine erhebliche Gefahr. Und er scheint nicht zu glauben, was seine Partei kolportiert: Dass die Belege des Verfassungsschutzes nicht genügen und sich die Höherstufung im bald anstehenden Gerichtsverfahren locker abwenden lässt. Nicht, wenn alles bleibt, wie es ist.
Wirkmächtiger Streit auf Youtube
Den Kampf gegen Sellners Begriff der "Remigration" im Vorfeld hat Krah bereits aufgenommen. In einem viel beachteten YouTube-Video aus der vergangenen Woche hat er mit Götz Kubitschek und dessen Frau Ellen Kositza darüber diskutiert. Krah plädierte dafür, in keinem Fall Unterschiede zwischen deutschen Staatsbürgern zu machen, ob eingebürgert, mit oder ohne Migrationshintergrund. Die Definitionen der Gerichte und des Verfassungsschutzes sollten Partei wie Vorfeld mit Blick auf das Konzept der "Remigration" achten, so Krahs Appell – sonst werde der Staat sie verfolgen, "mit allem, was er hat".
Verbissen argumentierte Kubitschek gegen ihn. An vielen Stellen redete er sich in Fahrt und wirkte ungläubig angesichts von Krahs Position, seines ehemals so engen Verbündeten, der sich nun partiell gegen seine Ideologie wendet und sich dem in der Szene verhassten Staat beugt.
Und Kubitschek ist nicht der Einzige. Auch AfD-Mitglieder, die als liberal gelten, hätten wütend reagiert, sagt Krah. Von "Glaubenssätzen" und "semireligiösen Vorstellungen" mit Blick auf die "Remigration" spricht er, an denen für viele mehr hänge, als er erwartet habe: "Man hat das Gefühl, dass man Leuten etwas nimmt, worauf sie einen Teil ihrer Identität gründen."
Solche Verbohrtheit liegt Krah glaubhaft fern. Zündeln mag er, maximal-radikale Forderungen stellen, Aufmerksamkeit um jeden Preis erregen. Aber er kann seine Meinung auch rasch ändern – wenn es ihm nur nutzt. In der Partei und dem Vorfeld schätzen sie ihn für seine Intelligenz und juristische Expertise, nennen ihn aber auch "geschmeidig" oder "situationselastisch". Es ist abfällig gemeint: stets bereit, das Segel in den Wind zu hängen, das ihn am weitesten trägt.
Krah schweben viele kleine Parallelgesellschaften vor
Das Konzept, von dem Krah nun glaubt, dass es die "Remigration" ersetzen und ihn weit tragen könnte, heißt: Segregation. Zusammenfassen lässt es sich so: Ähnlich wie Sellner und Kubitschek will auch Krah die Grenzen dichtmachen und Migration vollkommen stoppen. Weniger aber will er sich gegen jene wenden, die schon im Land leben, abschieben will er in geringerem Maße: "Die Flüchtlinge, die drin sind, sollen raus, wenn sie dauerhaft von Sozialhilfe leben oder kriminell werden", erklärt er. Aber: "Wenn sie sozialversicherungspflichtig arbeiten und angekommen sind, werde ich nicht anfangen zu remigrieren."
Stattdessen schwebt ihm vor, dass sich Menschen nach Ethnien sortiert regional sammeln – als Vorbild nennt er Teile von Neukölln oder der Dortmunder Nordstadt. In kleinen Einheiten, Blocks, lebten dann nur noch Syrer, in anderen nur noch Türken, in anderen ethnisch Deutsche, so malt es sich Krah aus. Andere Gegenden wiederum könnten gemischt sein, wenn die Bewohner es denn so wollten.
Der Rechtsrahmen des deutschen Staates solle überall gelten, die Polizei müsse gegebenenfalls in manchen Gegenden "robuster" werden. In den Vierteln aber könnten unterschiedliche Arten von "Selbstverwaltung" herrschen, zum Beispiel durch in den Gruppen anerkannte Kulturvereine. Und in den Schulen könnten die Eltern entscheiden, ob neben Deutsch als erster Sprache als zweite Türkisch, Arabisch oder Englisch gelehrt würden.
Es ist ein in Teilen freundlicheres Konzept als die massenweise Ausweisung, das Vielfalt akzeptiert, sie aber am liebsten mit Absonderung kombinieren will.
Auch Krahs Konzept birgt aber erhebliche Risiken, im Gespräch mit t-online bleibt er zudem an vielen Punkten schwammig. Wie er die räumliche Aufteilung nach Ethnien erreichen will? Ein staatliches Eingreifen läge nahe, zum Beispiel durch eine gezielte Verteilung von Wohnraum – und damit ein politisches Unterscheiden von Staatsbürgern nach Ethnien, wie es Gerichte und Verfassungsschutz kritisieren. Doch Krah verneint das rasch: Den Trend zur "Entmischung" gebe es ohnehin, behauptet er. Politische Zielsetzungen benenne er keine, vielmehr beobachte er nur soziologische Entwicklungen. "Man lässt geschehen und es läuft in die richtige Richtung."
Die "richtige Richtung" bedeutet in diesem Konzept aber auch: eine klare Unterscheidung zwischen Ethnien. Womit auch Krah völkisch denkt, auf zahlenmäßige Überlegenheit und Homogenität der ethnisch Deutschen abzielt – nur eben umgeben von Parallelgesellschaften, von etwas Vielfalt. Auch das könnte für Gerichte ein Problem sein.
Krah räumt ein, dass sein Konzept nicht alle juristischen Risiken ausräume, aber sie mindere. "Mit meinem Konzept – da lohnt es sich wenigstens, vor Gericht zu streiten", sagt er und lacht.
Krahs Weg aus der "Zwischenhölle"
Krah wird die Diskussion weitertreiben. Anfang Juli wird er sich auf dem alljährlichen Schnellroda-Sommerfest auf Kubitscheks Gutshof, bei dem sich das "Who's who" der rechtsextremen Szene trifft, einen Schlagabtausch mit Martin Sellner auf dem Podium liefern. Der größte Verfechter der "Remigration" sammelt schon jetzt Argumente gegen Krah bei seinen Fans, öffentlich auf der Plattform X.
Ob Krah auch in die AfD hineinwirken und dort ein Nachdenken auslösen wird, ist fraglich. Derzeit stöhnen sie in der Partei genervt: Die Diskussion sei eine reine Vorfeld-Diskussion, das Programm der Partei sei sauber. Krah sage mal "Hü und mal Hott", sagt ein Funktionär. "Wenn er gleich da angefangen hätte, wo er jetzt ist, hätten wir gar keine Debatte."
Krah jedenfalls hat schon zwei Dinge erreicht: erstens Aufmerksamkeit für sein Buch sowie mediale Aufmerksamkeit für sich selbst. Das dürfte ihm das Wichtigste sein. Erste Schritte auf seinem Weg aus der "Zwischenhölle".
Ein Selfie mit dem "netten" Herrn Krah
Zweitens wirkt er in Migrationsfragen nun freundlicher als andere aus seinem Flügel und macht sich so potenziell wählbar für Migranten. Seit einer Weile schon zielt er auf konservative Türken der zweiten und dritten Generation ab, die – so glaubt Krah – mit Blick auf Neuankömmlinge in der Migrationspolitik ähnlich hart ticken wie die AfD. Schon im EU-Wahlkampf hat er ein TikTok-Video bei einem türkischen Barbier gedreht, aktuell postet er Fotos mit dem Chef der ultrarechten türkischen Zafer-Partei.
Die Türkei werde wichtiger, "ökonomisch, politisch, geografisch", sagt Krah. "Damit ist auch klar, dass die Deutschtürken, die wir haben, politisch für uns relevanter werden." Langsam aber reiße ihm der Geduldsfaden, wenn er auf Versammlungen zu dem Thema rede und jemand dann mit dem Stichwort "Remigration" dazwischenfunke.
"Können wir ein Selfie mit dir haben?", fragen am Ende des Spaziergangs in Neukölln dann auch drei Teenager. Krah stellt sich bereitwillig in ihre Mitte, strahlt in die Kamera. Alle drei Jungs haben Migrationshintergrund: palästinensisch, polnisch, serbisch. "Er ist der netteste von der AfD", sagt der schlaksige 16-jährige Nemer. "Der macht sein Ding." Das sei in Ordnung, das sei cool.
Allerdings räumen die drei ein, dass nach dem Potsdamer Treffen und den Massendemonstrationen im vergangenen Jahr die Sorge bei ihnen groß gewesen sei. "Wir hatten richtig Angst, abgeschoben zu werden", sagt Nemers Kumpel. Zwei von ihnen haben keine deutsche Staatsbürgerschaft. Bei Nemer liegt es daran, dass die Mutter keinen Job hat, erzählt er.
Was den Jungs nicht klar ist: Auch nach dem Konzept des "netten" Herrn Krahs würde das vermutlich die Abschiebung der gesamten Familie bedeuten. Neue Präzision hin, große Diskussion her.
- Gespräch mit Krah in Neukölln
- youtube.com, Kanal Schnellroda: ""Passen Sie sich der Fließrichtung an, Herr Krah?"