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Horst Seehofer bald auf Twitter: Gefährlicher Nachmacher


Politik mit unabsehbaren Folgen
Der Imitator oder: Wie ein Typ Politiker die Welt verändert

MeinungEin Essay von Jonas Schaible

03.08.2018Lesedauer: 6 Min.
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Seehofer beobachtet Italiens Innenminister Salvini: Man tut, was andere tun, weil sie damit erfolgreich sind.Vergrößern des Bildes
Seehofer beobachtet Italiens Innenminister Salvini: Man tut, was andere tun, weil sie damit erfolgreich sind. (Quelle: Lisi Niesner/reuters)

Horst Seehofer distanziert sich von Trump, kopiert ihn aber trotzdem. Das ist gefährlich. Denn Nachmacher machen Geschichte. Nicht immer wissen sie, wie.

Horst Seehofer wird künftig twittern, „in einem anderen Stil“ als Donald Trump. Im Bierzelt in Töging am Inn sagte er weiter, er werfe, anders als Trump, nicht allen Medien vor, ein Zerrbild zu zeichnen, aber er müsse sehr wohl jeden Tag „Fake News“ entgegentreten. Twitter als Notwehr: „Ich sehe mich jetzt gezwungen, weil ich manche Wahrheiten sonst nicht unter eine breitere Bevölkerung bekomme.“

Seehofers Dementi funktioniert wie das Experiment, in dem Menschen nicht an einen rosafarbenen Elefanten denken sollen. Natürlich denken sie sonst nie an einen rosafarbenen Elefanten – es sei denn, man fordert sie auf, es zu lassen.

Hunderte Abgeordnete und zahlreiche Minister nutzen Twitter und keiner von ihnen verhält sich wie Trump, der droht, verleumdet und lügt. Indem Seehofer den Unterschied betont, stellt er erst Nähe her. Seine Begründung entspricht zudem exakt der Methode Trump. Auch der nutzt Twitter, um seine Weltsicht zu verbreiten und sich dabei von Medien nicht stören zu lassen. Auch der unterstellt Medien, die Wahrheit zu verschweigen.

Viel von Trump abgeschaut

Überhaupt hat Seehofer sich in den vergangenen Wochen offenkundig viel abgeschaut. Er greift Journalisten auf Pressekonferenzen namentlich an, er versucht, ihre Arbeit lächerlich zu machen, er unterstellt ihnen Falschdarstellungen; er behauptet wieder und wieder, Opfer einer Kampagne zu sein. Dabei hörte man zuletzt selbst aus der CSU, dass sich die Parteispitze unangemessen verhalten habe. Doch die immunisiert sich gegen Kritik.

Erst eskalieren, erst mit Normen brechen – und sich wegen der folgenden Kritik als Opfer einer Kampagne behaupten: Das ist Trumpsche Kommunikation in Essenz. Vermutlich im Vertrauen darauf, eigentlich ganz anders zu sein, eignet sich Seehofer den Normbruch eines Mannes an, der Journalisten „Volksfeinde“ nennt.

Oft ändert sich die Welt – aus banalen Gründen

Dadurch macht er einen Mechanismus sichtbar, der wegen seiner Banalität oft unterschätzt wird und manchmal harmlos wirkt, der aber die politische Wirklichkeit radikal verändern kann: Imitation.

Wenn sich politische Realitäten verändern, suchen Beobachter die Ursachen dafür. Sie finden sie im demografischen Wandel, in sozialen Verwerfungen, technologischen Umwälzungen, in der Globalisierung. Meist sind diese Erklärungen nachvollziehbar. Oft ignorieren sie dabei aber das Banale.

Man tut, was andere tun, weil sie damit erfolgreich sind.

Auf einmal verändert sich die Welt

Im Juli 1518 trat in Straßburg eine Frau auf die Straße und begann zu tanzen. Stundenlang. Andere schlossen sich an. Nach Wochen tanzten immer noch Menschen, bis zur Erschöpfung. Etliche starben. Eine Weile lang legten sich Menschen mit dem Gesicht nach unten möglichst steif an möglichst absurde Orte. Die Fotos teilten sie dann. Ein Australier stürzte bei diesem „Planking“ vom Balkon und starb. Nachahmung ist mächtig.

Was im Alltag gilt, gilt oftmals auch in der Politik: Unter bestimmten Umständen kommen bestimmte Politiker auf bestimmte Ideen, werden bestimmte Handlungen möglich – sie imitieren einander, man steckt sich an.

Und auf einmal verändert sich die Welt.

Die Folgen sind unabsehbar

Als in Südamerika im frühen 19. Jahrhundert die Unabhängigkeitskriege ausbrachen und sich von Land zu Land ausbreiteten, zerfiel das spanische Kolonialreich innerhalb weniger Jahre. In nur einem Jahr, dem „afrikanischen Jahr“ 1960, erlangten gleich 18 Staaten die Unabhängigkeit. Als Benito Mussolini 1922 in Rom die Macht übernahm, entstanden in vielen Ländern faschistische Bewegungen. Der Nationalsozialismus übernahm sogar den Gruß mit dem erhobenen Arm und die Bezeichnung „Duce“ – „Führer“. Als 2011 in Tunesien die Revolution ausbrach, erfasste der arabische Frühling zumindest kurzzeitig die meisten Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens.

Wer nicht den Weltgeist beschwören will oder daran glaubt, dass der Lauf der Dinge gerichtet ist, der wird die Erklärung für solche Entwicklungen in der Nachahmung finden. Einstellungen, Überzeugungen und Ideologien ändern sich nicht von jetzt auf gleich. Aber Bewegungen springen über. Verhalten kann sich ändern. Mit oft unvorhersehbaren Folgen.

Sebastian Kurz vs. die Wissenschaft

Die CSU ist ein Beispiel im Kleinen, dass Imitation Konsequenzen hat: Auch ihre von Trump inspirierte Abwehrkommunikation lässt sich nämlich als Reaktion auf eine Strategie der Imitation begreifen.

Die Politikwissenschaft hat gezeigt, dass extrem rechte Parteien profitieren, wenn ihre Kernthemen die Öffentlichkeit dominieren. Wer absichtlich über Flüchtlinge redet, hilft diesen Parteien. Sebastian Kurz aber schien in Österreich bewiesen zu haben, dass es möglich ist, als konservative Volkspartei die extremen Rechten durch Nachahmung zu schlagen. Als er Parteichef wurde und die ÖVP in Österreich auf rechts drehte, stiegen die Umfragewerte. Er wurde Kanzler.

Kurz selbst folgte einem Vorbild: Emmanuel Macron hatte wenige Monate zuvor gezeigt, dass ein junger dynamischer Macher als Erneuerer Wahlen gewinnen kann, vorbei an den alten Volksparteien. Also machte sich Kurz die alte ÖVP mit ihren 600.000 Mitgliedern und ihrer 70-jährigen Geschichte Untertan, färbte sie von schwarz zu türkis um und trat bei der Wahl als „Liste Sebastian Kurz“ an. Außerdem setzte er massiv Quereinsteiger auf die Liste – wie Macron.

Alles schaut auf Macron

Kurz und Macron wurden zu den wichtigsten europäischen Politikern des Jahres 2017. Sie standen für den Neustart, als sich alle nach etwas Neuem sehnten, und für den Erfolg der „Bewegung“ über die „Partei“. Christian Lindner schien die Magenta eingefärbte FDP auf Kurz-Art reformieren zu wollen, Robert Habeck träumte phasenweise von einer „Bewegung“, Sarah Wagenknecht treibt ihre „Sammlungsbewegung“ voran.

Es lässt sich recht schlüssig behaupten: ohne Macron keine Liste Kurz, ohne Liste Kurz keine Anti-AfD-Strategie der CSU, ohne diese Anti-AfD-Strategie der CSU keine Notwendigkeit Trumpscher Kommunikation und kein Seehofer-Twitter-Account. Nachmacher machen Geschichte.

Aber man kann noch viel weiter gehen: Ohne Imitation gäbe es die autoritäre Bedrohung so nicht, die den großen Krach erst erzeugt hat. Dass Demokratien voneinander lernen, ist gut erforscht. Wie Autokratien voneinander lernen, untersucht derzeit ein Forschungsprojekt, das vom Hamburger Giga-Institut koordiniert wird. Dort hat man drei Arten identifiziert: das Einsickern von Ideen, die Imitation und die direkte Kooperation.

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Der einflussreichste europäische Politiker

Diese Formen lassen sich seit wenigen Jahren auch zwischen extrem rechten autoritären Bewegungen im Westen beobachten. Faschistische, neo-faschistische und neu-rechte Parteien waren in Europa mittelmäßig erfolgreich, selten bestimmend. Das werden sie erst, seit sie systematisch Kommunikationsstrategien kopieren, Programme, Kampagnen, Plakatmotive und Slogans. Und seit sie nicht mehr am Rand der Gesellschaft stehen, weit weg von der Macht.

Der Mann, der innerhalb der EU maßgeblich dafür gesorgt hat, heißt Viktor Orban. Er führt ein mittelmäßig wohlhabendes, mittelmäßig einflussreiches Land. Aber man kann argumentieren, dass der ungarische Premierminister der einflussreichste europäische Politiker des Jahrzehnts ist.

Orban kam in einer ganz bestimmten Situation zum zweiten Mal an die Macht: Sein sozialistischer Vorgänger wurde erwischt, wie er zugab, die Öffentlichkeit belogen zu haben; dass die Polizei folgende Proteste niederprügelte, beschleunigte den Absturz. Orban nutzte das, wie er auch das Selbstverständnis Ungarns als historisch gebeutelte christliche Nation nutzte, um das Land autoritär umzubauen. Dabei verließ er sich auf bekannte Strategien.

Auch Demokratie-Gegner können in Europa Erfolg haben

Was er als erster Politiker in der EU wagte, war die offene Abkehr von der liberalen Demokratie. Das war neu.

Weil Orban zwar autoritär ist, aber nicht leicht zu kränken, korrupt, aber nicht kleptokratisch, hart, aber nicht brutal, und skrupellos, aber nicht unbeherrscht, weil er Kontakte auch zur CSU erhielt, blieb er an der Macht. Und zeigte damit: Wer mit den Regeln der Demokratie bricht, kann selbst in Europa Erfolg haben.

Damit war er nicht nur der polnischen PiS-Regierung Vorbild, sondern auch extrem rechten Parteien in ganz Europa, die immer ein Stückchen unverkrampfter demokratische Normen unterlaufen.

Wer schließt das Fenster wieder?

In der Politikwissenschaft spricht man von „Möglichkeitsfenstern“, die irgendwann aufgehen, nur für kurze Zeit, und bestimmte Politiken möglich machen. Aber vielleicht ist es oft treffender, sich vorzustellen dass Fenster nicht immer einfach aufgehen, sondern sich öffnen lassen: dass Kurz durch das Fenster Macron sah, es aufriss und durchkletterte. Dass die AfD die FPÖ sah, das Fenster öffnete und durchkletterte. Dass Orban Putin sah, es aufriss und durchkletterte.

Dass Seehofer jetzt Trump sah, und das Fenster öffnete.

Noch kann die CSU das Fenster wieder schließen. Twittern kann Seehofer trotzdem. Nur nicht wie Trump. Einfach nur so wie Hunderte Abgeordnete und zahlreiche Minister vor ihm.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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