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Wie wird die Zukunft? Nach Corona brauchen wir eine radikale Wende


Nach Corona brauchen wir eine radikale Wende

Ein Gastbeitrag von Jan Korte (Linke)

Aktualisiert am 21.01.2021Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Eine Bettlerin mit Schutzmaske in der DΓΌsseldorfer Altstadt: Politik fΓΌr die Menschen oder die Konzerne?
Eine Bettlerin mit Schutzmaske in der DΓΌsseldorfer Altstadt: Politik fΓΌr die Menschen oder die Konzerne? (Quelle: imago-images-bilder)

Wie soll es weitergehen nach der Corona-Krise? Linke-Politiker Jan Korte fordert im Gastbeitrag, mit einer Politik zu brechen, die den Menschen als Nebensache betrachtet.

Die Bundestagswahl in diesem Jahr wird eine Abstimmung ΓΌber die Weichenstellung in unserer Gesellschaft nach Corona. Wohin es geht, entscheidet sich vor allem an der Frage der Lastenverteilung: Wird der Sozialstaat weiter abgerissen – oder werden Superreiche zu einer VermΓΆgensabgabe verpflichtet? Bleibt der Markt das Maß aller Dinge – oder befΓΆrdern wir die Marktlogik im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft auf den MΓΌllhaufen der Geschichte?

Kurz: Machen wir Politik fΓΌr die Menschen oder fΓΌr die Konzerne? Das sind im Kern die beiden Seiten, fΓΌr die sich die BevΓΆlkerung im September entscheiden kann. Diese Zuspitzung ist im Sinne der Rettung der Demokratie auch nΓΆtig.

Corona zeigt die kaputte Gesellschaft

In den vergangenen Monaten wurde viel ΓΌber den Umgang mit der Pandemie diskutiert. Dabei haben sich AbgrΓΌnde aufgetan und Grenzen wurden ΓΌberschritten, wie es vor Kurzem noch undenkbar war. Der Angriff auf den Bundestag durch Corona-Leugner und durchgedrehte Nazi-YouTuber, oder die vΓΆllige RΓΌcksichtslosigkeit gegenΓΌber Γ€lteren und erkrankten Menschen haben viele schockiert. Das kommt aber nicht aus dem Nichts.

Corona zeigt lediglich, wie kaputt unsere Gesellschaft schon vorher war – und auch welchen Anteil politisch Verantwortliche daran haben. Als der grΓΌne OberbΓΌrgermeister von TΓΌbingen, Boris Palmer, im April sagte, "wir retten mΓΆglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wΓ€ren", war das nur die logische Fortsetzung einer Denke, die sich schon vor Corona in der Regierungspolitik etabliert hat.

Von der Entmenschlichung der Migrantinnen und Migranten, deren Abschiebung Bundesinnenminister Seehofer als sein Geburtstagsgeschenk gefeiert hat, ist der Schritt zur Absage an das Lebensrecht Àlterer und erkrankter Personen nicht groß. Das Schulterzucken, mit dem gerade gesellschaftliche Normen an den Nagel gehÀngt werden, mit dem auf Rücksicht oder SolidaritÀt gepfiffen wird, ist beschÀmend. Aber warum sollte man von der Bevâlkerung hâhere menschliche und moralische MaßstÀbe erwarten als von der Bundesregierung oder der EuropÀischen Kommission?

Der Zusammenhalt erodiert

Die Politik muss auf den erodierenden Zusammenhalt reagieren – nicht nur um die Gesellschaft lebenswert zu machen, sondern auch um die Demokratie zu retten. Das ist kein deutsches, sondern ein internationales Problem westlicher Demokratien, wie das gewaltsame Eindringen in das Kapitol in Washington jΓΌngst gezeigt hat.

Analysen zum Aufstieg von Donald Trump sehen ihn maßgeblich von der Ungleichheit und der kulturellen Herabwürdigung derer befeuert, die einfache, nicht-akademische Arbeit leisten oder keine hohen Bildungsabschlüsse haben.

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat vor Kurzem im Deutschlandfunk hervorgehoben, dass fΓΌr den Zusammenhalt eines Gemeinwesens entscheidend sei, wie die Menschen darin zurechtkommen. Er warnt nicht nur vor der Ungleichheit, die Gesellschaften zerstΓΆre, sondern auch vor der Bedrohung der liberalen Demokratie durch VerschwΓΆrungsmythen und einer Normalisierung rechtsextremer Positionen. Vor allem warnt er davor, nach der Krise einfach zur Tagesordnung ΓΌberzugehen.

Der Mensch als Hauptsache

Wer gesellschaftlichen Zusammenhalt schΓΌtzen und wiederaufbauen will, muss mit dem Politikmodell brechen, das den Menschen als Nebensache betrachtet, der sich in die von der Wirtschaft gesetzten Anforderungen und Regeln einfΓΌgen muss. Die BevΓΆlkerung ist angewiesen auf gute Jobs, auf eine funktionierende Wirtschaft im Land.

Es ist auch eine Aufgabe der Politik, gute Voraussetzungen fΓΌr eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft zu schaffen, damit es den Menschen gut geht. Aber nicht andersherum! Es ist nicht unser Job, Unternehmen alles recht zu machen, egal wie sie mit ihren BeschΓ€ftigten umgehen, in den SchlachthΓΆfen, an der Kasse oder im Logistikzentrum. Die, die ausgebeutet und von ihrem Chef schikaniert werden, brauchen einen starken Staat und starke Gewerkschaften.

Linken-Politiker Jan Korte.
Linken-Politiker Jan Korte. (Quelle: Christian Spicker/imago-images-bilder)

Jan Korte ist 43 Jahre alt und sitzt seit 2005 fΓΌr die Linke im Bundestag. Der Politikwissenschaftler hat 2017 zudem das Amt des Ersten Parlamentarischen GeschΓ€ftsfΓΌhrers der Linksfraktion ΓΌbernommen.

Vor einigen Tagen hat an dieser Stelle mein FDP-Kollege Marco Buschmann das Wirtschaftswachstum als Weg aus der Krise genannt. Als Beweis fΓΌr die HandlungsfΓ€higkeit der Wirtschaft nannte der die Entwicklung der ersten Corona-Impfstoffe in LΓ€ndern mit wirtschaftlicher Freiheit. Unterschlagen hat er dabei, dass die Bundesregierung mit dem "Sonderprogramm Impfstoffforschung" 252 Millionen Euro FΓΆrdergelder an CureVac, 375 Millionen an Biontech und 114 Millionen an IDT Biologica ΓΌberwiesen hat. Solche Zuwendungen ohne Bedingungen, nicht einmal einer TeilrΓΌckzahlung, sollte das Unternehmen irgendwann Milliarden verdienen, gΓ€be es in keiner Staatswirtschaft.

Steuervermeidung gehΓΆrt zum guten Ton

Ich mΓΆchte auch daran erinnern, wie "unsere" Wirtschaft in den letzten Jahren und dann vor allem in der Krise getickt hat. Alle 30 im deutschen Aktienindex Dax gelisteten Konzerne haben Tochterfirmen in NiedrigsteuerlΓ€ndern. Die Lufthansa bietet keine eigenen FlΓΌge auf die Kaiman-Inseln an, hat dort aber eine Tochterfirma.

In den Konzernen gehΓΆrt die Vermeidung von Steuern zum guten Ton – kein Cent zu viel an den Staat, alles in die Dividende. Und kommt eine Krise, entlΓ€sst man tausende BeschΓ€ftigte und lΓ€sst sich mit ΓΆffentlichen Geldern retten. Es ist nicht zu fassen, wie schnell diejenigen, die sich sonst jede Intervention des Staates verbitten – zum Beispiel die Automobilindustrie – auf einmal ganz selbstverstΓ€ndlich die Hand aufhalten. Dass sie gleichzeitig mit der anderen Hand die Dividenden des profitablen Vorjahres verteilen, zeugt von ihrem instrumentellen VerhΓ€ltnis zum Staat.

Diesen Leuten ist die Demokratie egal, die Menschen sind ihnen egal, Hauptsache es lΓ€uft. Kein Politiker und keine Politikerin mit Verantwortung in diesem Land dΓΌrfte das akzeptieren, nicht einmal bei der FDP. Deshalb mΓΌssen wir dafΓΌr sorgen, dass der demokratisch legitimierte Staat wieder die Agenda bestimmt und das Wohl der Gesellschaft ΓΌber das der AktionΓ€re stellt.

Es fing viel frΓΌher an

Die SchΓ€den der Corona-Krise haben ihre Ursache vor 2020. An den Schulen ist bereits vorher massenhaft Unterricht ausgefallen, schon vor der Pandemie fehlten in Sachsen-Anhalt 2.000 Lehrerstellen. Auf Rat von McKinsey und Co. zusammengestrichene ΓΆffentliche Verwaltungen haben schon vor ganz anderen Herausforderungen kapituliert, bevor es um die Kontaktnachverfolgung ging. Und die Privatisierung und Profitorientierung von Pflegeheimen und KrankenhΓ€usern haben vor Jahren schon zu miesen Arbeitsbedingungen und einem riesigen, im Extremfall tΓΆdlichen Personalmangel gefΓΌhrt.

Die ganze AbsurditΓ€t unseres Gesundheitssystems zeigt sich aktuell in den KrankenhΓ€usern: Weil denen aufgrund fehlender Routineeingriffe das Geld ausgeht, drohen GehaltsausfΓ€lle beim Krankenhauspersonal – den Leuten, die sich gerade um 20.000 neue Corona-FΓ€lle am Tag kΓΌmmern mΓΌssen.

Fehler passieren. Aber so darf es nicht weitergehen. Wenn die BevΓΆlkerung sich mit dem Kampf gegen die Pandemie identifizieren soll, wenn das Gemeinwesen positiv besetzt und Demokratiefeinden sowie den AnhΓ€ngern von VerschwΓΆrungsmythen der Boden entzogen werden soll, brauchen wir eine positive ErzΓ€hlung der Gesellschaft, wie wir sie nach Corona anstreben.

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SelbstverstΓ€ndlich mΓΌssen wir dafΓΌr mit einem Teil der Milliarden arbeiten, die auf privaten Konten Schimmel ansetzen und die kein normaler Mensch mit eigenen HΓ€nden erarbeiten, geschweige denn ausgeben kann. Wir brauchen sie fΓΌr gute Schulen, fΓΌr den Sozialstaat, fΓΌr ein Gesundheitssystem, das sich am Menschen und nicht am Markt orientiert. Es wΓ€re eine radikale Wende, die eine positive Perspektive erΓΆffnet: Einer Gesellschaft der Freien und Gleichen.

Die im Gastbeitrag geÀußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.

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