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Tagesanbruch: Donald Trumps Erfolgsgeheimnis (it’s great!)


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 13.09.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Redner TrumpVergrößern des Bildes
Redner Trump (Quelle: Chris Bergin/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Alles, was die EU tut, ist wichtig. Weil es unser aller Leben betrifft. Allerdings ist die EU in manchen Bereichen nicht mehr auf der Höhe der Zeit und muss sich dringend reformieren. Klingt einfach, ist aber eine enorme Kraftanstrengung: organisatorisch, politisch, finanziell, personell. Das geht nur mit akribischer Vorbereitung und indem aus vielen guten Ideen die besten herausgefiltert werden. Deshalb ist die Debatte so wichtig, die gerade in Brüssel, Paris, Berlin und den anderen europäischen Hauptstädten geführt wird. Und deshalb möchte ich Ihnen hier kurz die wichtigsten Punkte aus der gestrigen Rede von Kommissionspräsident Juncker zusammenfassen, in der er seine Ideen vorgestellt hat:

Mehrheitsentscheide: Einen großen Teil der EU-Entscheidungen treffen die Staaten und das Europaparlament nach dem Mehrheitsprinzip. In einigen Bereichen ist aber nach wie vor Einstimmigkeit nötig – was bei 28 Ländern manchmal aussichtslos ist. Juncker will, dass Entscheidungen in der Außen- und der Steuerpolitik ebenfalls mehrheitlich getroffen werden. Klingt gut für große Staaten wie Deutschland und Frankreich, macht aber viele kleine Länder misstrauisch.

Migration: Die Grenzschutzagentur Frontex soll gestärkt und die Zahl der europäischen Grenzschutzbeamten bis 2020 auf 10.000 erhöht werden. Ebenso geplant: schnellere Asylverfahren, schnellere Abschiebung irregulär eingereister Migranten – und mehr legale Einwanderungswege. Ich bin gespannt, wie das in der Praxis funktionieren soll. Innenkommissar Avramopoulos will es heute erklären.

Afrika-Plan: Es werden sich nur dann weniger Menschen aus Afrika in Richtung Europa aufmachen, wenn es weniger Gründe für Flucht und Auswanderung gibt. Dafür will die EU sorgen, indem sie enger mit den afrikanischen Ländern zusammenarbeitet. Juncker schlägt ein Bündnis für nachhaltige Investitionen und mehr Arbeitsplätze vor. Klingt gut, aber auch noch etwas unkonkret.

Euro: Die EU-Kommission will den Euro in Konkurrenz zum Dollar als globale Währung stärken, vertagt das Thema aber auf später. Hm.

Europäische Staatsanwaltschaft: Juncker will das Mandat der bis 2020 geplanten Behörde auf den grenzüberschreitenden Terrorismus erweitern. Weitsichtig.

Finanzbetrug: Damit sie Geldwäsche und Terrorfinanzierung gezielter bekämpfen kann, soll die Europäische Bankenaufsichtsbehörde mehr Geld bekommen und künftig auch mit Drittstaaten zusammenarbeiten.

Propaganda im Internet: Facebook, Twitter und Co. sollen rechtlich dazu verpflichtet werden, Terrorpropaganda innerhalb einer Stunde zu löschen. Gut so – aber warum nicht auch rechtsextreme und linksextreme Lügen?

“Die Zeitumstellung gehört abgeschafft“, meint Juncker, die EU-Staaten sollten selbst entscheiden, ob sie in der Sommer- oder Winterzeit leben wollen. Da applaudiert wohl die Mehrheit unserer Leserinnen und -Leser – ich erlaube mir trotzdem ein leises Aber: Haben Sie mal an die gravierenden Folgen der Abschaffung gedacht? Was Gesundheitsexperten dazu sagen, klingt jedenfalls überhaupt nicht gut.

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Kürzlich schrieb ich im Tagesanbruch über eine Entwicklung im politischen Berlin: Immer mehr Leute reden darüber, dass sie die etablierten Parteien als erratisch, verknöchert, nicht mehr zeitgemäß empfinden. Dass sie etwas Neues machen wollen. Sahra Wagenknecht hat den Anfang gemacht und ist aufgestanden, nun folgt der nächste: Gerhard Schick, einer der prominentesten Grünen im Bundestag, verlässt das Parlament, um eine neue Organisation zu gründen. “Bürgerbewegung Finanzwende“ soll sie heißen und überparteilich und unabhängig sein. “Mir ist klar geworden, wie sehr die Kritik an den Finanzmärkten wirklich alle Teile unserer Gesellschaft durchzieht. Gerade auch viele Konservative sind total irritiert“, sagte Schick den Kollegen der “Zeit“. "Zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise sind die entscheidenden Reformen ausgeblieben. Und die Empörung darüber ist in der Gesellschaft weit verbreitet. Diesen Bürgern wollen wir eine Stimme geben.“ Klingt spannend, finde ich. Werde ich beobachten.

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WAS STEHT AN?

Heute möchte ich Ihnen einen Mann vorstellen, Thomas S. heißt er. Er liest viel auf Facebook, und was er da liest, schockiert ihn: Raub. Messerstecherei. Mord. Massenschlägerei. Noch ein Mord. Und immer sind die Täter Ausländer. Er liest weiter: Schuld an all den Verbrechen ist natürlich die Bundeskanzlerin. Weil sie die Täter mit Absicht ins Land geholt hat. Und schuld sind auch die Medien. Weil sie die Verbrechen verschweigen, weil sie lügen wie gedruckt. Das liest Herr S., und bald denkt er auch selbst so. Das ist kaum verwunderlich, wenn man weiß, was Herr S. leider lange Zeit nicht wusste: Dass sehr vieles von dem, was er da auf Facebook liest, gelogen ist. Und dass der perfide Algorithmus der Plattform dazu führt, dass Herr S. immer mehr und noch mehr Lügen und Halbwahrheiten zu sehen bekommt, dass sich nach und nach sein Blick auf die Welt verändert. Irgendwann ist Herr S. so weit, dass er selbst anfängt, auf Facebook Lügen zu posten – und andere zu bedrohen: Er schreibt einer Journalistin diese Sätze:

“Bei uns werden Frauen auf der Straße vergewaltigt, aber darüber verlieren Sie kein Wort in den Nachrichten! Da halten sich alle an die Nachrichtensperre und schweigen brav! Damit machen Sie sich mitschuldig! Ich wünsche Ihnen, dass Sie am Heimweg überfallen und von einer wildgewordenen Horde Afrikaner vergewaltigt werden, dann merken Sie vielleicht einmal was los ist mit Ihren Kulturbereicherern!“

Und dann? Dann steht die Journalistin plötzlich vor seiner Tür – und Herrn S. werden die Augen geöffnet. Egal, was Sie heute noch vorhaben, liebe Leserin, lieber Leser, bitte nehmen Sie sich hier und jetzt acht Minuten Zeit und lesen Sie diesen Text. Dann verstehen Sie vielleicht, warum wir Journalisten manchmal schier verzweifeln, wenn wir manche Leser-E-Mails öffnen. Und nein: Damit sage ich nicht, dass es keine Gewalttaten von Migranten gibt. Selbstverständlich gibt es die, und sie müssen konsequent geahndet, noch besser: verhindert werden. So wie alle Gewalttaten. Aber das rechte Maß in der Beurteilung des Geschehens, das sollten wir uns doch erhalten. Und dafür müssen wir Bürger wissen, was wirklich los ist. Deshalb reicht es eben nicht, sich auf Facebook und in sonstigen Rumpelkammern des Internets zu informieren. Dafür muss man Qualitätsmedien nutzen. Und seinen Grips gebrauchen.

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Im Bundestag reden sie in diesen Tagen übers Geld: Welches Ressort bekommt wie viele Milliarden aus dem Bundeshaushalt? Was dabei auffällt: Die deutschen Bildungsausgaben sind zwar in absoluten Zahlen recht hoch, auf das Bruttoinlandsprodukt gerechnet aber unterdurchschnittlich, wie meine Kollegen von Statista zeigen.

Die Bundesregierung will nun mehr Geld in Bildung stecken – darf wegen des unseligen Kooperationsverbots (Bildung ist Ländersache!) aber nicht bestimmen, was damit geschieht. Das führt dazu, dass jedes Bundesland irgendwie rumwurschtelt, das eine besser, das andere schlechter, und das Ausbildungsniveau in Schulen und Berufsschulen insgesamt eher stagniert als steigt. Darunter leiden Schüler, Lehrer, Eltern, künftige Arbeitgeber, kurz: unser ganzes Land. Es braucht eine grundlegende Reform. Nachdem sich die CDU lange dagegen sperrte, hat sich die SPD nun endlich durchgesetzt. Zum Glück.

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Horst Seehofer hat sich hinter seinen obersten Verfassungsschützer gestellt, Hans-Georg Maaßen darf trotz seiner umstrittenen Äußerungen zum Gewaltausbruch in Chemnitz weitermachen. Los ist der Bundesinnenminister die Debatte damit nicht – und sie hat längst Kreise gezogen, die weit über Herrn Maaßen hinausgehen. Wie positioniert sich Seehofer in der Debatte über Fremdenfeindlichkeit, Asylpolitik und den Umgang mit der AfD? Heute werden wir einiges von ihm dazu hören: Ab 9 Uhr spricht er in der Bundestagsdebatte über den Haushalt seines Ministeriums. Ich sage es mal so: Überraschungen dürfen wir wohl eher nicht erwarten. Aber vielleicht hören wir ja mal ein bisschen Klartext.

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WAS LESEN?

Gestern habe ich bemängelt, dass die Sprache der Politiker oft viel zu abgehoben daherkommt, um alle Bürger unseres Landes zu erreichen. Heute möchte ich nachlegen, und zwar mit einem Blick über den großen Teich. Sie ahnen es: Es geht um Donald Trump. Wie oft schütteln wir den Kopf. Wie oft fragen wir uns, wieso es Menschen gibt, die diesen Mann noch unterstützen. Nun, lüften wir das Geheimnis ein bisschen. Die Leute mögen etwas an ihm. Sie mögen, wie er zu ihnen spricht. Und das heißt vor allem: einfach.

Ein bemerkenswertes Video dokumentierte schon vor Jahren, als Trump noch ein Präsidentschaftsbewerber unter vielen war, eine seiner Antworten in einer Talkshow und durchleuchtete seine Sprache wie mit einem Röntgengerät. Welche Worte benutzt er? Kurze. Mehr als drei Viertel der Wörter in seiner Sprachprobe haben nur eine Silbe. Die Sätze: kurz, geradlinig, kaum Nebensätze. Außerdem baut er die Sätze um: so, dass ein starkes, einprägsames Schlagwort am Ende steht und besser hängenbleibt – sad! Schlüsselworte und Phrasen wiederholt er unablässig. It’s great! So great!

Um den Schwierigkeitsgrad eines Textes zu ermitteln, gibt es standardisierte Tests. Füttert man einen solchen Test mit Trumps Reden, dann kommt heraus, dass sie schon für Viertklässler verständlich sind. Zum Vergleich: Die Reden Hillary Clintons sind frühestens ab der achten Klasse zu begreifen. Trump mag als der inkompetenteste Präsident in die Geschichte der Vereinigten Staaten eingehen, aber er ist ein begnadeter Verkäufer. Ein perfekter Verkäufer, hören wir in der Video-Analyse, kann uns einen Fernseher verkaufen, ohne zu wissen, was ein Fernseher ist. Weil nicht das Gerät wichtig ist. Sondern wir. Und noch etwas hören wir dort: "Wenn man als Bürger über Jahre Politikern zugehört hat, die sich gebildet ausdrücken und nichts zustande bekommen, ist man vielleicht bereit für jemanden, der all das ist, was sie nicht sind."

Lassen wir das mal einen Moment sacken. Und denken dann noch ein bisschen über Deutschland nach.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Apropos sacken lassen: Der Termin für den Brexit rückt näher, wie ist da eigentlich aktuell der Stand? Die führenden Brexit-Befürworter, Boris Johnson und Kollegen, sehen ihre Träume wahr werden und grinsen jetzt sicher von einem Ohr bis zum anderen, oder? Ah, da sehe ich gerade ein Foto von ihnen. Oh!

Ich wünsche Ihnen einen besseren Tag als den der Aussteiger auf der Insel.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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