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Tagesanbruch: Eskalation im Todesfall von Journalist Khashoggi


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 23.10.2018Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Kronzprinz Bin Salman und US-Präsident Trump preisen einen gemeinsamen Waffendeal.Vergrößern des Bildes
Kronzprinz Bin Salman und US-Präsident Trump preisen einen gemeinsamen Waffendeal. (Quelle: Evan Vucci/ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Neid ist eine Todsünde, lehrt uns der katholische Katechismus. Würden die ehrwürdigen Kirchenväter noch leben, könnten sie das Auslösen eines Shitstorms als achte Todsünde hinzunehmen. Richtet sie sich gegen eine einzelne Personen, kann die massenhafte Schmähkritik im Internet nachhaltigen Schaden anrichten, Menschen tief erschüttern, Persönlichkeiten zerstören. Jüngstes Opfer so einer Wutwelle ist Sawsan Chebli. Ein vier Jahre altes Foto, auf dem die Berliner SPD-Staatssekretärin eine Luxus-Uhr trägt, geistert seit dem Wochenende durchs Netz – und motivierte zahlreiche Widerlinge zu wüsten Beschimpfungen. Chebli wurde verspottet, verhöhnt, niedergemacht. Tenor: Eine Sozialdemokratin dürfe es sich nicht erlauben, eine Rolex zu tragen.

Doch dann drehte sich der Wind, und auch das ist ein Phänomen des Webs: Da Chebli schnell mit einer schlagfertigen Antwort konterte und die Unterstützung vieler Politiker, Künstler und anderer Bürger fand, wandelte sich der Shitstorm zum Teil in einen Solidarisierungs-Storm für die attackierte Politikerin. Trotzdem entschied sich Chebli gestern Nachmittag, ihr Facebook-Profil zu deaktivieren. Es war einfach zu viel geworden: "Mein Facebook-Account hat sich zu einem Tummelplatz für Nazis und Extremisten aller Couleur entwickelt", sagte sie der "Bild"-Zeitung. "Hunderte, manchmal waren es sogar tausende Hassbotschaften unter einem Post. Und zwar unabhängig vom Inhalt. Egal, was ich gepostet habe, es wurde mit Hass und Hetze reagiert." Eine Erfahrung, die schon viele Menschen auf Facebook und Twitter gemacht haben. Die US-Plattformen kriegen dieses Problem nicht in den Griff. Nein, anders: Entgegen ihren wohltönenden Beteuerungen versuchen sie es gar nicht wirklich.

Und so ist der Fall nicht nur ein Lehrstück für die beklemmende Kommunikations-(Un)kultur in den sozialen Medien. Sondern auch ein Beispiel für das Versagen der US-Konzerne, auf ihren Plattformen Hass, Bosheit und Gemeinheiten zu unterbinden. Dabei ist die Antwort auf die Vorwürfe gegen Chebli ganz einfach (und weil die beleidigenden Attacken so zahlreich sind, ist es richtig, dies hier klipp und klar niederzuschreiben): “Natürlich darf Sawsan Chebli kritisiert werden, für ihre Arbeit zum Beispiel, wenn es dazu Anlass gibt“, kommentiert mein Kollege Christian Mutter. “Aber jeder darf und soll sich in diesem Land mit seinem selbstverdienten Geld kaufen, was sie oder er möchte. Ob es nun ein Telefon für 1.600 Euro ist oder eine Eigentumswohnung für 750.000 Euro.“ Auch Sozialdemokraten.

Ich füge hinzu: So, wie wir alle nicht verleumdet, bedrängt und beschimpft werden wollen, so sollten wir dies auch niemand anderem antun. Weder auf der Straße noch im Fußballstadion noch im Internet. Die alte goldene Regel, ganz einfach. Steht so ähnlich schon in der Bibel. Halten wir uns doch daran!

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Ich gehe mal davon aus, dass sie den Wutausbruch der Herren Hoeneß und Rummenigge verfolgt haben. In einem Rundumschlag geißelten sie die Medienberichterstattung über ihren Klub, ohne sich in die Verlegenheit zu bringen, wenigstens ein, zwei Sätze über ihre eigenen Fehler zu verlieren. Mir fallen dazu vor allem zwei Worte ein: absurd und scheinheilig – aber ich kenne mich im Fußballsport im Allgemeinen und in seiner Münchner Ausprägung im Speziellen nicht gut genug aus, als dass ich Ihnen mein Urteil so roh zum Frühstück servieren möchte. Es braucht also jemanden, der es anreichern, einordnen und vor allem mit Expertise würzen kann. Und wer könnte das besser als unser wortgewaltiger Kolumnist Stefan Effenberg? Eben. Bestimmt sieht der Effe das auch so wie ich, der ist ja ein Freund deutlicher Wor… Oh! Wie? Was? Er verteidigt die Bayern-Bosse? Donnerwetter!

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WAS STEHT AN?

Wer soll die Ausflüchte der Saudis noch glauben? Sie sprechen von Frieden und überziehen den Jemen mit Krieg. Sie schwärmen von der Reform ihres Landes und kerkern Hunderte Menschenrechtler ein. Sie haben den Tod des Journalisten Jamal Khashoggi zu verantworten und setzen eine abenteuerliche Ausrede nach der anderen in die Welt. Und von all dem soll der mächtigste Mann im Wüstenstaat, Kronprinz Mohammed bin Salman, nichts gewusst haben? Unvorstellbar. Bei ihm laufen im Königreich alle Fäden zusammen.

Nun wächst von Stund zu Stund der Druck auf ihn, was gefährlich ist, wenn man weiß, dass er als impulsiv, dünnhäutig und schwer berechenbar gilt. Der Sender CNN berichtet, das Komplott sei sorgfältig geplant gewesen – inklusive eines Doppelgängers und einem Telefonat des Kronprinzen mit Khashoggi kurz vor dessen Ermordung. Der türkische Präsident Erdogan will heute Morgen Details zu den Ermittlungen bekannt geben; seine Geheimdienste haben das mutmaßliche saudische Killerkommando offenbar akribisch überwacht.

Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, was in diesen Tagen in den Palästen von Riad los ist. Eingefrorene Waffengeschäfte, eine boykottierte Wirtschaftskonferenz, massiver Druck aus der ganzen Welt: Das kann den stolzen Scheichs nicht gefallen. Es heißt, der greise König könnte jederzeit den Daumen über seinem umstrittenen Lieblingssohn senken. Mögliche Nachfolger stünden schon in den Startlöchern – darunter, man wundert sich kaum: der bisherige saudische Botschafter in Washington. Mit einer berechenbaren, nachhaltigen und auf Ausgleich bedachten Politik hat das alles nichts zu tun. Zynismus, wohin man auch schaut.

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Die 7845 Meter lange Öresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden gilt als Meisterwerk europäischer Ingenieurskunst. Aus chinesischer Sicht ist sie: ein Klacks. Im Reich der Mitte backt man größere Brötchen, Pardon: Brücken, und heute wird die nächste feierlich eröffnet: 55 Kilometer und damit mehr als sieben Mal länger als das Brückchen in der Ostsee schwingt sich das Bauwerk von Hongkong und Macao bis Zhuhai. Damit ist es, wie sollte es anders sein im Reich der Mitte, die längste Seebrücke der Welt. So sieht es also aus, wenn die neue Welt die alte übertrumpft.

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Wimmelbilder sind Ihnen vielleicht im Kinderzimmer schon mal begegnet: viele kleine Szenen in einem großen, wuseligen Gesamtbild, das eine ganze Geschichte erzählen will. Der Meister des Wimmelbildes heißt allerdings weder Ali Mitgutsch noch Rotraut Susanne Berner und er hat auch nicht das Kindergartenalter im Sinn gehabt, als er sich an die Staffelei setzte. Pieter Bruegel der Ältere erzählt uns Erwachsenen vom bäuerlichen Leben in der Renaissance, und er bekommt nun noch einmal seine ganz große Show: im Kunsthistorischen Museum in Wien.

Noch nie zuvor sind so viele seiner Werke zusammengetragen worden, darunter auch ein seltsames Bild zweier angeketteter Affen, das den Gelehrten schon lange Rätsel aufgibt: In einem Fensterbogen sitzen die beiden Tierchen, dahinter im Dunst das malerische Gewusel des Hafens von Antwerpen. Ein einfaches Bild – doch viele vermuten darin eine gut versteckte Botschaft. Jedes Detail des Bildes kam schon unter die Lupe; die Macher der Ausstellung haben nun sogar die Schritte rekonstruiert, in denen der Maler das Bild hat entstehen lassen. Falls Sie in diesen Tagen nach Wien kommen (was immer eine gute Idee ist), können Sie miträtseln.

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WAS LESEN?

Eigentlich wollte William Newell nur einen Brunnen bauen lassen. Als die Arbeiter auf seinem Land im US-Bundesstaat New York allerdings in die Tiefe vorstießen, brachten sie etwas Ungeheuerliches zu Tage: ein Riese, scheinbar versteinert, rund drei Meter lang, viele Hundert Kilogramm schwer. War das tatsächlich eine der Heldengestalten, die laut der Bibel einst auf Erden wandelten? Das fragten sich Tausende von Schaulustigen, die im Jahr des Herrn 1869 zum Fundort reisten, um den Steinkoloss persönlich in Augenschein zu nehmen. Aber dann… Ja, was dann geschah, lesen Sie in der Auflösung des Rätsels in unserer Rubrik “Historisches Bild“, indem sie einfach ganz ans Ende unserer Homepage scrollen.

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Unser Bild der Antike ist weiß. Vor weißen Tempelsäulen auf weißen Sockeln stehen weiße Statuen griechischer Philosophen und römischer Cäsaren – so dürften das antike Athen und das antike Rom in der Vorstellung der meisten Menschen ausgesehen haben. Und das ist leider: völlig falsch. Die Agora, das Forum Romanum, Pompei, Leptis Magna und auch all die anderen Zentren der damaligen Welt erstrahlten: kunterbunt. Schrilles Rot und grelles Gold, dick aufgetragenes Blau und sattes Grün verwandelten die Denkmäler, Wandbilder und Tempel in schillernde Augenblender. Das Wort Kitsch verkneife ich mir als begeisterter Bewunderer der Antike an dieser Stelle, oder nein, ich schreibe es doch. Denn das ist es, was einem unvermittelt einfällt, wenn man die Vorher-nachher-Bilder im Magazin “Geolino“ sieht. Und dann bei Vinzenz Brinkmann oder im aktuellen ”New Yorker” liest, wie Archäologen die sonderbare antike Farbgebung erforschen. Aber das ist vermutlich viel zu überheblich gedacht. “Farben sind das Lächeln der Natur“, sagte der englische Schriftsteller Leigh Hunt. Von dem haben Sie vielleicht noch nie etwas gehört. Der Satz ist trotzdem gut.

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WAS FASZINIERT MICH?

Es gibt ja diese Leute, die immer und überall rumzappeln müssen, tanzen nennen sie das, und es sieht ja auch recht abgefahren aus, aber hey, kann man nicht einfach mal in der Ecke stehen und seine Ruhe haben? KANN MAN NICHT EINFACH MAL SEINE… nee, kann man nicht. Manchmal ist der Drang zum Mitmachen einfach unwiderstehlich. Herrlich.

Ich wünsche Ihnen einen mitreißenden Tag. Falls Sie an der Küste wohnen, ziehen Sie sich warm an, der erste größere Herbststurm brandet heran!

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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