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Tagesanbruch: In der CDU wachsen die Zweifel an Angela Merkel


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

25.10.2018Lesedauer: 8 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Bouffier, MerkelVergrößern des Bildes
Bouffier, Merkel (Quelle: Silas Stein/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Wir sitzen am Nachmittag auf einer Parkbank, genießen für einen kleinen Moment die Herbstsonne, nippen an unserem Coffee to go und stochern verträumt im Caesar Salad vom Imbiss um die Ecke. Nachher noch zum Sport oder vielleicht in die Sauna und danach abwechselnd heiß und kalt duschen, der Gesundheit wegen? Ach ja, das Leben kann schön sein, dumdideldei.

Wir zücken das Smartphone, schmökern im Internet mal hier und mal dort und entdecken zufällig diese Bilder der Fotografin Caroline Powell, die Sie sich jetzt bitte mal kurz ansehen. Zack! In diesem Moment wird uns schlagartig klar, was wir da anrichten mit unseren Trinkhalmen, Kaffeebecher-Deckeln, Plastikgabeln und Shampoo-Flaschen. Wir vermüllen die Weltmeere, wir tragen zum qualvollen Tod unzähliger Tiere, zum Aussterben ganzer Arten bei. Nicht mittelbar, nicht durch einen schwer durchschaubaren Prozess, sondern sehr konkret, sehr direkt und sofort nachvollziehbar. Laut WWF schwimmen in jedem Quadratkilometer der Meere Hunderttausende Teile Plastikmüll.

Aber was kann denn ich dafür, frage ich mich jetzt auf meiner Parkbank, und vielleicht fragen Sie es sich auch. Ich entsorge doch gewissenhaft jeden Joghurtbecher und jede Duschgelflasche im Gelben Sack! Schon richtig, aber das löst das Problem nicht, lerne ich. Erstens haben wir keine Garantie, dass nicht auch der Müll aus europäischen Ländern illegal im Meer entsorgt wird. Der italienische Schriftsteller Roberto Saviano hat schon vor Jahren beschrieben, wie die Mafia daraus ein lukratives Geschäft gemacht hat. Zweitens geht es gar nicht nur um das Plastik, das wir mit bloßem Auge in unserer Küche, im Bad und an der Imbissbude sehen. Es geht auch um die winzigen Partikel, die Zahnpasta, Wasch‑ und Putzmitteln sowie zig anderen Stoffen beigemischt werden, um all die Weichmacher und Schmutzlöser. Es geht um die Kunstfasern in unseren Fleece-Pullis und den Abrieb unserer Autoreifen auf den Straßen. Es geht um all die Dinge, die unser Leben erleichtern sollen und die wir gedankenlos kaufen, nutzen, irgendwann wegwerfen. Nicht nur Sie und ich, sondern Millionen Menschen in Deutschland, Europa und der Welt. Bis zu 85 Prozent aller in der EU angespülten Abfälle bestehen aus Kunststoff; die Hälfte davon sind weggeworfene Einwegprodukte. Es geht um unsere Mitverantwortung dafür, dass immer mehr Gebiete auf dieser Erde unbewohnbar werden. Bis zu 400 Jahre dauert es, bis sich Plastik vollständig zersetzt hat.

Deshalb ist es erstens gut, dass das EU-Parlament gestern für ein Verbot von Trinkhalmen, Einweggeschirr, Wattestäbchen und anderen Wegwerfprodukten aus Plastik gestimmt hat. Nun müssen sich die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten dazu verhalten.

Deshalb ist es zweitens gut, dass es Menschen wie den 24-jährigen Niederländer Boyan Slat gibt, der versucht, die Ozeane mithilfe einer riesigen schwimmenden Barriere vom Plastikmüll zu säubern – selbst wenn noch unklar ist, ob das wirklich gelingen kann.

Und deshalb wäre es drittens gut, wenn Sie und ich und alle anderen Tagesanbruch-Leser heute einen Moment innehalten und überlegen, was wir tun können, um den Anteil von Plastik in unserem Alltag zu verringern. Das ist nämlich überhaupt nicht schwer. Meine Kolleginnen Claudia Hamburger und Silke Ahrens zeigen Ihnen hier und hier, wie einfach es geht.

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WAS STEHT AN?

Die Hessen-Wahl findet erst in drei Tagen statt, aber im Verborgenen werden die Weichen schon jetzt gestellt. Strategen, Strippenzieher, Einflüsterer sowohl in der CDU als auch in der SPD schießen ihre Botschaften ab – manchmal als Torpedos gegen den politischen Gegner, manchmal als Motivationsschub für die Wahlkämpfer auf den Straßen und manchmal – und das ist am interessantesten – als Giftpfeile gegen die eigenen Leute. Verliere Volker Bouffier das Amt des Ministerpräsidenten, könne Merkel nicht CDU-Vorsitzende bleiben und müsse spätestens auf dem Bundesparteitag in Hamburg im Dezember einen Nachfolger präsentieren: Das ist so ein Giftpfeil, den man nun immer öfter vorbeizischen hört. Schmiere die SPD in Hessen ähnlich krass ab wie in Bayern, müsse sie sofort aus der großen Koalition in Berlin austreten, und auch Andrea Nahles’ Autorität sei dann futsch: Das ist ein anderer.

Das zeigt: In beiden Regierungsparteien sind die Unruhe, die Verzweiflung und die Angst vor dem Absturz in der Wählergunst so groß, dass immer lauter ausgesprochen wird, was sich lange kaum jemand zu sagen traute: Das Problem sind sowohl in der CDU als auch in der SPD nicht nur das fehlende programmatische Profil und die schlechte Kommunikation mit der Bevölkerung. Das Problem ist vor allem auch das Personal an der Spitze. Die Kanzlerin sei abgehoben, habe ihren Biss ebenso verloren wie ihr Interesse an den Alltagssorgen der Menschen hierzulande, ist zu hören. Sie umgebe sich mit einem kleinen Klüngel aus Jasagern, verschließe sich Kritik und neuen Ideen.

SPD-Chefin Nahles fehle das Bauchgefühl für die Stimmung an der Basis, ist zu hören, sie wisse nicht, wohin sie die Partei führen wolle, könne sich nicht entscheiden, ob sie einen wirtschaftsfreundlichen Gerhard-Schröder-Kurs oder einen linken Oskar-Lafontaine-Kurs einschlagen solle. Und sie finde keine Antwort darauf, dass die SPD 16 Jahre nach den Hartz-Reformen bei ihrer Haltung zu den Sozialreformen immer noch herumeiert. "Für die klassische SPD ist wichtig, dass man für seine Arbeit bessergestellt ist als die Leute ohne Arbeit", sagt der Soziologe Stefan Liebig in der "FAZ". Genau dieses Prinzip hätten die Hartz-Gesetze aber ausgehebelt. Zwar seien viele Sozialhilfeempfänger durch die Reform bessergestellt worden. Aber wer 30 Jahre lang gearbeitet habe, könne sich plötzlich auf demselben Niveau wiederfinden. Die Flüchtlingskrise habe dann den Riss in der SPD vertieft. So habe die Partei auch noch viele Arbeiter verloren, vor allem an die AfD: "Das sind diejenigen, die sich darüber beschweren, dass Geflüchtete Geld bekommen, ohne dafür gearbeitet zu haben."

Wie kann sich die SPD aus diesem Dilemma befreien? Gut gemeinte Vorschläge gibt es viele, aber oft erschöpfen sie sich entweder in akademischer Fachsimpelei oder in Politikerphrasen. Einer, der Phrasen verabscheut, aber gern Klartext spricht, ist der ehemalige CSU-Politiker Peter Gauweiler. Es mag nicht die naheliegendste Idee sein, einen der entschiedensten deutschen Konservativen zur Situation der SPD zu befragen, aber der "NZZ"-Kollege Marc Felix Serrao hat es Anfang des Jahres getan. Gauweilers Analyse finde ich auch Monate später noch so bestechend, dass ich Sie hier wiedergeben möchte:

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"Ich saß vor ein paar Wochen bei einem Abendessen neben einem sehr, sehr hohen SPD-Politiker", berichtet der 69-jährige Bayer in dem Interview. "Der hat mich gefragt: 'Herr Gauweiler, unter uns, was müssen wir tun?' Ich habe ihm das geraten, was ich allen Volksparteien raten würde. Erstens: Alle Bundeswehrsoldaten zurück nach Deutschland. Zweitens: Alle Flüchtlinge, die im Land sind, egal ob legal oder illegal, in Arbeit bringen. Um ihrer selbst und ihres Ansehens in der Bevölkerung willen. Wenn ich meinen Kindern sage: Ihr dürft jahrelang alles machen, was ihr wollt, nur nicht arbeiten, dann weiß ich, wie es hinterher ausschaut. Drittens: Freiheit oder Goldman Sachs. Diese ganze Draghi-Nummer, diese Billionenverschuldung an den Parlamenten vorbei, muss aufhören. Viertens: Russland-Boykott beenden. Eines der wenigen Länder, denen wir Deutschen noch sympathisch sind, behandeln wir am schlechtesten."

"Was hat der Sozialdemokrat gesagt?", hakte der "NZZ"-Kollege nach.

"Er hat mir zugestimmt", berichtete Gauweiler. "Ich sage Ihnen: Wer nur einen dieser Punkte konsequent und gegen alle Kontroversen durchzieht, gewinnt bei der nächsten Wahl 10, 15 Prozentpunkte dazu."

Das mag mancher für übertrieben halten, aber in meinen Augen spricht Gauweiler da mehrere Punkte an, die vielen Menschen hierzulande übel aufstoßen – die aber von den führenden Politikern in Union und SPD selten hinterfragt werden. Das und der Ärger über die apathische große Koalition in Berlin führt dazu, dass man noch nicht mal dann mit breiter Brust in eine Landtagswahl gehen kann, wenn man zahlreiche Erfolge vorzuweisen hat. Denn die hat die CDU-geführte Regierung in Hessen durchaus vorzuweisen, wie ich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" lese:

  • Die Polizei wurde modernisiert und mit 1.520 neuen Stellen gestärkt. Die Aufklärungsquote von Straftaten ist mit 63 Prozent so hoch wie nie zuvor; Hessen ist das drittsicherste Bundesland.
  • Hessen gibt von allen Bundesländern pro Kopf am meisten für Bildung aus. Unbesetzte Lehrerstellen sind hier kein Problem.
  • In Hessen werden durchschnittlich die höchsten Löhne und Gehälter ganz Deutschlands gezahlt. Es gibt so wenige Arbeitslose wie seit 50 Jahren nicht.
  • Schüler können für einen Euro pro Tag in ganz Hessen Bus und Bahn fahren.
  • Der Frankfurter Flughafen wird ohne Steuergeld ausgebaut (während Berlin für den BER schon sieben Milliarden Euro Steuergeld verpulvert hat).
  • Flüchtlinge bekommen von Anfang an Deutschunterricht, viele haben bereits Arbeit.

Merke: Manchmal reicht es nicht, gute Arbeit zu machen. Wenn der Fisch vom Kopfe her stinkt, dann mag ihn niemand kaufen.

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Die Nato beginnt heute in Norwegen ihr größtes Manöver seit Ende des Kalten Krieges. Wem diese Demonstration gilt, ist klar: Das Nordatlantik-Bündnis will Russland zu verstehen geben, dass es die als aggressiv empfundene Außenpolitik des Kreml nicht ohne Weiteres hinnimmt. Für die Bundeswehr ist der Aufmarsch eine Bewährungsprobe: Sie stellt mit 10.000 Soldaten und 2.000 Fahrzeugen nach den USA das zweitgrößte Truppenkontingent. Im kommenden Jahr wird sie die Führung der schnellen Nato-Eingreiftruppe VJTF übernehmen. Nach etlichen Skandalen um mangelhafte und veraltete Ausrüstung soll die deutsche Truppe jetzt unter Beweis stellen, dass sie für diese Aufgabe gerüstet ist. Schaun mer mal.

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WAS LESEN?

Mehr als 700.000 Briten waren am Wochenende auf der Straße, um gegen den Brexit zu demonstrieren. Leider wird das nicht reichen, um das Land in der EU zu halten. Denn noch stärker als die Demonstration wirkt das Referendum nach, mit dem vor zwei Jahren mehr als 17 Millionen Briten für den Austritt gestimmt haben. Das zeigt: Volksabstimmungen sind mehr als heikel – nicht nur, weil das Volk unberechenbarer ist, als es Demokraten lieb sein kann. Sie haben eine viel schlimmere Eigenschaft: Ohne großen Schaden für den inneren Frieden sind sie nicht zu korrigieren. Und wenn Sie nun protestieren wollen, dann lesen Sie bitte erst die Erklärung unserer Kolumnistin Ursula Weidenfeld. Und wenn Sie dann immer noch Fragen haben: Meine Kollegin Melanie Lüft erklärt in diesem Video knapp und bündig, wie der Brexit uns Deutsche betrifft.

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"Als Profi-Fußballer kann man öffentlich kaum noch seine ehrliche Meinung sagen. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Man wird selbst mit Aussagen konfrontiert, die vielleicht schon Jahre zurückliegen." Solche deutlichen Worte hört man selten von Bundesliga-Spielern. So gesehen ist Hanno Behrens eine Ausnahme. Mein Kollege Tobias Ruf hat den Kapitän des 1. FC Nürnberg zum Interview getroffen – und auch mit dessen Teamkollegen Tim Leibold gesprochen, der ebenfalls Klartext spricht: "Das Geschäft wird immer größer und aufgeblähter. Da kann ich sehr gut nachvollziehen, dass sich viele Fans wieder nach ursprünglicherem Fußball sehnen." So viel Ehrlichkeit verdient es, von Ihnen gelesen zu werden.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Manchmal hat man einfach einen schlechten Tag. Und dann kommen auch noch irgendwelche Idioten daher und rücken einem auf den Pelz. Blöd genug, aber die sind auch noch viel größer und stärker und haben ein ganz schön riesiges Gebiss. Kommen näher, von allen Seiten. Wahre Löwen, während man selbst nur ein kleiner, harmloser Nager ist. Was soll ein winziges Wesen da nur tun? Na klar: Den Idioten mal so richtig einheizen!

Ich wünsche Ihnen einen couragierten Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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