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Tagesanbruch: EZB stoppt Kauf von Staatsanleihen – Wir haben solche Angst


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.12.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
EZB-Präsident Mario Draghi.Vergrößern des Bildes
EZB-Präsident Mario Draghi. (Quelle: Arne Dedert/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

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Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Flucht ist vorbei, sie haben ihn. Zwei Tage nach dem Anschlag auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt haben Polizisten den mutmaßlichen Attentäter Chérif Chekatt in der elsässischen Stadt erschossen. Er habe zuerst abgedrückt, die Beamten hätten das Feuer erwidert, hieß es. Die bangen Stunden der Angst sind vorüber. Können wir nun wieder unbesorgt auf Weihnachtsmärkten flanieren? Solange das Terrorproblem in Europa besteht, bleibt auch die Verunsicherung im öffentlichen Raum. Dafür müssen wir gar nicht erst solche Bilder sehen:

Teil des Terrorproblems ist: Junge Männer in Gefängnissen entwickeln sich häufig nicht zu geläuterten Menschen, sondern radikalisieren sich dort erst recht. Das ist in Frankreich nicht anders als in Deutschland. Schafft sich der Rechtsstaat also selbst gefährliche Gegner, indem er sie inhaftiert? "Wir kennen viele Fälle von Jugendlichen, die als Straftäter ins Gefängnis kamen und es als Radikale wieder verlassen haben", sagt der Tübinger Professor und Seelsorger Abdelmalek Hibaoui. Warum das so ist, lesen sie in dem Interview, das mein Kollege Jonas Schaible mit ihm geführt hat.

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Solche Angst haben die Deutschen gehabt. Insbesondere deutsche Ökonomen und Politiker. Als Nachzügler unter den großen Zentralbanken hatte die EZB, die Wächterin über den Wert und die Stabilität des Euro, vor drei Jahren im großen Stil mit dem Kauf von Staatsanleihen begonnen. Sinn der Übung: Geld unter die Leute zu bringen. Das Geld, mit dem die EZB für die Anleihen bezahlt. Denn die Inflation war zu niedrig, zu dicht an der Null. Dadurch rückte das Schreckensszenario einer heftigen Wirtschaftskrise, ausgelöst durch flächendeckend sinkende Preise, den Mitgliedern der Eurozone ein bisschen zu dicht auf den Pelz. Geld wie Heu in Umlauf zu bringen und es dadurch allmählich zu entwerten, ist ein probates Gegenmittel, sorgt für Inflation, lässt die Preise wieder anziehen. Obendrein konnten die gebeutelten, verschuldeten Staaten im Süden der Eurozone sich auf die EZB als Großabnehmer ihrer Schuldscheine verlassen – was die Nerven der übrigen Geldgeber beruhigte und deren Risiko-Zinsaufschläge wieder in verträglichere Regionen brachte. Alles in allem also eine tolle Sache, sollte man meinen.

Aber der Widerstand war enorm, vor allem aus Deutschland. Hierzulande fürchtete man, die sieben biblischen Plagen würden über uns kommen, oder mindestens mal derer zwei. Die erste: Inflation! Seit der Hyperinflation vor bald hundert Jahren geht von diesem Wort in Deutschland ein Schrecken aus, dem sich selbst die Zunft der Ökonomen nicht entziehen kann. Andernorts, im angelsächsischen Raum etwa, sehen die Fachleute das entspannter. Die zweite Sorge: Die Schuldenberge der Euro-Wackelkandidaten mit der Druckerpresse zu finanzieren, würde sie statt zum Sparen zu neuen Höchstleistungen beim Geldausgeben antreiben. So tönte der Chor der Kritiker jahrelang durch den Blätterwald.

Jetzt glaubt die EZB, auf weiteres Schulden-Shopping verzichten zu können, und stellt ihre Anleihekäufe zum Jahresende ein. Und wir stellen fest: Das Instrument hat sich nicht schlecht geschlagen. Vermutlich wird es in künftigen Krisenzeiten sogar erneut aus der Werkzeugkiste geholt. Wir Deutschen dürfen uns jetzt aber erst einmal entspannen. War doch alles gar nicht so schlimm.

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Schauen Sie bitte in dieses Gesicht. Sie sehen einen außergewöhnlichen Menschen, zu dem ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen möchte. Vor elf Jahren arbeitete ich im Zeitgeschichte-Ressort einer Hamburger Redaktion, als mich der Kollege Henryk M. Broder anrief. Er habe da eine außergewöhnliche Story, berichtete er mir. In Israel habe er einen Mann namens Noah Klieger getroffen, ob ich den kenne? Kannte ich nicht. Ob ich schon mal von der "Exodus" gehört hätte? Hm, hm, dunkel, da war mal was … Das Flüchtlingsschiff, auf dem im Jahr 1947 rund 4.000 jüdische Holocaust-Überlebende versuchten, von Frankreich nach Palästina zu gelangen! Ach ja, richtig, stimmt, außergewöhnliche Geschichte. Noah Klieger war damals an Bord, er hat das ganze Drama miterlebt! Oh, erzählen Sie mehr!

Also erzählte mir der Kollege: Wie er in Tel Aviv mit Noah Klieger gesprochen und sich über dessen schwarzen Humor gefreut hatte. Wie Klieger ihm von seiner Jugend erzählte: 1926 in Straßburg geboren. Als Mitglied einer jüdischen Untergrundorganisation im Alter von 16 Jahren in Belgien verhaftet und 1943 nach Auschwitz deportiert. Dort überlebt, weil er sich zu Boxkämpfen meldete, die der Lagerkommandant zur Unterhaltung der SS-Wachmannschaften zwischen Häftlingen austragen ließ. Anfang 1944 von der SS auf einem Todesmarsch bis nach Ravensbrück getrieben. Dort von der sowjetischen Armee befreit. Nach Frankreich durchgeschlagen und an Bord der "Exodus" gegangen. Losgefahren – trotz des Verbots der Briten, die ein Einreiseverbot für Juden nach Palästina verhängt hatten. Showdown auf hoher See: Britische Schiffe versuchten, die "Exodus" zu rammen. Die Juden wehrten sich mit allem, was sie hatten: Holzstangen, Kartoffeln, Konservendosen, die sie als Geschosse einsetzten. Vierstündiger Kampf, live im Radio übertragen. Tote, Verletzte. Und dann …

Stopp! rief ich ins Telefon. Herr Broder, die Geschichte müssen Sie aufschreiben! Also schrieb er sie auf. Und gestern, elf Jahre später, habe ich sie wieder gelesen. Warum? Weil Noah Klieger, dieser außergewöhnliche Mensch, nun im Alter von 92 Jahren gestorben ist.

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Die britische Premierministerin Theresa May steht seit Monaten innenpolitisch massiv unter Druck – die Abstimmung über den Brexit-Vertrag im britischen Unterhaus musste wegen fehlender Mehrheiten verschoben werden. Beim Gipfel in Brüssel machten ihr die verbleibenden EU-Länder nun eine Reihe von Zusicherungen, diese blieben aber rechtlich unverbindlich. EU-Vertreter berichteten außerdem von wachsendem Unverständnis über das Brexit-Chaos und unklare Vorstellungen Mays. Die EU will sich deshalb nun verstärkt auf einen Austritt ohne Abkommen vorbereiten.

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WAS STEHT AN?

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Heute ist großer Gesetzestag. Am Morgen verabschiedet der Bundestag mit der Mehrheit von Union und SPD das "Gute-Kita-Gesetz". Es soll mehr kostenlose Kindertagesstätten für Geringverdiener sowie die Anstellung von mehr Erziehern ermöglichen. Bis 2022 lässt der Bund sich das 5,5 Milliarden Euro kosten. Gut investiertes Geld. Familien sind das Rückgrat unserer Gesellschaft.

Der Bundesrat befasst sich in der letzten Sitzung des Jahres mit mehreren Gesetzen der großen Koalition, darunter die verschärfte Mietpreisbremse, mehr Weiterbildung, höhere Pflegebeiträge, Maßnahmen gegen Diesel-Fahrverbote, Entschädigungen bei Flug- und Zugverspätungen sowie das verschobene Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration. Die umstrittene Grundgesetzänderung zur Digitalisierung der Schulen wird er in den Vermittlungsausschuss überweisen. Da gehört sie hin.

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Viel los also in der Politik, aber einen anderen Termin finde ich heute noch wichtiger: Während die UN-Klimakonferenz in Polen voraussichtlich mit den üblichen Versprechungen enden wird, die dann wie üblich gebrochen werden, wollen Tausende Schüler ein Zeichen setzen: Sie demonstrieren in mehreren deutschen Städten für eine "Zukunft ohne Klima-Chaos". Was genau sie damit meinen, können Sie einer aufschlussreichen Broschüre von Greenpeace entnehmen.

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Die SPD-Spitze berät heute zum mindestens vierhundertfünfundreißigsten Mal über den Erneuerungsprozess der Partei. Nahles, Klingbeil und Co. – alle dabei. Wär ja schön, wenn langsam mal etwas dabei herauskäme.

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Ein Sachverständigenrat stellt heute eine Studie zur legalen Migration vor. Es geht um die Frage, welche Wege nach Deutschland Migranten offen stehen, die keine Aussicht auf Schutz haben. Also zum Beispiel Menschen, die dringend in der Alten- und Krankenpflege, in Kitas und in Handwerksbetrieben gebraucht werden.

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Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürt heute das "Wort des Jahres". Ich kenne es schon (na ja, oder meine es schon zu kennen).

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In Salzburg wird heute ein spektakuläres Projekt präsentiert: die DIME, die digital-interaktive Mozart-Edition. Noten, Tonaufnahmen, mehr als 600 Werke auf 25.000 Seiten: Der Onlinekatalog soll das gesamte Schaffen des größten Musikgenies aller Zeiten in digitaler Form für jedermann zur Verfügung stellen. So, und bevor nun die Bach- und Wagner-Fans Sturm laufen, springe ich schnell zum nächsten Thema.

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WAS LESEN?

Lee Miller war eine außergewöhnliche Person. Als zivile Kriegsberichterstatterin erlebte sie die letzten Tage des "Dritten Reiches" und war eine der Ersten, die Bilder des zerstörten Deutschlands publizierte. Jetzt ist ein neuer Bildband erschienen, der bisher unveröffentlichte Fotos enthält – darunter die beiden, die Sie oben sehen: befreite KZ-Häftlinge sowie Plünderer im Rheinland. Mehr sehen und erfahren Sie hier.

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Falls Sie einen Windows-PC haben, ist Ihnen das bestimmt auch schon mal passiert: Da drückt man versehentlich eine falsche Taste – und zack!, macht der Rechner, was er will. Der Cursor schluckt Buchstaben, alle Fenster sind plötzlich schwarz, so was. Kann einen in den Wahnsinn treiben. Es sei denn, man hat diesen kurzen Text meines Kollegen Ali Roodsari gelesen. Dann weiß man, wie man den Wahnsinn sofort beendet. Am besten bookmarken Sie sich den Artikel.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Wann waren Sie zuletzt in einem Fotostudio? Vielleicht für Bewerbungsaufnahmen? Mal so richtig in Szene gesetzt? Gut, wenn Sie bis jetzt mithalten konnten, muss ich noch eine Schippe drauflegen. Wann waren Sie zuletzt in einem richtigen Fotostudio? Also: mit Landschaftstapete und schwarzem Samtvorhang? Noch nie, ist ja scheußlich, meinen Sie? Dann kommen Sie bitte mal hier entlang. Wir sprechen uns hinterher.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Freitag und dann einen behaglichen dritten Advent. Wenn Sie mögen, können Sie am Samstag ab 6 Uhr hier die neue Tagesanbruch-Radiosendung am Wochenende anhören. Am Montag schreibt mein Kollege Peter Schink. Ich gehe dann ab Dienstag für Sie auf die Jahresend-Zielgerade, bevor der Tagesanbruch ab dem 23. Dezember in die Weihnachtspause entschwindet.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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