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Tagesanbruch: Schienenverkehr – Warum es bei der Deutschen Bahn nicht läuft


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 19.12.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Spät, später, Bahn.Vergrößern des Bildes
Spät, später, Bahn. (Quelle: dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Dreimal Tippen auf dem Smartphone, und das passende Ticket ist gekauft. Ohne dass die App abstürzt, ohne dass wir uns ständig neu anmelden müssen, ohne dass wir ahnen, wieder mal nicht den günstigsten Preis bekommen zu haben. Der Zug rollt auf die Minute los, während der Fahrt surfen wir im superschnellen Internet, trinken leckeren Kaffee und freuen uns, dass uns der Stress auf der Autobahn und dem Flughafen erspart bleibt. Selbstverständlich erreichen wir unser Ziel pünktlich. Nach drei Reisen bekommen wir automatisch einen Treuerabatt gutgeschrieben, die nächste Fahrt ist noch günstiger.

Sie merken schon: Ich rede nicht von Deutschland. Ich kenne niemanden, der hierzulande regelmäßig Zug fährt und nicht von nervenraubenden Abenteuern berichten kann. Verspätung, Planänderung, Evakuierung, fehlende Reservierung: Irgendwas mit -ung ist immer. In diesen Tagen mussten die Manager im Bahn-Tower am Potsdamer Platz in Berlin besonders heftige Kritik einstecken. Gerade mal 77,5 Prozent aller Fernfahrten pünktlich, Zugausfälle, kurzfristige Streiks, marode Gleise, Brücken und Bahnhöfe, Berichte über babylonische Organisationsstrukturen, Misstrauen in der Führungsetage, und dann ist da ja auch noch das Milliardenloch in Stuttgart.

Warum funktioniert im hochentwickelten Industrieland Deutschland nicht, was in den hochentwickelten Industrieländern Schweiz und Japan seit Jahren reibungslos funktioniert? Weil der Staat eben unfähig sei, ein Unternehmen erfolgreich zu führen, meinen manche Kommentatoren, aber mich dünkt, bei der Erklärung ist noch Luft nach oben. In einem Konzern, in dem sowohl die Verunsicherung der Mitarbeiter als auch der Frust der Kunden förmlich mit Händen zu greifen ist, muss es einen weiteren Grund geben.

Also habe ich Sven Böll gefragt, Leiter des Hauptstadtbüros der "Wirtschaftswoche", der seit Jahren über den DB-Konzern berichtet. Seine Antwort ist ebenso knapp wie präzise: "Das Grundproblem ist: Weder die Politik noch das Management haben eine Antwort auf die zentrale Frage – was will die Deutsche Bahn eigentlich sein? Ein Eisenbahnunternehmen, das pünktlich, zuverlässig und komfortabel Menschen in Deutschland befördert? Oder ein globaler Mobilitäts- und Logistikanbieter, der auch T-Shirts von Hongkong nach Los Angeles transportiert? Aus meiner Sicht sollte sie Letzteres nur dann sein dürfen, wenn sie das Kerngeschäft in Deutschland im Griff hat."

Leuchtet mir ein. Also bitte volle Konzentration auf die Kernaufgabe, Menschen in Deutschland sicher, bequem und pünktlich von A nach B zu bringen! Ob das auch den Bossen im Bahn-Tower einleuchtet?

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WAS STEHT AN?

Während Weihnachten bei uns noch vor der Tür steht, ist in Großbritannien die schöne Bescherung schon da. Weil die Brexit-Pläne der Regierung im Parlament keine Chance haben, bereitet sich das Kabinett nun auch auf einen Ausstieg ohne Abkommen vor und stellt vorsichtshalber schon mal das Geld dafür bereit. Ein "gemanagter harter Brexit" ist der schön bescherte Begriff dafür. Das entspricht in etwa einem "pilotenbetreuten Flugzeugabsturz". Klingt besser als "ungebremster Crash" – aber nur bis zum Aufprall.

Derweil hat Jeremy Corbyn, Chef der größten Oppositionspartei, ein Misstrauensvotum gegen die Person der Premierministerin Theresa May in Gang gebracht. Nur damit Sie da nicht durcheinanderkommen: Das ist nicht dasselbe wie das Misstrauensvotum, das Mays eigene Parteigänger angezettelt haben und das letzte Woche gescheitert ist. Es ist auch nicht dasselbe wie ein Misstrauensvotum gegen die gesamte Regierung, denn das würde bei Erfolg Neuwahlen erzwingen. Die Abstimmung, die Labour-Boss Corbyn sich ausgedacht hat, kann May höchstens mal ganz unverbindlich signalisieren, dass das Parlament sie doof findet. Weiter passiert aber nichts. Ist nur ein Krippenspiel. In der Flugzeugkabine. Während des "beschleunigten Sinkflugs".

Über all dem Schönreden und all den Spiegelfechtereien kann man manchmal fast vergessen, dass wir uns einer der großen, grundsätzlichen Fragen gegenübersehen, auf die jede Gesellschaft eine Antwort finden muss. Die Wähler haben per Abstimmung entschieden, haben der Regierung mit knapper Mehrheit einen Auftrag gegeben – nämlich den, die EU zu verlassen. Diesen Mehrheitswillen hat die Regierung zu respektieren, selbst wenn sie dabei mit den Zähnen knirscht. Das ist Demokratie. Demokratie ist nicht, so lange abstimmen zu lassen, bis das Ergebnis passt. Also alles ganz einfach? Ja – bis man die Gegenfrage stellt.

Der Brexit kam auf den Schwingen einer Lügenkampagne daher, beeinflusst durch politische Scharlatane und russische Under-Cover-Aktionen, geprägt von schamloser Meinungsmache und Falschbehauptungen in der Murdoch-Boulevardpresse. Die Wählerschaft entschied mit 48:52 Prozent, zeigte sich also fast in der Mitte gespalten. Buchstäblich am Tag nach der Abstimmung begannen die leeren Versprechen der Brexit-Hurra-Schreier bereits zu kollabieren. Nach alledem, nach dem Horrortrip des bisherigen Brexit-Verlaufs und einem Deal mit Brüssel, der keine Mehrheit finden kann – könnte, ja müsste man dem gebeutelten Volk da nicht das Recht zugestehen, ein neues Urteil zu fällen? Erst recht bei einer Frage, die das Schicksal des Landes auf Jahrzehnte hin bestimmt? Dieses Dilemma erhitzt die notorisch erhitzungsresistenten Briten in diesen Tagen. Nicht immer ist so einfach zu beantworten, was denn nun wirklich demokratisch ist.

Theresa May und ihre Leute sagen: Abgestimmt ist abgestimmt! Sie haben (meines Erachtens zu Recht) Angst davor, die überzeugten Brexit-Anhänger würden sich verbittert nicht nur von den Tories, sondern gleich vom gesamten demokratisch-parlamentarischen System abwenden, fiele ein zweites Votum zu ihren Ungunsten aus. Ein Teil der Gesellschaft – und zwar einer, der schon jetzt zu kämpfen hat und benachteiligt ist – dürfte sich komplett abgehängt fühlen. Kommt uns das nicht auch in Deutschland ein bisschen bekannt vor? Einen besseren Nährboden für radikale Fantasien kann man sich kaum vorstellen.

Das ist alles richtig, und dennoch ist es falsch. Denn Angst ist kein guter Ratgeber. Angst kann kein Argument sein, eine Abstimmung zu scheuen. Wer ein Eigenheim bauen will und mit seiner Idee zum Architekten geht, dürfte ganz schön dumm gucken, wenn eines Tages der Architekt anruft und sagt, die Pläne seien jetzt fertig und das Haus übrigens auch. Ohne das Okay des Auftraggebers? Das geht doch nicht! Richtig. Und deshalb sollten, ja müssen die Briten über die Pläne abstimmen, die sich die Architekten auf der Regierungsbank für sie ausgedacht haben. Demokratie heißt nicht, abzustimmen bis zum Umfallen. Aber eine Demokratie ist auch kein Blankoscheck. Sie ist ein System mit der Chance zum Lernen und zur Korrektur. Das Drama bei den Briten taugt als Lehrstück auch für uns.

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Mal sehen, ob das auch die EU-Kommission so sieht. Sie will heute erklären, wie sie sich einen ungeordneten Brexit vorstellt – beziehungsweise, was uns dann bevorsteht. Was ziemlich Wildes, fürchte ich.

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In Berlin finden heute, exakt zwei Jahre nach dem islamistischen Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt, mehrere Gedenkveranstaltungen statt. Um 10 Uhr Kranzniederlegung am Ort des Anschlags mit dem Regierenden Bürgermeister Müller, dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses Wieland und dem Bundesopferbeauftragten Franke. Um 17 Uhr Gedenken auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Schloss, um 18 Uhr Abendandacht in der Gedächtniskirche. Wo sind eigentlich Frau Merkel und Herr Steinmeier?

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In Wiesbaden befasst sich der Innenausschuss des hessischen Landtags mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen fünf Frankfurter Polizisten, denen Volksverhetzung vorgeworfen wird. Doch das ist offenbar nur die Spitze des Eisbergs. Merke: Der Staat darf in den Reihen seiner Diener keinen Hass und keinen Extremismus dulden.

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In München wird voraussichtlich das Urteil im Prozess gegen den Betreiber einer Darknet-Plattform im Internet gefällt. Über die Seite soll der Täter des Anschlags im Münchner Olympia-Einkaufszentrum 2016 seine Waffe und Munition gekauft haben. Die Staatsanwaltschaft fordert mehr als neun Jahre Gefängnis.

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In Paris trifft sich Präsident Macron heute mit seinem Kabinett, um darüber zu beraten, wo er die Milliarden hernehmen soll, die er erstens den Gelbwesten versprochen hat und die er zweitens gar nicht hat. Wird wohl auf ein dickes Defizit hinauslaufen, das dann nicht mehr EU-konform ist. Italien, ick hör dir trapsen.

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In Berlin will Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) heute offiziell die "Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie" vorstellen. Es geht um Zucker, Fett und Salz auf unserem täglichen Speiseplan. Will uns die Bundesregierung jetzt auch noch vorschreiben, was wir essen sollen? Nein, aber die Lebensmittelfirmen verpflichten sich dazu, ein kleines bisschen gesünder zu produzieren. Beispiel: Säfte und Brausen sollen künftig 15 Prozent weniger Zucker enthalten, Kinder-Joghurts rund 10 Prozent weniger.

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In Wiesbaden verhandelt das Verwaltungsgericht über ein Dieselfahrverbot – und verkündet zugleich einen außergerichtlichen Vergleich zum Verbotsverfahren in Darmstadt. Aha, so lässt sich der ganze Verbotsschlamassel also auch lösen.

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In Laatzen nimmt Niedersachsens Innenminister Pistorius (SPD) die bundesweit erste Pilotstrecke für ein Streckenradar in Betrieb. Was das ist? Ja, habe ich mich gestern auch gefragt und schnell für sie nachgesehen: eine Technik, bei der das Tempo von Autofahrern nicht nur einmal, sondern über einen längeren Abschnitt kontrolliert wird. So sollen Raser ausgebremst werden. Die "Hannoversche Allgemeine" weiß noch mehr als ich.

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WAS LESEN?

Wieder mal ein brisantes Thema, das unser Kriminalreporter Dietmar Seher da recherchiert hat: Menschenhändler aus Nigeria schleusen im großen Stil Frauen nach Deutschland und zwingen sie zur Prostitution. Weil die Opfer nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit Voodoo-Ritualen eingeschüchtert werden, haben Ermittler oft Probleme, sie zum Reden zu bringen. Und nun kommen auch noch rechte Aktivisten daher und nutzen das Ganze für ihre perfide Propaganda. Aber lesen Sie selbst.

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Guttenberg, erinnern Sie sich noch an den? Genau, der mit der Doktorarbeit (beziehungsweise ohne). Wer seinen Umgang mit der Plagiatsaffäre verfolgte, konnte an den intellektuellen Fähigkeiten des Ex-Ministers durchaus zweifeln. Ist er dann gut beraten, dem designierten CSU-Chef Söder mangelndes intellektuelles Format vorzuwerfen? Eher nicht, sollte man meinen. Eher schon, meint Herr Guttenberg im Interview mit der österreichischen "Kleinen Zeitung".

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WAS AMÜSIERT MICH?

Im Tagesanbruch möchte ich ein weites Spektrum an Themen abdecken. Rock 'n' Roll hatten wir hier schon. Pop? Dito. Musik aus einem Dudelsack? Ich glaube nicht. Musik aus einem Dudelsack, der Feuer speit, während er "Thunderstruck" von AC/DC intoniert? Nein, hatten wir definitiv noch nicht. Wird also Zeit. Feuer frei!

Ich wünsche Ihnen einen hammermäßig starken Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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