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Tagesanbruch: Überlastete Gerichte – droht Deutschland der Rechtsnotstand?


Droht uns der Rechtsnotstand?

Von Florian Harms

Aktualisiert am 26.03.2019Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Land- und Amtsgericht Hessen.Vergrößern des Bildes
Land- und Amtsgericht Hessen. (Quelle: imago)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Manchmal muss man laut Alarm! rufen. Ich mache das heute, und ich beziehe mich dabei weder auf Herrn Trump noch auf den Brexit, sondern auf eine kleine Meldung der Deutschen Presse-Agentur. "Immer häufiger müssen Verdächtige wegen zu langer Strafverfahren aus der Untersuchungshaft entlassen werden", meldete die dpa. Im vergangenen Jahr hoben die Oberlandesgerichte deshalb bundesweit in mindestens 65 Fällen Haftbefehle gegen dringend Tatverdächtige auf. Die Zahl mag klein wirken – aber sie wird monströs, wenn man die Tendenz im Vergleich zu den Vorjahren berücksichtigt: Es werden immer mehr Fälle.

Wer landet in Untersuchungshaft? Ausschließlich Beschuldigte, die dringend tatverdächtig sind, etwa wegen eines schweren Verbrechens, bei Fluchtgefahr oder wenn es die Befürchtung gibt, dass der Verdächtige seine Tat wiederholt. Nicht nur der Staat, sondern auch die Gesellschaft hat also ein Interesse daran, dass in solchen Fällen die Behörden alles daransetzen, dem Verdacht nachzugehen und das Geschehen aufzuklären – entschlossen, fokussiert und zügig. Das scheint allerdings hierzulande nicht mehr in jedem Fall gegeben zu sein, und das ist ein Alarmsignal, das wir alle sehr ernst nehmen sollten.

Schon seit Jahren klagen Richter, Staatsanwälte und Ermittler über zu wenig Personal. Viele Kriminalfälle, so ist zu hören, würden durch das Internet und die zunehmende internationale Verflechtung immer komplexer – die Ausstattung der Gerichte, Behörden und Polizeikommissariate hingegen werde immer dürftiger. Von einem drohenden "Notstand" sprach gar mancher Robenträger.

Die Regierenden, das muss man leider so sagen, haben diese Alarmsignale lange Zeit überhört (oder nicht hingehört). Erst seitdem sich Berichte über schockierende Kriminalfälle – Körperverletzung, Nötigung, Machenschaften arabischer Clans, Rechtsextremismus, Cyber-Betrug, Finanztricksereien – mehren, seit Medien ausführlicher berichten und seitdem auch viele Bürger ihrem Ärger in den sozialen Netzwerken Luft machen, haben die politisch Verantwortlichen aufgehorcht. Die Koalition aus Union und SPD möchte die Bundesländer bis 2021 bei der Einstellung von 2.000 neuen Staatsanwälten und Richtern unterstützen, sprich: mehr Steuergeld geben.

Was klingt wie ein Segen, könnte sich als halber Fluch entpuppen. Denn absehbar ist auch das immer noch viel zu wenige Personal. Bis 2030 werden mehr als 10.000 Juristen in Pension gehen und müssen ersetzt werden. Der Deutsche Richterbund befürchtet, dass sich angesichts dieser "Pensionierungswelle" die Probleme an vielen Gerichten weiter verschärfen.

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Laufen wir also sehenden Auges in einen "Rechtsnotstand" hinein? Man muss den Teufel nicht an die Wand malen, um sich zu fragen, was aus unserem Staat wird, falls er nicht mehr alle Teufel zur Rechenschaft ziehen kann. Und falls immer mehr Bürger den Eindruck bekommen, vor dem Gesetz seien zwar auf dem Papier, nicht aber im echten Leben alle gleich – weil das Recht eben nicht mehr überall konsequent durchgesetzt werden kann. Aus der historischen Literatur wissen wir: Es ist exakt dieses diffuse Gefühl der Unsicherheit, des erschütterten Vertrauens in den Rechtsstaat, das Gesellschaften ins Wanken bringen und den demokratischen Konsens gefährden kann.

Deshalb ist es an der Zeit, einfach mal festzustellen: Ein stabiler Rechtsstaat braucht ausreichend Richter, Staatsanwälte und Polizisten, die weder durch Überlastung noch durch Überstunden ausgelaugt sind, sondern genug Zeit, Kraft und Mittel haben, ihre Verfahren verlässlich zu bearbeiten. Klingt wie eine Selbstverständlichkeit, oder? Leider ist es das hierzulande mancherorts nicht mehr. Und das ist ein Alarmsignal.


Wenn in einem krisengeschüttelten Land die ersten russischen Transportmaschinen eintreffen, sich aus dem Bauch eines riesigen Antonow-Flugzeugs Berge an Material auf das Flugfeld ergießen, dann werden Erinnerungen wach. Im September 2015 erschienen die fliegenden Frachträume in Syrien. Russische Soldaten bezogen ihre Quartiere, und man musste nicht mehr lange warten, bis Präsident Putin das Signal zum Losschlagen gab. Am vergangenen Wochenende nun setzten die Transporter in Venezuela auf. 35 Tonnen Ladung hatten sie an Bord – zur routinemäßigen Abwicklung technisch-militärischer Abkommen, ließ die Moskauer Nachrichtenagentur Sputnik verlauten, während der venezolanische Präsident Maduro sich für eine "Medikamentenlieferung" entschied. Begleitet wurde die Medikamentenlieferung von einem russischen Truppenkontingent, knapp 100 Mann stark, offiziell spricht man in diesem Zusammenhang lieber von einer "Delegation". Immerhin, die Soldaten haben sich diesmal nicht für einen privaten Spontanurlaub nach Venezuela begeben. Die Reisepapiere heben sich vom Kampfeinsatz in der Ostukraine also bisher positiv ab.

Die Mär von der best gesicherten Medikamentenlieferung aller Zeiten dürfen wir getrost zu den Akten legen. Moskau gibt der Welt – und insbesondere den Amerikanern – kaum verbrämt zu verstehen: Man gedenkt, weder die milliardenschwere Unterstützung für den venezolanischen Autokraten abzuschreiben, noch will man sich die kläglich klein gewordene Einflusszone in Südamerika weiter beschneiden lassen. Wie du mir, so ich dir. Schon im Januar hatte Donald Trumps Sicherheitsberater John Bolton die Bereitschaft der Amerikaner zur Truppenentsendung durchblicken lassen. Doch wie bei der Fabel von Hase und Igel sind die Russen mal wieder vorher da. Das Erscheinen der russischen Militärtransporter stärkt Herrn Maduro und soll die Gefahr eines Regimewechsels bannen – genau wie einst bei Assad. Ob Venezuela noch mehr vom Schicksal Syriens teilen muss, wird sich bald erweisen.


WAS STEHT AN?

Wenige Worte haben in jüngster Zeit derart heftige Debatten ausgelöst wie das englisch-deutsche Kompositum Uploadfilter. Wenn Sie die Berichterstattung auf t-online.de verfolgt haben, wissen sie inzwischen, welche Risiken die Technik mit sich bringt, dass sie absehbar US-Digitalkonzerne noch mächtiger macht, während sie Künstler und normale Nutzer einschränkt. Gut gemeint, schlecht gemacht: Das ist in vier Worten ein ziemlich treffendes Urteil über die geplante Richtlinie.

Dennoch stehen die Chancen gut, dass das EU-Parlament in Straßburg heute Vormittag die Urheberrechtsreform inklusive des umstrittenen Artikels 13 absegnet. Angesichts des heftigen Protests auf den Straßen und in den sozialen Medien beeilen sich Politiker von SPD und CDU zu versichern, sie wollten selbst nach Beschluss des Artikels in Deutschland keine Uploadfilter haben. Als hätten sie das in der Hand. Diese Entscheidung wird nicht in Berlin getroffen, sondern im Silicon Valley. Schon jetzt befinden sich große Teile des einst schrankenlosen Internets im Griff amerikanischer Großkonzerne. Deutsche und andere europäische Politiker liefern ihnen nun fröhlich noch etwas mehr aus – und Sie können dabei zusehen: Die Debatte im EU-Parlament beginnt um 9 Uhr, die Abstimmung gegen 12.30 Uhr. Auf t-online.de sind Sie immer im Bilde.

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Anschließend geht es um die Uhr selbst: Das EU-Parlament stimmt über seine Position zur geplanten Abschaffung der Zeitumstellung ab. Danach liegt der Ball bei den EU-Verkehrsministern, denn die Mitgliedstaaten müssen sich noch einigen. Wird also noch einige Zeit verstreichen, bis die Zeit sich ändert.


Das britische Parlament stimmt gegen den Willen der Regierung heute über Alternativen zum Brexit-Abkommen ab. Ein entsprechender Antrag wurde gestern Abend mit knapper Mehrheit im Unterhaus angenommen.


Bundeskanzlerin Merkel trifft sich heute Vormittag im Pariser Élysée-Palast mit dem französischen Präsidenten Macron, EU-Kommissionschef Juncker und dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. Sie sprechen darüber, wie sie den Multilateralismus stärken können. Dem starken Mann im Weißen Haus dürfte das kaum gefallen.


In Berlin wird das Urteil im Prozess um ein Autorennen auf dem Ku'damm erwartet, damals kam ein Unbeteiligter zu Tode. Die beiden Sportwagenfahrer wurden zunächst des Mordes schuldig gesprochen, aber der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf. In dem neuen Prozess fordert die Staatsanwaltschaft wiederum eine Verurteilung wegen Mordes. Die Verteidigung plädiert dagegen auf eine Strafe wegen fahrlässiger Tötung.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Was ist nun zu halten vom Mueller-Report, wie reagieren Donalds Trumps Vertraute – und was bedeutet all das für den kommenden Wahlkampf in Amerika? Darüber können Sie viele ellenlange Texte lesen. Falls Sie nicht so viel Zeit haben, schauen Sie sich dieses Video unseres Washington-Korrespondenten Fabian Reinbold an, der sich im Weißen Haus umgehört hat: in knapp zwei Minuten alles Wichtige auf den Punkt.


Wer will was für Europa? Am Wochenende hat die SPD ihr Europawahlprogramm beschlossen, gestern hat die Union nachgelegt. Alle sind sich einig, dass die EU stark sein muss, aber da endet die Einigkeit schon: SPD und Union haben fundamental verschiedene Vorstellungen von der EU, analysieren meine Kollegen Johannes Bebermeier und Jonas Schaible.


Wer Oliver Bierhoff, Reinhard Grindel und Joachim Löw sind, muss ich Ihnen nicht erklären. Den Namen Meikel Schönweitz kennen Sie aber vermutlich nicht. Falls Sie sich auch nur ein klitzekleines bisschen für Fußball interessieren, sollten Sie das ändern. Denn Schönweitz zählt zu den Schlüsselfiguren beim Bestreben, die deutsche Nationalmannschaft wieder an die Weltspitze zu führen. Als Cheftrainer aller Junioren-Nationalmannschaften des DFB will er enteilte Nationen wie Frankreich und England einholen. Mit welchen interessanten Methoden er das macht, hat er meinem Kollegen Benjamin Zurmühl erklärt.


WAS AMÜSIERT MICH?

Zwiebeln schälen, Geschirr abwaschen, Fenster putzen: Es gibt so viele Routinen, die einfach nur gääähnend langweilig sind. Dabei könnten sie super interessant sein! Hier zeigen uns echte Profis, wie aus Mühsal Kunst wird.

Ich wünsche Ihnen einen abwechslungsreichen Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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