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Frans Timmermans: Der Mann, der Deutschland beim Klima Beine machen soll


Was heute wichtig ist
Der Mann, der Deutschland treiben soll

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 05.12.2019Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Frans Timmermans gibt Gas beim Umweltschutz.Vergrößern des Bildes
Frans Timmermans gibt Gas beim Umweltschutz. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Floskeln haben gemeinhin wenig Überzeugungskraft, aber in diesem Fall ist das anders. "Es ist fünf nach zwölf", sagt Hans Bruyninckx, Direktor der Europäischen Umweltagentur, mit Blick auf eine schlichte Tatsache: Fast alle EU-Staaten verfehlen ihre Klimaziele. Obgleich der Umweltschutz inzwischen in Parlamenten, Talkshows und Wohnzimmern in aller Munde ist, verbessert sich die Situation nicht. Sie wird schlimmer. Nicht nur irgendwo im fernen Afrika oder Asien, sondern hier, bei uns. Seit gestern haben wir es schwarz auf weiß: Deutschland war im vergangenen Jahr erstmals unter den drei am stärksten von Wetterextremen betroffenen Ländern der Welt. Monatelange Dürren, riesige Waldbrände, Tausende Hitzetote: Daran werden wir uns gewöhnen müssen. Das Schlimme ist: Wir gewöhnen uns wirklich daran. Wir verzichten vielleicht auf Plastiktüten, gönnen uns eine Flugreise weniger, lassen das Auto öfter in der Garage stehen und warten darauf, dass die politischen Entscheider endlich in die Hufe kommen. Dass sie den Appellen der Wissenschaftler folgen und endlich entschlossen handeln. Aber wenn sie stattdessen zaudern, herumlavieren, in Trippelschritten vor und wieder zurück tappen, was dann? Nun ja. Dann schaun wir mal. Warten ab.

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Was wir gerade erleben, darf man durchaus mit einem Blockbuster aus Hollywood vergleichen: Das Armageddon naht unaufhaltsam, aber die meisten Protagonisten machen einfach weiter wie bisher und warten auf den erlösenden Helden. Und warten. Und warten. Unser Energieverbrauch steigt stärker, als ihn der Ausbau erneuerbarer Energien selbst in den kühnsten Plänen kompensieren könnte. Schon 2,8 Millionen Agrarflächen sind durch ätzende Düngemittel kontaminiert. Der Autoverkehr in Großstädten nimmt zu. Nur ein Drittel der Deutschen nutzt den öffentlichen Nahverkehr, vielerorts fehlen Verbindungen. Die Luftverschmutzung übersteigt in fast allen europäischen Städten die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Werte. Der Schmetterlingsbestand in der EU ist um fast 40 Prozent geschrumpft. Wir sind Zeugen des größten Artensterbens seit dem Tod der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Es ist eine sehr stille, sehr heiße, aber auch sehr stürmische und sehr ungemütliche Welt, in die wir hineinmarschieren.

Aber die Chinesen! Und die Inder! Die treiben es doch noch viel schlimmer als wir!, tönt es uns aus Kommentarforen und Stammtischrunden entgegen, und überhaupt, die Weltbevölkerung wächst viel zu schnell! Alles richtig, alles wohlfeil. Man mag es nicht mehr hören. Die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler sagt uns: Es bleiben nur noch wenige Jahre, um die Lebensgrundlage auf diesem Planeten im Lot zu halten. Das erfordert sofortige, entschiedene und tief greifende Taten. Wer mit dem Finger auf andere zeigt, verliert kostbare Zeit. Ein erster Schritt könnte sein, dass jedes Gesetz und jede Verordnung unter den Vorbehalt der Klimaverträglichkeit gestellt wird.

Europas stärkster Staat Deutschland könnte vorangehen, statt hinterher zu trotten, könnte die anderen EU-Länder mitziehen. Als Ganzes könnte die EU – der mächtigste Wirtschaftsverbund der Welt – Druck auf ihre Handelspartner ausüben. Die Chinesen wollen uns ihre Smartphones und Turnschuhe verkaufen? Die Amerikaner ihr Rindfleisch und ihr Soja? Die Russen Gas und Öl? Können sie gern weiterhin tun, aber dann hätten wir da künftig ein paar Regeln. Nachhaltige Produktion, fairer Handel, verpflichtendes Recycling, Verbot von Dumpingpreisen: Es ist höchste Zeit, dass Europa seine geballte Macht einsetzt, um weltweit auf strenge Umweltschutzregeln zu drängen.

Sagt sich leicht, macht sich schwer, na klar. Der Weg dorthin ist mit Dornen gesät, aber er ist begehbar. Fragt man sie, warum sie nicht mehr tun, erklären die Bundeskanzlerin und ihre Minister wortreich, dass man den Klimaschutz halt "sozialverträglich gestalten" und "alle Bürger mitnehmen" müsse. Deshalb gehe es eben nur schrittweise voran. Hört man genauer hin, hört man vor allem eines: Angst. Angst vor einer deutschen "Gelbwesten"-Bewegung. Angst vor den Klimawandelleugnern in der AfD. Angst vor der Macht der Unternehmerverbände. Zugleich aber auch die Angst, dass der Protest der jungen Leute auf den Straßen in Wut umschlagen könnte. Diese Regierung verbringt mehr Zeit damit, sich zu fürchten, als damit, zu gestalten.

Um von ihrer Hasenfüßigkeit abzulenken, wenden die Regierenden seit Monaten eine raffinierte Methode an: die Blabla-Taktik. Sie reden bei jeder Gelegenheit ausgiebig darüber, wie unheimlich wichtig der Klimaschutz sei – und tun zugleich so wenig, dass hoffentlich, bitte, bitte! niemand ernsthaft böse werden möge. So vergehen die Wochen, die Monate, die Jahre. Und irgendwann wird es wohl zu spät sein. Es sei denn, höhere Mächte machen den Zauderern Beine.

Genau das könnte nun geschehen. Die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sich klipp und klar dem Umweltschutz verschrieben – und ihren Vize Frans Timmermans angewiesen, den Klimaschutz in Europa als Top-Thema voranzutreiben. Heute hält der Niederländer eine Impulsrede, in den kommenden Tagen will er seinen Plan für einen "Green Deal" vorstellen. Angst hat der Mann keine, das hat er bewiesen, als er sich im Rechtsstaatsstreit mit Ungarns Premier Viktor Orbán anlegte. Schnell handeln kann er auch, in Brüssel haben sie ihm in Erinnerung an den Transrapid den Spitznamen Fransrapid verpasst.

Ein couragierter Holländer treibt im Auftrag seiner deutschen Chefin die Berliner Groko-Angsthasen zu entschlossenem Handeln: Das wäre doch mal was.


Zelimkhan Khangoshvili hat mit dem Tod gerechnet – aber wohl kaum damit, auf welchem Weg er ihn ereilen würde. Im Kampf mit russischen Truppen in Tschetschenien zu sterben, von einer Fliegerbombe erwischt zu werden oder von einer Spezialeinheit Moskaus: All das wäre kein ungewöhnliches Schicksal für jemanden gewesen, der auf der Seite von Rebellen im Kaukasus kämpft. Dass das Ende ihn pedaltretend auf einem Fahrrad einholen würde, das hätte er damals wohl nicht gedacht.

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Der Tschetschenienkrieg ist lange vorbei, aber das Echo des fernen, vergangenen Tötens dröhnt durch Berlin, als sei gestern noch gekämpft worden. Denn nach Berlin war Khangoshvili geflohen, nachdem das Pflaster im Kaukasus zu heiß für ihn geworden war. Die Kugeln eines Killers hatten ihn im georgischen Tiflis knapp verfehlt, und die Angst vor dem russischen Geheimdienst hatte ihn weiter nach Deutschland getrieben. Doch im August radelte ein Auftragsmörder dem Ex-Separatisten Khangoshvili im Tiergarten hinterher und erschoss ihn am helllichten Tag aus nächster Nähe.

Der Mörder ging der Polizei schon kurz nach der Tat ins Netz, seitdem konnte man darauf warten, wann der Anschlag seine politische Zersetzungskraft entfaltet. Denn die Spuren führen in einer Deutlichkeit zum russischen Geheimdienst, dass man darüber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Inzwischen hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen, gestern folgte die Ausweisung zweier russischer Botschaftsmitarbeiter, deren eigentlicher Arbeitgeber der Militärgeheimdienst GRU ist. Im Vergleich zur massenhaften Ausweisung von Schlapphüten in Europa und den USA, die auf den Mordanschlag gegen den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal in Großbritannien folgte, ist das eine vergleichsweise zahme Strafe. Dass sie den Kreml nachhaltig beeindruckt und von der Ermordung weiterer missliebiger Personen in Deutschland und anderswo Abstand nehmen lässt, ist kaum zu erwarten.

Womit wir beim Kern des Problems angekommen sind. Denn "missliebige Personen" wie das Opfer Khangoshvili wandeln sich im russischen Sprachgebrauch zu Terroristen. Dass bei denen nicht lange gefackelt wird, ist keine exklusiv russische Methode. Das US-Militär bedient sich im "Kampf gegen den Terror" seit Jahren gezielter Tötungen, ob im Jemen oder in Afghanistan. Der israelische Mossad machte in den Siebzigerjahren Jagd auf alle, die am Anschlag auf israelische Athleten während der Olympischen Spiele in München beteiligt waren.

Man kann darüber debattieren, ob das ethisch vertretbar oder auch nur klug ist. Aber zumindest sind die Terroristen in diesen Fällen in der Regel entweder tatsächlich für Terroranschläge und deren Planung verantwortlich oder wenigstens militärische Akteure in einem aktuell laufenden Krieg. In Putins Russland geht man mit dem Begriff großzügiger um. Dass der Ermordete für die Unabhängigkeit Tschetscheniens und gegen Moskaus Truppen gekämpft hat, ist unstrittig. Aber er gehörte dem gemäßigten, verhandlungsbereiten Flügel der Rebellen an, der den Russen gerade deshalb ein Dorn im Auge war, weil Putin die Schlacht mit Waffengewalt entscheiden wollte.

Deshalb hören wir das Echo der Schüsse dieses Krieges noch heute in Berlin. Russland ist ein autoritärer Staat, dessen Repertoire der Konfliktlösung sich in brutaler Repression erschöpft. In Tschetschenien regiert inzwischen ein Statthalter des Kremls, der die Bevölkerung mit Angst und Schrecken auf Linie hält und dem Land einen Friedhofsruhefrieden beschert. Umso freigebiger geht Moskau mit dem Etikett des Terroristen um. Putin verfolgt seine Ziele mit Gewalt: auf der Krim, in der Ukraine, per Mord in Großbritannien – und nun auch in Berlin. Wir können uns dem Umgang mit unserem Nachbarn nicht entziehen. Aber wir sollten es mit Haltung tun: mit klarer Kante.


WAS STEHT AN?

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) würdigt heute den Deutschen Engagementtag. Er soll den Stellenwert von bürgerschaftlichem Engagement sichtbar machen.

Die Ministerpräsidentenkonferenz befasst sich mit dem Klimaschutzpäckchen der Bundesregierung, dem Digitalisierungspäckchen und auch mit der Rundfunkgebühr. Letztere soll wieder einmal steigen – allerdings geringer, als ARD und ZDF es wünschen.

Der SPD-Vorstand will die Empfehlungen für den Parteitag am Wochenende beschließen. Angesichts der Differenzen bei den Genossen, ist aber unklar, was daraus wird.

In Frankreich stehen alle Räder still, die Gewerkschaften trommeln zum Generalstreik. Der Protest richtet sich gegen Emmanuel Macrons Plan, die Lebensarbeitszeit zu verlängern.


WAS LESEN?

Auf öffentlichen Plätzen in Lateinamerika und Europa versammeln sich mutige Frauen und skandieren Parolen. Die Bewegung verbreitet sich rasant – und könnte vieles verändern. Hier erfahren Sie, was dahintersteckt.


Nein, hirntot ist die Nato nicht – aber sie ist auf ihrem Jubiläumsgipfel in London nur knapp dem Herzstillstand entkommen: Die Chefs konnten sich nur deshalb auf eine Abschlusserklärung einigen, weil sie ihre Streitpunkte ausklammerten. "Die Nato hat es nicht geschafft, ihre Zukunftsfragen anzupacken. Die Angst vor der Uneinigkeit war zu groß", berichtet mir unser Außenpolitikreporter Patrick Diekmann. "Neu ist lediglich, dass sie China nun als Bedrohung ansieht. Anstatt sich mit den internen Problemen auseinanderzusetzen, sucht man sich also neue Gegner. Das wird das Bündnis auf Dauer nicht zusammenhalten." Hier lesen Sie die Analyse meines Kollegen.


Ein brisantes Telefonat, Beschuldigungen, Gegenreden – und nun eine lange Anklageschrift: Die Vorbereitungen für das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump sind kompliziert. Nicht leicht, da den Durchblick zu behalten. Unser US-Korrespondent Fabian Reinbold hat ihn – und lässt Sie gern daran teilhaben.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Umfragen sind mies, die Stimmung in der Groko ist es auch, das neue Führungsduo erntet Spott: Die SPD hat es in diesen Tagen nicht leicht. Da ist Mitgefühl nicht die schlechteste Reaktion.

In diesem Sinne: Glück auf! Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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