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USA-Iran-Konflikt: Auf das Feuer der Waffen folgt das Feuer der Worte


Was heute wichtig ist
Was die Hitzköpfe lieber verschweigen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 09.01.2020Lesedauer: 8 Min.
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Eskalation ist nie eine gute Idee - egal, von wem sie ausgeht, ob von den USA oder dem Iran (Symbolbild).Vergrößern des Bildes
Eskalation ist nie eine gute Idee - egal, von wem sie ausgeht, ob von den USA oder dem Iran (Symbolbild). (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Auf das Feuer der Waffen folgt das Feuer der Worte. US-Präsident Donald Trump ist ein Mann mit einem einfachen Weltbild: Gute gegen Böse, Mächtige gegen Mickrige, Erfolgreiche gegen Versager. Klar, wen er jeweils zur ersten Kategorie zählt: vor allem sich selbst. Zur anderen gehören alle, die nicht in seine Weltanschauung passen oder sich ihm widersetzen. Zum Beispiel die Iraner, denen er gestern auf seiner Pressekonferenz neue Sanktionen aufbrummte und drohte: Es könne "keinen Frieden im Osten geben, wenn der Iran weiter an Gewalttaten festhält." Er werde es niemals dulden, dass Teheran eine Atombombe baue. Und: "Irans Feindseligkeit hat sich erheblich gesteigert, nachdem der dumme Nuklear-Deal unterschrieben wurde."

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Teheran nutze das Entgegenkommen aus, das sein schwächlicher Vorgänger Barack Obama gezeigt habe: Das ist Trumps Lesart der Iran-Frage. Deshalb torpediert er das Atomabkommen. Was er dabei verschweigt: Die Aggressivität der iranischen Außenpolitik reicht viel weiter zurück, sie wurzelt schon in der iranischen Revolution 1979 und im schiitischen Sendungsbewusstsein der Mullahs. Der Atomvertrag hätte ein unberechenbares Regime etwas berechenbarer gemacht. Für seinen Verzicht auf weitere Militärschläge erntete Trump gestern manches Lob. Aber seine Außenpolitik ist deshalb keinen Deut ausgleichender, berechenbarer oder gar friedfertig.

Auch die iranische Führung verzichtet nach ihrem Raketenangriff auf US-Militärbasen im Irak zwar vorerst auf weitere Attacken – feuert aber ebenfalls glühende Worte hinterher: "Wenn die Amerikaner ein weiteres Verbrechen begehen, müssen sie wissen, dass sie eine noch härtere Antwort erhalten werden", droht Präsident Hassan Ruhani. "Wenn sie klug sind, werden sie keine weiteren Maßnahmen ergreifen." Was er nicht sagt: Er selbst, Religionsführer Ali Chamenei und die Generäle der Revolutionsgarden verhalten sich alles andere als klug. Nach den Kriegen in Syrien und im Jemen und mitten in einer schweren Wirtschaftskrise treiben sie ihr Land nun auch noch in eine kaum kontrollierbare Konfrontation mit der mächtigsten Militärmacht der Welt. Durch die Beschwörung des äußeren Feindes lenken sie die Bevölkerung von ihrem eigenen Versagen ab, den Menschen ein Leben in Frieden, Stabilität und Wohlstand zu ermöglichen. Doch lange dürfte ihnen das nicht gelingen. Selbst wenn Herr Trump es behaupten mag: Die Iraner sind alles andere als dumm; kein muslimisches Land im Nahen Osten hat eine so hoch gebildete Bevölkerung wie der Iran. Wenn sich der Rauch der Feuer verzogen hat, werden die Menschen wieder beginnen, kritische Fragen zu stellen. Und sie werden womöglich auch wieder auf die Straßen gehen.

Noch aber fliegen die feurigen Drohungen hin und her. "Wir erleben einen Krieg der Worte und der Tweets", sagt der profilierteste CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im Interview mit meinem Kollegen Tim Kummert. "Jetzt müssen wir verhindern, dass daraus ein echter Krieg wird, denn die Lage ist offen, und nichts ist vorhersehbar." Und: "Beide Länder teilen ein Dilemma: Sie wollen keinen Krieg, können es sich aber innenpolitisch auch nicht erlauben, schwach zu wirken. Hinzu kommt, dass es auf beiden Seiten kein vorausschauendes Konfliktmanagement gab."

Diesen Mangel an strategischer Planung und planvoller Diplomatie müssen nun die Europäer ausgleichen. Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas reisen am Samstag nach Moskau, um Russlands Präsidenten einzubinden. Das ist klug, denn so werden zwei Stärken vereint: Ohne den Syrien-Sieger Wladimir Putin geht im Nahen Osten nichts mehr. Die Deutschen wiederum unterhalten traditionell gute Verbindungen nach Teheran; beim Atomabkommen leisteten sie wertvolle Arbeit. So könnte in der jüngsten Eskalation vielleicht sogar eine Chance liegen: Dass Europa endlich eine kraftvolle, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt. Dieser Gedanke hat mich zu einem kurzen Videokommentar angeregt, den meine Kollegen Arno Wölk und Jerome Baldowski aufgezeichnet haben.


Neues Jahr, neues Glück: In diesen Tagen schauen viele Menschen nach vorne, fassen neue Vorsätze, wollen neu durchstarten und das Alte hinter sich lassen. Wenn ich mich in unserem Land umsehe, dann wünsche ich mir genau das Gegenteil: eine Rückbesinnung auf alte Tugenden. Eigentlich sollte man sie für zeitlos halten, das scheinen sie aber nicht zu sein. Ob am Bahnsteig, an der Supermarktkasse, in vielen Firmenvorständen oder in Ministerien und im Parlament: Allzu oft fehlt es an der Moral, viele Leute scheinen selbst die banalsten Benimmregeln nicht mehr zu beherrschen. Sind nicht mehr schick, sind angeblich nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen gilt man schnell als reaktionärer Hinterwäldler, wenn man traditionelle Werte hochhält. Deshalb heute Morgen ein kleines Plädoyer für drei vermeintlich alte, in Wahrheit aber sehr moderne Tugenden:

Erstens wünsche ich mir mehr Anstand. Wer anständig ist, der bereichert sich nicht auf Kosten anderer und nutzt auch nicht das Elend von Schwächeren aus. Der hinterzieht keine Steuern und betrügt seine Kunden nicht, indem er zum Beispiel Schummel-Software in Autos einbaut oder faule Immobilienkredite verhökert. Zum Anstand gehört aber auch der Stil, wie man in der Öffentlichkeit auftritt: respektvoll, höflich, besser noch zuvorkommend. Man lässt andere ausreden. Man nimmt sich nicht das letzte Stück Kuchen, sondern bietet es anderen an. Man hält anderen die Tür auf, selbst wenn man einander nicht kennt. Man kleidet sich anständig. Trainingsanzüge gehören in die Turnhalle, nicht in die Straßenbahn. Man spricht nicht herablassend über andere Menschen, schon gar nicht über ganze soziale Gruppen. "Die Migranten" oder "die Muslime" oder gar "die Frauen" sind keine Schimpfworte. Menschen sind zuallererst Individuen mit individueller Herkunft, mit Wünschen, Zielen, guten und schlechten Eigenschaften. Sie sind nicht "die da". Das ändert sich auch dann nicht, wenn jemand das Gegenteil behauptet, der gerade im Bundestag oder im Weißen Haus sitzt und sein Amt dazu missbraucht, Schwächere zu beschimpfen.

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Zweitens wünsche ich mir mehr Aufrichtigkeit. Diese schöne Tugend lässt uns überall glänzen: im Alltag, in der Familie, im Beruf, auch in der Politik. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man am weitesten kommt, wenn man ehrlich ist und auch eigene Fehler eingesteht. Nicht alle, aber viele Menschen haben ein feines Gespür dafür, wann jemand authentisch auftritt – und wann man ihnen etwas vormacht. Nähme beispielsweise ein Verkehrsminister, der die Steuerzahler um eine halbe Milliarde Euro gebracht hat, diese Tugend ernst, wäre er längst zurückgetreten, statt sich mit Ausflüchten über die Monate zu retten. So aber fügt er nicht nur seinem Ruf und seiner Partei, sondern auch dem Ansehen der Politik insgesamt Schaden zu. Die da oben machen, was sie wollen, denen geht es doch nur um ihre Karriere: Das ist das Zerrbild, das Andreas Scheuer mit jedem Tag, an dem er auf seinem Ministersessel klebt, aufs Neue bestätigt. Legte wiederum sein Parteichef Wert auf Aufrichtigkeit, würde er seinen alten Rivalen nicht anschießen, indem er eine Verjüngung von Merkels Kabinett fordert – ohne sich zu trauen, Horst Seehofers Namen zu nennen. Er würde stattdessen ein ausführliches Vieraugengespräch mit Seehofer suchen, um diesem zu erklären, dass seine beste Zeit hinter ihm liegt und Deutschland mehr Elan und neue Ideen braucht. Stattdessen setzt Markus Söder wieder einmal auf taktische Spielchen. Das ist unredlich.

Drittens wünsche ich mir Mäßigung. Damit bin ich beileibe nicht der Erste, schon Aristoteles zählte sie zu den sieben Tugenden. Aber heute ist sie nötiger denn je: in der Weltpolitik genauso wie in unserem Alltag. Beim Shopping (brauchen wir den fünften Pullover wirklich oder kaufen wir ihn nur, weil uns gerade langweilig ist?), beim Essen und Trinken (kennt jeder, erst recht nach Weihnachten), aber warum nicht auch beim CO2-Ausstoß? Muss der Städtetrip nach London wirklich sein? Der Urlaub in Amerika? Mal eben für ein einziges Meeting mit dem Flieger von Berlin nach Köln? Müssen wir jeden Samstag mit dem Auto zum Supermarkt fahren, weil es halt bequemer ist als mit dem Fahrrad? Brauchen wir jeden Tag Fleisch auf dem Teller, obwohl die Massentierhaltung auf Kosten der Tiere und des Klimas geht? Brauchen wir echt alle zwei Jahre ein neues Smartphone, vollgestopft mit teuren Chips und seltenen Metallen, und das neueste Turnschuh-Modell, brauchen wir das auch, weil die Werbung uns einflüstert, dass wir es unbedingt brauchen, obwohl die beiden alten Paare noch im Schrank stehen?

Wäre es hier und jetzt, zu Beginn des Jahres 2020, in dem die meisten Menschen endlich begriffen haben, dass wir längst über unsere Verhältnisse leben und so nicht weitermachen können, wenn wir diesen Planeten nicht vollends ruinieren wollen, wäre es da nicht an der Zeit, dass wir uns vornehmen, Maß zu halten, wenigstens ein bisschen, aber eben: jede und jeder einzelne von uns? Die Antwort kann ich Ihnen nicht abnehmen, die müssen sie sich selbst geben. Aber was anständig und maßvoll wäre, ist nicht allzu schwer zu erkennen, meine ich. Zumindest wenn man aufrichtig ist und sich nichts vormacht.


WAS STEHT AN?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ehrt heute auf dem Neujahrsempfang im Schloss Bellevue engagierte Bürger.

In Paris rufen die Gewerkschaften zu neuen Massenprotesten gegen die geplante Rentenreform auf.

In Budapest stellt sich der ungarische Regierungschef Viktor Orban den kritischen Fragen der Weltpresse zu den Themen Europa und Migration.

Im Unterhaus in London soll das Gesetzgebungsverfahren zur Ratifizierung des Brexit-Abkommens abgeschlossen werden. Stimmt dann auch noch das Oberhaus zu, kann Großbritannien am 31. Januar die EU verlassen.

In Berlin gilt "Clärchens Ballhaus" als Kultlokal, auch weil man dort entspannt dem Paartanz frönen kann. Nun haben die Besitzer gewechselt, diese Woche findet vorerst der letzte Schwoof statt. Hoffentlich sind die neuen Eigentümer so klug, den Charme dieser Institution zu erhalten.


Für die deutschen Handballer geht das neue Jahr erst jetzt richtig los: Die EM beginnt. Meine Sport-Kollegen haben Ihnen dafür ein umfangreiches Programm zusammengestellt: Auf unserer Handball-Seite finden Sie Liveticker, Interviews mit DHB-Größen wie Uwe Gensheimer und Paul Drux, den Spielplan zum Ausdrucken und einen Überblick über alle Spielstätten. Außerdem zeigen wir Ihnen alle Highlights der deutschen Spiele als Videos: Eine Stunde nach Spielschluss sehen Sie in den Spielzusammenfassungen auf t-online.de die besten Tore, stärksten Würfe und brisantesten Szenen. Unser Reporter Cian Hartung liefert dazu Analysen und Berichte vom deutschen Team.


WAS LESEN?

Autos mit Verbrennungsmotor sind klimaschädlich, aber auch der Elektromotor ist wegen der aufwendigen Batterieherstellung kaum besser. Die Hersteller stecken deshalb in der Klemme: Sie brauchen neue Produkte, mit denen sich sowohl Autoliebhaber als auch die Generation von Greta Thunberg anfreunden könnte. Doch statt sich voll auf neue Lösungen zu konzentrieren, verlegt sich Daimler aufs Träumen: Auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas stellte der Konzern sein Konzeptauto "Mercedes Vision AVTR" vor. Das Gefährt sieht aus wie eine Kreuzung aus Silberpfeil und Roboter-Rochen, das Steuerelement spürt Atmung und Puls des Fahrers, die Sitze sind mit veganem Leder überzogen, die Inneneinrichtung aus schnell nachwachsendem Holz, die Batterie soll aus komplett kompostierbaren Materialien bestehen und ohne seltene Erden auskommen. Toll. Es gibt nur ein klitzekleines Problem: Dieses Auto existiert nur in der Fantasie von Hollywood-Größen und Designern. Es ist ausgedacht, nichts daran ist real oder in Serie umsetzbar. Noch deutlicher hätten uns die deutschen Autobauer ihr Versagen der vergangenen Jahre nicht demonstrieren können, kommentiert unser Reporter Jan Mölleken aus Las Vegas.


In Australien lodern die Flammen – trotzdem soll dort morgen das Spaßspektakel Dschungelcamp beginnen. Einige Politiker und Promis fordern nun, den Klamauk abzusagen. Das wäre blanker Unsinn, kommentiert mein Kollege Steven Sowa. Stattdessen sollte RTL etwas ganz anderes tun.


WAS AMÜSIERT MICH?

Manchmal können die Kleinen Wahrheiten besser aussprechen als die Großen.

Ich wünsche Ihnen einen aufrichtigen Tag. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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