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Ghislaine Maxwell und sexueller Missbrauch: das Gesicht des Grauens


Was heute wichtig ist
Ghislaine Maxwell: das Gesicht des Grauens

MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 14.07.2020Lesedauer: 8 Min.
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Ghislaine Maxwell 2003 in New York.Vergrößern des Bildes
Ghislaine Maxwell 2003 in New York. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier kommt der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Sie ist auf diesem Bild 41 Jahre alt. Sie trägt dunkelbraunes Haar, einen Pony mit leichtem Seitenscheitel. Sie hat braune Augen, ein warmes Lächeln und sympathische Lachfalten. Ihre Lippen sind zart geschminkt.

Das Gesicht, mit dem sie über Jahre das Vertrauen junger Mädchen gewonnen hat.

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Maxwell hat sich mit ihnen angefreundet, sie eingeladen – offen mit ihnen über sexuelle Themen gesprochen, um sie anschließend ihrem Partner Jeffrey Epstein zum Fraß vorzuwerfen, sie missbrauchen zu lassen oder sich selbst an ihnen zu vergehen.

Das besagt zumindest die Anklage, die sich auf zahlreiche Zeugen stützt.

Braune Haare, braune Augen, Lächeln: Es ist offenbar das Gesicht des Grauens.

Durch ihre Anwesenheit bei den sexuellen Machenschaften Epsteins habe Maxwell diese "normal" erscheinen lassen für Mädchen, deren Leben die beiden damit zerstört hätten, so der Vorwurf. Mädchen, die vielleicht gerade 14 Jahre jung waren.

In einer Netflix-Dokumentation bezeichneten verschiedene Opfer das Gebilde, welches Epstein und Maxwell aufgebaut haben sollen, als Schneeballsystem. Ein Schneeballsystem für den Missbrauch junger Mädchen. Epstein soll ihnen demnach für eine "Massage" 200 Dollar gegeben haben – und die gleiche Summe, wenn sie ihm ein weiteres Mädchen vermittelten. Eine Freundin oder Schwester vielleicht.

Über Jahre sollen sie damit durchgekommen sein, bis Epstein im vergangenen Sommer wegen Sexualverbrechen angeklagt wurde und kurz darauf im Gefängnis starb, laut Obduktionsbericht durch Suizid. Maxwell dagegen sitzt seit der vergangenen Woche im Gefängnis in New York, nachdem sie sich rund ein Jahr erfolgreich in einem Eine-Million-Dollar-Anwesen in der Natur im Örtchen Bradford im nordöstlichen US-Bundesstaat New Hampshire vor dem FBI versteckt gehalten hatte.


WAS STEHT AN?

Heute um 19 Uhr MESZ soll Ghislaine Maxwell in New York vor Gericht offiziell die Anklage vorgelesen und über eine mögliche Freilassung gegen eine Kaution von fünf Millionen Dollar entschieden werden. Sechs Anklagepunkte werden ihr auf 17 Seiten vorgehalten, darunter Verführung Minderjähriger zu illegalen Sexhandlungen und Meineid. Auf die Anklagepunkte stehen jeweils Höchststrafen von fünf bis zehn Jahren im Gefängnis. Das könnte insgesamt auf rund 35 Jahre hinauslaufen und würde für die 58-jährige Frau lebenslänglich bedeuten.

Damit sie sich nicht auch das Leben nimmt, wird sie im Metropolitan Detention Center in Brooklyn rund um die Uhr überwacht, sie darf nur ohne Bettlaken schlafen und angeblich statt der üblichen Gefängniskleidung nur Hose und Hemd aus Papier tragen.

Der Fall an sich ist eigentlich brisant genug, er könnte jedoch noch weiter an Dramatik gewinnen. Maxwell und Epstein sollen auch Freunden und Bekannten junge Mädchen zugeführt und angeblich alles in einem kleinen schwarzen Notizbuch vermerkt haben. Angeblich gibt es auch Videomaterial, das allerdings verschwunden sein soll.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Maxwell alles weiß und ein Netzwerk von Mächtigen und Wohlhabenden aufdecken könnte, die Sexualstraftaten begangen haben. Epstein und Maxwell waren befreundet mit dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton und dem aktuellen Präsidenten Donald Trump.

Beide distanzierten sich von Epstein, doch Maxwell machte ihn auch mit Prinz Andrew bekannt, dem zweiten Sohn der britischen Königin Elizabeth II. Der wurde früher wegen seiner Flirts von der britischen Presse "Randy Andy" (geiler Andy) genannt und soll wohl ebenfalls in den Missbrauchsskandal verwickelt sein. Eine Frau behauptet, dass er sie als Minderjährige missbraucht habe. Seitdem hat sich der 60-Jährige in einem BBC-Interview um Kopf und Kragen geredet und daraufhin seine royalen Pflichten aufgegeben und sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Er ist nicht der Einzige, der nun womöglich vor dem zittert, was Maxwell preisgeben könnte, um sich selbst vor einem lebenslänglichen Gefängnisaufenthalt zu schützen. Das Netzwerk offenzulegen, wäre das einzig Positive, was das Gesicht des Grauens noch tun könnte.


Stellen Sie sich vor, wie Armin Laschet zunächst auf einem Schiff gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zur größten Insel auf dem Chiemsee in Bayern schippert, anschließend auf eine Kutsche klettert und zum Schloss Herrenchiemsee gefahren wird, um dann im Spiegelsaal zu konferieren.

Schwer vorstellbar?

Probieren Sie es mit Friedrich Merz und Angela Merkel.

Passt nicht?

Norbert Röttgen? Auch nicht?

Dann stellen Sie sich Markus Söder mit der Kanzlerin vor. Die beiden Gewinner des bisherigen Corona-Krisenmanagements, die über weite Strecken solch ein gutes Team abgaben, im Sonnenschein? Das wirkt schon eher realistisch, oder? Und wird heute tatsächlich aller Voraussicht nach herrliche Bilder ergeben. Merkel nimmt zum ersten Mal überhaupt in ihrer Amtszeit an einer Sitzung des bayerischen Kabinetts teil. Söder hat sie eingeladen. Im wunderschönen Spiegelsaal des Schlosses Herrenchiemsee wird um 12 Uhr getagt, zuvor bestreiten Merkel und Söder eine Schifffahrt und lassen sich anschließend in einer Kutsche zum Schloss bringen. Das bleibt aufgrund des hohen Besuchs den ganzen Tag über für Touristen geschlossen.

Es handelt sich – natürlich – um ein Arbeitstreffen. Es soll um die EU-Ratspräsidentschaft gehen, vielleicht um die Folgen der Corona-Krise. Nicht jedoch um die Frage, ob Söder in der aktuellen Situation nicht nur eine Schiff- oder Kutschfahrt besser bewältigen würde als Laschet oder Merz, sondern ob er ihnen letztlich auch den Rang als Kanzlerkandidat der Union abläuft.

Weil Laschet sich mit seinem Krisenmanagement schon mehrfach verzettelt hat, Merz ohne ein wichtiges politisches Amt seit Wochen unter dem Radar fliegt und Röttgen als chancenlos gilt, steht Söder vor der Chance seines Lebens. Er könnte nicht nur Kanzlerkandidat der Union werden statt einer der Bewerber um den CDU-Vorsitz, sondern auch der erste CSU-Kanzler der Bundesrepublik.

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Im Interesse der CDU ist das normalerweise nicht. Aber: Bei der Bewältigung der Corona-Krise war Söder einer der Ministerpräsidenten, der der Kanzlerin in seinem Ansinnen am nächsten war. Er hat sich bundesweit mit seinen klaren Ansagen und seinem resoluten Vorgehen Respekt und Ansehen verschafft. Dazu half ihm Glück: Ausgerechnet Söder durfte neben der Kanzlerin neue Maßnahmen gegen die Pandemie verkünden, weil Bayern turnusgemäß den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz innehatte.

Das hat dazu geführt, dass Söder Umfragen zufolge die mit Abstand größten Chancen hat, einen möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz sowie einen Grünen-Spitzenkandidaten Robert Habeck zu schlagen und die Nachfolge von Merkel anzutreten, die selbst bei einer zweiten Corona-Welle auf keinen Fall eine weitere Amtszeit in Erwägung ziehen würde.

Für Söder hat die Situation nur einen Haken: Jetzt ist er nicht mehr der Außenseiter, der Herausforderer, der Jäger, der sich im Hintergrund hält ("Mein Platz ist in Bayern") und wartet, bis sich die anderen Kandidaten selbst aus dem Rennen nehmen. Der sich mit ein paar cleveren Aussagen (sinngemäß: "Nur wer Krisen meistert, kann auch Kanzlerkandidat") an der Konkurrenz vorbeischiebt.

Die Situation für Söder hat sich grundlegend geändert. Niemand nimmt ihm mehr ab, nicht Kanzler werden zu wollen. Künftig ist er ein ernsthafter Kandidat für die Kanzlerkandidatur der Union. Er steht in der ersten Reihe und unter Druck. Er darf sich in einem halben Jahr keinen Fehler erlauben, keinen unglücklichen Spruch, keine falsche Entscheidung oder Geste, keine fehlgeleitete Lästerei. Kann Söder auch Favorit? Alle Augen sind in den nächsten sechs Monaten auf ihn gerichtet – das beginnt bei seiner heutigen Kutschfahrt mit der Kanzlerin. Und bei aller Lobhudelei: Der Weg ins Kanzleramt ist für Söder immer noch weit – an Hürden mangelt es für einen CSU-Bewerber ohnehin nicht.


In Frankreich ist heute Nationalfeiertag. Die traditionelle Militärparade auf der Avenue des Champs-Élysées fällt zwar wegen der Corona-Krise aus. Eine militärische Feier auf der Place de la Concorde wird es aber zumindest geben. Dabei sollen auch Krankenhaus- und Pflegekräfte geehrt werden, die sich im Kampf gegen Corona verdient gemacht haben. Ehrengäste sind Deutschland, Österreich, Luxemburg und die Schweiz – Länder also, die im Frühjahr Patienten aus Ostfrankreich übernommen hatten, das von der Pandemie hart getroffen worden war. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet werden erwartet. Anschließend wird im französischen Fernsehen ein Interview mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron ausgestrahlt, in dem es auch um die jüngste Kabinettsumbildung gehen soll.


In den USA erscheint heute das Enthüllungsbuch von Präsidentennichte Mary Trump. Titel: "Zu viel und nie genug: Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf". In der Beschreibung des Verlags Simon & Schuster heißt es, Mary Trump zeichne ein "Porträt von Donald J. Trump und der toxischen Familie", die ihn zu dem gemacht habe, was er heute sei. Die große Frage: Wird das Buch Trump schaden?


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Fakt ist: Für Donald Trump läuft es derzeit nicht sonderlich gut – unabhängig von Enthüllungsbüchern. Vor allem die steigenden Corona-Zahlen machen dem Präsidenten zu schaffen und gefährden seine Wiederwahl im November. Weil er Zahlen nicht kontrollieren kann, geht er nun offenbar gegen den Mann vor, der sie im Auftrag der Regierung in der Öffentlichkeit bewertet und einordnet: den langjährigen Gesundheitsexperten Anthony Fauci. Mit Methoden, die eigentlich gegen politische Gegner eingesetzt werden, versucht Trump, seinen eigenen Experten zu demontieren. Wie, das erklärt hier mein Kollege Johannes Bebermeier.


Dieses Urteil spaltet Sport- und Fußball-Fans. Der englische Spitzenklub Manchester City war vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS gezogen, um eine zweijährige Sperre für den Europapokal anzufechten. Die hatte die Uefa aufgrund diverser Verstöße gegen das Reglement "Financial Fairplay" verhängt. Der Klub soll Zahlungen von Besitzer Scheich Mansour als Sponsoreneinnahmen deklariert haben. Der Cas sah das jedoch als nicht erwiesen an und kippte das Urteil.

Nun sagen die einen, wie beispielsweise mein Kollege Robert Hiersemann: Das Urteil ist eine Farce und sendet das Zeichen, dass Klubs und Investoren machen können, was sie wollen – ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Andere sagen: gut, dass die Sperre aufgehoben und Unheil vom Fußball abgewendet wurde. Denn der Fußball hat gerade andere Probleme.


In Ländern wie Israel oder Kroatien ist sie schon da: die zweite Welle der Corona-Pandemie. Aber wo steht Deutschland? Der Epidemiologe Markus Scholz hat das im Interview mit meiner Kollegin Nicole Sagener aus seiner Sicht erklärt. Er sagt: "Zurzeit steht die Entwicklung der Pandemie durch die Lockerungen auf der Kippe, es kann jederzeit eine zweite Welle entstehen." Um ein Haar wäre die zweite Welle auch schon da gewesen. Laut Scholz hätte der lokale Ausbruch bei Fleischfabrikant Clemens Tönnies dazu führen können. Das zeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns nach wie vor befinden.


Am Sonntag hat der UN-Sicherheitsrat endlich beschlossen, dass weiterhin humanitäre Güter in den Norden Syriens transportiert werden dürfen. Für 2,8 Millionen Syrer ist das überlebenswichtig. Allerdings konnten die Konvois früher über vier, später nur noch über zwei Grenzübergänge fahren. Von nun an wird es nur noch ein Übergang sein. Warum? Weil Russland das so will. "Russland triumphiert darüber", wie unser Kolumnist Gerhard Spörl schreibt. Er urteilt: "Russlands Auftreten auf dem Parkett der Weltpolitik wird immer aggressiver. Während der Westen oft nur zuschaut, weitet der Kreml seinen Einfluss weiter aus." Er denkt dabei an Kriege, Auftragsmorde und Kopfgelder.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die eindringliche Warnung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist bei den Urlaubern angekommen – oder doch nicht?

Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag. Morgen schreibt mein Kollege Peter Schink an dieser Stelle für Sie.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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