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Türkisch-griechischer Gaskonflikt: Im Mittelmeer braut sich was zusammen


Was heute wichtig ist
Die Kriegsgefahr wächst

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 27.08.2020Lesedauer: 6 Min.
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Griechenland hat im Mittelmeer demonstrativ ein Manöver gestartet.Vergrößern des Bildes
Griechenland hat im Mittelmeer demonstrativ ein Manöver gestartet. (Quelle: Greek National Defense/ap-bilder)

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WAS WAR?

Der Sommer ist eine schöne Zeit an Griechenlands Gestaden, doch nicht allen Flugzeugen, die dort gegenwärtig eintreffen, entsteigen sonnenhungrige Touristen. Aus den Vereinigten Arabischen Emiraten donnern F-16-Kampfjets für gemeinsame Übungen mit der griechischen Luftwaffe heran. Auch Frankreich hat Flugzeuge und Schiffe geschickt, um den Griechen beizustehen. Es geht hoch her da unten im Mittelmeer. Der gemeinsame Gegner – die Türkei – lässt Kampfpiloten den Ernstfall üben und Kriegsschiffe durch umstrittene Gewässer schippern, begleitet von einem Sperrfeuer martialischer Rhetorik. Fast alle Staaten der Region sind in irgendeiner Form in den Konflikt verstrickt, der immer gefährlicher wird.

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Der Streit dreht sich um eine schlichte Frage: Wem gehört was vom Mittelmeer? Das Grundprinzip des Seerechts ist einfach – ein Staat hat Anrecht auf das Gebiet vor seiner Küste. Doch damit hört die Klarheit schon auf. Wenn hier einer eine lange Küste hat, dann wir!, tönt es aus Ankara. Doch die Sache hat einen Haken: Bis dicht vor das türkische Festland erstreckt sich die griechische Inselwelt. Das Meer dort gehört uns!, schallt es deshalb aus Athen zurück, ganz egal, wie klein die Insel ist! Für den türkischen Landkoloss bliebe nach dieser Logik nur eine bessere Badewanne übrig. Das ist vertrackt, trotzdem könnten die Streithähne ja einfach darüber verhandeln und einen Kompromiss finden. Geht ja nur um Wasser. Stattdessen rasseln sie mit dem Säbel. Geht nämlich in Wahrheit keinesfalls nur um Wasser.

Denn unter den Wogen ist mächtig was zu holen: Im ägyptischen Teil des östlichen Mittelmeers lagern riesige Gasvorkommen, nebenan in den israelischen und zypriotischen Gewässern liegt noch mehr davon. Europäische Konzerne wie der französische Energieriese Total verdienen kräftig daran. Außen vor aber: die Türkei. Mit Herrn Erdogan will keiner der Nachbarn zusammenarbeiten. Wenn Ankara am Gas verdienen will, soll es gefälligst selbst welches suchen! Misslich ist allerdings, dass niemand den türkischen Anspruch auf einen Teil des Meeres anerkennen will. Nur ein einziger Staat am südlichen Mittelmeerrand fand sich zu einem zweifelhaften Deal bereit: Libyen. Die Regierung des Bürgerkriegslandes war dringend auf militärische Hilfe angewiesen, um sich des Warlords Chalifa Haftar zu erwehren – und die Türkei half prompt. Herr Erdogan schickte Soldaten, also unterschrieb die libysche Regierung fix ein Abkommen, das die See einvernehmlich zwischen beiden Ländern aufteilt. Leider liegen griechische Mini-Inseln mittendrin.

Klar, dass das Ärger gibt. Griechenlands Regierung ging auf die Barrikaden, aber auch die Unterstützer des libyschen Warlords, dem der Sieg nun entglitten ist, haben die Nase voll. Der Feind meines Feindes ist mein Freund: So muss man es wohl bewerten, dass die Vereinigten Arabischen Emirate nun mit den Griechen das Kampffliegen üben. Aber auch Frankreich und Italien lassen vor der Nase der türkischen Marine ihre Kanonenboote kreuzen. Ägypten wiederum hat mit den Griechen in einem Abkommen besiegelt, wem was im Mittelmeer gehören soll – und ganz bestimmt nicht der Türkei.

Nicht ganz einfach, diese Geschichte, ich weiß. Aber man sollte diese Hintergründe kennen, um Herrn Erdogans Provokationen einzuordnen: die markigen Sprüche, die Probebohrungen nach Gas in umstrittenen Gewässern, das Drohen mit neuen Flüchtlingswellen, die Kriegsschiffe auf Kollisionskurs. In Wahrheit ist seine Stärke nur vorgetäuscht, tatsächlich ist es einsam um ihn geworden. Rings um die Türkei haben sich Allianzen gebildet, die den säbelrasselnden Sultan in die Schranken weisen – was den Präsidenten zu noch lauterem Wüten anstachelt: Die Türkei werde sich nehmen, was ihr zustehe, wetterte er gestern. Er sei entschlossen, politisch, wirtschaftlich und auch militärisch alles zu tun, was dafür nötig sei.

Eine Schießerei oder gar ein Krieg im Mittelmeer? Nicht mehr auszuschließen – und zugleich das Letzte, was man in dieser angespannten Region braucht. "Jeder noch so kleine Zündfunke kann zu einer Katastrophe führen", warnt Heiko Maas (SPD). Deshalb ist es gut, dass sich Deutschlands Diplomaten nicht von der erfolglosen Vermittlungsmission des Außenministers entmutigen lassen und weiter mit Hochdruck versuchen, den Konflikt zu entschärfen. Denn wenn da unten erst einmal die Kugeln fliegen, haben auch wir hier oben ganz schnell ein Problem.


WAS STEHT AN?

Deutschland brauche dringend Klarheit bei den Corona-Regeln, schrieb ich gestern. Umso gespannter dürfen wir sein, worauf Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ministerpräsidenten in ihrer Videokonferenz ab 11 Uhr verpflichten kann. Wie zu hören ist, will sie die Infektionszahlen stark senken, was sich wohl nur mit schärferen Vorschriften für die Bürger schaffen ließe. Vielleicht schafft sie das ja. Aber nicht nur die Hygieneregeln sind wichtig. Wir sollten das Corona-Hilfspaket nutzen, um Deutschland jetzt endlich zu modernisieren, findet mein Kollege Sven Böll.


Die Lage ist glasklar: Gewinnt Joe Biden die Wahl, wird er Amerika den Chinesen ausliefern, den Bürgern den Waffenbesitz verbieten, Öl und Gas abschaffen und auch sonst ganz viel schreckliches Unheil anrichten. Sagt Donald Trump. Wobei ihm schnurzpiepegal ist, dass Herr Biden nie dergleichen gefordert hat. Aus fast 8.000 Kilometern Entfernung blicken wir mit Kopfschütteln auf den Zirkus am anderen Ufer des großen Teichs: Was ist nur aus dem einst so bewunderten, stolzen Amerika geworden? Ein krass gespaltenes Land, in dem ein notorischer Lügner, Betrüger und Aufschneider im Weißen Haus tun und lassen kann, was er will – und nun darauf hofft, seinen Rückstand in den Wahlumfragen aufzuholen. Die Republikanische Partei (oder das, was von ihr noch übrig ist), hat sich devot dem großen Zampano unterworfen, wenngleich die meisten ihrer Vertreter sich zu schade sind, auf dem Nominierungsparteitag vors Mikrofon zu treten. Gewissenlosigkeit und Feigheit gehen Hand in Hand. Deshalb dürfen vor allem diverse Herrschaften aus dem Trumpschen Familienclan und Subalterne den Big Boss hochleben lassen, was mitunter skurrile Formen annimmt. Auch Vizepräsident Mike Pence hat da vergangene Nacht keine Ausnahme gemacht, er kuscht genauso vor dem Chef wie alle anderen (vielleicht mag er ja insgeheim seine eigene Präsidentschaftskandidatur in vier Jahren vorbereiten). Was Herr Trump in seiner offiziellen Rede zur Annahme der Nominierung heute auf dem Rasen vor dem Weißen Haus zum Besten geben wird? Sie ahnen es. Falls nicht: Lesen Sie diesen Absatz einfach noch mal von vorn.

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Im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft will die Bundesregierung ab heute versuchen, dem Europaparlament das Corona-Wiederaufbauprogramm der Staats- und Regierungschefs zu verklickern. 750 Milliarden Euro sollen die gebeutelten Mitgliedsländer erhalten, hinzu kommt der Haushaltsfinanzrahmen von mehr als einer Billion Euro bis 2027. Beiden Riesenposten will das Parlament nur dann zustimmen, wenn es für Klimaschutz, Bildung und Digitalisierung mehr Geld bekommt – wofür an anderer Stelle zu kürzen wäre. Das Feilschen wird wohl Wochen dauern.


Stuttgart hat viele große Geister hervorgebracht, und einer der größten wurde heute vor 250 Jahren geboren: Georg Wilhelm Friedrich Hegel schrieb die "Phänomenologie des Geistes" und andere Meilensteine der philosophischen Literatur. Auch in Corona-Zeiten kann uns sein Werk eine ganze Menge lehren, wie wir im Deutschlandfunk erfahren. Leider behandelt die Stuttgarter Stadtverwaltung das Jubiläum ihres großen Sohnes eher stiefmütterlich, aber immerhin das Hegel-Haus wird heute mit einer großen Multimedia-Ausstellung wiedereröffnet.


New York wurde schwer vom Coronavirus getroffen, doch inzwischen hat es das Schlimmste hinter sich, das Leben beginnt wieder zu brummen. Heute öffnet das Museum of Modern Art nach sechsmonatiger Schließung wieder seine Türen. Ich finde das toll.


ZITAT DES TAGES

"Ganz offensichtlich braucht Angela Merkel die Unterstützung der Bevölkerung, sie braucht politischen Druck, sonst wird sie keine unbequemen Entscheidungen treffen."

Klimaaktivistin Greta Thunberg im Interview mit der "Zeit".


WAS LESEN?

"Wir brauchen null Emissionen. Null!", fordert auch der deutsche Klimaforscher Anders Levermann. In nur drei Jahrzehnten müsse die Energieversorgung der ganzen Welt umgebaut werden, um die Lebensbedingungen auf unserem Planeten stabil zu erhalten. Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erklärt er, wie das gelingen kann.


Die aktuellen Corona-Zahlen sind beunruhigend: Quer durch die Bundesrepublik infizieren sich wieder deutlich mehr Menschen mit dem Virus, und die Labore kommen mit dem Testen nicht mehr nach. Meine Kollegin Laura Stresing hat sich die jüngsten Daten angesehen und meint: Es ist höchste Zeit, nachzusteuern – aber es gibt auch Grund zur Hoffnung.


Durch Deutschland rasen pfeilschnelle ICE – und nebendran bummeln Züge mit Technik aus dem Jahr 1861. So wird der Bahnverkehr ausgebremst. Das ginge viel besser, berichtet mein Kollege Lars Wienand. Doch dafür müsste Verkehrsminister Andreas Scheuer Gas geben.


WAS AMÜSIERT MICH?

Berlin hat die geplante Corona-Demonstration am Wochenende verbotenRechtsextreme und Corona-Leugner wollen trotzdem protestieren. Wie das wohl aussehen wird?

Ich wünsche Ihnen einen entspannten Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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