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Coronavirus in Bayern: Unbehagen mit Politik von Markus Söder wächst


Was heute wichtig ist
Unbehagen mit Söders Corona-Politik wächst

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 22.09.2020Lesedauer: 7 Min.
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Markus Söder wird nachgesagt, er wäre gern König von Deutschland (oder wenigstens Kanzler).Vergrößern des Bildes
Markus Söder wird nachgesagt, er wäre gern König von Deutschland (oder wenigstens Kanzler). (Quelle: Sven Hoppe/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Der bayerische Löwe ist ein stolzes Tier. Herrscht gerne, brüllt gerne, klettert gerne auf den höchsten Ast und hält sich gelegentlich für etwas Besseres. Keine deutsche Partei schöpft ihren Machtanspruch so selbstverständlich aus regionalem Selbstbewusstsein wie die CSU in Bayern. Ihre Erfolge sind ebenso legendär wie der Stolz ihrer Landesfürsten. Die Altvorderen Goppel, Strauß und Stoiber führten ihre Heimat aus dem Agrar- ins Industrie- und dann ins Hightech-Zeitalter. Wer Bayern das am besten gemanagte Bundesland Deutschlands nennt, wird wenig Widerspruch ernten.

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Doch wer lange erfolgreich ist, der neigt irgendwann zur Trägheit und verliert die Bodenhaftung. So übersahen die CSU-Granden, dass immer mehr Bürger bezahlbare Wohnungen, eine intakte Natur und weniger statt mehr Beton für erstrebenswerter hielten als das permanente Höher, Schneller, Weiter. Bei den letzten Bundestags- und Landtagswahlen hagelte es Tiefschläge. Sicher, im Kampf gegen Corona schließen sich nun viele Reihen wieder; davon profitiert auch die CSU (wie in Krisen eben immer die Regierenden profitieren). Doch ob der Trend bis zur nächsten Bundestagswahl in einem Jahr anhält oder sich als Strohfeuer entpuppt, ist ungewiss.

Wer nach den Gründen für die gegenwärtige Schwäche des bayerischen Löwen sucht, der wird nicht nur im Süden fündig, sondern auch in Berlin. Die CSU-Vertreter im Bundeskabinett ähneln eher Mieze- als Raubkatzen:

Innenminister Horst Seehofer wirkt nicht nur in den Augen seiner Gegner überfordert. Interviews nimmt er gern zum Anlass, seinen Abschied aus der Politik in leuchtenden Farben auszumalen. Ob im Ministeramt, im Bundestag oder auf Ortsterminen: Seine Lustlosigkeit ist mit Händen zu greifen; er behindert mehr als er gestaltet. Seine Reaktion auf Rassismusvorwürfe in der Polizei ist nur eine von vielen Merkwürdigkeiten.

Verkehrsminister Andreas Scheuer hat das Mautdebakel zu verantworten und den Steuerzahlern womöglich Hunderte Millionen Euro an Schaden eingebrockt. Er gilt in Berlin als abgemeldet und darf sein Ministerium wohl nur deshalb weiter als Austragsstüberl nutzen, weil niemand anderes seinen Job übernehmen und den Augiasstall ausmisten möchte.

Entwicklungsminister Gerd Müller hat jahrelang versucht, deutsche Unternehmen zu fairer Produktion im Ausland zu verpflichten und Migrationskrisen dort zu lösen, wo sie entstehen, statt sich nur mit den Symptomen herumzuschlagen. Jedoch musste er lernen, dass seine Ideen bei den eigenen Leuten auf wenig Begeisterung stießen. Schließlich hat er entnervt aufgegeben, zur nächsten Bundestagswahl verlässt er die Politik. So bleibt auch er ein Unvollendeter.

Dorothee Bär, Staatsministerin für, Moment, ich sehe noch mal nach, ah ja: Digitales, twittert aus dem Kanzleramt fröhlich dies und das, während sie nachhaltige Konzepte und wegweisende Impulse vermissen lässt. So läuft das wichtigste Zukunftsthema für Deutschlands Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur weiterhin irgendwo unter ferner liefen.

Und der Chef? Markus Söder erfreut sich in Umfragen zwar immer noch großer Zustimmung; fast 58 Prozent der Bayern sind zufrieden mit seiner Arbeit. Doch seit einigen Wochen sinkt der Wert, der Glanz beginnt zu verblassen. Nicht nur in Bayern wächst das Unbehagen mit seiner Corona-Politik: Einerseits inszeniert sich Söder publicityträchtig als Virus-Chefbekämpfer, andererseits häufen sich unter seine Regentschaft die Fehler und Ungereimtheiten. Die Massentests wurden zwar großspurig angekündigt, funktionierten aber wochenlang nicht zuverlässig. Das Oktoberfest in München fällt aus – aber viele kleine Ersatzfeste in Städten und Dörfern dürfen stattfinden, obwohl die Infektionszahlen in Bayern wieder steigen. Nun stellt der Ministerpräsident auch noch wohlwollende Gedankenspiele über Weihnachtsmärkte an, während noch völlig unklar ist, wie die Lage an der Pandemiefront im Winter ausschauen wird.

In der Staatskanzlei in München hat man inzwischen gemerkt, dass diese mäandernde Politik bei immer mehr Bürgern auf Unverständnis stößt. Hektik macht sich breit, Termine werden kurzfristig abgesagt. Heute Nachmittag will die Landesregierung neue Corona-Regeln verkünden, darunter womöglich auch eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen. Die Widersprüchlichkeit beeinflusst auch das große Planspiel, wer in einem Jahr Angela Merkel nachfolgen kann. Markus Söder hat die Messlatte selbst am höchsten gelegt, indem er auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit dekretierte, ein Kanzlerkandidat müsse sich zuvor in der Corona-Krise bewährt haben: "Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen." Und: "Wenn wir jetzt in dieser Corona-Krise versagen würden, hätten wir keinen moralischen Führungsanspruch."

Angesichts der jüngsten Corona-Entwicklung in Bayern stellt sich nun mancher in der CSU die Frage, ob der Löwe da womöglich zu laut gebrüllt hat. Wer auf den höchsten Ast klettert, der fällt umso tiefer, wenn der Ast bricht. Passiert sogar den stolzesten Häuptern.


WAS STEHT AN?

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" ist ein sperriger Begriff aus dem Völkerstrafrecht. Fast zu abstrakt für das Grauen, das sich hinter ihm verbirgt. Die schlimmsten Schergen des deutschen Naziregimes waren die ersten, die solcher Verbrechen angeklagt wurden. Die Massaker in Ruanda und die Kriegsverbrechen im zerfallenden Jugoslawien zählten ebenfalls zu dieser Kategorie. Jetzt erhebt eine UN-Untersuchungskommission den Vorwurf gegen einen Akteur auf der internationalen Bühne von heute, und wir sollten hinhören. Der Präsident, um den es geht, hat seine Sicherheitskräfte in Todesschwadronen umgewandelt und sie in Regionen der Opposition wüten lassen. Details erspare ich Ihnen heute Morgen, sie sind sehr grausam. Gelegentlich hat der Präsident auch persönliche Anweisungen zur Gewaltanwendung gegeben. Quellen aus dem Sicherheitsapparat haben die Hierarchie der Täter nachgezeichnet, Opfer den UN-Ermittlern ihre furchtbaren Geschichten erzählt.

Der Täter im Präsidentenamt heißt Nicolás Maduro. Er herrscht über ein gebeuteltes Land: In Venezuela ist der Terror, den die Spezialeinheiten der Polizei verbreiten, für die Bürger nur eine Sorge unter vielen. Covid-19 ist dort angekommen wie überall, nur gab es schon vorher kein Gesundheitssystem, das diesen Namen verdienen würde. In der Universitätsklinik der Millionenstadt Maracaibo läuft bloß sechs Stunden am Tag Wasser aus dem Hahn. Strom ist mal da, dann wieder nicht. Die Klinik verfügt über ein einziges Röntgengerät. Es ist seit Monaten kaputt.

Aber selbst das Coronavirus hat dem unerträglichen Alltag nur eine weitere Facette der Angst und der Mühsal hinzugefügt. Setzt sich der gegenwärtige Trend bis Ende des Jahres fort, wird Venezuelas Wirtschaft seit 2013 um unfassbare drei Viertel eingebrochen sein. Fast ein Drittel aller Kleinkinder ist mangelernährt, acht von zehn Bürgern sind in bittere Armut gestürzt. Die Mafia des Präsidenten hat das Land geplündert, Schlamperei und Unfähigkeit haben den Rest erledigt. Millionen Menschen sind geflohen. Der Versuch der Regierungsgegner, den Präsidenten aus dem Amt zu drängen, ist gescheitert. Geblieben sind US-Sanktionen gegen das Regime und ein zweiter, von der Opposition ausgerufener Übergangs-Regierungschef, der inzwischen zwar von Deutschland und Dutzenden weiteren Staaten anerkannt wird – aber kaum etwas zu melden hat.

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Der Versuch, das Ruder in Venezuela herumzureißen, war ehrenhaft. Doch die Bilanz ist bitter. Der mörderische Präsident sitzt fest im Sattel, weil das Militär ihm weiter die Treue hält. Hilfe aus Kuba, Russland, China und dem Iran hält seinen klapprigen Laden zusammen. Die Sanktionen haben daran nichts geändert, sondern das Leid jener verschärft, die schon vorher kaum Arbeit und Essen hatten. War es richtig, so entschieden auf den Hoffnungsträger der Opposition zu setzen und ihn als Regierungschef anzuerkennen? Oder war es vorschnell?

Die Antwort steht im Bericht der Untersuchungskommission, für den Venezuelas Regierung diese Woche vor dem UN-Menschenrechtsrat Rede und Antwort stehen soll: Nicolás Maduro ist ein Schlächter. Deshalb war die Anerkennung seines Gegenspielers richtig, selbst wenn sie zu nichts geführt hat. Manchmal werden Entscheidungen nicht deshalb falsch, weil sie taktisch scheitern. Sie bleiben richtig, weil sie der Menschlichkeit gehorchen. Man kann das einen moralischen Kompass nennen oder vielleicht auch nur Rückgrat. Ich denke, wir sollten uns öfter von diesem Grundsatz leiten lassen. Was ist zum Beispiel angesichts der Proteste gegen den Diktator Lukaschenko in Belarus unsere beste Strategie? Ich habe einen Vorschlag: mehr Rückgrat wagen.


"Das wird ein fantastisches Jahr für Großbritannien", versprach Boris Johnson seinen Landsleuten. Das war Anfang Januar. Heute kann davon keine Rede mehr sein. Das Vereinigte Königreich steht vor einem zweiten Lockdown, der Wirtschaft droht der nächste Rückschlag. Angesichts dessen müsste der Premierminister sein Land eigentlich für die Zeit nach dem Brexit und nach Corona so stark wie möglich aufstellen. Stattdessen verprellt er Verbündete und Handelspartner, indem er internationales Recht bricht. Heute will er das Binnenmarktgesetz durchs Unterhaus peitschen, das den Vertrag mit Brüssel aushebelt. So könnten die Briten am Ende ohne Deal mit der EU, ohne Hoffnung auf einen Wirtschaftsaufschwung und ohne ein Handelsabkommen mit den USA dastehen. Trotzdem gibt es einen Hoffnungsschimmer, meint unser Brexit-Experte Stefan Rook.


Beschäftigte im öffentlichen Dienst kämpfen heute mit einem Warnstreik für höhere Löhne. Vor allem Kitas, Pflegeheime und Stadtwerke sind betroffen.


ZITAT DES TAGES

Der Tagesanbruch am vergangenen Wochenende hat viele Reaktionen hervorgerufen. Ein Leser schreibt mir:

"Es ist für mich unfassbar, wie in Deutschland mit der Corona-Pandemie umgegangen wird. Nach einem sehr schönen Urlaub in Meran – wo das Tragen von Masken, das Einhalten der Abstandsregeln und der Hygienevorschriften streng beachtet werden – ist es furchtbar, wie dumm und rücksichtslos hier mit diesen Vorschriften umgegangen wird. Auch wenn man der Ansicht sein sollte, dass alle Vorschriften übertrieben sind, sollte man aus Respekt vor seinen Mitmenschen die Regeln einhalten. Benötigt man Hilfe, dann ist das Geschrei nach dem Staat groß – doch selbst etwas gegen die Ausbreitung der Pandemie zu unternehmen, das fällt dann offenbar so schwer, dass man jedes Risiko in Kauf nimmt. Gilt auch bei uns nur noch 'I’m first'?"


WAS LESEN?

Donald Trump hat den Kampf gegen Corona vermasselt – wieso kann er trotzdem auf die Wiederwahl hoffen? Mit dieser Frage ist unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold ins ländliche Pennsylvania gefahren. In dem Bundesstaat, der die gesamte Wahl entscheiden könnte, hat er bemerkenswerte Antworten gefunden.


Zehntausende Stellen fallen absehbar in der Autoindustrie weg. Alles nur wegen Corona? Wohl kaum. Im Interview mit meinen Kollegen Florian Schmidt und Mauritius Kloft erklärt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, warum seiner Ansicht nach auch die Klimapolitik für die Misere mitverantwortlich ist.


Dank der Corona-Krise erkennen wir immer deutlicher, wer in unserer Gesellschaft wirklich Wertschätzung verdient hat. Die Topmanager sind es eher nicht, meint unser Kolumnist Gerhard Spörl.


Könnte es sein, dass bei der gegenwärtigen Teststrategie viele Corona-Nachweise fälschlicherweise positiv ausfallen, die Betroffenen aber in Wahrheit gar nicht infiziert sind? Das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin ist der Frage nachgegangen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Markus Söders Weihnachtsmarktkonzept könnte auf Vorbehalte stoßen.

Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-onlxine-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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