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SPD | Olaf Scholz: Er ist der Kanzler — doch wer ist hier der Boss?


Tagesanbruch
Eine gar nicht so freundliche Warnung

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 13.12.2021Lesedauer: 6 Min.
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Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag am Samstag: Ziemlich gute Laune – und eine Warnung.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag am Samstag: Ziemlich gute Laune – und eine Warnung. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

die mächtigste Partei Deutschlands hat am Wochenende ihren Parteitag abgehalten. Und der mächtigste Mann dieser mächtigsten Partei sprach erst ziemlich spät. Es ist nicht der am Samstag neu gewählte Co-Chef der SPD, Lars Klingbeil, und auch nicht der neu gewählte Generalsekretär Kevin Kühnert.

Es ist der Kanzler: Olaf Scholz.

Der nimmt zwar in der SPD gerade gar keine offizielle Rolle mehr ein. Aber dass er als Bundeskanzler mit Richtlinienkompetenz für die deutsche Politik gewissermaßen auch eine inoffizielle Richtlinienkompetenz in seiner Partei hat, bezweifelt eigentlich niemand ernsthaft.

Wenn man etwas böse und plump sein will, könnte man sagen: Kann ihm doch egal sein, wer unter ihm seine Partei anführt.

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Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen: Das dürfte noch zu Konflikten führen. Das zeigt die Vergangenheit, in der sich die SPD oft schwertat, wenn sie den Kanzler stellte. Und das deutete sich auch auf dem Parteitag an. Obwohl sich wirklich viele in der SPD sehr große Mühe gegeben haben, ihn ganz wohlig-flauschig-feierlich zu inszenieren, damit die Freude über einen sozialdemokratischen Kanzler nach 16 Jahren Angela Merkel nicht allzu schnell verblasst.

Olaf Scholz hat sich nach seiner gescheiterten Vorsitzkandidatur vor zwei Jahren diesmal bewusst dagegen entschieden, selbst SPD-Chef zu werden. Wenn er es gewollt hätte, dann hätte es ihm seine Partei nicht verwehren können, ohne ihren eigenen Kanzler zu beschädigen. Doch er wollte nicht.

Das war und ist klug. Scholz weiß, dass er nur Kanzler werden konnte, weil er nicht Parteichef war. Die linke Parteispitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat mit Generalsekretär Lars Klingbeil die Geschlossenheit der SPD organisiert, die der eher ungeliebte Scholz allein nicht hätte organisieren können. Das sensible Konstrukt an der Spitze der SPD wollte deshalb im Grundsatz niemand antasten.

Doch das Nebeneinander von Regierung und Regierungspartei wird jetzt noch einmal komplizierter, als es schon in Zeiten der Großen Koalition war. Auch weil der Anspruch vieler in der Programmpartei SPD bleibt, abseits der Regierung sichtbar und inhaltlich kreativ zu sein. Sprich: Nicht damit aufzuhören, sich viel vorzunehmen, nur weil man in der Regierung gerade nicht alles durchsetzen kann.

Das ist für Parteien immer kompliziert, weil jede neue Forderung ganz automatisch die unangenehme Frage provoziert: Ja, warum macht ihr es dann nicht einfach? In der Großen Koalition konnte die SPD relativ bequem darauf verweisen, dass man ja nur Juniorpartner sei und leider, leider nicht mächtig genug. Schuld war regelmäßig die böse, mächtige Union, mit der man eigentlich ohnehin nicht regieren wollte.

In der Ampel aber ist die SPD nun selbst der mächtigste Partner. Müsste man da nicht mehr durchsetzen können? Olaf Scholz betont zudem nun immer wieder, dass er mit Grünen und FDP gerne länger als nur eine Wahlperiode zusammen regieren will. Sich gegen seine Wunschpartner abzugrenzen, ohne unglaubwürdig zu werden, ist deutlich unbequemer.

Es ist deshalb kein Zufall, dass der neue Generalsekretär Kevin Kühnert das mit den Wunschpartnern etwas anders sieht. Er findet, dass die SPD durchaus sagen dürfe, dass nach der nächsten Wahl auch andere Koalitionen denkbar seien. Im Gespräch mit t-online brachte er es kürzlich auf die Formel: "Eine Koalition ist keine Fusion von drei Parteien."

Auf dem Parteitag wurde dieser komplizierte Konflikt erneut deutlich, obwohl gerade niemand ein Interesse daran hat, ihn zu eskalieren. Am Ende lässt er sich auf eine relativ einfache Formel bringen: Wer ist hier der Boss?

Kevin Kühnert bemühte den menschlichen Körper, um seine Sicht auf die Rollenverteilung der SPD zu erklären. "Die Partei ist Kopf und Herz der sozialdemokratischen Bewegung", sagte er bei seiner Bewerbungsrede als Generalsekretär. "Fraktion und Regierung sind für uns als SPD unsere Hände, die mit Geschick und Können die Wirklichkeit formen und verändern können." Die Hierarchie ist eindeutig: Hirn und Herz bestimmen darüber, was die Hände tun sollen.

Olaf Scholz, der sich nicht zu Unrecht viel auf sein Hirn einbildet, dürfte dieses Bild eher mäßig gefallen haben. Er bemühte selbst seinen Kopf und erklärte seiner Partei, was sie inhaltlich leisten müsse: für Sicherheit im Wandel und für Zusammenhalt sorgen nämlich. Wofür die SPD stehen muss, weiß er schon noch selbst – so konnte man das verstehen. Und als sei das nicht genug, schob er auch noch eine gar nicht so freundliche Warnung an seine Partei nach.

Man müsse sich jetzt "sehr, sehr klar vornehmen, strikt bei dem zu bleiben", was man sich ins Wahlprogramm und den Koalitionsvertrag geschrieben habe, sagte Scholz. Denn es sei "eine existenziell wichtige Angelegenheit für das Vertrauen in Politik, dass man sich darauf verlassen kann, was gesagt wird".

Das habe "für viele von uns Konsequenzen", sagte Scholz. Für die Regierung, die das Verabredete jetzt auch verwirklichen müsse. Aber eben auch für die Partei. So sieht Scholz das zumindest. "Wir werden nicht alles, was man sich ausdenken kann, mal irgendwo beschließen können", sagte er. "Denn wir müssen es ja hinterher umsetzen."

Kopf und Herz dürfen also nur wollen, was die Hände auch verwirklichen können. Es ist eine ziemlich weitreichende Ansage, wenn man sie ernst nimmt: Programm ist nur, was gerade möglich ist. Vision ist nur, was sofort Wirklichkeit werden kann. Wie soll eine Partei da über ihr Regierungshandeln hinaus Ziele formulieren?

Noch ist das Murren in der SPD über den Zwang zur Regierungslogik eher leise zu vernehmen, weil der Großteil der Partei freudetrunken vom Erfolg ist. Doch wenn es jetzt wirklich losgeht mit dem Regieren, wenn die schmerzhaften Kompromisse auf dem Papier zu schmerzhaften Kompromissen in der Wirklichkeit werden, dürfte das nicht lange so bleiben.

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Zumindest nicht, wenn die neue Parteispitze keinen Weg findet, den Willen zur Vision und den Zwang zum Pragmatismus irgendwie auszugleichen. Saskia Esken, Lars Klingbeil und Kevin Kühnert werden also viel zu tun bekommen. Gerade weil der mächtige Mann der SPD jetzt Olaf Scholz heißt.


Annalena Baerbock erstmals im EU-Rat

Den Antrittsbesuch in Brüssel hat Annalena Baerbock schon hinter sich, jetzt wird es ernst: Die Außenministerinnen und Außenminister der EU treffen sich in Brüssel zur Arbeitssitzung. Offiziell soll es vor allem um die Beziehungen zu afrikanischen und zentralasiatischen Staaten sowie um die Lage in Venezuela gehen.

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Was amüsiert mich?

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder unser Chefredakteur Florian Harms für Sie.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!

Ihr

Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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