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Olaf Scholz: Abgeordneter oder Kanzler? Eine schwere Identitätskrise


Tagesanbruch
Schwere Identitätskrise

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 14.01.2022Lesedauer: 6 Min.
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Olaf Scholz und Karl Lauterbach: Sie wollen die Impfpflicht, aber nicht als Regierung. Oder irgendwie so.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz und Karl Lauterbach: Sie wollen die Impfpflicht, aber nicht als Regierung. Oder irgendwie so. (Quelle: photothek/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

ich schreibe Ihnen heute nicht als Privatperson, sondern als Journalist. Interessiert Sie nicht? Haben Sie sowieso mit gerechnet? Ja, nun, kann ich verstehen. Doch irgendwie scheint mir, dass man das im politischen Berlin gerade betonen muss. Und das liegt an der Impfpflicht, oder besser gesagt: der Debatte darüber.

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Olaf Scholz hält sie für erforderlich, diese Impfpflicht. Er bezeichnete das am Mittwoch im Bundestag auch als die Position des Bundeskanzlers (Scholz heißt der) und seiner Bundesregierung. Doch der Kanzler (Scholz) will mit seiner Regierung trotzdem nicht wie üblich einen Gesetzentwurf dafür vorlegen, sondern das Parlament und die Abgeordneten machen lassen. Wobei der "Abgeordnete Olaf Scholz" (nicht der Kanzler) eine "ganz klare Meinung" dazu habe, wie die Debatte ausgehen soll.

Sie sind verwirrt? Ich auch. Aber es kommt noch besser.

Karl Lauterbach nämlich sprach sich am Donnerstag im Bundestag ebenfalls für die Impfpflicht aus. Sie sei "der sicherste und schnellste Weg aus der Pandemie", sagte er. Und führte sogar einen ungewöhnlichen Kronzeugen dafür an: den Philosophen Immanuel Kant nämlich, der sich seit 1804 nicht mehr wehren kann.

Eine Verweigerung der Impfung, findet Lauterbach, verletze Kants kategorischen Imperativ. "Eine solche Verweigerung könnte nie die Maxime des Handelns für uns alle sein", argumentierte Lauterbach. Denn wenn sich alle weigerten, könne die Pandemie wohl nie beendet werden.

Lauterbach sprach im Bundestag nicht etwa als Philosophiestudent, sondern offiziell als Bundesgesundheitsminister, der die Politik seines Ressorts erklärte. Oder etwa doch nur als Abgeordneter? Die Union jedenfalls stellte diese Frage anschließend, und so richtig kann man ihr das nach dem Scholz-Auftritt und einer anderen Lauterbach-Äußerung nicht verübeln.

Denn kurz vorher hatte Lauterbach dem Nachrichtenportal "The Pioneer" gesagt, er wolle keinen eigenen Antrag für eine Impfpflicht präsentieren. Als Gesundheitsminister (danke für die Präzisierung!) müsse er da "eine gewisse Neutralität" wahren. Warum er diese Neutralität bei seiner Rede im Bundestag nicht wahren musste? Ja, nun, gute Frage.

Abgeordneter oder Kanzler? Neutralität oder nicht? Irgendwie sieht das alles nach einer schweren Identitätskrise aus.

Zugegeben: Olaf Scholz und Karl Lauterbach sind gerade in einer ziemlich komplizierten Lage. Beide wollen inzwischen die Impfpflicht, nachdem sie sie lange nicht wollten. Olaf Scholz hat das (als Kanzler, vermutlich) Ende des vergangenen Jahres deutlich und laut gesagt und es damit zu seinem Projekt gemacht.

Und gerade weil es nun sein Projekt ist, bleibt es erklärungsbedürftig, warum er keinen eigenen Gesetzentwurf vorlegt. Die Ampelkoalition argumentiert offiziell, die Tragweite der Entscheidung sei so groß, dass die Abgeordneten allein ihrem Gewissen folgen müssten und keiner Regierungslogik. So wie etwa bei der Entscheidung über die Sterbehilfe.

Nur ist das wirklich vergleichbar? Immerhin geht es um eine lebensrettende Impfung, gegen die bei den allerallerallermeisten Menschen überhaupt nichts spricht (und wenn bei jemandem etwas dagegen spräche, wäre er oder sie von der Pflicht befreit). Es geht um eine Impfung, die von allen vernunftbegabten Politikern tagein, tagaus empfohlen wird. Auch weil sie nicht nur den Einzelnen schützt, sondern hilft, alle zu schützen.

Eine Masern-Impfpflicht für Kitas und Schulen hat die Bundesregierung 2019 ganz selbstverständlich als Gesetzentwurf eingebracht. Und die einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht zuletzt eben auch. Beide gelten zwar "nur" für bestimmte Bevölkerungsgruppen, damit argumentiert die Ampel gerade. Aber ist eine allgemeine Corona-Impfpflicht wirklich so viel heikler als eine für Kita-Kinder?

Für eine breite gesellschaftliche Debatte über die Corona-Impfpflicht, die jetzt alle fordern (und die ja längst geführt wird), braucht es jedenfalls keine Gewissensentscheidung im Bundestag. Die könnte es auch mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung geben. Und der hätte eben einen weiteren Vorteil: Die politische Verantwortung für die Impfpflicht müsste von denen getragen werden, die genau dafür gerade erst gewählt wurden: der Bundesregierung und Olaf Scholz.

Denn man kann auch genau andersrum argumentieren, als es die Ampel gerade tut: Gerade in einer solchen heiklen Lage ist es nicht die Aufgabe einer Bundesregierung, "eine gewisse Neutralität" zu wahren, sondern Verantwortung zu übernehmen. Damit die Menschen bei der nächsten Wahl wissen können, für wen sie stimmen sollen, egal, ob sie für oder gegen die Impfpflicht sind. Nur so funktioniert Demokratie.

Es liegt deshalb nahe, den eigentlichen Grund für die Impfpflicht-Identitätskrise der Ampel (auch) ganz woanders zu suchen: in der schnöden Machtpolitik. Weil viele aus der FDP gegen die Impfpflicht sind und es auch bei Grünen und SPD angesichts des Hin und Her Skeptiker gibt, ist eine Mehrheit der Ampelfraktionen für die Pflicht schlicht sehr unsicher. Weil Scholz und große Teile der Koalition sie aber richtig finden und wollen, geben sie die Abstimmung frei und hoffen auf Stimmen aus anderen Fraktionen.

Es ist wohl der Weg des geringsten Widerstands, der einen offenen Konflikt in der Regierung vermeidet. Man kann das klug finden. Um es "demokratisches Leadership" zu nennen, wie Scholz das tat, braucht es hingegen etwas mehr Fantasie. Ob das alles am Ende eine Rolle spielt, darüber wird wohl hauptsächlich das Ergebnis entscheiden. Sollte die Impfpflicht nicht kommen, obwohl der Kanzler sie will, dann wäre es eindeutig: sein Führungsversagen.


Fürchtet euch, ihr Folterknechte

Das Urteil ist gesprochen: Anwar Raslan, früher Geheimdienstoffizier des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, muss lebenslang in Haft. Weil er Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, 27-fachen Mord, Folter, Vergewaltigung. Das hat das Oberlandesgericht in Koblenz am Donnerstag entschieden.

Und so furchtbar Raslans Taten auch sind – das Urteil aus Koblenz macht Hoffnung. Denn was ein deutsches Gericht kann, das können andere Gerichte in anderen Ländern theoretisch auch: Folterknechte und Verbrecher der Diktaturen dieser Welt zur Verantwortung ziehen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat das Urteil dann auch als "Pionierarbeit" bezeichnet. "Ich würde es begrüßen, wenn andere Rechtsstaaten diesem Beispiel folgen. Wer Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, darf nirgendwo sichere Rückzugsräume finden." Wer wollte ihm da widersprechen?

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Die Botschaft aus Koblenz ist eine frohe: Fürchtet euch, ihr Folterknechte!


Ganz, ganz viel Geduld und Ausdauer

Die Außenminister der EU treffen sich heute zum zweiten Tag ihrer informellen Beratungen im nordfranzösischen Brest. Wichtigstes Thema dürfte erneut der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sein. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht, das deutete die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock schon am Donnerstag an.

"Auch wenn es derzeit keine wirklichen Bewegungen gegeben hat, ist es wichtig, dass man endlich wieder an den Dialogtisch zurückkehrt", sagte Baerbock. "Das Wichtige ist, dass wir am Tisch sitzen, dass Gespräche jetzt geführt werden. Und zwar – auch wenn es hart ist – mit ganz, ganz viel Geduld und Ausdauer."

Schon nächste Woche wird sie wieder am Tisch sitzen. Baerbock fliegt am Dienstag für einen Antrittsbesuch zu ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow nach Moskau. Vermutlich mit viel Geduld und Ausdauer im Gepäck.


Wer soll das bezahlen?

Im Bundestag endet heute die dreitägige Debatte über die Politik der Ampelregierung. Finanzminister Christian Lindner wird schon um 9 Uhr eine der wichtigsten Fragen beantworten müssen: Wie genau will die Regierung all ihre schönen Vorhaben eigentlich finanzieren?


Was lesen und sehen?

Wer gilt als geboostert? Dafür haben die Bundesländer noch immer keine einheitliche Regelung. Gastronomen verzweifeln, und auch Wissenschaftler verstehen das Wirrwarr nicht mehr, berichtet mein Kollege Sebastian Späth.


Wie ist die Corona-Lage in den Krankenhäusern? Und wie das Verhältnis zwischen Geimpften und Ungeimpften? Darüber berichtet Chefarzt Matthias Held im t-online-Videointerview.


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Für mächtig viel Aloha sorgte Elvis Presley 1973 auf Hawaii. Eine technische Revolution bewirkte, dass nicht nur die Bewohner des Eilands den Star bei einem legendären Konzert sehen konnten. Welche das war, lesen Sie hier.


Was amüsiert mich?

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Bleiben Sie gesund!

Ihr

Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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