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Ukraine-Krieg: Nach Butscha kann es keine Zukunft mit Wladimir Putin geben


Auf Putin wartet ein Desaster

Von Florian Harms

Aktualisiert am 04.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Putin mit Verteidigungsminister Schoigu während eines Militärmanövers im Kaukasus (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Putin mit Verteidigungsminister Schoigu während eines Militärmanövers im Kaukasus (Archivbild). (Quelle: Mikhail Klimentyev/Pool Sputnik/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

das Grauen trägt einen neuen Namen: Butscha. Nach dem Abzug der russischen Truppen bietet sich in dem Kiewer Vorort ein entsetzliches Bild. Auf den Straßen der zerschossenen Ortschaft liegen ermordete Zivilisten. Ihre Hände sind gefesselt, offenbar wurden sie kaltblütig exekutiert (falls Sie den Anblick ertragen: Hier ist ein Video.) Putins Kämpfer sollen dort und in Nachbarorten mehr als 400 wehrlose Menschen umgebracht haben, Augenzeugen berichten von erschütternden Szenen. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko spricht von einem "Völkermord" und fordert: "Für die ganze Welt und insbesondere Deutschland kann es nur eine Konsequenz geben: Kein Cent darf mehr nach Russland gehen, das ist blutiges Geld, mit dem Menschen abgeschlachtet werden."

Auch in Westeuropa ist das Entsetzen groß. Doch ebenso groß ist die Hilflosigkeit der Regierenden in Brüssel und Berlin. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht von "Horrorszenen", verlangt eine "unabhängige Untersuchung" und versichert: "Kriegsverbrecher werden zur Verantwortung gezogen." Ins selbe Horn stößt Annalena Baerbock. "Die Verantwortlichen für diese Kriegsverbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden", fordert die Außenministerin und verspricht: "Wir werden die Sanktionen gegen Russland verschärfen und die Ukraine noch stärker bei ihrer Verteidigung unterstützen." Auch Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt weitere Strafen an und verlangt: "Die Täter und ihre Auftraggeber müssen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden."

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Verlangen, versichern, versprechen: Drei Verben mit V bestimmen den Kurs der westeuropäischen Politiker im Ukraine-Krieg. Sie reden viel, sie machen Druck, und sie handeln ja auch. Sanktionen gegen Putins Regime, Waffen für die Ukraine, langsame Abkehr von den russischen Rohstoffen. Doch all das hält den Kremlchef nicht von seinen Verbrechen ab. Im Gegenteil, er lässt seine Militärs immer blindwütiger zuschlagen. Nun haben sie begonnen, Odessa zu beschießen; offenbar wollen sie nach dem Osten auch den Süden der Ukraine besetzen. Droht der Millionenstadt am Schwarzen Meer dasselbe Schicksal wie Mariupol?

Er wolle die Ukraine "entnazifizieren", gab Putin als Grund für seinen Angriffskrieg an. Die Behauptung ist nicht nur absurd, sie kehrt sich auch gegen ihren Absender, denn Putins Soldaten verhalten sich wie einst die Killerkommandos der Nazis: Sie fackeln Schulen und Krankenhäuser ab, sie meucheln Zivilisten, sie rotten ganze Dörfer aus. Das Grauen im größten europäischen Landkrieg und in der größten Migrationskrise seit dem Zweiten Weltkrieg kommt aus dem Kreml. Dort hockt ein skrupelloser Imperialist wie einst Stalin vor seinen großrussischen Landkarten und spielt mit dem Leben Tausender Menschen.

Angesichts dieser Verbrechen erscheint es zynisch, dass Deutschland weiterhin jeden Tag Hunderte Millionen Euro für Erdgas nach Moskau überweist. Olaf Scholz, Robert Habeck und die Chefs von Industrieunternehmen können wortreich erklären, warum ein sofortiger Stopp aller Gasimporte gravierende Folgen für die deutsche Wirtschaft hätte. Trotzdem ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem selbst ein Bundeskanzler und ein Wirtschaftsminister nicht mehr an der Frage vorbeikommen: Wann ist es genug? Wann wiegt die Menschlichkeit mehr als das Geschäftsinteresse, wann ist uns auch hierzulande das Überleben der gepeinigten Ukrainer wichtiger als das Brummen unserer Wirtschaft? Leicht zu beantworten ist diese Frage nicht, eine jahrelange Rezession könnte Zigtausende Deutsche den Job und die Ersparnisse kosten, die Radikalisierung mancher Bevölkerungsteile könnte sich beschleunigen. Doch irgendwann sind die Grausamkeiten eben nicht mehr hinzunehmen, und das Massaker in Butscha könnte dieser Moment sein.

So oder so kann es keine Zukunft mit Putin geben. Ein Großteil seiner Truppen ist demoralisiert, die Berichte über Fahnenflüchtige häufen sich. Sein Regime wird vom Westen mit harten Sanktionen bestraft, seine Kriegsziele – ein Blitzsieg und der Sturz der Regierung in Kiew – sind schon jetzt gescheitert. Nun bleibt seinen dezimierten Bataillonen nur, sich mit letzter Kraft gen Osten und Süden zu wenden, um dort die Bevölkerung zu tyrannisieren, noch mehr Unheil anzurichten und die Moskauer Mafiaclique endgültig international zu desavouieren. Mit der Eroberung des gesamten Donbass und der Küstenregion versuche Putin, doch noch eine vorteilhafte Ausgangslage für Waffenstillstandsverhandlungen herauszuschlagen, vermutet der ehemalige Nato-General Hans-Lothar Domröse.

Der Krieg ist ein Desaster für Millionen Menschen in der Ukraine und auch für viele russische Soldaten sowie deren Angehörige. Aber er wird eben auch für Putin selbst zum Desaster, das seine Herrschaft beenden könnte. Wenn nicht sofort, dann vielleicht in einigen Monaten, wenn nicht in einigen Monaten, dann in einigen Jahren. "Er wird die Macht abgeben müssen", sagt der frühere Leiter der Russland-Abteilung des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, Christopher Steele. Selbst die Komplizenschaft mit China und Indien wird das Land nicht vor dem wirtschaftlichen Niedergang bewahren – und natürlich gibt es in der russischen Kleptokratie eine Menge Leute, denen das nicht gefällt, weil sie Geld und Einfluss verlieren. Sie werden irgendwann versuchen, den strauchelnden Mafiaboss loszuwerden.

Putin wollte sich zum neuen Zaren aufschwingen, der das russische Reich in seinen alten Grenzen wiederherstellt, indem er andere Völker unterjocht. Nun ist er drauf und dran, nicht nur als Kriegsverbrecher, sondern auch als einer der größten Versager der Weltgeschichte zu enden. Wer auch immer nach ihm kommt, wird eine Lehre daraus ziehen. Wenigstens darin liegt ein Hoffnungsschimmer.


Habeck macht Wind

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Wirtschaftsminister Robert Habeck sträubt sich weiter gegen einen Stopp der Gasimporte aus Russland. Stattdessen will er die Gas- und Öllieferungen schrittweise drosseln und ein Gesetzespaket für den Ausbau der erneuerbaren Energien auf den Weg bringen. Heute ist die Windkraft dran: Gemeinsam mit Umweltministerin Steffi Lemke stellt der Vizekanzler am Vormittag Eckpunkte für die Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land vor.


Betrug auf Ex

Er gilt als Schlüsselfigur in Deutschlands größtem Steuerbetrug: Wenn heute vor dem Bonner Landgericht der Strafprozess gegen den 71-jährigen Rechtsanwalt Hanno Berger beginnt, geht es um besonders schwere Steuerhinterziehung in drei Fällen im Zeitraum 2007 bis 2013 und eine Schadenssumme von mehr als 278 Millionen Euro. Der ehemalige Bankenkontrolleur in der hessischen Finanzverwaltung wird als treibende Kraft hinter dem Cum-Ex-Betrug gesehen, der in der gewinnträchtigen Anrechnung von zuvor nicht gezahlten Steuern auf Dividenden besteht (mehr dazu hier). Mehrere Banken und reiche Personen prellten so den Fiskus.

Hanno Berger gilt als gewieft: Während einer Razzia in seiner Frankfurter Kanzlei Ende 2012 setzte er sich nach Graubünden ab, erst vor wenigen Wochen lieferten ihn die Schweizer Behörden nach Deutschland aus. Nach dem Bonner Prozess wartet ein weiteres Verfahren in Wiesbaden auf ihn. Bislang gab es drei Urteile gegen Cum-Ex-Akteure – allesamt mit Schuldsprüchen.


Schranke gegen den Hass

"Soziale Medien" werden Facebook, YouTube und Co. genannt. Angesichts des Hasses und der Hetze, die dort veröffentlicht werden, wäre "asozial" in vielen Fällen treffender. Insbesondere der Messengerdienst Telegram, der quasi sämtliche Inhalte ohne Moderation zulässt, steht wegen Fake News und Gewaltaufrufen schon länger im Fokus des Innenministeriums und des Bundeskriminalamts.

Nun erhöht die Ampelkoalition den Druck auf die Hassschleudern im Internet: Heute soll im Kabinett ein Gesetzentwurf verabschiedet werden, der scharfe Sanktionen vorsieht, wenn die Netzwerke "terroristische Inhalte" nicht schnell genug – in schweren Fällen innerhalb einer Stunde – löschen. So können Behörden künftig Geldbußen von bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des jeweiligen Unternehmens im vorigen Geschäftsjahr verhängen. Bei der Facebook-Mutter Meta und deren Jahresumsatz von 118 Milliarden Dollar wären das immerhin 4,7 Milliarden Dollar. Strafe muss schmerzen, damit sie wirkt.


Was lesen?

Die Politik von Karl Lauterbach wirkt schizophren: Er schafft Corona-Maßnahmen ab – und fleht gleichzeitig die Bundesländer an, sie beizubehalten. Unsere Kolumnistin Nicole Diekmann seziert das unwürdige Corona-Theater.


Schon vor dem Massaker in Butscha gab es Hinweise auf Kriegsverbrechen – von ukrainischen Soldaten, vor allem aber von russischen Truppen. Eine Expertin von Amnesty International hat meiner Kollegin Annika Leister mehr dazu erzählt.


Zu Putins grausamsten Schergen zählt der Tschetschene Ramsan Kadyrow. Meine Kollegin Marianne Max fasst zusammen, was über ihn bekannt ist.


Deutschland muss viel schneller unabhängig von Putins Rohstoffen werden – und jeder Bürger kann dabei helfen. Energieexperten erklären, was Sie tun können.


Was amüsiert mich?

Die Maskenpflicht war halt doch besser …

Ich wünsche Ihnen einen erträglichen Wochenbeginn. Morgen schreibt Sven Böll den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Mittwoch wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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