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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Milliardenverluste, Abstürze, Leichen Boeing – der Absturz eines Riesen

Der Flugzeugbauer Boeing steckt in einer tiefen Krise – technische Defekte, verheerende Unglücke, Prozesse. Das einstige Vorzeigeunternehmen durchlebt ein rabenschwarzes Jahr nach dem anderen.
In Indien ist erstmals ein Passagierflugzeug vom Typ Boeing 787-8 Dreamliner mit fatalam Ausgang verunglückt. Die Maschine der Fluggesellschaft Air India ist kurz nach dem Start abgestürzt – laut der indischen Luftfahrtbehörde wurde ein Notruf gesendet, noch bevor das Flugzeug außerhalb des Flughafengeländes mit aufgerichteter Nase abstürzte und in einem Gebäude explodierte. Videos in sozialen Netzwerken zeigen einen raschen Sinkflug und einen anschließenden Feuerball. 241 von 242 Menschen an Bord starben.
Es ist der erste tödliche Unfall in der Geschichte dieses Flugzeugtyps. Der Dreamliner galt bislang als eines der modernsten und sichersten Modelle weltweit. Doch bereits im April 2024 hatte Boeing-Ingenieur Sam Salehpour der US-Luftfahrtbehörde FAA erhebliche Bedenken mitgeteilt.
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Insider warnte vor Problemen beim Typ Boeing 787-8
In einem Bericht der "New York Times" hieß es, Teile des Rumpfs seien nicht korrekt verbunden – insbesondere weil verschiedene Bauteile von unterschiedlichen Zulieferern stammen und strukturell nicht exakt zusammenpassen. Nach Aussage Salehpours könne sich der Rumpf über Tausende Flüge hinweg aufweiten und instabil werden. Boeing wies die Vorwürfe zurück, führte jedoch umfangreiche Tests durch und erklärte, es bestehe "kein unmittelbares Problem für die Flugsicherheit".
Das nun abgestürzte Flugzeug wurde laut öffentlich einsehbaren Daten 2014 an Air India ausgeliefert und war somit über zehn Jahre im Einsatz. Insgesamt hat Boeing rund 1.200 Dreamliner ausgeliefert, 47 davon an die indische Airline.
Tiefste Krise in der Boeing-Geschichte
Dass es ausgerechnet bei einem bisher als sicher geltenden Modell zu einem solchen Unglück kommt, verschärft die Krise von Boeing. Die 787er-Flotte ist zwar kein unbeschriebenes Blatt. Viel problematischer ist aber die Boeing 737 Max.
2018 und 2019 stürzten zwei Boeing-737-Max-Maschinen binnen weniger Monate ab – erst in Indonesien, dann in Äthiopien. 346 Menschen starben. Der Skandal stürzte Boeing in die tiefste Krise seiner Geschichte: Ab März 2019 mussten sämtliche Maschinen dieses Modells über 20 Monate am Boden bleiben. Erst nach technischen Nachbesserungen durfte der Jet wieder fliegen. Das Debakel kostete Boeing Milliarden – und seinen Ruf.
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Tödliche Flugunglücke 2021 und 2022
Die Unglücksserie riss jedoch nicht ab. Am 9. Januar 2021 stürzte eine Boeing 737-500 der Fluggesellschaft Sriwijaya Air nur vier Minuten nach dem Start in Indonesien ins Meer. Alle 62 Menschen an Bord starben. Ursache: Die Crew reagierte falsch auf einen Defekt der automatischen Schubkontrolle – es kam zum Strömungsabriss. Die Maschine hatte keinen Auftrieb mehr.
Am 21. März 2022 stürzte eine Boeing 737-800 der China Eastern Airlines auf dem Flug von Kunming nach Guangzhou bei Wuzhou in der Region Guangxi ab. Keiner der 132 Menschen an Bord überlebte.
Die lange Unfall-Liste von 2024
Auch das Jahr 2024 war für Boeing rabenschwarz. Die Serie an Unfällen wollte nicht abreißen.
5. Januar 2024: Eine nahezu neue Boeing 737 Max 9 der Alaska Airlines verlor auf einem Flug von Portland nach Ontario in Kalifornien ein Rumpfsegment. In etwa 5.000 Metern Höhe klaffte plötzlich ein metergroßes Loch in der Kabinenwand. Glücklicherweise waren die betroffenen Sitze nicht belegt. Die Pilotin ging in den Sinkflug, kehrte um und landete nach 20 Minuten Flug wieder am Ausgangsflughafen. Später stellte sich heraus: Vier Befestigungsbolzen fehlten.
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11. Januar 2024: Bei einer Boeing 737-800 der japanischen Airline ANA riss kurz nach dem Start eine Cockpitscheibe. Die Piloten konnten glücklicherweise umdrehen und sicher landen.
20. Januar 2024: Eine Boeing 757-200 der US-Fluggesellschaft Delta verlor noch am Boden in Atlanta ihr Vorderrad.
4. März 2024: Auf einem Inlandsflug von United Airlines von Houston nach Fort Myers stand wenige Minuten nach dem Start ein Triebwerk einer Boeing 737-900 in Flammen. Die Piloten konnten dennoch wieder sicher landen. Nach Angaben der Fluggesellschaft könnte eine eingesaugte Luftpolsterfolie Ursache des Feuers gewesen sein.
7. März 2024: Eine Boeing 777 verlor beim Start in San Francisco ein Rad. Die Maschine landete aber sicher in Los Angeles.
11. März 2024: Auf dem Weg von Sydney nach Auckland verlor eine Boeing 787–9 Dreamliner der Latam Airlines plötzlich an Höhe. Passagiere wurden durch die Kabine geschleudert, rund 50 Menschen verletzt. Eine Flugbegleiterin soll versehentlich einen Schalter am Pilotensitz gedrückt haben – der Sitz verrutschte ruckartig, der Pilot wurde in seine Steuerinstrumente gedrückt. Das Chaos nahm seinen Lauf.
DHL-Frachter stürzt vor Landung ab
25. November 2024: Beim Anflug auf den Flughafen Vilnius stürzte eine von Swiftair betriebene Boeing 737-400 1,6 Kilometer vor der Landebahn in ein Wohngebiet. Die Maschine kam aus Leipzig. Einer der vier Crewmitglieder starb beim Aufprall.
29. Dezember 2024: Beim verheerenden Absturz einer Maschine der südkoreanischen Billigfluggesellschaft Jeju-Air auf dem Flughafen Muan kamen 179 Menschen ums Leben. Die Boeing setzte offenbar ohne ausgefahrenes Fahrwerk auf, prallte gegen eine Begrenzung aus Beton und explodierte. Zwei Crewmitglieder überlebten.
"If it's Boeing, I ain't going"
Unfälle, Pannen, tödliche Tragödien: Im ersten Quartal 2024 verbrannte Boeing infolgedessen Milliarden. Die Zahl ausgelieferter 737-Maschinen brach massiv ein. Die FAA ordnete zusätzliche Sicherheitsinspektionen an. Die Aktie verlor 30 Prozent.
Gleichzeitig kippte die Stimmung in der Öffentlichkeit. Der einst stolze Slogan "If it's not Boeing, I'm not going" wurde umgedreht: "If it's Boeing, I ain't going." Passagiere versuchten, Flüge mit Boeing-Maschinen gezielt zu meiden.
Und was machte Boeing? Der Konzern versuchte, einem Strafverfahren zu entgehen.
So will Boeing einem Strafprozess entgehen
Seit 2018 die erste Boeing 737-Max-Maschine verunglückte, sind sieben Jahre vergangen. Die Ursache für die Katastrophen lag in einer fehlerhaften Steuersoftware, dem sogenannten "Maneuvering Characteristics Augmentation System" (MCAS), das in die neu entwickelte 737-Max-Baureihe eingebaut worden war. Die Software war nicht ausreichend getestet und wies schwerwiegende Mängel auf, die zu den Abstürzen führten.
Die strafrechtliche Aufarbeitung dieser Vorgänge ist bis heute nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Sie entwickelt sich mit politischer Brisanz. Der jüngste Wendepunkt war ein neuer Vergleichsvorschlag zwischen der US-Regierung und Boeing Ende Mai 2025.
Durch diese Vereinbarung könnte Boeing einem öffentlichen Strafprozess entgehen. Im Rahmen des Vergleichs erklärte sich Boeing bereit, eine zusätzliche Zahlung in Höhe von 1,1 Milliarden US-Dollar zu leisten: 444,5 Millionen US-Dollar sollen in einen Entschädigungsfonds für die Hinterbliebenen der Opfer fließen. 243 Millionen US-Dollar gelten als Strafzahlung. Weitere 455 Millionen US-Dollar möchte Boeing in interne Programme zur Verbesserung der Sicherheitskultur investieren.
Bevor der Vergleich rechtskräftig werden kann, muss der zuständige Bundesrichter in Texas, Reed O’Connor, dem Vorschlag jedoch noch zustimmen – was nun keineswegs sicher ist.
Erste Vereinbarung mit dem US-Justizministerium
Bereits im Jahr 2021 hatte Boeing eine erste Vereinbarung mit dem US-Justizministerium getroffen. Bestandteil des damaligen Vergleichs war unter anderem die Zahlung von 500 Millionen Dollar an die Opferfamilien sowie die Einführung eines Ethikprogramms im Konzern. Allerdings enthielt dieses Abkommen auch eine entscheidende Bedingung: Boeing durfte innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht erneut durch sicherheitsrelevante Vorfälle auffallen.
Doch genau das geschah: Am 5. Januar 2024, nur zwei Tage vor Ablauf der Frist, kam es zu dem schwerwiegenden Vorfall, bei dem plötzlich ein metergroßes Loch in der Kabinenwand einer Boeing 737-9 klaffte (s. o.) – ein klares Zeichen für einen Produktionsfehler. Die US-Behörden kamen zu dem Schluss, dass Boeing gegen die Bedingungen des Vergleichs von 2021 verstoßen hatte, woraufhin das Justizministerium das Strafverfahren wieder aufnahm.
Schuldeingeständnis vor Gericht: Boeing gibt Betrug zu
Im Juni 2024 bekannte sich Boeing schließlich schuldig, die US-Luftfahrtaufsichtsbehörde FAA in Bezug auf das MCAS-System bewusst getäuscht zu haben. Dies war ein bedeutendes Eingeständnis, da Boeing damit erstmals offiziell Verantwortung für die Manipulation der Zulassungsverfahren übernahm.
Richter Reed O’Connor stellte sich aber gegen das Abkommen und kündigte stattdessen einen Strafprozess an, der im Juni 2025 beginnen sollte.
Nach dem Vorfall mit Alaska Airlines beteuerte Boeing, große Anstrengungen unternommen zu haben, um die Produktionsqualität zu verbessern. Laut eigenen Angaben ist die Anzahl gemeldeter Mängel seither deutlich zurückgegangen. Der Absturz des Dreamliners in Indien stellt diese Aussage jedoch infrage.
Noch steht die Absturzursache nicht fest. Sollte aber ein technischer Defekt zu dem verheerenden Unglück geführt haben, steht der Konzern vor einem neuen Tief.
- tagesschau.de: "Flugzeug verliert während des Flugs ein Teil – Notlandung in Portland"
- zeit.de: "Passagierflugzeug in Indonesien vom Radar verschwunden"
- avherald.com: "Accident: Sriwijaya B735 near Jakarta on Jan 9th 2021, aircraft lost height and radar contact after departure" (Englisch)
- flightradar24.com: "China Eastern Airlines Flight 5735 crashes en route to Guangzhou" (Englisch)
- planespotters.net: "Boeing 737 MAX 9 N704AL (Boeing)" (Englisch)
- asn.flightsafety.org: "Accident description for Boeing 737-9 MAX, N704AL" (Englisch)
- avherald.com: "Accident: Alaska B739 near Portland on Jan 5th 2024, loss of cabin pressure" (Englisch)
- guardian.com: "South Korea plane crash: casualties reported after Jeju Air flight veers off runway at Muan airport – live updates" (Englisch)
- sueddeutsche.de: "Boeing 737 Max – Absturz einer Ikone"
- businessinsider.de: "737-Max-Abstürze: Boeing erzielt Einigung vor Gericht"