Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Ein Rückschritt

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
ich habe mich vor Kurzem bei einem Gedanken ertappt, der mir lange fremd war: Schon ganz gut so, dass du Söhne und keine Tochter hast.
Diese Welt ist momentan nämlich nicht sonderlich attraktiv für Mädchen und Frauen. Wohin wir schauen, bestimmen Männer das Weltgeschehen. Und leider sind es vor allem solche, die für eine Männlichkeit stehen, die zwar nie verschwunden war, sich vielleicht nicht einmal auf dem Rückzug befand, die aber zumindest im sogenannten Westen verstärkt unter Druck geraten war: die Vorstellung, dass Männer naturgegeben bestimmen, immer stark sind, keine Gefühle zeigen, stattdessen im Zweifelsfall rücksichtslos, sexistisch und gewaltbereit sein dürfen, manche würden sogar behaupten, sein müssen.
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In den USA sitzt nun also mit Donald Trump ein solches Prachtexemplar im Weißen Haus, hat lauter ihm ähnliche Mannsbilder in Machtpositionen gebracht, die zu allem, was der Chef sagt – und sei es noch so blöde oder irre – eifrig nicken und Gleiches umgekehrt von ihren Untergebenen erwarten. Im Kreml sitzt ein solcher Pascha ohnehin schon seit langer Zeit. In den allermeisten Hauptstädten des Globalen Südens ebenfalls.
Angesichts des in der westlichen Führungsmacht erstarkten Machotums muss es da wahrscheinlich nicht verwundern, dass auch in Deutschland Macht wieder männlicher geworden ist. Wobei ich die politische Männerwirtschaft in Deutschland mit der in den USA keinesfalls gleichsetzen will. Es ist hierzulande zum Glück noch immer undenkbar, dass ein wegen Vergewaltigung verurteilter Politiker Kanzler wird, offener Sexismus bleibt weiterhin verpönt. Ob das auch so bleiben wird, ist angesichts einer immer stärker werdenden AfD allerdings fraglich.
In den sozialen Medien kursiert gerade ein Bild, das die aktuelle Entwicklung auch in Deutschland ganz gut verdeutlicht: Es ist eine Grafik vom vermutlich künftigen Koalitionsausschuss. In diesem Gremium sitzen die wichtigsten Köpfe der Koalition, es soll einmal im Monat zusammenkommen, um dafür zu sorgen, dass trotz unterschiedlicher Positionen der Parteien weniger gestritten und mehr gehandelt wird. Momentan wird wohl noch darüber diskutiert, ob neun, elf oder zwölf Personen darin sitzen werden. Unstrittig ist dagegen, dass aller Voraussicht nach unter ihnen genau eine Frau sein wird: zunächst noch SPD-Co-Chefin Saskia Esken, später dann Bärbel Bas. Sie soll Eskens Amt übernehmen. Hat wer entschieden? Lars Klingbeil, ein Mann natürlich.
Gut, nun kann man sagen: Was sollte eine Quote für dieses Gremium bringen? Es geht doch darum, dass das Spitzenpersonal der Parteien und Fraktionen vertreten ist, also die, die das Sagen haben. Stimmt. Aber merken Sie was? Diese Spitzenposten: Fraktionschefs, Parteivorsitzende, Generalsekretäre, die sind – abgesehen von Bärbel Bas – eben alle mit Männern besetzt.
Auch Bundesfrauenministerin Karin Prien, immerhin CDU-Parteivizechefin, hätte sich eine andere, paritätischere Besetzung des Koalitionsausschusses, also eigentlich der wichtigsten Ämter in ihrer Partei gewünscht. Sie erinnerte im Interview der Woche des Deutschlandfunks daran, dass es auch schon mal anders war in der CDU: Unter Merkel gab es viele Jahre lang mächtige Frauen. Annegret Kramp-Karrenbauer, Ursula von der Leyen zum Beispiel.
Wohlgemerkt: Es geht dabei gar nicht um die Frage, ob Frauen per se bessere oder schlechtere Politiker sind. Auf diese hatte Friedrich Merz misslicherweise vor der Wahl eine entlarvende Antwort gegeben – und es ist kein Wunder, dass viele Frauen ihm diese übel nehmen. Da sprach er davon, dass man den Frauen keinen Gefallen täte, wenn man auf eine paritätische Besetzung des Kabinetts poche. Schließlich sei das bei Christine Lambrecht (SPD) auch schiefgegangen. Es klang wie: Eine unfähige Verteidigungsministerin sei der Beweis dafür, dass Frauen so was nun mal nicht könnten. Nur: Wofür ist dann eigentlich ein unfähiger Verkehrsminister wie Andi Scheuer (CSU) ein Beweis?
Man kann Merz nun zugutehalten, dass er manchmal eben schneller redet, als er nachdenkt. Passiert uns allen gelegentlich. Außerdem sind in seinem Kabinett nun auch mehr Frauen vertreten, als nach dieser Äußerung zu befürchten war, ja es ist – dank der SPD – sogar fast paritätisch besetzt: 8 von insgesamt 17 Ministern sind weiblich. Geht doch.
Kleiner, aber nicht unwesentlicher Schönheitsfehler: Auf den wirklich machtvollen Schlüsselposten sitzen Männer. Kanzler, Vizekanzler, Finanz-, Verteidigungs-, Innen- und Außenminister. Wen wundert es da noch, dass das Wirtschaftsressort an eine Frau ging, nachdem es weder Carsten Linnemann (jetzt CDU-Generalsekretär) noch Jens Spahn (CDU-Fraktionschef) haben wollten, weil es nicht um den Bereich Arbeit erweitert und damit machtvoller wurde?
Mehr Frauen in Machtpositionen zu bringen, ist auch nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Es geht um Teilhabe, von der letztlich alle profitieren. Frauen und Männer bringen unterschiedliche Erfahrungen, Lebenswelten und Sichtweisen mit ins Amt. Eine Regierung sollte das zum Wohle aller abbilden. Doch offensichtlich ist der Regionalproporz, also ob jemand aus NRW oder Niedersachsen kommt, bei der Verteilung von machtvollen Posten wichtiger als der Geschlechterproporz. Denn auf die regionale Herkunft wird stets sehr genau geachtet.
Häufig kommt der Einwand: Aber es gibt nun mal nicht genug Frauen in der Politik. Tatsächlich sind von den Unionsabgeordneten im Bundestag gerade einmal 23,1 Prozent Frauen. Nur die AfD hat mit 11,8 Prozent weniger in ihren Reihen. Wer sich allerdings die Zahlen bei Grünen (61,2 Prozent) und Linken (56,2) anschaut, dem wird schnell klar, woran das liegen könnte: Diese Parteien haben schon lange eine verbindliche Frauenquote von 50 Prozent, die SPD immerhin eine von 40 Prozent, ihr Frauenanteil im Bundestag liegt tatsächlich bei 41,7 Prozent. CSU und AfD haben keine Frauenquote. Merz hat für die CDU im Jahr 2022 immerhin eine Quote von 30 Prozent auf Probe für Parteiämter eingeführt, sie sollte stufenweise bis in diesem Jahr auf 50 Prozent ansteigen – der Widerstand innerhalb der Partei war jedoch groß.
Die Grande Dame der CDU, Rita Süssmuth, glaubt deshalb auch nicht, dass die 50-Prozent-Quote kommt. Sie hat kürzlich der "Zeit" ein sehr lesenswertes Interview gegeben. Darin kommt sie zu dem Schluss: Männer würden ihre Macht nie freiwillig abgeben, darum müssten die Frauen diese umso lauter und stärker einfordern.
Wir wissen aber auch schon seit Jahrzehnten: Um den Rückschritt aufzuhalten, braucht es nicht nur selbst- und machtbewusste Frauen. Es braucht auch Männer, die nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern auch ihrer Leistung in Verantwortung kommen wollen. Und dazu wiederum braucht es eine gleichberechtigte Erziehung, für Jungs wie für Mädchen. Es braucht Rollenvorbilder beiderlei Geschlechts.
Deshalb habe ich den Gedanken auch wieder verworfen: Ich freue mich an meinen Söhnen – und hätte dennoch gerne auch noch eine Tochter gehabt. Und ihr mitgegeben: jetzt erst recht.
Ohrenschmaus
Sicherlich kein Macho-Männerbild verkörpert der diesjährige ESC-Gewinner JJ, alias Johannes Pietsch, aus Österreich. Der Countertenor gewann mit einem eher ungewöhnlichen Song, wer ihn noch mal nachhören mag: bitte schön.
Zwei entscheidende Fragen
Von diesem Telefonat könnte für die Ukraine sehr viel abhängen: Zum dritten Mal seit seinem Amtsantritt will Donald Trump heute mit Russlands Machthaber Wladimir Putin telefonieren. Wird der US-Präsident dabei endlich Druck auf Putin ausüben, dass dieser in eine Waffenruhe im Krieg in der Ukraine einwilligt? Oder wird er sich von seinem "Freund", wie er den Kremlherrscher regelmäßig nennt, davon abbringen lassen?
Die Europäer waren zumindest wild entschlossen, das zu verhindern. Schon gestern bei der offiziellen Amtseinführung von Papst Leo XIV. sprach Kanzler Friedrich Merz in Rom am Rande mit US-Außenminister Marco Rubio und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Zu einem Treffen mit US-Vizepräsident JD Vance, der ebenfalls bei der Messe auf dem Petersplatz war, kam es allerdings nicht. Am Abend wollten sich Merz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer mit Trump absprechen, um sich vor dessen Telefonat mit Putin abzustimmen.
In Washington hatte es zuvor Anzeichen dafür gegeben, dass die US-Regierung nicht länger gewillt ist, sich von Putin hinhalten zu lassen. Rubio betonte in einem Interview, die russische Regierung sei auf die Möglichkeit neuer Sanktionen "ziemlich klar" hingewiesen worden. Auch im US-Kongress scheint es eine breite Mehrheit für Sanktionen zu geben.
Putin hielt das nicht davon ab, am Sonntag die Ukraine mit dem stärksten Drohneneinsatz seit Kriegsbeginn zu attackieren. 372 unbemannte Flugobjekte kamen zum Einsatz. Erstaunlicherweise starb nur eine Frau, drei Menschen wurden verletzt. Entscheidend für das Ergebnis des Telefonats wird allerdings sein: Lässt sich Putin von mehr Druck beeindrucken? Und wie reagiert Trump, wenn nicht?
Was steht sonst noch an?
Zeichen auf Neuanfang: Fünf Jahre nach dem Brexit findet in London erstmals ein Gipfeltreffen zwischen der EU und Großbritannien statt. Der britische Premier Keir Starmer empfängt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa. Verhandelt wird unter anderem über einen Verteidigungspakt. Die EU plant einen Fonds von 150 Milliarden Euro für Rüstungsprojekte. Auch über die hohen Gebühren für Studierende aus Europa an britischen Universitäten soll gesprochen werden.
Gute Nachricht für Europa: Der liberalkonservative und proeuropäische Kandidat Nicușor Dan wird neuer Staatspräsident Rumäniens. Nach Auszählung von mehr als 98 Prozent der Wahllokale lag er uneinholbar vor dem EU-skeptischen Rechtspopulisten George Simion, teilte die Wahlbehörde in Bukarest mit. Simion hatte sich zunächst zum Sieger erklärt, obwohl alle Prognosen einen deutlichen Vorsprung seines Widersachers ergaben. Im Laufe der Nacht zu Montag gab Simion dann allerdings zu, die Wahl verloren zu haben und gratulierte Dan zum Sieg.
Historisches Bild
Ein legendäres Duo des "Wilden Westens" begeisterte einst die Amerikaner. Mehr lesen Sie hier.
Lesetipps
Hilfe für die Autobranche: Ex-VW-Vorständin Hiltrud D. Werner kennt die deutsche Automobilindustrie von innen. Meiner Kollegin Frederike Holewik hat sie im Interview erklärt, wie die schwächelnde Branche das Ruder noch herumreißen kann.
Bedrohte Riesen: Wale faszinieren die Menschheit seit jeher, doch viele Details über die Meeressäuger sind eher unbekannt. Der Biologe Fabian Ritter hat meinem Kollegen Marc von Lüpke erklärt, was sie so besonders macht und wie sie besser geschützt werden können.
Reform des ARD-Flaggschiffs: Die "Tagesschau" soll umgebaut werden. Die Sendung um 20 Uhr könnte künftig eine halbe Stunde dauern. Das ist zumindest ein Plan von ARD-Programmdirektorin Christine Strobl. Ob das eine gute Idee ist, darüber streiten sich die Kollegen Philipp Michaelis und Christoph Schwennicke.
Zu guter Letzt
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Start in die neue Woche – und uns allen viele gute Nachrichten. Morgen schreibt unsere Finanzredakteurin Christine Holthoff Ihnen.
Herzliche Grüße
Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel
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Mit Material von dpa.