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Anne Will | SPD-Politiker erteilt Ukraine klare Absage


Experte bei "Anne Will"
SPD-Politiker erteilt Ukraine klare Absage


Aktualisiert am 03.07.2023Lesedauer: 4 Min.
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Ralf Stegner bei "Anne Will": Der Außenexperte setzt im Ukrainekrieg nicht nur auf militärische Lösungen.Vergrößern des Bildes
Ralf Stegner bei "Anne Will": Der Außenexperte setzt im Ukraine-Krieg nicht nur auf militärische Lösungen. (Quelle: IMAGO/Jürgen Heinrich)

Soll die Ukraine in die Nato oder nicht? Darüber stritten bei "Anne Will" zwei Bundespolitiker. Ein Russland-Experte skizzierte die Voraussetzung für einen Sturz Putins.

Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner erteilt der Forderung nach einem raschen Nato-Beitritt der Ukraine kategorisch eine Absage. Über Sicherheitsgarantien für die Ukraine müsse man reden, sagte das Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages am Sonntagabend bei "Anne Will": "Aber Nato-Mitgliedschaft steht überhaupt nicht an. Auch da ist die Position in Berlin kein Stück anders in Washington."

Die Gäste

  • Ralf Stegner (SPD), Außenpolitiker
  • Norbert Röttgen (CDU), Außenpolitiker
  • Irina Scherbakowa, russische Menschenrechtlerin
  • Claudia Major, Politikwissenschaftlerin
  • Michael Thumann, Moskau-Korrespondent "Die Zeit"

Stegner verwies in der ARD-Talkshow darauf, dass Balkanstaaten seit nunmehr 20 Jahren auf einen Beitritt zu dem westlichen Verteidigungsbündnis warten. Angesichts der unsicheren Lage in den Kriegsgebieten wäre es "das Gegenteil von Vernunft", der Ukraine einen raschen Beitritt in Aussicht zu stellen. "Man enttäuscht Erwartungen", warnte der Sozialdemokrat.

Putin gestürzt? "Dann wird es brandgefährlich"

Er sprach nach der gescheiterten Revolte der Söldner außerdem von einem "Wunschdenken", der russische Machthaber Wladimir Putin könne ernsthaft geschwächt sein. "Solange es keine demokratische Alternative gibt, wäre ich mit der Kreml-Astrologie sehr vorsichtig", sagte Stegner. Er warnte: "Dann wird es brandgefährlich." Denn es könne ja niemand wollen, dass ein anderer Kriegsverbrecher wie der Söldnerchef Jewgeni Prigoschin Zugriff auf das Atomwaffenarsenal erlange.

"Haben Sie nicht die Sorge, dass Sie dem Narrativ von Putin voll auf den Leim gehen?", fragte an dieser Stelle Stegners Kollege im Auwärtigen Ausschuss, Norbert Röttgen (CDU). Der Kremlchef wolle im Westen die Furcht zementieren, dass nach ihm nur noch "größere Verbrecher" an die Macht kommen könnten – nach dem Motto "Ich bin schrecklich, aber stabil".

Stegner wies den Vorwurf weit von sich. "Das mag für Frau Wagenknecht oder für die AfD zutreffen – davon sind wir weit entfernt", widersprach der Sozialdemokrat. Er betonte jedoch: "Außenpolitik ist aber eben nicht nur Wunschdenken." Man dürfe nicht ausschließen, dass Putins Macht doch noch gefestigter ist als angenommen. Warnungen vor jahrelangen Stellungskriegen in der Ukraine bezeichnet er als "Horrorvorstellung".

Dass Stegner und Röttgen wegen ihrer Expertise seit Monaten häufig gemeinsam in politischen Talkshows sitzen, nahm ihrer Auseinandersetzung bei "Anne Will" nicht die Schärfe. Die Forderung des Christdemokraten nach mehr deutschen Waffenlieferungen konterte Stegner mit der Aussage, der Sieg auf dem Schlachtfeld könne nicht einfach durch mehr Waffen "erzwungen" werden.

"Das ist eine Sicht der Dinge, die ein Großteil der Bevölkerung und Militärexperten in Zweifel ziehen würden", sagte Stegner. Stattdessen sei eine Mischung aus politischen, ökonomischen, militärischen und diplomatischen Initiativen nötig, um den Russen zu zeigen: Sie können ihre Ziele nicht erreichen. Stegner hatte im Oktober 2022 in einem Thesenpapier mehr Diplomatie gefordert und sich gegen eine vermeintliche "Militarisierung der Politik" gewandt.

Dass Stegner bei "Anne Will" für sich in Anspruch nahm, für viele Bundesbürger zu sprechen, stellte die Politikwissenschaftlerin Claudia Major infrage. Lediglich 20 Prozent der Deutschen wollten laut Umfragen weniger Waffenlieferungen, sagte die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Sie attestierte weiten Teilen der europäischen Politik in Bezug auf Putin eine "Stabilitätsobsession". Dies müsse endlich ein Ende haben. Spätestens die Meuterei der Wagner-Söldner habe gezeigt, dass das System Putin in Wahrheit unberechenbare Folgen hat. "Wir haben keine Stabilität. Der ganze Krieg ist ein Zeichen von Instabilität", unterstrich die Politikwissenschaftlerin ihre Forderung nach einer stärkeren militärischen Unterstützung der Ukraine.

Darf Russland etwa bei Nato mitsprechen?

Die Sicherheitsexpertin war im Gegensatz zu Röttgen der Überzeugung, dass trotz der unsicheren Situation ein Nato-Beitritt der Ukraine möglich ist. Westdeutschland sei 1955 auch trotz umstrittener Grenzen aufgenommen worden. Das sei eine ganz andere Situation gewesen, warf Stegner ein. Für Major ging es dabei aber um eine grundsätzliche Frage: "Wollen wir Russland ein Veto geben beim Beitritt?" Denn sollte klar sein, dass die Ukraine während des Kriegs kein Nato-Mitglied werden darf, sei dies ein Anreiz für den Kreml, den Krieg "endlos weiterzuführen".

"Die Ukraine sollte diese Nato-Perspektive haben. Der Prozess wird aber lange dauern", meinte Michael Thumann von der "Zeit". Er war anders als Röttgen nach dem gescheiterten Aufstand gegen den Kremlchef der Ansicht: "Putin ist nicht angezählt."

"Er hat uns an den Rand eines Atomkrieges gebracht, das ist schon mal maximal schlimm", resümierte Thumann. Er könne sich aber vorstellen, dass ein Nachfolger Putins selbst aus einem politischen Chaos heraus erwachsen könnte. Es käme dabei vor allem auf die Unterstützung der Bevölkerung für den Diktator an, so Thumann. Diese sieht der Journalist nach wie vor als gegeben.

Prigoschin könne dennoch einen Präzedenzfall geschaffen haben. Sollte Putin irgendwann wieder in Bedrängnis geraten, "werden sich alle an diesen Moment der Schwäche erinnern", sagte Thumann. Außerdem könne Putin seinen Bürgern immer weniger bieten: "Seine Vision ist der Krieg, die Depression bis ans Lebensende – mit so einem Versprechen kann man sich nicht an der Macht halten."

Der russische Regierungskritiker Michail Chodorkowski hatte den mutmaßlichen Putsch Prigoschins unterstützt, bei aller Abscheu gegenüber dem Söldnerchef. "Das war auch ein Satz der Verzweiflung", urteilte Irina Scherbakowa, Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial, die 2022 den Friedensnobelpreis erhalten hatte. "Wir wissen nicht, wie tief die Risse sind", kommentierte die gebürtige Moskauerin die Folgen der Revolte. Zum ersten Mal nach all den Jahren habe man aber bei Putin deutlich Angst und Panik erkennen können.

"Die Ukraine muss den Krieg gewinnen, eine andere Alternative gibt es nicht", unterstrich die Menschenrechtlerin. Dass es dazu kommt, wird ihrer Ansicht nach durch die laufenden "Säuberungen" in der russischen Armee nach der Revolte wahrscheinlicher.

Gleichzeitig verhöhne Russland als Mitglied des UN-Sicherheitsrates die Staatengemeinschaft. "Das kann man einfach nicht mitansehen", urteilte Scherbakowa. Sie forderte daher auch mit Blick auf die Nato-Mitgliedschaft vom Westen "kreative" Lösungen. "Dieser Krieg hat die gesamte Sicherheitsordnung in Europa gestört. Man muss Mut haben, diese Sicherheitssysteme zu verändern."

Verwendete Quellen
  • ARD: "Anne Will" vom 2. Juli 2023
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