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Russland und der Taurus-Abhörskandal: "Scholz vertraut der Ukraine nicht"


Geht Putins Taurus-Strategie auf?
Sein Angriff zeigt Wirkung


05.03.2024Lesedauer: 4 Min.
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Ein ukrainischer Soldat im Osten des Land (Archivbild): Während die westliche Unterstützung bröckelt, gerät die Ukraine in diesem Kriegswinter immer mehr unter Druck.Vergrößern des Bildes
Ein ukrainischer Soldat im Osten des Landes (Archivbild): Während die westliche Unterstützung bröckelt, gerät die Ukraine in diesem Kriegswinter immer mehr unter Druck. (Quelle: IMAGO/Dmytro Smolienko/imago-images-bilder)

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich spätestens mit der Spionageaffäre in der Taurus-Debatte in eine Sackgasse manövriert. Das könnte nun teuer für die Ukraine werden.

Es soll also ein individueller Fehler gewesen sein. Durch einen "Anwendungsfehler" konnten russische Spione offenbar das Gespräch hochrangiger Bundeswehroffiziere über das Waffensystem Taurus von Russland abhören. Das erklärt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag und damit ist vier Tage nach Bekanntwerden die Luftwaffen-Abhöraffäre im Kern aufgeklärt. Der politische Schaden ist groß, personelle Konsequenzen in der Bundeswehr soll es aber vorerst nicht geben. Pistorius betont: "Ich werde niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern."

Der Kreml führt einen hybriden Krieg – auch gegen Deutschland. Sicherlich nimmt Moskau mit Freude die politische Unruhe zur Kenntnis, die durch das Veröffentlichen des Gesprächs am vergangenen Wochenende in der Bundesrepublik entstanden ist. Doch Putin verfolgt mit derartigen Destabilisierungsaktionen vor allem ein Ziel: Er möchte die westliche Unterstützung für die Ukraine mindestens deutlich verlangsamen.

Die Manipulation der deutschen Taurus-Debatte ist auch ein Spiel Putins. Der russische Plan scheint vor allem deswegen aufzugehen, weil Kanzler Olaf Scholz (SPD) seine Absage an Taurus-Lieferungen falsch begründet hat. Dieser politische Fehler könnte vor allem für die Ukraine fatal werden.

Die Taurus-Begründung des Kanzlers bricht zusammen

Das von russischen Staatsmedien veröffentlichte Gespräch öffnet in dem Taurus-Diskurs eine neue Perspektive. Bundeswehrsoldaten müssten nicht am Einsatz des Marschflugkörpers in der Ukraine beteiligt sein, sollte sich Deutschland für eine Lieferung entscheiden. Das hatten viele Militärexperten in den vergangenen Wochen zwar immer wieder erklärt, doch nun wurde dieser Fakt noch einmal vom Hauptanwender des Waffensystems klargestellt – von der Bundeswehr. Mehr zum Inhalt des abgehörten Gesprächs lesen Sie hier.

Video | Scholz macht Ansage: "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das"
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Quelle: t-online

Die Argumentation des Kanzlers, der laut eigenem Bekunden eine deutsche Kriegsbeteiligung durch Taurus-Lieferung befürchtet, ist mit dem Leak also zusammengebrochen. Trotzdem hält Scholz an seiner roten Linie fest. "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das", sagte er am Montag in einer Fragerunde an einem beruflichen Schulzentrum im baden-württembergischen Sindelfingen. Einen Grund nennt er allerdings nicht.

Scholz wird die Taurus-Debatte seit Monaten nicht los. In der Vergangenheit waren deutsche Entscheidungen in der Ukraine-Krise oft nicht endgültig. Bei den Exporten von Waffen, Kriegsgerät oder Panzern änderte Scholz seinen Kurs. Warum bei der Lieferung von Taurus nicht? Die Hoffnung auf die nächste Scholz-Wende haben zumindest die Unterstützer der Ukraine.

Putin profitiert von politischen Fehlern

Der Russland- und Militärexperte Gustav Gressel äußert sich gegenüber t-online pessimistisch: "Ich glaube nicht, dass der Kanzler nun Taurus-Marschflugkörper liefern wird. Er vertraut der Ukraine nicht." Es sei schon länger klar gewesen, dass die Ukraine Taurus auch ohne Unterstützung deutscher Soldaten einsetzen kann, meint der Experte.

Aber liegt es wirklich am Vertrauen, dass der Kanzler nicht liefern möchte? In der Tat könnte Scholz befürchten, dass die deutschen Marschflugkörper auch auf Ziele in Russlands eingesetzt werden könnten – besonders in der aktuellen Situation, in der die Ukraine sehr in Bedrängnis gerät.

Doch auch diese Argumentation hätte Lücken: Einerseits hat die ukrainische Armee seit Beginn der russischen Invasion vor zwei Jahren das westliche Vertrauen immer gerechtfertigt. Partner wie Frankreich, Großbritannien oder auch die USA liefern schon Marschflugkörper beziehungsweise Kurzstreckenraketen, vertrauen auf die ukrainischen Zusicherungen. Deutschland würde hierbei also zu einem anderen Rückschluss kommen als seine Verbündeten.

"Es gibt Argumente, die dagegensprechen, und ich wäre zufrieden gewesen, wenn die Bundesregierung ihre Ablehnung auf einer faktisch-richtigen Basis getroffen hätte", meint Gressel. "Aber so hat Scholz eine Lawine der emotionalisierten Fehlinformationen losgetreten, auf der die Russen jetzt natürlich wie auf einem Klavier spielen." Das bedeutet: Wenn Scholz erklärt, dass Deutschland durch Taurus-Lieferungen in den Krieg gezogen werden könnte, befeuert Russland diese Ängste in der deutschen Bevölkerung. Die Folge laut Gressel: "Putin freut sich."

Ein Argument gegen Taurus-Lieferungen wäre zum Beispiel, dass die Bundeswehr im Gegensatz zu ihren Verbündeten in Frankreich oder in Großbritannien noch keinen Nachfolger für den Marschflugkörper in Aussicht hat. Russland würde also im Ukraine-Krieg wichtige Daten sammeln können, wie Deutschlands wichtigster Flugkörper funktioniert. Das berührt natürlich deutsche Sicherheitsinteressen, aber der Kanzler führt diese Gründe nicht an.

Scholz in der Zwickmühle

Darüber hinaus ist der Nachschub von Marschflugkörpern für die ukrainische Kriegsführung ungemein wichtig. Mithilfe dieser Technologie können russische Nachschublinien unterbrochen werden und die Ukraine kann somit zumindest ihren Mangel an Munition ein wenig ausgleichen. Deswegen ist Taurus eben kein System, das ohnehin nicht kriegsentscheidend sei, so wie es die Bundesregierung darstellt.

Die Offiziere der deutschen Luftwaffe sprechen in dem abgehörten Gespräch darüber, dass Frankreich und Großbritannien bei der Lieferung von Marschflugkörpern an ihre Kapazitätsgrenzen geraten. In diesem Szenario gibt es eigentlich kaum eine Alternative zur Taurus-Lieferung, wenn die US-Republikaner weiterhin im Kongress Hilfen für die Ukraine blockieren. Die Bundesregierung betont zwar oft, dass Deutschland der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine sei, aber das allein hilft den Verteidigern in dem Krieg nicht.

Damit steckt Scholz in einer Zwickmühle. Einerseits versprach er der Ukraine alles, was nötig ist, um diesen Krieg nicht zu verlieren. Andererseits haben seine handwerklichen Fehler in der Taurus-Debatte dazu geführt, dass er nun nur noch schwer eine Wende vollziehen kann. Gemessen an seinen vorigen Aussagen, würde er einen deutschen Krieg mit Russland riskieren. Andere Kritiker würden ihm vorwerfen, seine Entscheidung uninformiert getroffen oder die deutsche Öffentlichkeit gar belogen zu haben.

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Es ist eine große Zwickmühle – und das ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl.

Der stellvertretende Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Christian Mölling, sagt zu t-online: "Scholz kommt nun aus der politischen Ecke nicht mehr heraus." Das wisse aber auch Putin und deswegen versuche Russland, der Debatte in Deutschland Futter zu geben. "Für Putin ist das ein großer Erfolg. Scholz könnte nun Stärke demonstrieren und Taurus liefern. Aber das wäre politisch eine 180-Grad-Wende."

Durch die Abhöraffäre sind also Taurus-Lieferungen aus Deutschland deutlich unwahrscheinlicher geworden – vor allem aus politischen Gründen. Das sind vor allem schlechte Nachrichten für die Ukraine, die den Krieg zu verlieren droht. Und wenn Putin gewinnt, ist es am Ende egal, welches Land bei der Ukraine-Unterstützung auf Platz 2 oder auf Platz 15 steht. Sondern es wird primär um folgende Frage gehen: Haben die westlichen Unterstützer der Ukraine alles getan, um einen Sieg Russlands zu verhindern?

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Gustav Gressel und Christian Mölling
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