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Ukraine-Krieg: Charkiw-Offensive stockt – Putins Ziele erreicht?


Lage in Charkiw
Russland erreicht sein Ziel


Aktualisiert am 22.05.2024Lesedauer: 4 Min.
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UKRAINE-CRISIS/KHARKIV-ARTILLERYVergrößern des Bildes
Ukrainische Soldaten feuern mit einer Haubitze auf russische Stellungen im Gebiet Charkiw: Die Lage in der Region hat sich nach einer russischen Offensive etwas stabilisiert. (Quelle: Valentyn Ogirenko/reuters)

Seit knapp zwei Wochen läuft Russlands Offensive im Gebiet Charkiw – doch langsam kommt sie ins Stocken. Eines der wichtigsten Ziele hat Russland aber wohl schon erreicht.

Russlands Vorstoß in der Region Charkiw kommt ins Stocken. Nach dem Start der Offensive vor knapp zwei Wochen haben die Truppen des Kreml in dem Gebiet im Nordosten der Ukraine schnell Territorium erobert. Tag für Tag meldete das russische Verteidigungsministerium die Einnahme ukrainischer Dörfer entlang der Grenze.

Laut Einschätzung der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) sind die russischen Truppen seit Beginn der Offensive am 10. Mai von der Grenze aus rund zehn Kilometer tief in Richtung der Stadt Charkiw und etwa sieben Kilometer in Richtung der Kleinstadt Wowtschansk vorgerückt und sogar in den Ort eingedrungen. Das unmittelbare Grenzgebiet wurde von den Ukrainern kaum verteidigt. Eine der weiter im Landesinneren liegende Verteidigungslinie konnten die Russen jedoch bereits überwinden.

Seit mehreren Tagen aber gelingen Russland bis auf Häuserkämpfe in Wowtschansk keine weiteren Vorstöße. Präsident Selenskyj sagte kürzlich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Lage an der Charkiw-Front seit einer Woche stabil sei.

Video | Putins "Schildkröten-Panzer" explodiert
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Quelle: t-online

Das könnte daran liegen, dass Russland das mögliche Hauptziel seiner Offensive in dem Gebiet bereits erreicht hat: Der Vorstoß in Charkiw lenkt die internationale Aufmerksamkeit von der Lage in der Ostukraine ab und bindet ukrainische Truppen in der Region, die andernorts an der Front nicht eingreifen können. Selenskyj nannte die Lage im Gebiet Donezk in seiner allabendlichen Ansprache am Dienstag "schwierig". In den Richtungen Kramatorsk, Kurachowe und Pokrowsk im Gebiet Donezk gebe es die meisten Kämpfe, sagte der Präsident.

In Charkiw hingegen würden die russischen Angreifer von den ukrainischen Truppen "vernichtet", so Selenskyj. Doch um die russischen Angriffswellen zurückzuschlagen, muss die Ukraine große Reserven aufwenden. Besonders in Wowtschansk können die Russen Stellungen beziehen, die einfacher zu verteidigen sind.

Russland will angeblich Pufferzone in Charkiw errichten

Die Lage im Osten der Ukraine ist bereits seit mehreren Monaten kritisch. Die Ukraine leidet bereits seit Ende vergangenen Jahres unter einem Mangel an Munition und Personal. Außerdem haben es die Verteidiger verpasst, rechtzeitig ausreichend befestigte Stellungen im Hinterland anzulegen. Als Russland dann Mitte Februar die lang umkämpfte Stadt Awdijiwka in Donezk einnahm, mussten sich die Verteidiger zurückziehen.

Die russischen Truppen rücken seitdem langsam aber stetig vor, nehmen immer wieder Ortschaften ein. Aktuell bedrohen sie vor allem die zur Festung ausgebaute und strategisch wichtige Stadt Tschassiw Jar. Angesichts dessen kommt ihnen eine Ablenkung für die ukrainische Armee weiter nordöstlich im Gebiet Charkiw wohl gerade recht, um die Angriffe auf die Stadt weiter intensivieren zu können.

Noch ist es wohl zu früh, um sich bezüglich der russischen Ziele in Charkiw sicher zu sein. Experten nehmen bereits seit Beginn des Vorstoßes an, dass der Kreml in der Region vor allem ein Ziel im Sinn habe. Der Konsens: Russland will den Personalmangel der ukrainischen Armee nutzen und Kräfte in Charkiw binden, die Kiews Truppen dann etwa im Donbass nicht unterstützen können. Dass Russland einen Versuch unternehmen könnte, die Millionenstadt Charkiw zu erobern, schließen die meisten Experten aus. Dafür habe Russland zu wenige Soldaten und zu wenig Militärgerät in dem Gebiet.

Auch der russische Präsident Wladimir Putin wies das zurück. Russland wolle in dem Gebiet angeblich nur eine Pufferzone einrichten, weil von Charkiw aus die russische Region Belgorod massiv mit Drohnen und Raketen beschossen werde, behauptete er vergangene Woche im Rahmen seines Besuches in China. Tatsächlich führt Russland bereits seit Monaten massive Luftangriffe auf die Stadt Charkiw mit Raketen, Drohnen und Gleitbomben durch. Die Ukraine antwortet zumeist mit Drohnenangriffen, da sie keine westlichen Waffen auf russischem Territorium einsetzen darf.

Tote Zivilisten in Wowtschansk

Mit Gleitbomben bombardieren die russischen Streitkräfte aktuell besonders die Stadt Wowtschansk nahe der Grenze. Die Bomben haben eine Reichweite von bis zu 70 Kilometern und ein Gewicht von mehreren Tonnen. Sie können noch über russischem Territorium abgeworfen werden und fliegen dann relativ zielgenau auf Stellungen und Gebäude der Stadt. Ihre Sprengkraft macht solche Bauten dem Erdboden gleich.

Der größte Teil der Zivilbevölkerung konnte aus der Stadt evakuiert werden. Doch denen, die es nicht geschafft haben, droht in Wowtschansk der Tod. Bilder einer ukrainischen Aufklärungsdrohne, die auf sozialen Netzwerken kursieren, belegen die massiven Zerstörungen in der Stadt. Zudem zeigen sie teils tote Zivilisten, die an Straßenrändern liegen. Ob sie im Kreuzfeuer oder durch gezielte Erschießungen starben, ist nicht bekannt.

"Es ist nicht vergleichbar mit der russischen Artillerie"

Die russischen Truppen rückten im Gebiet Charkiw zwar schnell vor, mittlerweile konnten die Ukraine den Vorstoß jedoch aufhalten. Das ging unter anderem durch die schnelle Verlegung von Truppen in das Gebiet, zum anderen jedoch auch weil nach und nach westliche Militärhilfen in dem Gebiet ankommen. Dennoch war Präsident Selenskyj wegen der zunächst mangelhaften Verteidigung des Gebiets unzufrieden: Der Kommandeur der ukrainischen Truppen in Charkiw wurde ausgetauscht.

Zudem komme die westliche Waffenhilfe noch immer zu langsam, beklagte Selenskyj kürzlich. Seit Tagen verstärkt er den Druck auf die Unterstützer, mehr Munition für Flugabwehr und Artilleriegeschütze zu liefern.

Auf der Plattform X macht ein ukrainischer Soldat, der laut eigenen Angaben derzeit in einer Luftaufklärungseinheit im Gebiet Charkiw dient, auf den Mangel an Artilleriemunition aufmerksam. "Unsere Artillerie schießt, ja", schreibt er angesichts der Meldungen über angelaufene Lieferungen. "Aber es ist nicht vergleichbar mit der russischen Artillerie." Diese könne zum Teil sechs Geschosse gleichzeitig abfeuern.

Die meisten der Geschütze stehen seinen Angaben zufolge im Gebiet Belgorod. "Unglücklicherweise können wir auf sie nicht mit amerikanischen Himars (zum Beispiel) schießen", fügt er hinzu. Himars sind Mehrfachraketenwerfer aus US-Produktion mit einer großen Reichweite. Die USA verbieten der Ukraine den Einsatz von US-Waffen gegen Ziele auf russischem Territorium. "Also leiden wir einfach, leisten Widerstand und beißen. Wenn wir nur russische Ziele auf ihr Gebiet abschießen könnten...", schreibt der Soldat.

Verwendete Quellen
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