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Finanzprobleme der Krankenkassen: Der Tod ist nicht umsonst


Finanzprobleme der Krankenkassen
Der Tod ist nicht umsonst

Von spiegel-online
28.10.2013Lesedauer: 4 Min.
Finanzierung aus dem Gesundheitsfonds: Kassen mit vielen älteren Mitgliedern werden benachteiligtVergrößern des BildesFinanzierung aus dem Gesundheitsfonds: Kassen mit vielen älteren Mitgliedern werden benachteiligt (Quelle: imago-images-bilder)
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26.769 Euro, so viel zahlen die Krankenkassen durchschnittlich im letzten Lebensjahr eines Versicherten. Doch nur ein Drittel dieser Kosten wird ihnen erstattet. So werden Kassen mit vielen älteren Mitgliedern systematisch benachteiligt - mit gefährlichen Folgen.

Die DAK ist die älteste Krankenkasse Deutschlands. Ihre Historie reicht bis ins Jahr 1774 zurück, damals gründete sich in Breslau das "Institut für hilfsbedürftige Handlungsdiener", die Vorläuferorganisation der DAK. Kassenchef Herbert Rebscher erzählt diese Geschichte gerne, er ist stolz darauf. Doch zugleich leidet er darunter. Denn historisch bedingt sind auch die Versicherten der DAK zum großen Teil älteren Semesters: 58 Prozent von Rebschers Mitgliedern sind älter als 45 Jahre, 28 Prozent älter als 65 Jahre.

Kassen mit vielen älteren Versicherten werden benachteiligt

Nun müsste das nicht unbedingt ein Problem sein. Schließlich ist es die Aufgabe einer gesetzlichen Krankenkasse, alle Bürger zu versichern - unabhängig von Alter und Gesundheitszustand. In der Praxis hat sich das Gesundheitssystem aber mittlerweile so entwickelt, dass Kassen mit vielen älteren Versicherten systematisch benachteiligt werden.

Wozu das führt, ist in den vergangenen Monaten immer häufiger zu beobachten gewesen: Die Kassen bemühen sich vor allem um junge, gesunde Versicherte - und sparen bei der Versorgung der Alten und Kranken. Eine solche Risikoselektion, wie das im Kassensprech heißt, ist zwar verboten. Doch in der Praxis klagen immer mehr chronisch Kranke über Ärger mit ihrer Kasse. Leistungen wie Krankengeld werden nicht bezahlt, am Telefon üben Mitarbeiter massiv Druck auf Versicherte aus.

Deckungslücke im letzten Lebensjahr

DAK-Chef Rebscher fordert deshalb, die gröbsten Ungerechtigkeiten in der Finanzierung der Kassen zu beseitigen. Konkret geht es ihm um die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. In diesen fließen alle Beiträge der 70 Millionen gesetzlich Versicherten. Die Kassen bekommen dann je nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand Geld zugewiesen. Mit Hilfe des sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) soll das Geld fair verteilt werden.

Doch in der Praxis funktioniert eben das nicht. Das Problem: In den letzten Lebensjahren eines Versicherten decken die Zuweisungen die tatsächlich entstandenen Kosten kaum noch. Besonders groß ist die Lücke im letzten Lebensjahr. Laut einem Evaluationsbericht des Gesundheitsministeriums von 2011 betragen die durchschnittlichen Kosten für einen Verstorbenen im letzten Lebensjahr 26.769 Euro. Erstattet bekommt die Kasse dank des Morbi-RSA aber nur 7790 Euro - also knapp 30 Prozent. "Den Großteil der Kosten müssen wir also quersubventionieren", sagt Rebscher. Pro Jahr koste die DAK dies Rebscher zufolge rund eine Milliarde Euro. Jeder seiner Versicherten zahle so im Grunde pro Jahr rund 150 Euro für die Versorgung sterbender Versicherter - quasi eine Art kasseninterner Solidarbeitrag.

Hintergrund der Deckungslücke ist die Ungenauigkeit des Morbi-RSA. Er verteilt nur Durchschnittskosten und berücksichtigt nicht die tatsächliche Risikoverteilung zwischen den einzelnen Kassen. Dazu kommt ein methodischer Fehler: Bei der Berechnung der Zuschläge für die Verstorbenen werden nur die Versichertentage, nicht aber die Kosten auf ein Jahr hochgerechnet. Die Folge: Die Kosten Verstorbener werden bei der Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds nur zur Hälfte berücksichtigt. Doch selbst wenn man diesen methodischen Fehler beseitigt, blieben die Kassen immer noch auf erheblichen Kosten für das letzte Lebensjahr sitzen.

DAK-Chef: Kassen sollten Ausgaben komplett erstattet bekommen

Rebscher kritisiert eine Scheingenauigkeit im deutschen System. Er regt deshalb an, die Kosten für das letzte Lebensjahr komplett auszugleichen. Im Klartext: Vom Todestag eines Mitglieds an soll eine Kasse alle Ausgaben der zurückliegenden zwölf Monate erstattet bekommen. "Das würde das Problem in den Jahren davor auch nicht regeln", sagt Rebscher. Aber die Politik könnte so die schlimmsten Fehlentwicklungen im System beheben.

Wie konkret die Deckungslücke im letzten Lebensjahr das Solidarsystem belastet, zeigt sich, wenn man die Sterbequoten einzelner Kassen vergleicht. Im Schnitt aller Ersatzkassen beträgt der Anteil der Sterbefälle pro Jahr 0,87 Prozent. Bei der DAK liegt die Sterbequote jedoch bei 1,25 Prozent, bei der Techniker Krankenkasse nur bei 0,43 Prozent (siehe Grafiken). Die TK hat eine sehr junge Mitgliedschaft. Sie war lange Zeit eine Berufskrankenkasse für Techniker, Ingenieure und Architekten. Mitte der neunziger Jahre öffnete sich die TK auch für andere Berufe. Aktuell geht es der Kasse finanziell so gut, dass sie für 2013 und 2014 jeweils eine Prämie von 80 Euro an ihre Mitglieder ausschüttet.

"Ein Vollausgleich der Kosten ist immer schlecht"

Wenig überraschend ist daher, dass Rebschers Vorschlag bei der TK auf strikte Ablehnung stößt. "Ein Vollausgleich der Kosten ist immer schlecht", sagte eine Sprecherin der Kasse. "Dadurch würden negative Wettbewerbsanreize gesetzt, die Kassen müssten im letzten Lebensjahr nicht mehr auf die Ausgaben achten."

Rebscher kennt dieses Argument, doch er lässt es nicht gelten. Aus zwei Gründen: "Zum einen haben die Krankenkassen im letzten Lebensjahr ohnehin kaum noch Einfluss auf die Höhe der Kosten. Das ist anders als beispielsweise bei einem Diabetiker, bei dem sich die Ausgaben stark danach richten, wie eng der Patient sich an die Therapie hält." Rebschers zweites Argument klingt noch einleuchtender: Eine Kasse könne im letzten Lebensjahr kaum verschwenderisch mit den Ausgaben umgehen - "schließlich weiß niemand, wann ein Mensch stirbt", so der DAK-Chef.

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