EZB-Direktorin Schnabel Sorge vor Inflation – "Es besteht ein Aufwärtsrisiko"
Lange kannte die Europäische Zentralbank nur ein Mantra: Die Inflation geht bald vorüber, keine Panik. Nun rudert die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel ein wenig zurück.
Die Verbraucher im Euroraum müssen nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) noch eine Weile mit höheren Teuerungsraten leben. In einem Interview mit der französischen Zeitung "Le Monde" sagte die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel:
"Wir wissen, dass die Inflation eine gewisse Zeit lang hoch sein wird, aber auch, dass sie im Laufe des nächsten Jahres zurückgehen wird. Weniger sicher sind wir uns darüber, wie schnell und wie stark der Rückgang sein wird."
Die Notenbank will mittelfristig im Währungsraum der 19 Länder bei einer Inflation von 2 Prozent für stabile Preise sorgen. Im kommenden Jahr rechnen Europas Währungshüter wegen der hohen Energiekosten im Jahresschnitt mit einer Preissteigerung von 3,2 Prozent im Euroraum. Für 2023 sagt die EZB 1,8 Prozent voraus.
"Wir sind uns der Unsicherheit bewusst"
Mit dieser Prognose vom vergangenen Donnerstag revidierte die EZB frühere Schätzungen, denen zufolge die Inflation im kommenden Jahr wieder sinken sollte. Lange vertrat auch Schnabel öffentlich die Meinung, dass die Teuerungsraten im kommenden Jahr wieder deutlich zurückgehen werden.
Jetzt sagt sie: "Wir sind uns der Unsicherheit unserer Inflationsprognosen durchaus bewusst. Es besteht ein Aufwärtsrisiko", sagte Schnabel in dem am 16. Dezember geführten Interview. "Wir sollten einen Risikomanagement-Ansatz verfolgen, damit wir schnell reagieren können, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass die Inflation dauerhaft über unserem Zwei-Prozent-Ziel liegt."
Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft. Verbraucher können sich für einen Euro dann weniger kaufen als zuvor. Die EZB erklärt den sprunghaften Anstieg der Inflation vor allem mit Sonderfaktoren, die sich 2022 wieder abschwächen sollten:
Geldpolitik bleibt weiter relativ locker
Dazu zählen etwa der Anstieg der Ölpreise nach dem Corona-Schock sowie die Lieferengpässe infolge gestiegener Nachfrage. Zudem schlage derzeit die Rücknahme der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland durch.
Kritiker werfen der EZB vor, mit ihrer Geldflut die Inflation anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will. Bei der jüngsten Sitzung des EZB-Rates hatte das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank ein erstes Signal für ein Auslaufen der ultralockeren Geldpolitik gesendet: Nur noch bis Ende März wird die EZB zusätzliche Wertpapiere im Rahmen ihres Corona-Notprogramms PEPP erwerben.
Allerdings steckt die Notenbank weiter etliche Milliarden in Staatsanleihen und Unternehmenspapiere: Das allgemeine Kaufprogramm APP wird vorübergehend aufgestockt. Gelder aus auslaufenden PEPP-Papieren sollen bis mindestens Ende 2024 neu angelegt werden.
Kritik an jüngsten EZB-Entscheidungen
"Wir haben einen wichtigen Schritt zur Normalisierung unserer Geldpolitik getan", sagte Schnabel. "Dies muss ein schrittweiser Prozess sein – es kann nicht alles auf einmal geschehen. Wenn wir zu schnell reagieren würden, bestünde die Gefahr, dass der Aufschwung durch eine zu abrupte Verschärfung der Finanzierungsbedingungen abgewürgt wird."
Mehrere Experten kritisierten indes, dass die EZB in der Straffung ihrer bislang ultralockeren Geldpolitik zu zögerlich vorgehe. So kommentierte etwa der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, den Ausblick auf 2022 mit den Worten: "Alles in allem wird die Geldpolitik damit 2022 sehr locker bleiben. Es wird weiter zu viel Geld in Umlauf kommen. Mehr denn je bestehen im Euroraum beträchtliche Inflationsrisiken, auch wenn die Inflation nach der Jahreswende vorübergehend sinken wird."
- Nachrichtenagenturen dpa-AFX und Reuters