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Urteil: Bundesverfassungsgericht kippt Verbot über geschäftsmäßige Sterbehilfe


Wegweisendes Urteil
Verfassungsgericht hebt Verbot von Sterbehilfe auf

Von afp, dpa
Aktualisiert am 26.02.2020Lesedauer: 4 Min.
Sterbehilfe: Das Verfassungsgericht hat entschieden – es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.Vergrößern des BildesSterbehilfe: Das Verfassungsgericht hat entschieden – es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. (Quelle: getty-images-bilder)
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Darf der Staat die Sterbehilfe verbieten? Das Bundesverfassungsgericht hat die bestehende Regelung gekippt und sieht in der Verfassung ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben verankert.

Das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz. Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, am Mittwoch bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. Der neue Strafrechtsparagraf 217 mache das weitgehend unmöglich. Die Richter erklärten das Verbot nach Klagen von Kranken, Sterbehelfern und Ärzten für nichtig. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.)

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Anspruch auf Sterbehilfe gibt es nicht

Voßkuhle sagte, der Gesetzgeber könne Suizidprävention betreiben und palliativmedizinische Angebote ausbauen. Die Straflosigkeit der Sterbehilfe stehe aber nicht zu seiner freien Disposition. Ohne Dritte könne der Einzelne seine Entscheidung zur Selbsttötung nicht umsetzen. Dies müsse rechtlich auch möglich sein. Einen Anspruch auf Sterbehilfe gebe es hingegen nicht. Das Urteil verpflichtet also keinen Arzt, gegen seine Überzeugung Sterbehilfe zu leisten.

Nach Voßkuhles Worten hat der Gesetzgeber "ein breites Spektrum an Möglichkeiten", die Suizidhilfe zu regulieren. Die Hilfe dürfe aber nicht davon abhängig gemacht werden, ob zum Beispiel eine unheilbare Krankheit vorliege. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestehe in jeder Lebensphase eines Menschen. "Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren."

Paragraf 217 stellt die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe. Bei Verstößen drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Nur Angehörige und "Nahestehende", die beim Suizid unterstützen, bleiben straffrei. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfevereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Aktive Sterbehilfe bleibt in Deutschland verboten

Professionelle Sterbehelfer hatten ihre Aktivitäten in Deutschland seither weitgehend eingestellt, aber in Karlsruhe gegen das Verbot geklagt – genauso wie mehrere schwer kranke Menschen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen möchten. Hinter anderen Verfassungsbeschwerden stehen Ärzte, die befürchten, sich bei der palliativmedizinischen Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen. Manche von ihnen wünschen sich auch die Freiheit, Patienten in bestimmten Fällen ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen zu dürfen.

Sterbehilfe-Vereine lassen sich ihre Dienste meist bezahlen. "Geschäftsmäßig" im juristischen Sinne bedeutet aber nicht gewerblich, sondern so viel wie "auf Wiederholung angelegt". Aktive Sterbehilfe – also die Tötung auf Verlangen, zum Beispiel durch eine Spritze – ist und bleibt in Deutschland verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es aber selbst ein.

Worüber musste das Bundesverfassungsgericht entscheiden?

Der Zweite Senat des Verfassungsgerichts befasste sich in einer zweitägigen Verhandlung im April mit dem inzwischen vor mehr als vier Jahren eingeführten Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung". Mehr als zehn Monate später stand nun die Entscheidung darüber an, ob der angegriffene Strafrechtsparagraf 217 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Wörtlich heißt es darin: "Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Die Beihilfe zum Suizid bleibt damit zwar grundsätzlich weiter erlaubt – Strafe droht aber nun, wenn sie "geschäftsmäßig" betrieben wird. Dies setzt kein kommerzielles Interesse voraus.

Die Ende 2015 nach langen und kontroversen Debatten im Bundestag beschlossene Neuregelung beruhte auf einer parteiübergreifenden Initiative, die vor allem auf Sterbehilfevereine zielte. Die Abgeordneten hätten erreichen wollen, dass "kein suizidfreundliches Umfeld" geschaffen werde, verteidigte der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand bei der mündlichen Verhandlung im April die Regelung.

Wer hat in Karlsruhe geklagt?

Vor das höchste deutsche Gericht sind schwer kranke Menschen, Ärzte und Sterbehilfevereine gezogen, deren Verfassungsbeschwerden sich unmittelbar gegen den Strafrechtsparagrafen 217 richten. Die Kläger sehen die damit verbundenen Einschränkungen als zu weitgehend an. Der Bevollmächtigte eines klagenden Arztes, der Medizinrechtler Wolfgang Putz, brachte das Anliegen bei der mündlichen Verhandlung auf die Formel: "Das Recht auf Leben begründet keine Pflicht zum Leben."

Die verschiedenen Kläger begründen ihre Beschwerden jeweils unterschiedlich. Die schwer kranken Menschen, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollen, leiten aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Paragraf 217 mache es ihnen "weitgehend unmöglich, ihre Entscheidung in würdiger Art und Weise umzusetzen", zeigte sich der Bevollmächtigte von zwei Klägern, Christoph Knauer, überzeugt.

Die klagenden Ärzte sehen ihre Gewissens- und Berufsfreiheit verletzt. Aus ihrer Sicht ist nicht eindeutig genug geregelt, ob im Einzelfall eine ärztliche Sterbehilfe straffrei bleibt. Sie bewegten sich durch den Paragrafen 217 auf "juristisch unsicherem Terrain", sagte der klagende Arzt Dietmar Beck.

Die Sterbehilfevereine wehren sich dagegen, dass sie für ihre Mitglieder nicht mehr tätig werden können. Der vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete Verein Sterbehilfe Deutschland bietet seit dem Verbot im Jahr 2015 keine Suizidbegleitungen mehr an.

Aktuelle Umfrage: Vielzahl an Befürwortern

In der Bevölkerung spricht sich die Mehrheit für eine Sterbehilfe aus. Mehr als vier Fünftel der Deutschen (81 Prozent) sind laut einer aktuellen Umfrage dafür, dass es Ärzten erlaubt sein sollte, Schwerstkranke beim Suizid zu unterstützen. Damit stieg die Zustimmung sogar noch an. Im Jahr 2012 hatten laut dem Bericht nur 76 Prozent dieselbe Frage bejaht. Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap befragte für die Erhebung in der vergangenen Woche 1.007 Menschen.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun über Klagen von schwer kranken Menschen, Ärzten und Sterbehilfevereinen gegen den Strafrechtsparagrafen 217 entschieden, der die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe stellt. Es droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Die Kläger hielten die Regelung für zu weitgehend.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur AFP
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