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Enthüllungen in der Türkei: Das System Erdoğan – ein Mafiaboss packt aus


Enthüllungen in der Türkei
Das System Erdoğan – Mafiaboss packt aus


Aktualisiert am 01.06.2021Lesedauer: 6 Min.
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Enthüllungen in der Türkei: Dieser Mafia-Boss erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdogan. (Quelle: dpa)

Waffen, Morde, Drogen: Der Mafiapate Sedat Peker greift die türkische Regierung an und enthüllt angebliche Machenschaften des Kreises um Erdoğan. Das bringt auch den Präsidenten in Bedrängnis.

Er ist ein verurteilter Mörder, lebt im Exil und wird per internationalem Haftbefehl gesucht. Trotzdem ist Sedat Peker zum Star in der Türkei geworden. In seinen Videos enthüllt der Mafiaboss brisante Details über angeblich illegale Machenschaften von führenden Mitgliedern der türkischen Regierung. Er erzählt von Verbindungen zwischen den Vertrauten von Recep Tayyip Erdoğan und der Unterwelt.

In den mehr als einstündigen Monologen geht es um Drogen, Waffen und Mord. Dabei sitzt Peker mit aufgeknöpftem Hemd und goldener Halskette an einem Tisch, poltert, schreit teilweise. Damit trifft er den Nerv der türkischen Bevölkerung, die schon lange das Gefühl hat, auch von korrupten Politikern regiert zu werden.

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Die angeblichen Enthüllungen des Mafiabosses bringen den türkischen Präsidenten und seine Regierung immer mehr in Bedrängnis. Obwohl er ein Anhänger von Erdoğan ist, will Peker sein Wissen nutzen, um für sich Straffreiheit zu erpressen. Der Präsident und die AKP reagieren zögerlich. Ihr Problem: Peker hat Insiderwissen, stand ranghohen Politikern nahe und ist bei den Bürgern beliebt.

Rachefeldzug aus dem Exil

Seine Beliebtheit hängt auch mit dem Unterhaltungswert seiner YouTube-Videos zusammen. Seine Vorwürfe klingen wie aus einer Krimiserie. Doch der Protagonist der Videos ist real: Sedat Peker, 49 Jahre alt, eine bekannte Figur der organisierten Kriminalität. Er selbst ist mehrfach verurteilt worden, unter anderem wegen Betrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Er hat sich im vergangenen Jahr aus der Türkei abgesetzt, um der Strafverfolgung zu entgehen, und lebt nun – wie er selbst sagt – in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Anfang Mai begann Peker seinen Rachefeldzug gegen die türkische Regierung. Bislang hat der türkische Pate acht Videos ins Netz gestellt. Jedes ist etwa eine Stunde lang. Und was Peker darin erzählt, zieht die Türken in den Bann. Allein sein letztes Video vom vergangenen Sonntag wurde mehr als 14 Millionen Mal angeschaut.

Unterweltnetzwerk in der Türkei

Die Anschuldigungen haben es in sich: Peker zeichnet ein Bild von der Türkei als ein Land, das von der Mafia regiert wird. Immer wieder spricht er vom "tiefen Staat", der verantwortlich für zahlreiche Morde an Kurden, oppositionellen Politikern, Linken und Journalisten sein soll. Es geht um ein Netzwerk zwischen Politik, Sicherheitsorganen und der Unterwelt. Seine Vorwürfe richten sich auch gegen enge Vertraute Erdoğans, insbesondere gegen Innenminister Süleyman Soylu.

Ein Überblick über die brisantesten Enthüllungen:

  • Politiker im Dunstkreis Erdoğans würden ihre Macht für illegale Geschäfte missbrauchen.
  • Peker wirft dem Sohn des früheren Regierungschefs Binali Yildirim, Erkam, vor, internationale Routen für den Drogenhandel aufgebaut zu haben. Er soll Kokain über Containerschiffe in die Türkei gebracht haben.
  • Den früheren Innenminister Mehmet Agar beschuldigt er, 1993 in die Ermordung des bekannten investigativen Journalisten Uğur Mumcu verwickelt gewesen zu sein. "Reporter ohne Grenzen" fordert nun, dass der Fall wieder aufgerollt wird.
  • Doch Peker nimmt insbesondere Innenminister Soylu ins Visier, den er als Ratte bezeichnet. Ihm wirft Peker vor, erst seinen Schutz angeboten und ihn dann verraten zu haben.
  • Peker will Soylu bei einer Kampagne geholfen haben, als der Innenminister wegen der schlecht organisierten Corona-Ausgangssperre im April 2020 vorübergehend zurückgetreten war. Erdoğan konnte ihn daraufhin wieder einsetzen.
  • Soylu habe außerdem seine Anhänger zu Richtern und Staatsanwälten befördern lassen.
  • In seinem achten Video spricht Peker über Sedat, eine private Sicherheits- und Militärfirma, die auch als "Erdoğans Schattenarmee" bezeichnet wird. Mithilfe von Sedat will der Mafiaboss im Syrien-Krieg Waffen, Fahrzeuge und Kleidung an die al-Nusra-Front geliefert haben, dem syrischen Ableger von al-Qaida.

Was steckt hinter den Angriffen von Peker?

Mit den angeblichen Waffenlieferungen an radikale Islamisten in Syrien greift Peker auch erstmals Erdoğan persönlich an. Der Vorwurf trifft den türkischen Präsidenten an einer empfindlichen Stelle. Er ließ in der Vergangenheit zahlreiche Journalisten wie Can Dündar wegen "Terrorpropaganda" verhaften und verurteilen, wenn sie über die türkische Unterstützung der Islamisten berichteten.

Es ist als Versuch Pekers zu verstehen, dem Präsidenten und seiner Regierung die Daumenschrauben anzuziehen. Er möchte zurück in die Türkei, zurück zu seiner Familie und das, ohne ins Gefängnis zu müssen. Doch eine Amnestie kann nur Erdoğan aussprechen. Das tat er bereits im vergangenen Jahr für den Mafiaboss Alaattin Çakıcı, der ebenfalls wegen Auftragsmord und Führung einer kriminellen Vereinigung hinter Gittern saß. Begründung: Die Gefahr für die überfüllten Gefängnisse sei durch die Corona-Pandemie groß.

Einerseits braucht Peker den Präsidenten für seine Straffreiheit, andererseits gilt der Mafiaboss als Bewunderer des türkischen Präsidenten. Beide teilen eine ultranationale Ideologie und eine neoosmanische Vision für die Türkei. In seinen Videos nennt er Erdoğan "Bruder Tayyip", diese Zuneigung ist nicht nur Mittel zum Zweck für Peker.

Anders sieht es bei Süleyman Soylu aus. Peker nennt ihn in seinen Videos abwertend "den schönen Süleyman" und kritisiert indirekt, dass der Innenminister sich schon als Nachfolger von Erdoğan in Stellung bringt. Laut dem Mafiaboss hat Soylu ihm erst seinen Schutz angeboten und ihn dann verraten – deshalb verspricht der Kriminelle nun, ihn zu "zerstören".

"Ich werde es der ganzen Welt zeigen"

Sein offensichtlicher Rachefeldzug weckt Zweifel an Pekers Glaubwürdigkeit, Beweise für seine Anschuldigungen legt der Mafiaboss bislang nicht vor. In seinem jüngsten Video droht er jedoch damit und bietet auch an, sich an einen Lügendetektor anschließen zu lassen. "Wenn die Maschine piept, haue ich mir auf den Kopf", so der 49-Jährige. "Wir werden im nächsten Video über klare Beweise sprechen. Ich werde es der ganzen Welt zeigen." Damit erhöht der Mafiaboss weiter den Druck.

Peker hat wiederum wenige Gründe, nicht die Wahrheit zu erzählen. Er sitzt im Exil, im schlimmsten Fall für ihn bis an sein Lebensende – er hat also wenig zu verlieren. Es ist zudem bekannt, dass in der Türkei Verbindungen zwischen Politik und Unterwelt Tradition haben. Über Jahrzehnte dominierte eine Allianz aus Militärs, rechtsextremen Schlägertrupps und kriminellen Organisationen mit den Kurs des Landes. Fest steht: Für viele der Vorgänge in den letzten 30 Jahren ist Peker ein Kronzeuge, er war eine der bestimmenden Figuren der Unterwelt.

Angriff auf Erdoğan

Ob dieser Druck Wirkung auf die türkische Politik zeigt und Peker eine Amnestie bekommt, erscheint trotzdem unwahrscheinlich. Natürlich muss die Regierung weitere Enthüllungen fürchten, kaum jemand weiß, was der Mafiaboss als nächstes auspackt. Aber die Videos sind ein indirekter Angriff auf Erdoğan selbst, auch wenn sie vielleicht von Peker nicht so gemeint sind.

Dass er nachgibt, ist unwahrscheinlich. Der türkische Präsident hatte sich stets auf die Fahnen geschrieben, mit der Korruption und der Mafia aufzuräumen. Peker ist der lebende Beweis, dass das nicht funktioniert hat. Nach langem Schweigen sagte Erdoğan zu den Videos am Mittwoch: "So wie wir andere Angriffe auf unser Land abgewehrt haben, werden wir auch diesen Plot zerstören."

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Der Staatschef verteidigte vehement die Erfolge seiner Regierung und insbesondere seines Innenministers Soylu im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. "Seit 19 Jahren zerstören wir eine kriminelle Vereinigung nach der anderen", sagte er. Und als mögliche Warnung an Peker könnte dieser Satz zu verstehen sein: "Wir folgen kriminellen Bandenmitgliedern, wohin auch immer in der Welt sie fliehen."

Soylu: Ein "Mafia-Dreckskerl"

Deshalb schrieb die Türkei Peker erneut zur Fahndung aus, die Staatsanwaltschaft erließ einen neuen Haftbefehl – diesmal auch in Verbindung mit Terrorvorwürfen. Die anderen Politiker, die zur Zielscheibe des Mafiabosses wurden, weisen die Vorwürfe zurück. In vorderster Reihe Innenminister Soylu, der Peker auf Twitter als "Mafia-Dreckskerl" beschimpfte. Dass die Regierung in Aufruhr ist, bekam bereits ein Journalist der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zu spüren. Er sprach in der vergangenen Woche zwei Minister auf Pekers Vorwürfe an und wurde noch am selben Tag gefeuert.

Für den türkischen Präsidenten kommen die Anschuldigungen zur Unzeit. Die Lira stürzt immer weiter ab, die Türkei kämpft mit einer Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Metropoll kommt die AKP nur noch auf 26,6 Prozent. Das ist der schlechteste Wert seit dem ersten Wahlsieg Erdoğans vor über 18 Jahren. Durch die Enthüllungen des Mafiabosses droht nun noch eine Staatskrise, die der Präsident unbedingt vermeiden will.

All das spielt Sedat Peker in die Karten. Die türkische Bevölkerung wartet auf das nächste Kapitel der Krimi-Serie.

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