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Massaker in Butscha: Satelittenbilder enttarnen Russlands Lügen über Leichen


Experten entlarven Russlands Lügen


Aktualisiert am 05.04.2022Lesedauer: 5 Min.
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Satellitenbild von Butscha: In dem Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind Hunderte Leichen gefunden worden.Vergrößern des Bildes
Satellitenbild von Butscha: In dem Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind Hunderte Leichen gefunden worden. (Quelle: Maxar Technologies/ap)

Nach dem Massaker in Butscha weist Russland nicht nur jede Verantwortung von sich. Der Kreml streut auch aktiv falsche Behauptungen. Experten haben mindestens sieben Lügen bereits identifiziert.

Die Bilder aus Butscha beschäftigen die ganze Welt: Vor wenigen Tagen wurden Hunderte Leichen von Zivilisten in dem Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew gefunden. Das Massaker ist auch Thema bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates an diesem Dienstag.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht von "Völkermord" und macht das russische Militär, das die Stadt bis vor Kurzem besetzt hatte, verantwortlich. Doch Moskau streitet die Vorwürfe ab. So behauptete das russische Verteidigungsministerium am Sonntag, es handele sich um eine Inszenierung. Videos und Bilder, die die ukrainische Regierung zu Butscha veröffentlichte, seien "nur eine weitere Provokation".

Um dieses Narrativ zu stützen, versucht die russische Seite, Zweifel an der Echtheit der Aufnahmen zu säen. Experten haben diverse russische Behauptungen aber längst widerlegt. Ein Überblick.

Achtung: Die externen Inhalte zeigen Bilder und Videos, die verstörend wirken können.

1. Behauptung: Leichen getöteter Zivilisten sollen in Butscha erst nach dem Abzug des russischen Militärs platziert worden sein.

Die russische Regierung behauptet, dass die eigenen Truppen Butscha am 30. März verlassen hätten – und sie nicht für das Massaker verantwortlich seien. Vielmehr sollen die Leichen erst nach dem Abzug platziert worden sein. Nach Darstellung der "New York Times" könne diese Behauptung aber mit Videos und Satellitenbildern widerlegt werden.

Die Satellitenaufnahmen zeigten, dass sich die Leichen mehrerer Menschen bereits Mitte März auf der Straße befanden, schrieb die Zeitung. Auf einem Bild vom 19. März seien bereits sieben Körper zu sehen, die auch nach dem Abzug der russischen Truppen in identischer Position aufgefunden wurden. Die Todesursache der Menschen sei daraus aber nicht klar ersichtlich, hieß es weiter.

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2. Behauptung: Eine fehlende Leichenstarre soll belegen, dass die Menschen erst nach dem russischen Truppenabzug gestorben sind.

In einer Erklärung der russischen Botschaft heißt es: "Besonders besorgniserregend ist es, dass alle Leichen, deren Bilder vom Kiewer Regime veröffentlicht wurden, nach mindestens vier Tagen nicht erstarrten […]." Dies würde zeigen, dass es sich um eine Inszenierung der ukrainischen Regierung handle, so die russische Regierung.

Ein Experte, der an der Aufklärung von Kriegsverbrechen unter anderem im Kosovo und in Ruanda gearbeitet hatte, sagte dem britischen Sender BBC aber, die Leichenstarre lasse nach vier Tagen meist bereits nach. So kann eine fehlende Leichenstarre nicht als Beleg dafür gewertet werden, dass die Menschen erst zu späterem Zeitpunkt gestorben sind.

Auch dass die Toten keine charakteristischen Leichenflecken aufwiesen würden und nicht geronnenes Blut zu sehen sei, prangerte die russische Regierung an. Gegenüber BBC führte der Experte jedoch aus, dass das Erscheinungsbild einer durch Schüsse getöteten Person durchaus variieren könne.

3. Behauptung: Eine Leiche soll ihre Hand gehoben haben – und demnach nicht tot gewesen sein.

Besonders viele Spekulationen kursierten zu einem Video, das eine Fahrt durch die Jablunska-Straße in Butscha zeigt, in der viele Leichen zu sehen sind. Durch die Frontscheibe soll erkennbar sein, wie eine Leiche auf der rechten Seite der Straße ihre Hand hebe, so heißt es auf russischer Seite. Bei höherer Auflösung ist aber zu sehen, dass es sich bei der angeblichen Hand um einen Wassertropfen handelt. Durch den Fahrtwind bewegt sich dieser Tropfen auf der Windschutzscheibe nach oben.

Das Szenario ist in einer vollständigen Version der Aufnahme erkennbar, die vom ukrainischen Verteidigungsministerium verbreitet wurde. Auch das Recherchenetzwerk Aurora Intel verdeutlichte dies mit einer verlangsamten Version des Videos, in der die Helligkeitswerte umgekehrt wurden.

4. Behauptung: Ein Toter soll wieder aufgestanden sein – und demnach ebenfalls lebendig gewesen sein.

Im selben Video soll später eine Leiche zu sehen sein, die sich wieder aufrichtet. Sie sei im Seitenspiegel zu sehen, nachdem das Auto weitergefahren ist, schreibt das Moskauer Verteidigungsministerium. Doch ein Aufrichten ist im besser aufgelösten Video des ukrainischen Verteidigungsministeriums auch bei verlangsamter Wiedergabe nicht zu erkennen.

Der Eindruck entstehe vielmehr, weil die meisten Außenspiegel eine Krümmung haben, um das Blickfeld zu vergrößern. So bestätigte der Digital-Forensiker Dirk Labudde der "Deutschen Welle": "Durch die sich verändernde Kameraperspektive sowie die ungleiche Krümmung der Seitenspiegel und der damit einhergehenden Verzerrung der Reflexion, kann eine Veränderung des Spiegelbildes wahrgenommen werden. Diese Veränderung erscheint in einer Art, sodass es wirkt, als würde sich die Person im Seitenspiegel bewegen." Wie Labudde und auch das investigative Recherchenetzwerk Bellingcat herausstellten, sei die Verzerrung auch auf anderen Objekten in der Umgebung der Leiche zu erkennen. Damit könne auch diese Behauptung Russlands widerlegt werden.

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5. Behauptung: Es handle sich um ein und dieselbe Person.

In den sozialen Netzwerken behaupten Nutzer sogar, die Leiche mit der angeblich gehobenen Hand und der sich angeblich Aufrichtende seien identisch. Es handelt sich aber nicht um denselben Toten. Im vollständigen, ungeschnittenen Video wird das deutlich, da der Seitenspiegel-Blick erst 40 Sekunden nach der vermeintlichen Handbewegung kommt. Das Auto ist in der Zeit etwa 100 Meter weitergefahren. Neben unterschiedlicher Kleidung zeigt ein weiteres von unabhängigen Medien aufgenommenes Video zudem, dass die beiden Leichen an unterschiedlichen Positionen liegen.

6. Behauptung: Bilder und Videoaufnahmen von den Leichen aus Butscha seien erst ab dem 3. April aufgetaucht, als ukrainische Medien eintrafen.

Die russische Regierung behauptet, Beweise für Kriegsverbrechen in Butscha seien erst vier Tage nach dem Abzug russischer Truppen aufgetaucht. Nach Angaben des investigativen Recherchenetzwerks Bellingcat seien erste Hinweise auf getötete Zivilisten aber bereits am 1. April in sozialen Medien zu sehen gewesen. Beispielsweise wurde das folgende Video von ukrainischer Seite am 1. April auf Twitter veröffentlicht.

7. Behauptung: Kein Anwohner habe unter russischer Gewalt gelitten.

In ihrer Erklärung führt die russische Regierung aus, dass in der Zeit, in der Butscha unter russischer Kontrolle war, kein Anwohner unter Gewalt gelitten habe. Vielmehr sei die Stadt von ukrainischen Truppen beschossen worden. Bellingcat zufolge zeige kürzlich veröffentlichtes Bildmaterial allerdings, wie russische Streitkräfte das Feuer auf einen Radfahrer in der besagten Jablunska-Straße eröffnet haben.

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Wirbel um Video des Bürgermeisters

Auch ein Video des Bürgermeisters von Butscha, Anatoliy Fedoruk, prangerte die russische Regierung an. Kritisiert wurde, dass er die Leichen in seiner nach dem 30. März veröffentlichten Botschaft über die Befreiung Butschas mit keinem Wort erwähnt habe. "Absurd", sagte der Bürgermeister dazu dem "Corriere". "Die Stadt war über Wochen von der Außenwelt abgeschlossen. Erst als wir sie befreit hatten, konnten wir sehen, was passiert ist, und die Ausmaße des Horrors begreifen. Sobald ich das gesehen habe, habe ich es erzählt."

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Das Massaker in Butscha ist nicht der erste Fall, in dem die russische Regierung Kriegsverbrechen eigener Truppen in der Ukraine abstreitet und als Schauspiel darstellt. Auch den Angriff auf ein Krankenhaus mit Geburtsklinik in Mariupol tat der Kreml als Inszenierung ab. US-Medien wie der TV-Sender CNN haben den Angriff aber inzwischen rekonstruiert und russische Truppen als Verantwortliche identifiziert.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
  • Twitter-Profile von Bellingcat, New York Times, Aurora Intel, Shayan Sardarizadeh, Kherson-Kharkiv und der russischen Regierung
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