Baerbock versucht, den Knall zu verhindern
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Die deutsche Russland-Politik ist mit Putins Invasion in der Ukraine krachend gescheitert. Das macht die Reise von Annalena Baerbock ins Baltikum schwierig, die AuΓenministerin muss sich Kritik stellen.
Turbulenzen und ein lauter Knall: So begann am Mittwoch die dreitΓ€gige Reise von Annalena Baerbock ins Baltikum. Im Landeanflug auf Riga wurde die Regierungsmaschine der AuΓenministerin samt Delegation ordentlich durchgeschΓΌttelt. Und in der lettischen Hauptstadt krachten auf dem Weg zum AuΓenministerium drei Autos von Baerbocks Kolonne zusammen. Das Ergebnis: Ein kaputter Bus, ein kleiner Schock. Verletzt wurde immerhin niemand.
Das hΓ€tten dΓΌstere Vorzeichen fΓΌr Baerbocks Besuch in Lettland, Estland und Litauen sein kΓΆnnen. Aus Sicht des Baltikums gab es im Vorfeld einige GrΓΌnde fΓΌr politische Turbulenzen: Deutschland hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten selbst in eine AbhΓ€ngigkeit von Russland begeben, die die Bundesregierung nun zu einem der BremsklΓΆtze bei scharfen Sanktionen im Energie- und Rohstoffbereich werden lΓ€sst. Deshalb hatte es zuletzt in Estland sogar Proteste vor der deutschen Botschaft gegeben.
Baerbock ist im Baltikum also seit Mittwoch auf einer schwierigen Mission. Die AuΓenministerin machte in Riga erneut klar, dass die Bundesregierung in der Vergangenheit schwere Fehler in der Russland-Politik gemacht hat. Das ist unangenehm fΓΌr Deutschland, besonders hier im Baltikum β schlieΓlich haben die Regierungen dieser LΓ€nder seit 2014 immer wieder gewarnt β vor Nord Stream 2, vor russischem Expansionsstreben und vor zu viel NaivitΓ€t gegenΓΌber Wladimir Putin. Sie wurden nicht gehΓΆrt.
Trotzdem bleibt bei der ersten Station der Reise in Riga der Knall aus, weil die Gefahr durch den Ukraine-Krieg gegenwΓ€rtig so groΓ ist, dass schlichtweg keine Zeit bleibt, um sich mit den Fehlern der Vergangenheit zu beschΓ€ftigen. Stattdessen fordern Lettland, Estland und Litauen jetzt vor allem eines von Deutschland: FΓΌhrung.
Russland destabilisiert das Baltikum
Doch das ist fΓΌr Deutschland nicht leicht. Die baltischen LΓ€nder leben seit dem Zerfall der Sowjetunion mit der Angst vor einer mΓΆglichen russischen Aggression β durch den Krieg in der Ukraine ist dieses Szenario so real wie niemals zuvor. Deshalb kΓ€mpfen die baltischen Regierungen fΓΌr hΓ€rtere MaΓnahmen gegen Russland: Mehr Sanktionen, mehr Embargos, mehr Waffenlieferungen fΓΌr die Ukraine.
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Lettland, Estland und Litauen haben im Gegensatz zu den meisten EU-LΓ€ndern direkte Grenzen zu Russland. Schon jetzt gibt es russische Cyberattacken und russische Kampfflugzeuge testen regelmΓ€Γig die ReaktionsfΓ€higkeit der Nato-AbfangjΓ€ger. Die baltischen Staaten sind bereits Opfer der Destabilisierungsversuche durch Russland. Unternehmen lassen sich wegen der mΓΆglichen Kriegsgefahr nicht im Baltikum nieder, Investitionen bleiben aus und Touristen β ein wichtiger Faktor fΓΌr die Wirtschaft β bleiben fern.
Die Sorgen in den baltischen Staaten sind verstΓ€ndlich, immerhin zeigt der russische PrΓ€sident in der Ukraine, dass er zu komplett irrationalem Handeln fΓ€hig ist. Putin hat der russischen Volkswirtschaft so irreparable SchΓ€den zugefΓΌgt, dass niemand wirklich voraussagen kann, was er noch tun wird. FΓΌr Lettland, Estland und Litauen ist klar: Putin muss in der Ukraine um jeden Preis verlieren β sonst ist auch ihre staatliche Existenz ernsthaft in Gefahr.
"Wir hΓ€tten frΓΌher der Ukraine mehr helfen sollen"
Zum Vergleich: Im Kampf zwischen der Ukraine und Russland sprechen MilitΓ€rexperten von David gegen Goliath. Aber die Ukraine wurde seit 2014 vom Westen militΓ€risch ausgerΓΌstet und hatte vor der Invasion 44 Millionen Einwohner. In keinem der drei baltischen LΓ€nder leben mehr als drei Millionen Menschen β damit sind sie jeweils kleiner als Berlin.
Das hat natΓΌrlich Folgen fΓΌr die Wirtschaftskraft und ihre VerteidigungsfΓ€higkeit. GegenΓΌber Russland sind sie auf die Nato und insbesondere auf UnterstΓΌtzung aus den USA, Frankreich und Deutschland angewiesen.
Das wissen auch die Regierungen in Riga, Tallinn und Vilnius. Betont freundschaftlich waren die TΓΆne der baltischen AuΓenminister gegenΓΌber Baerbock. "Deutschland ist ein vertrauenswΓΌrdiger Partner und die Beziehungen sind exzellent", sagte etwa der lettische Chefdiplomat Edgars RinkΔviΔs. "Alle Nato-LΓ€nder β auch Lettland und Deutschland β haben das Maximum getan, um die Ukraine zu unterstΓΌtzen."
Seine estnische Amtskollegin Eva-Maria Liimets ergΓ€nzte auf einer Pressekonferenz der AuΓenminister, man kΓΆnne im Baltikum Russland aus Erfahrung besser einschΓ€tzen als andere EU-LΓ€nder. "Wir hΓ€tten frΓΌher der Ukraine mehr helfen sollen, bevor dieser Krieg anfing. Wir hatten dafΓΌr alle Informationen in der Hand." Die Botschaft ist klar: HΓ€ttet ihr mal auf uns gehΓΆrt. "Manchmal sind wir schneller in unseren Entscheidungen", erklΓ€rte Liimets.
Die Kritik an Deutschland, das in manchen Punkten bremst, wird also eher verklausuliert geΓ€uΓert. Vom ersten Tag der Baerbock-Reise bleibt vor allem ein Bild der Geschlossenheit. Nach ihrem Treffen spazierten die zwei AuΓenministerinnen und die zwei AuΓenminister durch die Innenstadt von Riga. Ein Symbol der Freundschaft, das bei derartigen diplomatischen Treffen nicht alltΓ€glich ist. AuΓerdem bietet der Baerbock-Besuch auch fΓΌr die baltischen Minister die Chance, in der deutschen Γffentlichkeit Aufmerksamkeit zu bekommen und ihre Sicht der Dinge zu erklΓ€ren β auf der gemeinsamen Pressekonferenz beantworten sie die Fragen in Englisch.
Gemeinsamer Weg, unterschiedliches Tempo
FΓΌr die deutsche AuΓenministerin ist diese Reise ein diplomatischer Balanceakt. Einerseits betonte sie erneut, dass die Nato jeden Zentimeter des eigenen Territoriums verteidigen wird β das soll dem Baltikum Angst nehmen.
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Andererseits benannte die GrΓΌnen-Politikerin auch wiederholt die deutschen Fehler der Vergangenheit. "Wir haben nicht genau hingehΓΆrt, welche GesprΓ€che es in den letzten Jahren in euren drei Staaten bereits gegeben hat", gab Baerbock zu. "Statt Nord Stream hΓ€tte es einen Baltic Stream auf Grundlage von sauberer Energie geben kΓΆnnen und eigentlich geben mΓΌssen", fΓΌgte sie hinzu. "Das waren klar und deutlich Fehler", die die neue Bundesregierung korrigiert habe.
Die deutsche AuΓenministerin reiste mit dem Versprechen nach Riga, dass Deutschland seinen Beitrag leisten wird, um das Baltikum zu verteidigen. Schon jetzt sind 900 Bundeswehrsoldaten in Litauen und deutsche Flugabwehrsysteme in der Region stationiert. Die Nato mΓΌsse laut Baerbock bereit sein, die baltischen Staaten von den ersten Minuten eines Konflikts an zu verteidigen.
Γber den Weg β die Bestrafung und Isolierung Russlands β sind sich die baltischen Staaten und Deutschland weitestgehend einig, nur kann Deutschland das geforderte Tempo nicht mitgehen. Allein durch ihre wirtschaftliche GrΓΆΓe ist die Bundesrepublik im europΓ€ischen Vergleich eher ein behΓ€biger Riese, der sich langsam aus den FΓ€ngen Putins lΓΆsen will.
Meinungsverschiedenheiten gibt es auf der Baerbock-Reise vor allem in zwei Bereichen, sie kΓΆnnten sich bei den weiteren Stationen in Estland und Litauen zeigen:
1. Waffenlieferungen an die Ukraine
Die Bundesregierung hat sich vor allem in Estland nicht beliebt gemacht, als man die Lieferung von alten DDR-Haubitzen an die Ukraine verzΓΆgerte. Seither hat Deutschland im Baltikum teilweise den Ruf eines Bremsers bei der UnterstΓΌtzung des ukrainischen Widerstandes mit schwereren Waffen.
Nun erklΓ€rten Bundeskanzler Olaf Scholz und auch Baerbock, dass die BestΓ€nde der Bundeswehr erschΓΆpft seien und dass man die Ukraine nicht mit schwerem militΓ€rischen GerΓ€t aus den eigenen Depots beliefern kΓΆnne. Die Bundesregierung gab jΓ€hrlich schon vor der "Zeitenwende" ΓΌber 54 Milliarden Euro fΓΌr seine Verteidigung aus und liegt damit auf Platz sieben im internationalen Vergleich. Besonders fΓΌr kleinere Staaten klingt es komplett unlogisch, dass die Bundeswehr damit nicht in der Lage sein soll, zu helfen.
Doch bei dem Waffenstreit geht es vor allem um strategische Fragen. Deutschland ist von Russland nicht so direkt bedroht wie das Baltikum. Deshalb will die Bundesregierung offenbar andere EinsΓ€tze der Bundeswehr β wie etwa in Mali β nicht gefΓ€hrden, indem AusrΓΌstung umverlegt wird. AuΓerdem ist unklar, ob ausgemusterte "Leopard 1"- oder "Marder"-Panzer einsatzfΓ€hig wΓ€ren und munitioniert werden kΓΆnnten.
Deshalb mΓΆchte die Bundesregierung vor allem Geld investieren, indem andere Staaten schwere Waffen an die Ukraine liefern und Deutschland die BestΓ€nde dieser LΓ€nder nach und nach auffΓΌllt. "Wir bringen als Deutsche das mit ein, was wir unmittelbar einbringen kΓΆnnen", sagte Baerbock in Riga. "Da geht es auch um Ausbildungsfragen."
Das reicht der Ukraine allerdings nicht aus. Ihre Bitte nach schweren Waffen aus Deutschland wird immer vehementer.
2. Sofortiges Embargo fΓΌr russische Rohstoffe
Es sind auch die baltischen Staaten, die ein sofortiges Ende der Γl- und Gasimporte aus Russland fordern. Das kann Deutschland durch seine wirtschaftliche GrΓΆΓe nur langsam umsetzen, sonst drohen massive Probleme.
Das ist eine ZwickmΓΌhle, weil EU-LΓ€nder wie Deutschland dadurch Putins Invasion in der Ukraine mitfinanzieren. "Wir wollen den Ausstieg aus der EnergieabhΓ€ngigkeit zu Russland, besser heute als morgen", versprach Baerbock. Doch das sei ein groΓer "Kraftakt" fΓΌr Deutschland, der Zeit kosten wΓΌrde.
NatΓΌrlich bezieht Deutschland viele Rohstoffe aus Russland und natΓΌrlich steht es wegen der Ostseepipeline Nord Stream 2 schon lΓ€nger international am Pranger. Doch die Bundesrepublik ist mit dem Problem nicht allein, noch kein Land ist mit einer Harakiri-Aktion aus russischen Importen ausgestiegen, wenn es dafΓΌr zeitnah keine Alternative gab.
Das trifft auch auf das Baltikum zu: WΓ€hrend Litauen noch im April auf russisches Gas verzichten kann, hat sich Lettland zum Ziel gesetzt, bis Anfang 2023 aussteigen zu wollen β Γ€hnlich wie Deutschland.
Dabei haben die baltischen Staaten kleinere Industrien, die mit Energie versorgt werden mΓΌssen, und einen hΓΆheren Anteil erneuerbarer Energien als Deutschland. FΓΌr ein sofortiges Embargo gibt es innerhalb der EuropΓ€ischen Union groΓen Widerstand β die Blockade verursacht nicht nur die Bundesregierung.
Letztlich geht es auf Baerbocks Reise hauptsΓ€chlich darum, dass sich Deutschland solidarisch mit dem Baltikum zeigt. Die AuΓenministerin erlΓ€utert in GesprΓ€chen die deutschen Positionen und versichert gleichzeitig, dass man schnellstmΓΆglich die neuen Wege beschreiten wird. Ob das reicht, wo die Rufe nach mehr Waffen und noch schΓ€rferen Sanktionen immer lauter werden? Bislang ist zumindest der groΓe politische Knall auf Baerbocks Reise in das Baltikum ausgeblieben.
- Begleitung von AuΓenministerin Annalena Baerbock nach Lettland
- Deutschlandfunk: Lettland will bis 2023 russische Gasimporte einstellen
- Eigene Recherche