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Die Angst vor Wladimir Putin im Baltikum: Annalena Baerbock im Balanceakt


Baerbock versucht, den Knall zu verhindern

Von Patrick Diekmann, Riga

Aktualisiert am 21.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Baerbock in Riga: Gepanzerte Fahrzeuge zu verschicken, ist kein Tabu laut der Außenministerin. (Quelle: Reuters)

Die deutsche Russland-Politik ist mit Putins Invasion in der Ukraine krachend gescheitert. Das macht die Reise von Annalena Baerbock ins Baltikum schwierig, die Außenministerin muss sich Kritik stellen.

Turbulenzen und ein lauter Knall: So begann am Mittwoch die dreitÀgige Reise von Annalena Baerbock ins Baltikum. Im Landeanflug auf Riga wurde die Regierungsmaschine der Außenministerin samt Delegation ordentlich durchgeschüttelt. Und in der lettischen Hauptstadt krachten auf dem Weg zum Außenministerium drei Autos von Baerbocks Kolonne zusammen. Das Ergebnis: Ein kaputter Bus, ein kleiner Schock. Verletzt wurde immerhin niemand.

Das hΓ€tten dΓΌstere Vorzeichen fΓΌr Baerbocks Besuch in Lettland, Estland und Litauen sein kΓΆnnen. Aus Sicht des Baltikums gab es im Vorfeld einige GrΓΌnde fΓΌr politische Turbulenzen: Deutschland hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten selbst in eine AbhΓ€ngigkeit von Russland begeben, die die Bundesregierung nun zu einem der BremsklΓΆtze bei scharfen Sanktionen im Energie- und Rohstoffbereich werden lΓ€sst. Deshalb hatte es zuletzt in Estland sogar Proteste vor der deutschen Botschaft gegeben.

Baerbock ist im Baltikum also seit Mittwoch auf einer schwierigen Mission. Die Außenministerin machte in Riga erneut klar, dass die Bundesregierung in der Vergangenheit schwere Fehler in der Russland-Politik gemacht hat. Das ist unangenehm fΓΌr Deutschland, besonders hier im Baltikum – schließlich haben die Regierungen dieser LΓ€nder seit 2014 immer wieder gewarnt – vor Nord Stream 2, vor russischem Expansionsstreben und vor zu viel NaivitΓ€t gegenΓΌber Wladimir Putin. Sie wurden nicht gehΓΆrt.

Trotzdem bleibt bei der ersten Station der Reise in Riga der Knall aus, weil die Gefahr durch den Ukraine-Krieg gegenwÀrtig so groß ist, dass schlichtweg keine Zeit bleibt, um sich mit den Fehlern der Vergangenheit zu beschÀftigen. Stattdessen fordern Lettland, Estland und Litauen jetzt vor allem eines von Deutschland: Führung.

Russland destabilisiert das Baltikum

Doch das ist fΓΌr Deutschland nicht leicht. Die baltischen LΓ€nder leben seit dem Zerfall der Sowjetunion mit der Angst vor einer mΓΆglichen russischen Aggression – durch den Krieg in der Ukraine ist dieses Szenario so real wie niemals zuvor. Deshalb kΓ€mpfen die baltischen Regierungen fΓΌr hΓ€rtere Maßnahmen gegen Russland: Mehr Sanktionen, mehr Embargos, mehr Waffenlieferungen fΓΌr die Ukraine.

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Lettland, Estland und Litauen haben im Gegensatz zu den meisten EU-LΓ€ndern direkte Grenzen zu Russland. Schon jetzt gibt es russische Cyberattacken und russische Kampfflugzeuge testen regelmÀßig die ReaktionsfΓ€higkeit der Nato-AbfangjΓ€ger. Die baltischen Staaten sind bereits Opfer der Destabilisierungsversuche durch Russland. Unternehmen lassen sich wegen der mΓΆglichen Kriegsgefahr nicht im Baltikum nieder, Investitionen bleiben aus und Touristen – ein wichtiger Faktor fΓΌr die Wirtschaft – bleiben fern.

Die Sorgen in den baltischen Staaten sind verstΓ€ndlich, immerhin zeigt der russische PrΓ€sident in der Ukraine, dass er zu komplett irrationalem Handeln fΓ€hig ist. Putin hat der russischen Volkswirtschaft so irreparable SchΓ€den zugefΓΌgt, dass niemand wirklich voraussagen kann, was er noch tun wird. FΓΌr Lettland, Estland und Litauen ist klar: Putin muss in der Ukraine um jeden Preis verlieren – sonst ist auch ihre staatliche Existenz ernsthaft in Gefahr.

"Wir hΓ€tten frΓΌher der Ukraine mehr helfen sollen"

Zum Vergleich: Im Kampf zwischen der Ukraine und Russland sprechen MilitΓ€rexperten von David gegen Goliath. Aber die Ukraine wurde seit 2014 vom Westen militΓ€risch ausgerΓΌstet und hatte vor der Invasion 44 Millionen Einwohner. In keinem der drei baltischen LΓ€nder leben mehr als drei Millionen Menschen – damit sind sie jeweils kleiner als Berlin.

Das hat natΓΌrlich Folgen fΓΌr die Wirtschaftskraft und ihre VerteidigungsfΓ€higkeit. GegenΓΌber Russland sind sie auf die Nato und insbesondere auf UnterstΓΌtzung aus den USA, Frankreich und Deutschland angewiesen.

Das wissen auch die Regierungen in Riga, Tallinn und Vilnius. Betont freundschaftlich waren die TΓΆne der baltischen Außenminister gegenΓΌber Baerbock. "Deutschland ist ein vertrauenswΓΌrdiger Partner und die Beziehungen sind exzellent", sagte etwa der lettische Chefdiplomat Edgars RinkΔ“vičs. "Alle Nato-LΓ€nder – auch Lettland und Deutschland – haben das Maximum getan, um die Ukraine zu unterstΓΌtzen."

Seine estnische Amtskollegin Eva-Maria Liimets ergÀnzte auf einer Pressekonferenz der Außenminister, man kânne im Baltikum Russland aus Erfahrung besser einschÀtzen als andere EU-LÀnder. "Wir hÀtten früher der Ukraine mehr helfen sollen, bevor dieser Krieg anfing. Wir hatten dafür alle Informationen in der Hand." Die Botschaft ist klar: HÀttet ihr mal auf uns gehârt. "Manchmal sind wir schneller in unseren Entscheidungen", erklÀrte Liimets.

Ein Bild der Geschlossenheit: Zwei Außenministerinnen und zwei Außenminister spazieren durch Riga.
Ein Bild der Geschlossenheit: Zwei Außenministerinnen und zwei Außenminister spazieren durch Riga. (Quelle: dpa-bilder)

Die Kritik an Deutschland, das in manchen Punkten bremst, wird also eher verklausuliert geΓ€ußert. Vom ersten Tag der Baerbock-Reise bleibt vor allem ein Bild der Geschlossenheit. Nach ihrem Treffen spazierten die zwei Außenministerinnen und die zwei Außenminister durch die Innenstadt von Riga. Ein Symbol der Freundschaft, das bei derartigen diplomatischen Treffen nicht alltΓ€glich ist. Außerdem bietet der Baerbock-Besuch auch fΓΌr die baltischen Minister die Chance, in der deutschen Γ–ffentlichkeit Aufmerksamkeit zu bekommen und ihre Sicht der Dinge zu erklΓ€ren – auf der gemeinsamen Pressekonferenz beantworten sie die Fragen in Englisch.

Gemeinsamer Weg, unterschiedliches Tempo

FΓΌr die deutsche Außenministerin ist diese Reise ein diplomatischer Balanceakt. Einerseits betonte sie erneut, dass die Nato jeden Zentimeter des eigenen Territoriums verteidigen wird – das soll dem Baltikum Angst nehmen.

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Andererseits benannte die GrΓΌnen-Politikerin auch wiederholt die deutschen Fehler der Vergangenheit. "Wir haben nicht genau hingehΓΆrt, welche GesprΓ€che es in den letzten Jahren in euren drei Staaten bereits gegeben hat", gab Baerbock zu. "Statt Nord Stream hΓ€tte es einen Baltic Stream auf Grundlage von sauberer Energie geben kΓΆnnen und eigentlich geben mΓΌssen", fΓΌgte sie hinzu. "Das waren klar und deutlich Fehler", die die neue Bundesregierung korrigiert habe.

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Baerbock mit ihrem lettischen Amtskollegen Edgars RinkΔ“vičs.
Baerbock mit ihrem lettischen Amtskollegen Edgars RinkΔ“vičs. (Quelle: dpa-bilder)

Die deutsche Außenministerin reiste mit dem Versprechen nach Riga, dass Deutschland seinen Beitrag leisten wird, um das Baltikum zu verteidigen. Schon jetzt sind 900 Bundeswehrsoldaten in Litauen und deutsche Flugabwehrsysteme in der Region stationiert. Die Nato müsse laut Baerbock bereit sein, die baltischen Staaten von den ersten Minuten eines Konflikts an zu verteidigen.

Über den Weg – die Bestrafung und Isolierung Russlands – sind sich die baltischen Staaten und Deutschland weitestgehend einig, nur kann Deutschland das geforderte Tempo nicht mitgehen. Allein durch ihre wirtschaftliche Grâße ist die Bundesrepublik im europΓ€ischen Vergleich eher ein behΓ€biger Riese, der sich langsam aus den FΓ€ngen Putins lΓΆsen will.

Meinungsverschiedenheiten gibt es auf der Baerbock-Reise vor allem in zwei Bereichen, sie kΓΆnnten sich bei den weiteren Stationen in Estland und Litauen zeigen:

1. Waffenlieferungen an die Ukraine

Die Bundesregierung hat sich vor allem in Estland nicht beliebt gemacht, als man die Lieferung von alten DDR-Haubitzen an die Ukraine verzΓΆgerte. Seither hat Deutschland im Baltikum teilweise den Ruf eines Bremsers bei der UnterstΓΌtzung des ukrainischen Widerstandes mit schwereren Waffen.

Nun erklΓ€rten Bundeskanzler Olaf Scholz und auch Baerbock, dass die BestΓ€nde der Bundeswehr erschΓΆpft seien und dass man die Ukraine nicht mit schwerem militΓ€rischen GerΓ€t aus den eigenen Depots beliefern kΓΆnne. Die Bundesregierung gab jΓ€hrlich schon vor der "Zeitenwende" ΓΌber 54 Milliarden Euro fΓΌr seine Verteidigung aus und liegt damit auf Platz sieben im internationalen Vergleich. Besonders fΓΌr kleinere Staaten klingt es komplett unlogisch, dass die Bundeswehr damit nicht in der Lage sein soll, zu helfen.

Wolodymyr Selenskyj trifft Charles Michel, PrΓ€sident des EuropΓ€ischen Rates: Die Ukraine bittet vor allem Deutschland um mehr schwere Waffen.
Wolodymyr Selenskyj trifft Charles Michel, PrΓ€sident des EuropΓ€ischen Rates: Die Ukraine bittet vor allem Deutschland um mehr schwere Waffen. (Quelle: imago-images-bilder)

Doch bei dem Waffenstreit geht es vor allem um strategische Fragen. Deutschland ist von Russland nicht so direkt bedroht wie das Baltikum. Deshalb will die Bundesregierung offenbar andere EinsΓ€tze der Bundeswehr – wie etwa in Mali – nicht gefΓ€hrden, indem AusrΓΌstung umverlegt wird. Außerdem ist unklar, ob ausgemusterte "Leopard 1"- oder "Marder"-Panzer einsatzfΓ€hig wΓ€ren und munitioniert werden kΓΆnnten.

Deshalb mΓΆchte die Bundesregierung vor allem Geld investieren, indem andere Staaten schwere Waffen an die Ukraine liefern und Deutschland die BestΓ€nde dieser LΓ€nder nach und nach auffΓΌllt. "Wir bringen als Deutsche das mit ein, was wir unmittelbar einbringen kΓΆnnen", sagte Baerbock in Riga. "Da geht es auch um Ausbildungsfragen."

Das reicht der Ukraine allerdings nicht aus. Ihre Bitte nach schweren Waffen aus Deutschland wird immer vehementer.

2. Sofortiges Embargo fΓΌr russische Rohstoffe

Es sind auch die baltischen Staaten, die ein sofortiges Ende der Γ–l- und Gasimporte aus Russland fordern. Das kann Deutschland durch seine wirtschaftliche Grâße nur langsam umsetzen, sonst drohen massive Probleme.

Das ist eine Zwickmühle, weil EU-LÀnder wie Deutschland dadurch Putins Invasion in der Ukraine mitfinanzieren. "Wir wollen den Ausstieg aus der EnergieabhÀngigkeit zu Russland, besser heute als morgen", versprach Baerbock. Doch das sei ein großer "Kraftakt" für Deutschland, der Zeit kosten würde.

Annalena Baerbock muss auf ihrer Reise in die baltischen LΓ€nder die deutsche Russland-Politik erklΓ€ren.
Annalena Baerbock muss auf ihrer Reise in die baltischen LΓ€nder die deutsche Russland-Politik erklΓ€ren. (Quelle: dpa-bilder)

NatΓΌrlich bezieht Deutschland viele Rohstoffe aus Russland und natΓΌrlich steht es wegen der Ostseepipeline Nord Stream 2 schon lΓ€nger international am Pranger. Doch die Bundesrepublik ist mit dem Problem nicht allein, noch kein Land ist mit einer Harakiri-Aktion aus russischen Importen ausgestiegen, wenn es dafΓΌr zeitnah keine Alternative gab.

Das trifft auch auf das Baltikum zu: WΓ€hrend Litauen noch im April auf russisches Gas verzichten kann, hat sich Lettland zum Ziel gesetzt, bis Anfang 2023 aussteigen zu wollen – Γ€hnlich wie Deutschland.

Dabei haben die baltischen Staaten kleinere Industrien, die mit Energie versorgt werden mΓΌssen, und einen hΓΆheren Anteil erneuerbarer Energien als Deutschland. FΓΌr ein sofortiges Embargo gibt es innerhalb der EuropΓ€ischen Union großen Widerstand – die Blockade verursacht nicht nur die Bundesregierung.

Letztlich geht es auf Baerbocks Reise hauptsÀchlich darum, dass sich Deutschland solidarisch mit dem Baltikum zeigt. Die Außenministerin erlÀutert in GesprÀchen die deutschen Positionen und versichert gleichzeitig, dass man schnellstmâglich die neuen Wege beschreiten wird. Ob das reicht, wo die Rufe nach mehr Waffen und noch schÀrferen Sanktionen immer lauter werden? Bislang ist zumindest der große politische Knall auf Baerbocks Reise in das Baltikum ausgeblieben.

Verwendete Quellen
  • Begleitung von Außenministerin Annalena Baerbock nach Lettland
  • Deutschlandfunk: Lettland will bis 2023 russische Gasimporte einstellen
  • Eigene Recherche
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