Die Nacht im Überblick Russland erzielt Geländegewinne – Luhansk-Gouverneur bittet um Hilfe
Im Donbass ruft ein Gouverneur nach schneller Lieferung von Waffen mit großer Reichweite. Die Nato stellt sich auf einen langen Krieg ein. Ein Überblick.
Der Gouverneur der ukrainischen Donbass-Teilregion Luhansk, Serhij Hajdaj, hat vor einer weiteren Eskalation der russischen Kriegsführung in der Region gewarnt und den Westen um zusätzliche Waffen gebeten. "Es ist gut, dass der Westen uns hilft, aber das kommt zu spät", sagte Hajdaj der Nachrichtenagentur AFP in einem Interview. In der Region Luhansk gebe es angesichts der russischen Angriffe "keine sicheren Orte mehr".
Hajdaj forderte die Lieferung von Waffen "mit großer Reichweite", die "schnell ankommen" müssten. Er warnte davor, dass russische Einheiten die Stadt Lyssytschansk einkreisen könnten, indem sie diese von der Versorgung über Zufahrtsstraßen abschneiden. "Das ist theoretisch möglich. Das ist ein Krieg, alles kann passieren", sagte Hajdaj.
Laut einer Mitteilung des ukrainischen Generalstabs haben ukrainische Streitkräfte russische Truppen in der Nähe der Stadt Krasnopillja zurückgeschlagen. Die russischen Soldaten hätten sich auf einer Aufklärungsmission befunden. Sie hätten schwere Verluste erlitten. Ukrainische Behörden melden zudem, dass in der Nacht Orte weiter westlich in den Regionen Poltawa und Dnipropetrowsk beschossen worden seien.
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Zivilisten wollen Chemiefabrik nicht verlassen
In dem erbitterten Kampf um die ostukrainische Stadt Sjewjerodonezk haben russische Truppen Geländegewinne erzielt und sind in einen Vorort eingedrungen. "Durch Beschuss und die Erstürmung hat der Feind in der Ortschaft Metjolkine einen Teilerfolg erzielt und versucht sich dort festzusetzen", teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Samstagabend mit.
Das große Dorf Metjolkine liegt südöstlich von Sjewjerodonezk. Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow hatte zuvor erklärt, russische Kräfte hätten die Ortschaft vollständig eingenommen. Die russischen Streitkräfte setzen in der Ukraine mehrere Einheiten aus Tschetschenien mit Tausenden Bewaffneten ein.
In Metjolkine seien Offiziere und Soldaten des ukrainischen Bataillons Ajdar freiwillig in Gefangenschaft gegangen, meldete die russische Agentur Tass unter Berufung auf die prorussischen Separatisten der Volksrepublik Luhansk. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Sjewjerodonezk immer noch nicht unter russischer Kontrolle
Russische Truppen haben das weitgehend zerstörte Sjewjerodonezk immer noch nicht unter Kontrolle. Allerdings wird die Lage immer prekärer für ukrainische Zivilisten, die Zuflucht im örtlichen Chemiewerk Asot gesucht haben.
Nach Angaben der Gebietsführung wollten sie nicht evakuiert werden. "Es gibt ständigen Kontakt zu ihnen. Man hat ihnen mehrfach eine Evakuierung angeboten, aber sie wollen nicht", sagte Gouverneur Hajdaj am Samstag im Fernsehen. In dem Werk hätten 568 Zivilisten Schutz gesucht, darunter 38 Kinder.
Der Ort sei nicht mit dem Stahlwerk Asowstal in der Hafenstadt Mariupol zu vergleichen. "Das ist keine unterirdische Stadt. Das sind einzelne Notunterkünfte, die getrennt, nicht untereinander verbunden sind." In einem Bunkersystem unter dem Stahlwerk Asowstal hatten ukrainische Verteidiger und Zivilisten noch wochenlang ausgeharrt, als Mariupol schon längst von russischen Truppen erobert war.
Die russische Seite hatte für Mittwoch die Schaffung eines humanitären Korridors angekündigt, durch den Zivilpersonen aus dem Chemiewerk auf russisch kontrolliertes Gebiet fliehen sollten. Allerdings misstrauten die Ukrainer den russischen Zusagen. Die Russen wiederum warfen ukrainischen Soldaten vor, Zivilisten mit Gewalt an der Flucht zu hindern.
Russischer Vormarsch auf den Raum Slowjansk-Kramatorsk stockt weiterhin
Russland werfe alle seine Reserven in den Kampf, um Sjewjerodonezk und die Stadt Bachmut zu erobern, sagte Hajdaj zur militärischen Lage im Donbass. Auch nach Angaben des Generalstabs gehen die Kämpfe um Sjewjerodonezk unvermindert weiter. Demnach beschossen russische Truppen das Verwaltungszentrum des Gebiets Luhansk mit schwerer Artillerie. Ein versuchter Sturm der ukrainischen Stellungen im Industriegebiet der Stadt sei aber gescheitert. Auch in Syrotyne, einem Dorf westlich von Metjolkine, blieben die russischen Sturmversuche erfolglos.
Russische Truppen setzten auch im Gebiet Charkiw gegen eine Reihe von Ortschaften Artillerie ein. In Richtung Slowjansk versuche der Feind durch den Einsatz schwerer Waffen günstige Voraussetzungen für eine Offensive zu schaffen, heißt es in dem Lagebericht.
Gleichzeitig betonte die ukrainische Militärführung, dass russische Versuche, gewaltsame Aufklärung im Gebiet Krasnopillja zu betreiben, mit hohen Verlusten für die Angreifer endeten. Der russische Vormarsch auf den Raum Slowjansk-Kramatorsk, in dem das Hauptquartier der ukrainischen Streitkräfte im Donbass liegt, stockt damit weiterhin.
Öltanks nahe Dnipro zerstört
Mit einem Raketenangriff zerstörten russische Truppen am Samstag Öltanks nahe der zentralukrainischen Stadt Dnipro. Die regionale Verwaltung berichtete von drei Raketen, die das Depot im Kreis Nowomoskowsk getroffen hätten. "Es gibt ein starkes Feuer", teilte der Gouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, mit. Elf Menschen seien verletzt worden. In der Nähe der Stadt Isjum trafen russische Raketen eine Fabrik, die Gas verarbeitet. Auch dort gab es einen großen Brand.
Nach einer Reihe internationaler Treffen in Kiew besuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag wieder die Front. Er war im Süden zunächst in Mykolajiw, später in Odessa. Der ukrainische Präsident war zuvor bereits an der Front im Osten mit Stationen in Charkiw, Saporischschja und im Donbass gewesen.
Nach seiner Rückkehr erklärte Selenskyj die russischen Gebietsansprüche im Süden der Ukraine für nichtig. "Wir werden niemandem den Süden abgeben." Die Ukraine werde sich ihr Territorium zurückholen und auch den sicheren Zugang zum Meer wiederherstellen, sagte er. Russland hat in den ersten Kriegstagen die gesamte ukrainische Küste am Asowschen Meer und Teile der ukrainischen Schwarzmeerküste im Gebiet Cherson erobert.
Stoltenberg rechnet mit langem Krieg
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg rechnet mit einem jahrelangen Krieg in der Ukraine. "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass er Jahre dauern könnte", sagte er der "Bild am Sonntag". Deshalb dürfe man nicht nachlassen in der Unterstützung der Ukraine gegen Russland.
Die Kosten dafür seien hoch, weil die Militärhilfe teuer sei und die Preise für Energie und Lebensmittel steigen. Aber das sei kein Vergleich zu dem Preis, den die Ukraine jeden Tag mit vielen Menschenleben zahle, sagte Stoltenberg. Wenn man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht entschieden entgegentrete, "dann bezahlen wir einen viel höheren Preis".
Der Nato-Chef erwartete, dass die Ukraine mithilfe weiterer Waffenlieferungen aus dem Westen die russischen Truppen wieder aus dem Donbass vertreiben kann. "Die Ukrainerinnen und Ukrainer wehren sich mutig gegen die russischen Invasoren", sagte er. Das westliche Verteidigungsbündnis werde nicht selbst in die Kämpfe eingreifen. Man habe als klares Signal an Moskau mit 40.000 Soldaten unter Nato-Kommando die eigene Verteidigung gestärkt.
Der britische Premierminister Boris Johnson forderte die westlichen Verbündeten der Ukraine auf, das Land langfristig zu unterstützen und vor den Folgen eines möglichen Siegs Russlands gewarnt. In einem Gastbeitrag für die Zeitung "The Sunday Times" schrieb Johnson, Kiews Unterstützer müssten sicherstellen, dass die Ukraine "die strategische Ausdauer hat, um zu überleben und schließlich zu gewinnen".
Habeck kündigt Maßnahmen zum Gassparen an
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will angesichts geringerer russischer Gaslieferungen zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Gas einzusparen und die Vorsorge zu erhöhen. So soll der Einsatz von Gas für die Stromerzeugung und Industrie gesenkt und die Befüllung der Speicher vorangetrieben werden. Dazu stellt der Bund Milliardenmittel bereit, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr. Außerdem sollen mehr Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen.
Die Situation sei ernst, wird Habeck in einem fünfseitigen Papier zitiert, das der Deutschen Presse-Agentur vorlag. "Der Gasverbrauch muss weiter sinken, dafür muss mehr Gas in die Speicher, sonst wird es im Winter wirklich eng." Lesen Sie hier mehr dazu.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP