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EU versus USA: Hinter vorgehaltener Hand fürchten sie das Schlimmste


Droht neue Eiszeit?
Hinter vorgehaltener Hand befürchtet Europa das Schlimmste

Von Patrick Diekmann

22.09.2021Lesedauer: 5 Min.
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Außenminister Heiko Maas und Delegation in New York: Die Sorge über neue Spannungen mit den USA wächst.Vergrößern des Bildes
Außenminister Heiko Maas und Delegation in New York: Die Sorge über neue Spannungen mit den USA wächst. (Quelle: photothek/imago-images-bilder)

Der U-Boot-Streit überschattet die UN-Vollversammlung in New York. Frankreich lässt ein Treffen platzen. In der EU wachsen die Zweifel an der Verlässlichkeit von Joe Biden, Diplomaten zeigen sich besorgt.

Wenn US-Präsident Joe Biden in der Stadt ist, bedeutet das für die New Yorker vor allem eines: Chaos. An jeder Straßenecke stehen Polizisten, überall Blaulicht, laute Sirenen und Absperrgitter. Regelmäßig werden Straßen und Bürgersteige mehrerer Blocks gesperrt.

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Die Menschen müssen warten, manchmal 15, manchmal 30 Minuten. Viele reagieren genervt. "Das ist New York", entgegnet ein Polizist, der eine Straßenkreuzung am Hauptquartier der Vereinten Nationen in Manhattan bewacht. "Wir sind den Ausnahmezustand doch gewohnt."

So ganz stimmt das nicht mehr. Auch die Menschen in der Millionenmetropole müssen sich erst wieder an das Chaos einer UN-Vollversammlung gewöhnen. Erstmals seit Ausbruch der Corona-Pandemie kommen die Vereinten Nationen in dieser Woche wieder physisch zusammen. Auf der Tagesordnung stehen diverse Krisen und Konflikte. Für Beobachter wird schnell klar: Im UN-Hauptquartier gibt es momentan ähnlich viel Irritationen und Ärger wie außerhalb des Gebäudes.

U-Boot-Zoff überschattet UN-Treffen

Vor allem der U-Boot-Streit zwischen Frankreich und den USA überschattet das Treffen. Die Einigung über ein indopazifisches Abkommen schlug in den Reihen der Nato-Staaten ein wie eine Bombe. Der Ärger darüber ist in Frankreich und der Europäischen Union so groß, dass es nun die nächste transatlantische Vertrauenskrise gibt. Diplomaten in New York sprechen bereits von einer neuen Eiszeit, die die internationalen Beziehungen massiv beeinflussen könnte – und lange anhalten wird.

In Geheimgesprächen hatten die USA, Australien und Großbritannien einen Sicherheitspakt ausgehandelt. Dieser beinhaltet einen Mega-Deal über den Kauf atomarer U-Boote. Nach der Einigung zog sich Australien aus einem bereits ausgehandelten U-Boot-Geschäft mit Frankreich zurück. Die 2016 mit dem Reedereikonzern Naval vereinbarte Lieferung von U-Booten im Volumen von 40 Milliarden Dollar ist nun hinfällig.

Die Franzosen fühlen sich von den USA verraten. Auch Präsident Emmanuel Macron ist schwer getroffen. Während er um seine Wiederwahl als Präsident im kommenden Jahr bangt, haben ihm seine Verbündeten eine außenpolitische Niederlage zugefügt. Ein Diplomat sagt in New York hinter vorgehaltener Hand gar, die USA würden Wahlkampf für die rechtsextreme Marine Le Pen machen.

"Glaube nicht, dass Frankreich überreagiert"

Frankreichs erste Reaktion fiel dementsprechend deutlich aus: Die französische Regierung rief ihre Botschafter aus Canberra und Washington zu Beratungen zurück – ein deutliches Signal in der diplomatischen Blase. Darüber hinaus droht Frankreich damit, ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Australien zu blockieren.

Aber dabei bleibt es nun in New York nicht. Frankreich ließ auch ein geplantes Treffen im sogenannten Quad-Format zwischen Frankreich, Deutschland, den USA und Großbritannien platzen. Grund dafür sind "die Verstimmungen auf französischer Seite", wie Außenminister Heiko Maas bestätigte. Auch der SPD-Politiker sagte daraufhin seine Teilnahme an dem Treffen ab. Außerdem dringt nach Angaben von EU-Diplomaten die französische Seite darauf, den ersten gemeinsamen Technologie- und Handelsrat der EU mit den USA kommende Woche Mittwoch in Pittsburgh zu verschieben – auf unbestimmte Zeit.

So steuern die transatlantischen Beziehungen zwischen der EU und den USA einem neuen Sturm entgegen. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian bekräftigte in New York noch einmal seinen Vorwurf eines "schweren Vertrauensbruchs". Die Europäer müssten sich nun "gut überlegen", wie sie darauf reagieren. Frankreichs Europaminister Clément Beaune stellte klar: "Ich glaube nicht, dass Frankreich überreagiert." Es gehe um eine "europäische Frage".

Deutschland steht zu Frankreich

Der U-Boot-Zoff entwickelt sich somit zur Prüfung für die Solidarität innerhalb der EU – bislang stärkt die Staatengemeinschaft Frankreich den Rücken. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bezeichnete den U-Boot-Deal als "nicht akzeptabel". Die Außenminister der anderen 26 EU-Staaten sichern Paris ihre "Solidarität" zu, wie der Außenbeauftragte Josep Borrell am Rande der UN-Vollversammlung erklärte.

Die Bundesregierung steht ebenfalls an der Seite Frankreichs, auch wenn sie gleichzeitig verhindern möchte, dass sich die Beziehungen zu den USA nach dem Horror der Trump-Jahre wieder verschlechtern.

"Das, was wir dort sehen, hat vieles schwieriger gemacht. Und ich befürchte, dass es doch auch eine Zeit lang noch schwieriger bleiben wird", meinte Außenminister Maas in New York. "Was dort entschieden worden ist und die Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist, ist irritierend. Und es ist ernüchternd nicht nur für Frankreich." Die Frage, ob nun wieder eine Eiszeit für die transatlantische Beziehungen wie zuletzt unter Trump drohe, beantwortet der deutsche Außenminister jedoch mit einem klaren "Nein".

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Das Problem für die EU geht allerdings über den geplatzten U-Boot-Deal hinaus. Die europäische Gemeinschaft verliert in sicherheitspolitischen Fragen immer mehr Einfluss. Natürlich wussten die USA, dass Frankreich empört reagieren würde, deshalb waren die Gespräche mit Australien geheim. Doch Washington nahm den Ärger in Kauf, weil sich die US-Regierung einen größeren Gewinn von dem indopazifischen Bündnis verspricht.

USA setzen auf weitere Bündnisse

"Die Vereinigten Staaten haben keinen engeren und zuverlässigeren Verbündeten", sagte US-Präsident Joe Biden am Dienstag bei einem Treffen mit dem australischen Premierminister Scott Morrison am Rande der UN-Generaldebatte. Die USA und Australien arbeiteten "im Gleichschritt", fügte Biden hinzu. Auf die Empörung Frankreichs gingen Biden und Morrison nicht ein.

Später rief Biden einem Reporter auf Nachfrage zwar zu, seine Beziehungen zu Frankreichs Präsident Macron seien "genial". In der Sache bleibt er aber hart. Ihm geht es darum, ein Gegengewicht zu China im Pazifikraum aufzubauen. Auf die EU setzt Biden dabei nicht. Für Europa ist der Pazifik nicht nur geografisch weit entfernt, viele europäischen Länder wehren sich auch mit Händen und Füßen gegen zusätzliche Investitionen in Rüstungsgüter.

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Für Obama und Trump war das schon ein Problem, Biden schmiedet nun andere Bündnisse. Denn die USA wissen, dass China bereits von der Schiffanzahl eine größere Marine als die Vereinigten Staaten hat. Eines hat Peking aber nicht: enge Verbündete. Da setzt nun die Strategie der USA an, ein wirtschaftlich lohnenswerter U-Boot-Deal kommt hinzu.

Welche Rolle spielt Großbritannien?

Dass auch Großbritannien beteiligt ist, wird in den Gesprächen in New York über den indopazifischen Pakt unterdessen oft vernachlässigt. In diplomatischen Kreisen wird der britische Beitrag als wenig bedeutend eingestuft und eher als symbolisch gesehen. Der französische Außenminister Le Drian erklärt sogar, dass die Briten das "opportunistische fünfte Rad am Wagen" seien. Deshalb habe man sich nicht einmal die Mühe gemacht, den französischen Botschafter in London zurückzurufen. Wenig schmeichelhaft für Premierminister Boris Johnson.

In Großbritannien wird er für das Zerwürfnis mit Frankreich scharf kritisiert. Außerdem würde das Vereinigte Königreich so Gefahr laufen, in einen militärischen Konflikt mit China hineingezogen zu werden, merkte die ehemalige Premierministerin Theresa May an.

Der britische Bahnfahrer

Für Johnson ist die Situation riskant. Schlechte Beziehungen zu Frankreich und der EU kann sich Großbritannien nicht leisten. Doch der britische Premier malte in vielen Reden seine Vision von einem "Global Britain" nach dem Brexit – also einem global agierendem Königreich. In einem Bündnis mit den USA den Indopazifik gegen China zu verteidigen – das klingt nach alter imperialer Größe und passt in seine Erzählung.

Zugleich will die britische Regierung die vorbelasteten Beziehungen zu der Biden-Administration verbessern. Die Verhandlungen über ein Handelsabkommen stocken. Zuletzt hatten britische Regierungskreise Biden im Zuge des Afghanistan-Debakels zudem als "Verlierer" und als "gaga" bezeichnet – britische Medien machten die Äußerungen öffentlich. Das hat den US-Präsidenten verärgert, erfuhr die britische "Times" von einem Mitarbeiter des Biden-Stabs. In Washington entschied man sich im Ringen mit China trotzdem für den pragmatischen Weg und lud Johnson nun als Dankeschön für den britischen Beitritt in das indopazifische Bündnis in die US-Hauptstadt ein.

In New York lässt sich derzeit unter dem Brennglas der UN-Vollversammlung beobachten, wie sich Rivalitäten und Bündnisse weltweit verändern. Die USA haben durch ihren Indopazifik-Pakt den derzeit größten Schritt gewagt, den Druck auf den Rivalen China erhöht und den engen Verbündeten Frankreich düpiert. Das macht die internationale Zusammenarbeit beim ersten Gipfel seit dem Corona-Ausbruch vieles, aber nicht einfacher. An das Chaos wird sich nicht nur die Bevölkerung wieder gewöhnen müssen.

Verwendete Quellen
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