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Russlands und Putins Forderungen sind unerfüllbar: langer, blutiger Krieg droht


Russland-Experte
"Das würde einen langen und sehr blutigen Krieg bedeuten"

Von Hans Peter Brodüffel

Aktualisiert am 05.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Russland und Belarus bei einer gemeinsamen Militärübung: "Für Moskau ein unannehmbarer Gedanke."Vergrößern des Bildes
Russland und Belarus bei einer gemeinsamen Militärübung: "Für Moskau ein unannehmbarer Gedanke." (Quelle: Cover-Images/imago-images-bilder)

Udo Lielischkies war als ARD-Korrespondent für Russland 20 Jahre ganz nah dran an Wladimir Putin. Der Kreml-Experte analysiert die aktuelle Krise an der Grenze zur Ukraine. Er zeichnet ein düsteres Bild.

Nach dem massiven russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine befürchtet der Westen, Russland könnte das Nachbarland angreifen. Die Regierung in Moskau dementiert jegliche Angriffspläne, weist Kritik an den Truppenbewegungen zurück und wirft ihrerseits Kiew und der Nato Provokationen vor. Erst am 28. Dezember hatte das russische Außenministerium die westlichen Militärattachés vor einem bewaffneten Konflikt gewarnt. Doch wie realistisch ist ein Krieg?

Nach Einschätzung von Udo Lielischkies, früherer langjähriger Leiter des ARD-Studios in Moskau, sind die Forderungen Russlands unerfüllbar: keine Aufnahmen neuer Nato-Mitglieder, keine militärische Kooperation der USA mit ehemaligen Ostblockstaaten, keine Kooperation mit regimekritischen Gruppierungen in Russland.

"Steuern diese unerfüllbaren Forderungen also auf ein gezieltes Scheitern von Verhandlungen zu, damit der Kreml einen Vorwand für militärische Intervention hat?", fragt der international renommierte Russland-Experte aus Köln. Lielischkies ist sich sicher: "Ein Einfall Russlands in die Ukraine würde einen langen und sehr blutigen Krieg bedeuten." Die ukrainische Armee sei zwar nach wie vor der russischen weit unterlegen, aber dennoch deutlich stärker als noch vor einigen Jahren.

"Rückkehr von Verletzten und Toten wäre unpopulär"

Ausgerüstet mit amerikanischen Javelin-Panzerabwehrraketen, türkischen Drohnen, versehen mit großer Kampferfahrung und vor allem aufgrund des erwartbaren massiven Widerstands der ukrainischen Bevölkerung wäre eine Eroberung eine vermutlich sehr verlustreiche Unternehmung, so Lielischkies. Außerdem: "Die Rückkehr zahlreicher Verletzter und Toter nach Russland wäre in der russischen Bevölkerung sicherlich extrem unpopulär. Schon jetzt sind die Zustimmungswerte für Putin deutlich niedriger als in früheren Zeiten."

Für die Kriegsbereitschaft des Kreml spricht laut Lielischkies hingegen Putins bisherige Erfahrung mit Gewaltanwendung: Ob Krim oder Ostukraine – die Europäer hätten jedes Mal eher zögerlich reagiert und versucht, schnell wieder auf Dialog zu setzen. "Selbst Nord Stream 2 wurde gebaut, nach der Annexion. Diese Zögerlichkeit hat den Kreml sicherlich ermutigt."

Russland könnte Ukraine aus Einflussbereich verlieren

Putin könnte auch den Zeitpunkt für eine Invasion als sehr günstig ansehen: Die USA sind vorwiegend mit China beschäftigt und stecken zudem in einer dramatischen innenpolitischen Krise. Die Europäer sind gespalten wie eh und je. Gleichzeitig hat sich der ukrainische Ministerpräsident inzwischen massiv gegen russischen Einfluss in seinem Land gewendet, einen Putin-Vertrauten verhaften und drei russlandfreundliche TV-Sender schließen lassen. "Damit droht Russland, die Ukraine, auch durch deren forcierten Westkurs, vollends aus seinem Einflussbereich zu verlieren – ein für Moskau unannehmbarer Gedanke."

Der Kreml hat sich von der Bevölkerung abgeschottet

Wie viele andere Beobachter der brisanten Situation meint auch Russland-Experte Lielischkies, dass man Moskau die hohen ökonomischen Kosten einer Invasion deutlicher machen müsse als bisher. "Nord Stream 2 hat dann keine Chance mehr." Zu den weiteren angedrohten Sanktionen sollte auch ein Abschalten des internationalen Zahlungsverkehr-Systems SWIFT gehören.

Russland profitiere zurzeit noch von hohen Rohstoffpreisen, sei aber geprägt durch eine verfallende Infrastruktur, sinkende Reallöhne und eine wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer Lebenssituation.

In seinem Buch "Im Schatten des Kreml. Unterwegs in Putins Russland" vermittelt der Journalist ein authentisches Bild des Landes: das Zentrum Moskaus als ein vom Rest des Landes abgekoppeltes Raumschiff, ein glitzerndes, filmreifes Panoptikum neureicher Selbstdarstellung.

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Der Großteil des weiten Landes dagegen, das wirkliche Russland, ist laut Lielischkies dunkel, heruntergekommen und vergessen. "Ein riesiges Land, das den Preis bezahlt für das Leben einer kleinen, sehr reichen, sehr zynischen Elite, die vom System Putin profitiert."

USA müssen Europa beistehen

Für Lielischkies ist jetzt klar: Auch wenn US-Präsident Biden der Konflikt sehr ungelegen komme, müsse er sich ihm unbedingt mit aller Intensität widmen. "Biden hat im Gegensatz zu seinem Vorgänger die große Bedeutung des transatlantischen Bündnisses immer wieder betont. Und natürlich ist ihm bewusst, dass die Europäer viel zu schwach sind, um alleine diesen aggressiven Handlungen des Kreml Paroli zu bieten", sagt der ehemalige Korrespondent, der auch mehrere Jahre für das ARD-Studio in Washington tätig war und über die US-Politik berichtete.

Am Sonntag hat Präsident Biden mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zum Konflikt telefoniert – und setzt weiter auf Diplomatie. Nach Angaben aus Washington bekräftigte Biden die Unterstützung der USA für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine. In einer Mitteilung des Weißen Hauses heißt es, Biden habe zugesichert, dass die USA und ihre Partner bei einer Invasion Russlands "entschlossen" reagieren würden.

Biden betonte das Prinzip des "Nichts über dich ohne dich", das die Einbindung Russlands in diplomatische Beziehungen vorsieht. Nach wie vor setzt Biden auf Gespräche. Er unterstützt deeskalierende Maßnahmen in der Region Donbas.

Vertreter Russlands und der USA wollen sich am 9. und 10. Januar in Genf treffen. Das westliche Verteidigungsbündnis Nato plant darüber hinaus für den 12. Januar eine Unterredung mit der russischen Seite. Am Tag danach soll es ein Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geben.

Weiterer Schritt zum autoritären Staat

Ein in sich logischer, aber dennoch dramatischer Schritt des Putin-Regimes ist für Lielischkies das Verbot der Menschenrechtsorganisation Memorial. Memorial war die Säule der russischen Menschenrechtsbewegung, gegründet, um die Verbrechen der Sowjetdiktatur aufzuarbeiten. Damit gehe Putin einen weiteren Schritt in Richtung Verklärung der Sowjetunion, deren Ende er als "größte geopolitische Katastrophe des vorigen Jahrhunderts" bezeichnete. "Mit dem Verbot von Memorial bewegt sich Russland weiter vom autoritären zum totalitären Staat."

In der Ostukraine bekämpfen sich seit 2014 prorussische Milizen und die ukrainische Armee, nachdem Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert hatte. Moskau unterstützt in dem Konflikt die Separatisten, die in Luhansk und Donezk sogenannte Volksrepubliken ausgerufen haben. Insgesamt wurden bereits mehr als 13.000 Menschen bei den Kämpfen getötet.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Udo Lielischkies
  • Buch "Im Schatten des Kreml. Unterwegs in Putins Russland", Udo Lielischkies, Droemer
  • Mit Material der Nachrichtenagentur AFP und dpa
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