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Russland-Konflikt: Hätte die Ukraine eine Chance? Putin fürchtet eine Waffe


Stärke der ukrainischen Streitkräfte
Hätten sie eine Chance gegen Putins Armee?

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 18.01.2022Lesedauer: 5 Min.
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Konflikt droht zu eskalieren: Russische Scharfschützen haben an der ukrainischen Grenze Militärübungen durchgeführt. (Quelle: t-online)

Mehr Soldaten, bessere Ausrüstung: Die ukrainische Armee ist viel besser aufgestellt als noch im Jahr 2014. Aber reicht das? Zumindest eine Waffe des ukrainischen Arsenals fürchtet Russland wirklich.

Sie sind auf sich allein gestellt, niemand wird ihnen zu Hilfe eilen – auch die Nato nicht. Aus dieser Überzeugung heraus hat die Ukraine im Konflikt mit Russland in den vergangenen Jahren massiv in militärische Ausrüstung und Personal investiert. Der Verlust der Krim und von Teilen der Donbass-Region im Jahr 2014 ist ein Trauma für das Land, das sich nicht wiederholen soll.

Die Rüstungsoffensive des Nachbarlandes sieht die Atommacht Russland allerdings kritisch. Präsident Wladimir Putin monierte, dass sein Land einen gleichermaßen verfeindeten wie bis an die Zähne bewaffneten Nachbarn nicht dulden könne. Das ist vor allem eine Kritik in Richtung der Nato-Staaten, die die Ukraine nach 2014 teilweise mit Waffensystemen und militärischer Ausrüstung versorgt haben.

In dieser Ausgangslage wächst seit Monaten die Gefahr einer russischen Invasion in der Ukraine. Putin hält sich dabei alle Handlungsmöglichkeiten offen: An der Grenze stehen knapp 100.000 Soldaten, Tausende Panzer, Luft-Boden-Kampfflugzeuge und weiteres militärisches Gerät. Das kann eine Drohgebärde sein, um den Verhandlungsdruck auf den Westen zu erhöhen. Vieles spricht dafür.

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Aber auch eine Invasion bleibt denkbar, wenn auch möglicherweise unter falschem Vorwand. Offiziell sieht sich Russland nämlich gar nicht als Kriegspartei im Ukraine-Konflikt, sondern als Schutzmacht der Separatisten.


Der Grund: In weiten Teilen der russischen Bevölkerung gilt die Ukraine als "Brudervolk". Ein Angriff wäre für Putin innenpolitisch deshalb nur schwer zu legitimieren.

Die USA werfen dem Kreml deshalb vor, eine Operation unter falscher Flagge zu planen, damit Russland als Retter der pro-russischen Separatisten im Kampf gegen die in ihren Augen "faschistischen" Gruppierungen in der Ukraine eingreifen kann.

Die Ukraine modernisiert ihre Streitkräfte

Und das alles, weil Russland seine Sicherheit durch eine aufgerüstete und nach Westen orientierte Ukraine bedroht sieht? Es drängt sich die Frage auf: Ist die Ukraine wirklich so stark, dass sie russische Sicherheitsinteressen gefährdet?

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Die Qualität der ukrainischen Armee hat sich in den vergangenen Jahren auf jeden Fall massiv verbessert. 2014 verlor das Land 70 Prozent seiner Marine durch die russische Annexion der Krim. Teile ihrer Rüstungsindustrie lagen in der Region des Donbass, die nun von Separatisten kontrolliert wird. Die Ukraine hatte zu der Zeit gerade einmal 6.000 einsatzfähige Soldaten, die über veraltete Waffentechnik aus Zeiten der Sowjetunion verfügten.

Das ist nun anders:

  • Der Verteidigungshaushalt der Ukraine stieg laut dem Londoner Institut für Strategische Studien (IISS) zwischen 2018 und 2020 von 2,5 auf knapp über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
  • Die Truppenstärke hat sich laut IISS deutlich erhöht: Es sind nun 196.000 Soldaten, 102.000 Angehörige der Nationalgarde sowie 900.000 Reservisten, die in den vergangenen Jahren in der Armee aktiv waren.
  • Die Kampferfahrung der Soldaten hat sich durch den Einsatz an der Grenze zur Donbass-Region erhöht.
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  • Die Nato unterstützte die Ukraine beim Umbau und bei der Ausbildung der Streitkräfte. Es wurden gemeinsame Manöver abgehalten.
  • Laut IISS verfügt die Ukraine über 858 Kampfpanzer; veraltete Waffensysteme wie der sowjetische T-64-Kampfpanzer wurden modernisiert.
  • Von den Vereinigten Staaten kaufte die Ukraine Ausstattung im Wert von 2,5 Milliarden Dollar. Darunter Radarsysteme, Patrouillenboote und Hunderte Anti-Panzerraketen des Typs Javelin.
  • Von der Türkei erhielt das Land Kampfdrohnen des Typs "Bayraktar TB-2".

Das alles mag im Vergleich zu 2014 nach einer großen Modernisierung klingen. Doch noch immer sind viele ukrainischen Waffensysteme veraltet und nicht einsatzfähig. Die Luftwaffe verfügt nur über wenig Kampfflugzeuge aus den 1970er- oder 1980er-Jahren. Die Marine ist kaum vorhanden und viele ukrainische Generäle wurden nach sowjetischer Militärschule ausgebildet – ihre taktische Schulung ist nicht mehr zeitgemäß.

Russland ist militärisch überlegen

Auf der anderen Seite steht mit Russland ein übermächtiger Gegner – so scheint es. Strategisch wäre Moskau bei einem Angriff im Vorteil: Die russischen Streitkräfte könnten im Norden angreifen oder über die Krim im Süden, um die vergleichsweise gut gesicherte Grenze in der Donbass-Region zu umgehen. Die marode Infrastruktur in der Ukraine würde dazu führen, dass die ukrainischen Streitkräfte lange bräuchten, um ihre Truppen an die Grenze zu verlagern.

Auch die militärischen Daten sprechen eine eindeutige Sprache:

  • Russland kann laut den US-Analysten von "Global Firepower" auf mehr als 850.000 Soldaten zurückgreifen, hinzu kommen 250.000 Reservisten. Auch sie besitzen oft Kampferfahrung aus den zahlreichen Konflikten der vergangenen Jahre.
  • Laut IISS sind momentan 2.840 Kampfpanzer einsatzbereit, die größtenteils erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten gebaut oder modernisiert wurden.
  • Bei Kampfflugzeugen, Artillerie, Marine und sonstiger militärischer Ausrüstung ist die russische Überlegenheit in puncto Anzahl und technologischer Fortschritt noch erdrückender.
  • Russland hat das größte Atomwaffenarsenal der Welt.

Trotzdem wäre ein Krieg teuer für Putin und ein Angriff die gefährlichste Operation Russlands der vergangenen Jahre. Solange die ukrainische Armee den großen Nachbarn in Grabenkämpfe verwickeln könnte, wäre ein Vorstoßen nur langsam und verlustreich möglich.

Respekt vor Drohnen

Vor allem Kampfdrohnen nimmt der Kreml als Bedrohung wahr und reagierte erbost, als das Nato-Mitglied Türkei "Bayraktar TB-2" an die Ukraine lieferte. Die Drohnen sind eine türkische Eigenentwicklung – und mittlerweile ein erfolgreicher Verkaufsschlager von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Ihre Wirksamkeit bekam der Kreml bereits in Libyen, in der syrischen Region Idlib und in Berg Karabach zu spüren – Stellvertreterkriege, in denen die Türkei und Russland unterschiedliche Seiten unterstützen.

Deshalb kommt der Respekt vor der Technologie in Moskau nicht von ungefähr. Russische Soldaten wurden als Reaktion vermehrt in Drohnenabwehr ausgebildet.

Auch abseits der militärstrategischen Erwägungen gibt es momentan mehr Gründe, die gegen einen Krieg sprechen, vor allem politische: Zunächst einmal würde eine Invasion Kremlchef Putin international noch mehr isolieren, weitere Sanktionen des Westens gegen die angeschlagene russische Wirtschaft wären die Folge. Putin würde zudem ein wichtiges Druckmittel künftig nicht mehr nutzen können: militärische Drohgebärden gegen die Ukraine. Seine Verhandlungsmasse würde schrumpfen.

Vieles spricht gegen einen Krieg

Außerdem müsste Russland eroberte Gebiete in der Ukraine auch halten können – und das wird schwieriger, je weiter sie nach Westen vorstoßen. Anders als im Donbass ist der Anteil russischstämmiger Bevölkerung im Rest des Landes geringer. Der Kreml müsste einen Guerilla-Krieg und Proteste befürchten – das sind blutige Szenarien, die Putin im eigenen Land politisch massiv schaden könnten, besonders wenn seine Armee mit Härte gegen Zivilisten vorgeht. Stichwort: "Brudervolk".

Schließlich könnte Putin seinen eigenen strategischen Zielen schaden: Er will sich wieder an den Verhandlungstisch mit den USA bringen und eine Hochrüstung des Nachbarlandes verhindern. Übertreibt er es mit dem Säbelrasseln, drohen negative Folgen. Die Nato liefert aktuell zwar keine offensiven Waffen an die Ukraine, aber im Westen wächst der Druck auf politische Entscheidungsträger, diese Haltung zu überdenken.

Solange sich an einer Grenze so viele Soldaten und Panzer gegenüberstehen, bleibt die Lage aber gefährlich. Putin könnte sich – trotz des hohen Preises für sein Land – am Ende politisch in eine Lage manövrieren, in der er verhängnisvolle Entscheidungen trifft. Für die besser ausgerüstete Ukraine und das nach wie vor überlegene Russland gleichermaßen.

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