t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikAuslandUSA

Boris Pistorius: Schadensbegrenzung in USA – Was seine größte Sorge ist


Was wird aus den USA?
Pistorius' größte Sorge

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

Aktualisiert am 29.06.2023Lesedauer: 5 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Player wird geladen
Bundesverteidigungsminister Bois Pistorius und sein Amtskollege Lloyd Austin. (Quelle: Reuters)

Die schwerste Aufgabe des Boris Pistorius lautet: vorsorgliche Schadensbegrenzung in den USA. Denn es gibt Dinge, auf die der Verteidigungsminister Deutschland kaum vorbereiten kann.

Bastian Brauns berichtet aus Washington.

Boris Pistorius beschäftigt sich viel mit den USA – und er macht sich Sorgen. Denn es gibt Entwicklungen, auf die man sich kaum vorbereiten kann. Weder auf die Folgen einer Rebellion in Russland, noch auf einen möglichen nächsten US-Präsidenten. Denn der könnte erneut Donald Trump heißen, der wenig vom amerikanischen Engagement im Nato-Bündnis hält und behauptet, Russlands Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden zu können. Egal zu welchem Preis für die Ukrainer und Europäer.

Solche Gedanken beschäftigen den deutschen Verteidigungsminister bei einem spontanen Spaziergang durch die Hauptstadt Washington, D.C. während seines USA-Besuchs. Dafür immerhin gab es ein kurzes Zeitfenster zwischen dem rund einstündigen Treffen mit seinem Amtskollegen Lloyd Austin im Pentagon und dem Gespräch mit Joe Bidens Nationalem Sicherheitsberater Jake Sullivan.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Am Mahnmal für die Terroranschläge am 11. September 2001 am Pentagon legt er einen Kranz nieder. Die Ereignisse von damals nennt er "eine grauenvolle Zäsur". Dann durchschreitet er das imposante Denkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs auf der National Mall: "Als Deutscher ist mir das ein besonderes Bedürfnis". Vor dem überlebensgroßen Monument von Martin Luther King Junior gegenüber dem Thomas Jefferson Memorial bleibt Pistorius stehen. "Das ist einfach ein beeindruckendes Denkmal. Das muss man wirklich sagen", stellt er fest.

Pistorius' Sorge um den wichtigsten Partner

Auf dieses Land, dessen Menschen im Laufe seiner Geschichte so viel erreicht haben und so viele andere inspiriert haben, war lange Zeit Verlass. Aber Pistorius weiß, dass sich die Zeiten geändert haben, beziehungsweise sie sich über Nacht schnell ändern können. Desinformation und Populismus gefährden die Demokratien immer mehr – allen voran die tief gespaltenen USA. Das treibt ihn um, fast mehr als alles andere. Denn das hat schwerwiegende Folgen. Sollte etwa der europafreundliche, aber auch sehr alte Joe Biden 2024 nicht wiedergewählt werden, sähe es für die Ukraine und Europa vermutlich düster aus.

Darum ist die wohl wichtigste Mission der Amtszeit von Boris Pistorius als Verteidigungsminister: Deutschland fit zu machen für mehr eigene Verantwortung – in Worten und in Taten. Auch, um Skeptikern in den USA möglichst keine Argumente mehr zu liefern. Mal geht es ihm um das Nato-Zwei-Prozent-Ziel, das die deutsche Regierung bis 2024 mit einem steigenden Verteidigungsbudget erreichen will. Mal verkündet er plötzlich, eine deutsche Brigade von rund 4.000 Soldaten dauerhaft im baltischen Litauen zu stationieren. Mal verspricht er in der "New York Times" ein insgesamt stärkeres geopolitisches Engagement Deutschlands in Europa, aber auch im Pazifik.

Die transatlantische Beliebtheit

Auf diese Weise ist Boris Pistorius nicht nur in Deutschland innerhalb kürzester Zeit zum laut Umfragen beliebtesten Politiker aufgestiegen. Auch in Amerika schlägt ihm viel Sympathie entgegen. In der "Washington Post" erschien wenige Tage vor seiner Ankunft in den USA sogar ein wohlwollender Meinungsartikel des Pulitzer-Preisträgers Lee Hockstader. Eine Ehre, die seiner Vorgängerin Christine Lambrecht nicht widerfahren war.

Pistorius gehe "mit offenen Augen an die Arbeit", war darin zu lesen. Das sei die "Abkehr von der jahrzehntelangen vorsätzlichen Blindheit Berlins gegenüber den Raubzügen des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Tschetschenien, der Krim, Georgien, Syrien und anderswo." Viele von Pistorius' Vorgängern hätten auf diesem Posten hingegen "ihre Ambitionen durch Skandale, Inkompetenz oder eine notorisch engstirnige Verteidigungsbürokratie zunichtegemacht."

In den USA wird sehr wohl wahrgenommen, dass mit Pistorius vor fünf Monaten ein Verteidigungsminister übernommen hat, der bereit ist, Klartext zu sprechen. Der Unterschied zwischen seinem Satz "Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen" und der notorischen Scholz-Version, die Ukraine dürfe nicht verlieren, wird in den USA wahrgenommen und wertgeschätzt.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Lob und Anspruch von Lloyd Austin

Als Pistorius am Mittwoch seinem Amtskollegen Austin an einem Tisch im Pentagon gegenübersitzt, ist ihm anzumerken, wie froh er ist, dass seine Taten hier wahrgenommen werden. Er erinnert an seinen ersten Tag als Minister. Nachdem Pistorius seinen Amtseid abgelegt hatte, traf er damals direkt im Anschluss Lloyd Austin zum ersten Mal in Berlin. Die Debatte um ein Liefern oder Nicht-Liefern der Leopard-Panzer durch Deutschland war gerade auf ihrem Höhepunkt. "Ein paar Tage später konnten wir grünes Licht geben", sagt er im Pentagon. Seit man "dieses spezielle Problem" überwunden habe, seien die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland noch sehr viel besser geworden.

Ruhig hört Austin ihm zu und nickt. Er kann sich noch gut an die Querelen erinnern. Der amerikanische Verteidigungsminister galt bis zuletzt als vehementer Gegner einer Lieferung eigener Abrams-Panzer, um von Bundeskanzler Olaf Scholz die Zustimmung zur Lieferung deutscher Leopard-2-Panzer zu bekommen. Auf die Frage eines Reporters, ob Deutschland trotz seiner Zögerlichkeit seiner Führungsrolle gerecht werde, sagte Austin bei einem damaligen Treffen in Ramstein wenig diplomatisch: "Ja, aber wir können alle mehr tun."

Bei Pistorius' Antrittsbesuch in Washington klingt Austin anders. Er überschüttet den Deutschen mit Dank für das Engagement in der Ukraine, das allerdings auch weitergehen müsse. Und ja, auch die Sicherstellung der gemeinsamen Verpflichtungen für einen "freien Pazifik" wolle er mit ihm besprechen. Denn China ist der eigentliche Fokus amerikanischer Geopolitik, von Demokraten und Republikanern.

Die Taten müssen folgen

Zwar sind viele Kritiker Deutschlands derzeit in den USA eher leise. Pistorius weiß, dass das auch mit ihm und seiner neuen Politik und seiner neuen Kommunikation zu tun hat. Er weiß aber auch, dass er noch weiter wird liefern müssen. Seine aktuelle Beliebtheit reicht dafür nicht aus.

Die Bundeswehrbrigade für Litauen hat er zwar angekündigt, bis sie aber wirklich dort ankommen kann, sollen die Litauer die Infrastruktur dafür schaffen. Das verschafft dem Verteidigungsminister Zeit, die er wohl auch dringend braucht, um die Truppe dafür überhaupt aufzustellen. Das Zwei-Prozent-Ziel für die Nato-Beiträge kann zwar dank des Sondervermögens für das kommende Jahr erreicht werden. Aber was kommt danach, wenn sein Koalitions-Kollege, der FDP-Finanzminister Christian Lindner, kein Geld herbeizaubern kann?

Loading...
Loading...
Loading...

Pistorius will dazu beitragen, dass die deutsche "Zeitenwende" weiterhin ernst genommen wird – in Deutschland, aber auch in den USA. "Ich bin ein Kind des Kalten Krieges", sagt er zu Lloyd Austin. Einst sei "Deutschland die Ostflanke" der Nato gewesen. Damals hätte für ihn immer außer Frage gestanden, dass die USA und die anderen Alliierten die Sicherheit und Freiheit garantiert hätten. Heute hätte Deutschland eine besondere Verantwortung für die "neue Ostflanke", also die baltischen Staaten und Polen.

"Darum bin ich hier", sagt Pistorius. Er sehe es zudem als einen besonderen Auftrag für sich und seine Kollegen in Deutschland an, "alles zu tun, was möglich ist" und "so lange es nötig ist", um die Ukraine zu unterstützen. Die Zeit drängt, denn die Zeiten ändern sich schnell. 2024 finden in den USA die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Putin im Krieg gegen die Ukraine taktisch darauf setzt, dass danach kein Demokrat mehr im Weißen Haus sitzt.

Was das bedeuten würde? Pistorius weiß, dass man sich darauf kaum vorbereiten kann. Auch, weil Deutschland und Europa auf die USA militärisch angewiesen bleiben. Er will es trotzdem, so gut es eben geht, versuchen. Sein energisches Engagement dient darum immer auch der vorsorglichen Schadensbegrenzung auf der anderen Seite des Atlantiks.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen vor Ort
  • washingtonpost.com: Germany has one politician who’s serious about arming Ukraine (Englisch)
  • nytimes.com: German Defense Minister Vows Stronger Geopolitical Role Ahead of U.S. Visit (Englisch)
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website