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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach Angriff des Iran Plötzlich soll es Frieden geben

Raketen fliegen, Drohungen kursieren, doch plötzlich sollen die Waffen schweigen. Das ist Teil eines gefährlichen Machtspiels zwischen den USA, Israel und dem Iran. Es kann auch schiefgehen.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Für einen kurzen Moment war unklar, was nun geschehen würde. Die ersten Nachrichten trafen in der US-Hauptstadt gegen die Mittagszeit ein. Amerikanische Staatsbürger im Nahen Osten wurden gewarnt, sich in Sicherheit zu bringen. Die iranischen Machthaber schienen ihre Vergeltungsdrohung wahrzumachen. Eine konkrete Bedrohung stünde "unmittelbar bevor" hieß es. Dann wurden Raketenabschüsse gemeldet. Ihr Ziel: amerikanische Militärstützpunkte in Katar und im Irak.
Schon seit Tagen wussten die amerikanischen Geheimdienste, dass nicht die USA selbst das Ziel eines iranischen Angriffs sein würden. Zwar gelten Cyberattacken und Terroranschläge als möglich, aber nicht als akute Gefahr. Die zahlreichen US-Militärstützpunkte im Nahen Osten hingegen waren früh im Fokus. Als mögliche iranische Angriffsorte galten insbesondere jene in Syrien, Katar oder dem Irak.
Trotz dieses Wissens unternahm die US-Regierung aber keine aggressiven Schritte, um einer Attacke des Regimes in Teheran zuvorzukommen und etwa Raketenabschussrampen zu zerstören. Dabei hätten die USA auch noch einmal im Iran zuschlagen können, um ihre Soldaten in der Region zu schützen. Doch hinter den Kulissen ging es wohl längst um sehr viel mehr. Am Ende dieses Tages verkündigte Trump schließlich einen Waffenstillstand.
Dabei rumorte es in der US-Hauptstadt seit Trumps umstrittenen Angriff auf die insgesamt drei Nuklearanlagen. Die wichtige Frage zum weiteren Verlauf des Konflikts lautete: "Wie wird der Iran jetzt reagieren?" Und die noch wichtigere: "Wie werden dann die USA reagieren?" Je massiver eine iranische Vergeltung, desto größer die Gefahr einer weiteren Eskalation. An einen schnellen Frieden dachte kaum einer.
Was steckt hinter der riskanten Symbolik?
Tatsächlich vollzog das Regime in Teheran auch keinen Überraschungsangriff auf die Amerikaner. Im Gegenteil – der Iran informierte vorab über verschiedene Kanäle nicht nur die USA, sondern auch die Regierung von Katar. Viel sprach schon zu diesem Zeitpunkt eher für einen symbolischen Vergeltungsangriff.
Die US-Regierung hatte sich darum schon vorher entschieden, das iranische Regime gewissermaßen gewähren zu lassen. Trump und sein Team beschränkten sich darauf, zwar mit markigen Worten zu drohen, aber ansonsten lediglich das eigene Personal aus den Militärbasen abzuziehen, die eigenen Staatsbürger vor Ort zu warnen und schließlich auch Abwehrraketen in Stellung zu bringen.
Der auf diese Weise angekündigte kleine Raketenhagel der Iraner wurde noch vor dem Einschlag weitgehend abgefangen. Opfer gab es nach offiziellen Angaben ebenfalls keine.
Für Außenstehende wirkten diese Vorgänge gefährlich und sinnlos. In der Kriegslogik von Eskalation und Deeskalation stellen sie aber eine wichtige Form der Kommunikation dar. Die bislang erkennbaren Signale zwischen Teheran und Washington lauten in diesem Sinne: Ruhe bewahren. Nach innen kann das Regime mit seiner Aktion weiterhin Stärke an die eigene Bevölkerung signalisieren.
Trump wütet, aber nicht gegen den Iran
Selbst Donald Trump wirkte angesichts der iranischen Raketen auffällig gelassen. Dabei drohte der US-Präsident zuletzt mehrfach mit weiteren schweren Angriffen, sollte der Iran Vergeltungsmaßnahmen gegen amerikanische Stellungen unternehmen.
Zwar wütete Trump auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social. Allerdings nur gegen den früheren russischen Präsidenten Dimitri Medwedew, weil dieser implizit damit gedroht hatte, dem Iran Nuklearwaffen zu liefern. Und gegen US-Medien wetterte Trump, weil diese berichten würden, dass seine Bomben die iranischen Nuklearanlagen möglicherweise gar nicht ganz zerstört haben, wie der Präsident es propagierte.
Den Angriff auf US-Militärbasen ließ Trump zunächst unerwähnt. Dann ging er noch einen Schritt weiter. Der US-Präsident lobte plötzlich ausgerechnet den Iran. "Ich möchte mich beim Iran bedanken, uns so früh informiert zu haben, was es ermöglichte, dass niemand gestorben ist und niemand verletzt wurde", schrieb der US-Präsident. Er hoffe, dass nun kein weiterer Hass entstehen werde und die Regierung in Teheran nun vielleicht "an Frieden und Harmonie in der Region" interessiert sein möge. Auch Israel würde er dazu ausdrücklich ermutigen, so Trump.
Nach Gegenschlägen als Erwiderung klangen diese Worte nicht. Eher nach einem Signal nach dem Motto: Keine Ursache und Schwamm drüber. Dazu passten Meldungen aus Israel, wonach deren militärische Operationen im Iran vor dem Abschluss stehen sollen. Was war da im Gange? Das fragten sich Beobachter schon da. Aber dem Frieden glauben wollte so recht noch keiner.
In den Abendstunden folgte die nächste Überraschung. Wieder meldete sich Donald Trump über seinen Kanal Truth Social. Er gratuliere allen, so der amerikanische Präsident. Denn es würde nicht weniger als einen "vollständigen und totalen Waffenstillstand" zwischen Israel und dem Iran geben. Beide Seiten hätten sich dazu bereit erklärt. Innerhalb weniger Stunden würden die Waffen zuerst für 24 Stunden schweigen, so Trump. Zugleich werde dies das "offizielle Ende dieses Zwölftagekrieges" sein.
Das Rasenmäher-Prinzip
Wie konnte es dazu kommen? Dem Regime in Teheran scheint klar zu sein, dass ein Frieden noch die beste Option ist. Die Regierungen in Jerusalem und Washington scheinen hingegen einem Prinzip zu folgen, das Verteidigungsexperten als "Rasenmähen" bezeichnen. Im Fall des Iran bedeutet es: Sollte man zu der Ansicht gelangen, dass das Regime in Teheran wieder versucht, Uran zu Waffenzwecken anzureichern, greift man im Zweifel einfach erneut an.
Noch gibt es keinen Frieden. Aber eine weitere Eskalation oder gar ein Krieg zwischen dem Iran und den USA scheinen vorerst abgewendet zu sein.
Doch die Lage bleibt heikel. Denn ob die Militäraktion der Trump-Regierung strategisch auch langfristig wirkt, ist fraglich. Insbesondere im Hinblick auf das Schicksal der iranischen Bestände an hoch angereichertem Uran und dem tatsächlichen Schaden an der Nuklearinfrastruktur ist weiterhin unklar, wie inwiefern das Programm der Iraner in seiner Entwicklung zurückgeworfen wurde.
Gefahren könnten dauerhaft bleiben
Experten in den USA warnen sogar davor, dass der US-Angriff schließlich den gegenteiligen Effekt haben könnte: Er könnte den gedemütigten Iran in Wahrheit motivieren, jetzt erst recht nach Atomwaffen zu streben.
Ein zentrales Ziel der Trump-Regierung soll es gewesen sein, den Iran zurück an den Verhandlungstisch zu bringen. Das scheint zumindest für den ersten Moment gelungen zu sein. Dabei hatte die iranische Regierung öffentlich zuletzt betont, sich in ihrem Streben nach einem Nuklearprogramm nicht aufhalten lassen zu wollen. Ob das nur Rhetorik war, muss sich auf Dauer zeigen.
Das von Israel und den USA verfolgte "Rasenmäher-Prinzip" kann an seine Grenzen stoßen, wenn der Iran doch nicht mitspielt, wie von Trump propagiert. Experten sehen dann die Gefahr eines Endloskreislaufs aus Angriffen und Gegenangriffen. Das könnte die Region in den kommenden Jahren auch weiterhin nicht zur Ruhe kommen lassen.
Wo bleibt die klare Strategie?
Viele kritisierten Donald Trump dafür, in Wahrheit keine klare Iran-Strategie zu haben. Und tatsächlich muss sich erst zeigen, ob es sich bei der Friedensankündigung nur um Wunschdenken handelt.
Die Äußerungen aus Washington blieben bis zuletzt widersprüchlich. Trump und sein Regierungsteam betonten einerseits mehrfach öffentlich, dass sie keinen Regierungswechsel in Teheran anstreben würden. Wenig später brachte Trump das Thema jedoch plötzlich wieder auf, indem er einen Regime-Wechsel als Möglichkeit für die Zukunft des Iran doch in Betracht zog. Wenngleich ohne konkrete Forderung. Noch als die Raketen aus dem Iran gerade anflogen, wiederholte Trumps Pressesprecherin Karoline Leavitt die Idee vom Regime-Change.
Wie es mit dem Iran aus US-Sicht weitergeht, bleibt weiterhin offen. Auch, ob Donald Trump angesichts der Lage im Nahen Osten wirklich zum Nato-Gipfel an diesem Dienstag in Den Haag erscheint. Die Planer im Weißen Haus folgen derzeit hauptsächlich den Instinkten des Präsidenten. Und die können sich bekanntlich auch recht kurzfristig ändern. Die Welt wird davon sehr wahrscheinlich wieder über Truth Social erfahren.
- Eigene Recherchen und Überlegungen
- axios.com: "No casualties reported after Iran missile attack on U.S. base in Qatar" (Englisch)
- nytimes.com: "Live Updates: Iran Says It Fired Missiles at U.S. Base in Qatar" (Englich)