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Chinas Marine immer stärker: ”Was passiert, wenn der erste Schuss fällt?”


Chinas Marine immer stärker
"Was passiert, wenn der erste Schuss fällt?"

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

Aktualisiert am 28.07.2023Lesedauer: 7 Min.
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imago images 0263088927Vergrößern des Bildes
Ein Kampfflugzeug landet auf dem US-Flugzeugträger USS Carl Vinson. (Quelle: IMAGO/David Barak)

China ist der größte Rivale der USA – und fordert die Weltmacht nun auch auf den Meeren heraus. Aber wie ist der Westen überhaupt in den maritimen Rückstand geraten? Und was muss sich für die deutsche Flotte ändern?

Bastian Brauns berichtet aus Washington

Es mag aus der Zeit gefallen wirken, ja pathetisch klingen. Aber wie das 21. Jahrhundert in die Geschichte eingeht, wird sich auf den Meeren der Welt entscheiden. Deshalb ist es mehr als eine Randnotiz, wenn die chinesische Marine die amerikanische rein zahlenmäßig längst überholt hat. Im Wettlauf zur See geraten aber nicht nur die USA, sondern der Westen insgesamt immer mehr in Rückstand.

Im Gespräch beantwortet der internationale Marine-Experte Sebastian Bruns die Frage, warum die Herrschaft über die Meere wichtiger denn je ist und erklärt, was sich die Exportnation Deutschland einfallen lassen muss, um die enormen Herausforderungen zu bestehen.

t-online: Herr Bruns, die USA sind alarmiert, weil sie beim Wettrüsten zur See mit China immer mehr zurückfallen. Wie gravierend sind die Schwächen der US-Navy?

Sebastian Bruns: Die Rolle als Seemacht ist für eine Weltmacht, wie die Amerikaner sie sind, von enormer Bedeutung. Gerade heute. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der Amerika und der Westen insgesamt an Macht und Einfluss verlieren. Die USA, die angesichts ihrer Lage zwischen zwei großen Ozeanen eine Art Inselnation sind, müssen überall, wo sie ihre Interessen berührt sehen, mit dem Schiff hinfahren. Können sie ihre Interessen nicht mehr ausreichend schützen, hat das Konsequenzen, auch für uns Europäer.

Die amerikanische Admiralität ruft das "maritime Zeitalter" aus. Was genau bedeutet das?

Man muss sich klarmachen, dass heute um die 90 Prozent des internationalen Handels über See vollzogen werden. Wir leben in einer Welt, in der 80 Prozent der Bevölkerungen maximal eine Tagesreise von der See entfernt leben. Durch unsere Meere verlaufen Seekabel und Pipelines. Unsere Energiesicherheit liegt vielfach auf und unter See, angefangen bei Windparks bis hin zu Pipelines. Dazu verlaufen mehr als 99 Prozent des internationalen Datenverkehrs über global rund 300 Seekabel, die unsere Kontinente verbinden. Das ist kritische Infrastruktur. Jede Störung, Sabotage und Verlust von Einfluss auf solche Seekabel hat enorme Konsequenzen. Als 2021 etwa das Containerschiff "Ever Given" den Suezkanal versperrte, kam es zu extrem kostspieligen und folgenschweren Verzögerungen des Welthandels.

Wer die Seewege kontrolliert, hat also mehr denn je die Macht?

Ja, und gerade in Bezug auf die maritimen Flaschenhälse wie der Suezkanal. Diese kristallisieren sich an künstlichen oder natürlichen Engstellen auf den Meeren. Deren Kontrolle ist üblicherweise stark umkämpft. Wer den Suezkanal oder den Panamakanal kontrolliert oder die Straße von Malakka in Südostasien, legt seinen Finger auf die Nadelöhre des Welthandels. Eigentlich ist das ein ausgeklügeltes System zwischen Amerika, Europa, Asien, das im Interesse aller auch gut funktioniert hat. Aber es drohen Gefahren.

Einer dieser Flaschenhälse ist auch die Taiwanstraße. Zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan kommt es immer häufiger zu militärischen Zwischenfällen. Die USA warnen vor aggressiven chinesischen Manövern. China bezichtigt dafür die USA unter anderem der Spionage.

Die wirtschaftliche Bedeutung von Seerouten geht mit der militärischen und politisch-strategischen Hand in Hand. Taiwan ist dafür ein gutes Beispiel. Durch die Taiwanstraße geht ein beträchtlicher Teil des internationalen Warenverkehrs. Eine Störung dieser Route – etwa weil China eine Invasion plant oder schlicht behauptet, es handle sich um das eigene Hoheitsgewässer – hätte massive Auswirkungen. Der niederländische Philosoph Hugo Grotius beschrieb das schon vor 600 Jahren als die "Universalität der Meere". Übertragen auf heute hießt das: Ein eskalierender Taiwan-Konflikt hat Konsequenzen bis in den Persischen Golf und bis in die Ostsee.

Wie problematisch ist vor diesem Hintergrund, dass die chinesische Marine insgesamt gerechnet längst mehr Schiffe hat als die amerikanische Navy?

Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Um das zu verstehen, muss man sich auch folgende Fragen stellen: Was will China mit so einer starken Marine potenziell erreichen? Wollen sie auch so eine globale Rolle spielen wie die USA? Oder wollen sie vor allem in ihrem unmittelbaren Umfeld alle Gegner beziehungsweise die Amerikaner herausdrängen und Vietnam, Indonesien, Südkorea und Japan kleinhalten und dominieren.

Sebastian Bruns
Sebastian Bruns (Quelle: Kenneth D. Aston Jr.)

Sebastian Bruns arbeitet als Senior Researcher am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel (ISPK). Der Marineexperte war zuletzt McCain-Fulbright-Professor an der US-Marineakademie in Annapolis im US-Bundesstaat Maryland.

Zu welchem Ergebnis kommen Sie?

Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt scheint es mir so zu sein, dass die Chinesen zwar Weltmacht sein wollen, sie sich dabei aber vor allem auf die Region des Pazifiks konzentrieren. Mit der stärksten Marine der Erde wollen sie wohl das Meer bis etwa zur Datumsgrenze auf dem Pazifik kontrollieren. Dafür brauchen sie eine entsprechende Anzahl von Schiffen. Das allein reicht aber nicht. China braucht gut ausgebildetes Personal, Flugzeuge, Sensoren und weitere Waffensysteme, um effizient und flächendeckend die Kontrolle zu übernehmen. Hier sind die USA nach wie vor besser aufgestellt.

Aber wie lange noch?

Im Pentagon verfolgt man die Entwicklungen sehr genau. Dort werden in sogenannten "War Games" Szenarien durchgespielt. Was passiert eigentlich, wenn der erste Schuss fällt? Wie viele Schiffe werden in den ersten Tagen auf jeder Seite versenkt? Man kann davon ausgehen, dass es jeweils ein, zwei Dutzend wären. Und dann stellt sich die Frage: Wer hat mehr Reserven: China oder die USA? Und was passiert mit der öffentlichen Meinung diesseits wie jenseits des Pazifiks, wenn plötzlich Flugzeugträger oder Kreuzer brennend untergehen? Um all diese Folgen zu beurteilen, braucht es also mehr als die reinen Zahlen über die jeweilige Flottenstärke.

Immer wieder werden die amerikanischen Flugzeugträger als Argument für eine Überlegenheit gegenüber China herangeführt.

Es gibt diesen Spruch über US-Flugzeugträger, wonach es sich um 100.000 Tonnen amerikanische Diplomatie handelt. Kurz gesagt: Ein Flugzeugträger ist immer auch ein politisches Statement. In gewisser Weise stehen sie für das, was maritime Seestreitkräfte insgesamt ausmacht. Schon unterhalb der Schwelle eines Krieges oder Konfliktes sind sie extrem wichtig. Denn sie decken das gesamte Konfliktspektrum ab: vom Cocktailempfang auf dem Achterdeck bis zur Seenotrettung, Piraterie- und Terrorismusbekämpfung, konventionelle und nukleare Abschreckung.

Dafür hat China bereits mehr U-Boote. Wie dramatisch ist für die USA diese maritime Herausforderung im Pazifik?

Man muss sich klarmachen, dass die USA selbst im Kalten Krieg mit der Sowjetunion die Meere weitgehend kontrolliert haben. Zum ersten Mal müssen sie feststellen: Es gibt einen Rivalen, der in der Lage ist, massiv aufzurüsten, auszurüsten und das Ergebnis auch einzusetzen. Das Problem der Amerikaner ist, dass sie ihre industrielle Basis immer weiter verloren haben.

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Wie ist das zu erklären?

Weil viele Unternehmen die USA verlassen haben – gerade in Richtung China –, leidet auch der militärische Komplex. Werften sind dafür ein gutes Beispiel. Die USA könnten sich hier auf den Kopf stellen und würden wenig erreichen. Weder kann man neue Werften über Nacht wieder aufbauen, noch hat man die Facharbeiter, von notwendigen Bewilligungen durch den Kongress ganz zu schweigen. Es bräuchte einen neuen Ronald Reagan, der sagt: Wir bauen jetzt eine Marine mit 600 Schiffen. Anders als China müssen die USA nicht nur den Pazifik, sondern auch den Atlantik im Blick behalten.

Was zur Frage nach einem stärkeren Engagement der Europäer im maritimen Zeitalter führt. Kommt ein Umdenken auch in der deutschen Marine an?

Die deutsche Marine ist seit den Neunzigerjahren im Dauereinsatz, um Verpflichtungen einzuhalten. Von Rettungsaktionen im Mittelmeer bis zu Anti-Piraterie-Einsätzen am Horn von Afrika. Das sind aber niederschwellige Einsätze. Seit dem russischen Einmarsch auf der Krim, spätestens aber seit dem Überall Russlands auf die Ukraine insgesamt, verschiebt sich die Aufmerksamkeit in Richtung Ostseeraum. Man muss sich jetzt wieder mit klassischen Kriegsszenarien beschäftigen, etwa der Jagd nach U-Booten.

Aber was ist mit dem Pazifik? Müsste Deutschland als Exportnation hier nicht auch für sichere Seewege sorgen?

Die Politik muss entscheiden, was die deutsche Marine machen soll. Russische U-Boote in der Nord- und Ostsee suchen und zugleich eine Präsenz im Pazifik aufbauen? Das ist eine Herausforderung. Dazu noch die Seenotrettung und Aufträge wie die Uno-Mission im Libanon. Für all das haben wir derzeit die kleinste Marine aller Zeiten zur Verfügung. Wirklich einsatzbereit sind letztlich vier deutsche Fregatten. In Berlin wird das bislang zu wenig gesehen. Wir bleiben ein kontinental denkendes Land.

Wird sich daran nichts ändern?

Die Marine versucht jetzt mit einer Reihe von Dokumenten, eine Strategie in Abstimmung mit der deutschen Sicherheitsstrategie zu beschreiben. Das "Strategische Dachdokument Marine" soll wohl nach dem Ende dieses Sommers erscheinen.

Also besser spät als nie?

Die Fakten liegen auf dem Tisch: Wir bräuchten eine größere Marine. Aber die Politik hat ein Problem. Wie in den USA haben wir nicht mehr die Werften und auch nicht das Personal. Die Nachwuchsprobleme sind in der Marine noch eklatanter als in der Bundeswehr insgesamt. Vor diesem Hintergrund wird die Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Nationen entscheidend sein. Allein werden wir da nichts ausrichten können.

Warum denken die Deutschen so wenig maritim?

Von Thomas Mann stammt das schöne Sprichwort: Die Deutschen lieben das Meer, aber sie lieben es nur vom Strand aus. Das trifft immer noch zu. Man denkt, man bestellt irgendwas und irgendwann wird es in Hamburg ankommen und auf Lkw umgeladen. Aber uns fehlt das Verständnis dafür, dass die Seeverbindungen wie das Internet sind: Sind sie gestört, kann man nichts mehr bestellen.

Das heißt: China muss jeden Konsumenten angehen?

Es gab mal diesen Spruch vom umfallenden Reissack in China, der niemanden interessiert. Dieser Sack Reis kann heute aber eine Weltwirtschaftskrise auslösen. Wir müssen unsere See-Blindheit überwinden, also unsere Unfähigkeit, diese Zusammenhänge des internationalen maritimen Systems als System der Sicherheitspolitik zu verstehen und sie auch zu verteidigen. Das ist eine Generationenaufgabe. Sie muss jetzt angegangen werden.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Sebastian Bruns
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