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INF-Vertrag vor dem Aus: Wächst die Gefahr eines Atomkrieges?


USA kündigen INF-Vertrag
Wächst jetzt das Risiko eines Atomkrieges?

Von dpa, nhr

Aktualisiert am 01.02.2019Lesedauer: 4 Min.
Baden-Württemberg im September 1988: Die ersten Pershing-II-Raketen werden gemäß dem INF-Abkommen zwischen den USA und der UdSSR vom Stationierungsort Waldheide abtransportiert.Vergrößern des BildesBaden-Württemberg im September 1988: Die ersten Pershing-II-Raketen werden gemäß dem INF-Abkommen zwischen den USA und der UdSSR vom Stationierungsort Waldheide abtransportiert. (Quelle: Harry Melchert/dpa-bilder)
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Mit dem INF-Vertrag steht eines der weltweit wichtigsten Abrüstungsabkommen vor dem Aus. Ist das die endgültige Rückkehr des Kalten Krieges? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was sieht der INF-Vertrag vor?

Das Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces) wurde 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen. Mit ihm verpflichteten sich beide Seiten zum Verzicht auf landgestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern.

Warum kündigen die USA die Vereinbarung auf?

Die Amerikaner werfen den Russen schon seit 2013 vor, sich nicht an die Vertragsbedingungen zu halten. Konkret geht es um den russischen Marschflugkörper 9M729 (Nato-Code: SSC-8). Die US-Regierung beklagt, dieser habe eine größere Reichweite als laut Vertrag erlaubt und sei dadurch eine direkte Bedrohung für Europa, und auch für die dort lebenden Amerikaner und US-Soldaten.

Die USA zählen auf, sie hätten über die Jahre mindestens 30 Mal ihre Einwände vorgebracht, gemeinsame Expertenrunden einberufen, sich auf höchster politischer Ebene um eine Klärung bemüht und die möglichen Konsequenzen klar benannt. Doch die Russen hätten nichts getan als zu leugnen, zu verschleiern und Gegenvorwürfe ohne jede Substanz vorzubringen. Das sei nicht länger hinnehmbar.

Außerdem beklagt die Regierung von US-Präsident Donald Trump, es sei ungerecht, dass andere wichtige Akteure wie China nicht an die Restriktionen gebunden sind und unbegrenzt Mittelstreckenraketensysteme bauen können.

Gibt es Beweise für die russische Vertragsverletzung?

Die US-Regierung erklärt, sie habe der russischen Seite detaillierte Informationen zu den konkreten Vertragsverletzungen vorgelegt: unter anderem zur Rakete und deren Abschussvorrichtung, zu den Tests des Marschflugkörpers und den russischen Versuchen, diese zu verbergen. Die USA versichern, diese Informationen zeigten klar, dass die Reichweite die Vertragsvorgaben überschreite.

Was sagt Russland zu den Vorwürfen?

Moskau dementiert konsequent, gegen den Vertrag zu verstoßen. Der Kreml, das Außenministerium sowie das Militär behaupten, ihre neuen Flugkörper blieben unterhalb der Reichweite von 500 Kilometern und seien damit erlaubt. Man habe Vorort-Inspektionen angeboten und Transparenz sowie Dialog versprochen. Dass der Vertrag nun mit einem unhaltbaren Ultimatum ende, sei eindeutig Schuld der USA, heißt es auf russischer Seite. "Einen Dialog im Erpressungsmodus zu führen, ist unmöglich", betont Vize-Außenminister Sergej Rjabkow.

Moskaus Strategie ist dabei schwer zu durchblicken. Russland moniert, dass die Amerikaner schon seit Jahren versuchen, das Land militärisch in die Enge zu treiben – unter anderem mit einem in Rumänien stationierten Raketenabwehrsystem, das sich nach russischer Darstellung auch offensiv nutzen ließe. So werde sich Moskau gezwungen sehen, aufzurüsten um mehr Glaubwürdigkeit zu bekommen und auf Augenhöhe verhandeln zu können, schreibt der russische Politologe Alexej Arbatow in einer Analyse.

Gleichzeitig wird auch von Russland auf aufstrebende Militärmächte verwiesen: So besäßen Nuklearstaaten wie Indien, China und Pakistan Mittelstreckenraketen, Russland aber werde durch den Vertrag eingeschränkt. Das ist aus Moskauer Sicht ungerecht.

Wächst mit dem Ende des INF-Vertrags das Risiko eines Atomkriegs?

Ja. Moderne Mittelstreckenraketen gelten als besonders gefährlich, weil sie von mobilen Abschussrampen abgefeuert werden, die sich hervorragend tarnen lassen. Zudem sind sie als Lenkflugkörper konzipiert und damit äußerst schnell und treffsicher. All das führt dazu, dass die Gegenseite im Fall eines vermuteten Angriffs innerhalb von Minuten reagieren müsste. Die kleinste Fehleinschätzung könnte verheerende Konsequenzen haben.

Werden die USA jetzt sofort selbst neue Mittelstreckenwaffen bauen?

Das wird vermutet. Das Pentagon hat bereits Ende 2017 die Grundlage dafür gelegt. Washington argumentierte damals, dass Forschungspläne für ein neues mobiles landgestütztes System als Botschaft an Russland gedacht seien, sich wieder an den Vertrag zu halten. Ein Sprecher des Verteidigungsministers erklärte zuletzt, das Programm befinde sich in einem frühen Stadium, da sich die USA an die Vertragsverpflichtungen gehalten hätten. Aber man sei bereit, die nächsten Schritte zu unternehmen.

Wird das neue US-System mit Atomsprengköpfen bestückt sein?

Nach den offiziell bekannten Planungen nicht. Militärexperten weisen allerdings darauf hin, dass es technisch einfach sei, ein konventionelles System zu einem nuklearen zu machen, weil lediglich die Sprengköpfe ausgetauscht werden müssten.


Was bedeutet die Entwicklung für Deutschland und Europa?

Nichts Gutes. Die Aufkündigung des Vertrags wird Russland die Möglichkeit geben, seine Atomwaffenfähigkeiten weiter auszubauen. Um glaubwürdige Abschreckung zu gewährleisten und das das "Gleichgewicht des Schreckens" zu halten, wird die Nato in Europa nachrüsten müssen. Damit steigt die Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs und auch die verheerender Missverständnisse und Fehleinschätzungen.

Wie positioniert sich die deutsche Politik?

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Freitag in Berlin, dass Russland den Vertrag verletzt habe, sie aber den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen will. "Wir werden jedenfalls von deutscher Seite – sowohl der Bundesaußenminister als auch ich – alles unternehmen, um in diesen sechs Monaten doch noch wieder Gespräche zu ermöglichen."

Bundesaußenminister Heiko Maas lehnt es ab, in Reaktion auf den mutmaßlichen russischen Vertragsverstoß in eine Diskussion über atomare Aufrüstung in Europa einzusteigen und will zudem versuchen, Länder wie China in neue Abrüstungsgespräche einzubeziehen. "Europa ist nicht mehr geteilt wie in Zeiten des Eisernen Vorhangs und deshalb sind alle Antworten aus dieser Zeit völlig ungeeignet, die Herausforderungen, mit denen wir es jetzt zu tun haben, zu beantworten", so der SPD-Politiker.

Aufseiten der Union wird diese Positionierung sehr kritisch gesehen. Wenn Russland nicht zum Verzicht auf sein neues Raketensystem bereit sei, müsse die Nato sich auch diese Option vorbehalten, sagt beispielsweise der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Johann David Wadephul. "Es darf also keinen deutschen Sonderweg geben."

Verwendete Quellen
  • dpa
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