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Donald Trump und der Sturm des Kapitols: Sei gewarnt, Deutschland!


Trump und der Kapitol-Sturm
Sei gewarnt, Deutschland!

MeinungVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 09.01.2021Lesedauer: 6 Min.
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Donald Trump: Hier stachelte der ehemalige US-Präsident zum Sturm aufs Kapitol an. (Quelle: t-online)

Die Stürmung des Kapitols in Washington war der skandalöse Tiefpunkt der Präsidentschaft von Donald Trump. Doch trotz seiner Wahlniederlage bleibt seine Bewegung eine Gefahr. Auch Deutschland muss daraus lernen.

Wut ist selten schön, aber manchmal nur noch hässlich: So wie am Mittwoch, als ein aufgebrachter Mob das Kapitol stürmte. Und viele Randalierer offenbar glaubten, mit der Verwüstung des Parlaments auch das Ergebnis einer demokratischen Wahl hinwegzufegen.

So sehr Donald Trump seither auch den Unschuldigen gab, darf es keinen Zweifel geben: Er hat die Masse nicht nur kurz vor dem Sturm auf Repräsentantenhaus und Senat zu der Aktion angestachelt. Nein, der Präsident, der eigentlich einen Eid auf die Verfassung geschworen hat, agitiert seit seinem Amtsantritt immer wieder dagegen. Die Eskalation in der US-Hauptstadt war absehbar, zu lange wurden die Menschen mit falschen Informationen über einen Betrug bei der US-Präsidentschaftswahl angestachelt. Donald Trump war für die USA ein Brandbeschleuniger, der in den Jahren seiner Präsidentschaft und auch zuvor immer wieder Öl ins Feuer goss, das Land weiter spaltete, um selber politisch davon zu profitieren.

Es wäre allerdings zu einfach und zu gefährlich, nun auf die USA herabzuschauen. Denn die Entwicklungen, die in Amerika zu beobachten sind, gibt es unter anderem auch in Europa – wenn auch noch nicht in diesem Ausmaß. Deshalb sollten Europa und Deutschland die Eskalation der Gewalt in Washington und die Gefahr durch einen Präsidenten wie Trump vor allem als Warnung verstehen: Wehret den Anfängen!

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Damit das gelingen kann, muss man verstehen, was in den USA eigentlich passiert ist. Wie konnte es so weit kommen, dass Trump im November mehr Stimmen als jeder andere unterlegene Präsidentschaftskandidat bekommen hat? Wie hat er es geschafft, Millionen Menschen das Vertrauen in demokratische Prozesse zu nehmen? Wie hat er Leute dazu gebracht, das Kapitol zu stürmen? Antworten darauf gibt es unzählige. Drei Aspekte scheinen jedoch entscheidend zu sein:

1. Armut als Brandbeschleuniger

Wie viele westliche Demokratien veränderten sich die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten rasant. Veränderung verunsichert fast alle Menschen. Doch gerade vielen Konservativen ging die Entwicklung zu schnell. Dass vieles anders ist als früher, sehen sie als Gefahr für ihre Identität – und die ihrer Nation. Gleichzeitig fehlt in der liberalen Marktwirtschaft der USA ein Puffer zur Abfederung der Veränderungen.

Zum Beispiel verloren große Industriezweige an Bedeutung. Es wurden etwa immer mehr Rohstoffe importiert, Stahl- und Kohlearbeiter wurden nicht mehr gebraucht. In den Vereinigten Staaten herrscht eine liberale Marktwirtschaft, die den Kapitalismus kaum bremst. Der Wohlstand ist dadurch ungleich verteilt, immer mehr Menschen sind von Armut bedroht, es gibt keine soziale Absicherung. Sie fühlten sich von der Politik beider Parteien vergessen.

Während etwa in Deutschland ein großzügiger Sozialstaat Härten mildert, fehlt eine vergleichbare Absicherung in den USA. Wer durch den Strukturwandel zum Beispiel in der Stahlindustrie arbeitslos wird, muss sehen, wie er wieder auf die Beine kommt. Gelingt das nicht oder nur zu schlechteren Konditionen, fühlt man sich häufig früher oder später vom eigentlich verhassten Staat vergessen.

2. Konservative, Rechtsradikale und gläubige Christen

Was in Deutschland selbstverständlicher Teil des Programms eher konservativer Parteien ist, ist in den USA zuweilen als "progressiv" verschrien. Die Union kämpft längst nicht mehr gegen die Homo-Ehe und das Recht auf Abtreibung, die Republikaner dagegen schon. Auch weil es eben einen beträchtlichen Teil von Wählern gibt, der sehr konservativ tickt. So ordnen sich 68 Prozent der republikanischen Wähler selbst der "Pro-Life"-Bewegung zu, die Abreibungen ablehnt. Und: Nur 39 Prozent unterstützen die Erlaubnis der Homo-Ehe.

Das hat auch damit zu tun, dass in der US-Gesellschaft Religion oft noch eine größere Bedeutung hat – 25 Prozent der Bürger sind praktizierende Christen, für die der Glauben in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt. Und jene Menschen, für die Homosexualität und Abtreibungen unchristlich sind und für die Barack Obama als erster afroamerikanischer Präsident ein Feindbild ist, brauchen eben auch eine politische Heimat.

Die Frage ist nur, ob eine Partei versucht, diese Gruppen in die Gesamtgesellschaft zu integrieren (so wie es die Volksparteien CDU und CSU versuchen), oder aber sie vom Rest der Gesellschaft abzuspalten, wie es die Republikaner immer wieder tun. Die konservativen Stammwähler hätten allerdings nicht für einen Sieg Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2016 gereicht. Er band auch enttäuschte Arbeiter an sich.

Seine Ideologie des "America First" sprach jene an, die sich von Republikanern und Demokraten vergessen fühlten und um ihren eigenen Wohlstand fürchteten. Von diesen Menschen gibt es auch in Deutschland viele. Davon zeugt nicht nur der Niedergang der SPD, sondern auch die Tatsache, dass die AfD auch in den gesellschaftlichen Schichten punktet, in denen die Sorge vor dem Statusverlust groß ist.

3. Identität durch eine radikale Bewegung

Die von Trump begründete Ideologie verfolgt das Ziel, sich als eigentliche Stimme des Volkes und damit als so etwas wie der wahre Vertreter der Menschen zu inszenieren. Das war und ist nur deshalb erfolgreich, weil Trump strategisch durchaus geschickt vorging. Er gab sich als Anti-Establishment-Politiker aus, der sich nicht an geschriebene und ungeschriebene Gesetze des Politikbetriebs hält. Zugleich war ihm klar, dass es wahrscheinlich nicht reichen würde, sich nur gegen die Vertreter der Politik in Szene zu setzen. Er musste auch das Vertrauen in die etablierten Medien zerstören, um selbst die Hoheit über die Interpretation von Ereignissen und Fakten zu gewinnen. Deshalb brandmarkte er international anerkannte Medien wie die "New York Times" als "Fake News" und präsentierte immer wieder "alternative Fakten".

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Das funktionierte allerdings auch deshalb so gut, weil die klassischen Medien in den USA auch ein Spiegel der Spaltung im Land sind. Viele US-Bürger glauben längst nicht mehr, dass sie neutral informiert werden. Das ist auch nicht grundsätzlich falsch: Denn nicht nur Sender wie "Fox News" sind politisch klar positioniert. Es trifft, wenn auch in weniger eindeutiger Form, wohl auch für CNN und andere zu.

Eine vergleichbar gespaltene Medienlandschaft gibt es in Deutschland zwar nicht, aber auch bei uns sucht sich offenbar ein bestimmter Teil der Gesellschaft seine Informationen zusehends jenseits des traditionellen Medienangebots. In der Bundesrepublik stimmen im Jahr 2020 18 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu: "Die Bevölkerung in Deutschland wird von den Medien systematisch belogen."

Eine Trump-Bewegung auch in Deutschland?

Durch diese zwei Säulen gewann Trump nicht nur Wählerinnen und Wähler, er gewann treue und fanatische Anhänger. Diese Bewegung gibt Menschen, die sich teilweise von der Gesellschaft abgehängt fühlen, eine Identität, ein Zugehörigkeitsgefühl. Um sich die Gefolgschaft seiner Anhänger zu sichern, vertiefte Trump die Spaltung der US-Gesellschaft, kritische Medien und der politische Gegner waren nicht länger die Opposition, sie wurden der Feind. Große Teile dieser Bewegung glaubten der Selbstdarstellung Trumps als größten Präsidenten aller Zeiten. Mit den Lügen über Betrug bei den US-Präsidentschaftswahlen goss er zusätzlich Öl in das Feuer des Misstrauens, sodass sich ein Teil der Bewegung radikalisierte.

In Deutschland gibt es diese radikalen Auswüchse und diesen tiefen Spalt in der Gesellschaft noch nicht. Das hat unterschiedliche Gründe: Der Sozialstaat in der Bundesrepublik bietet den Menschen mehr Schutz, die Gesellschaft insgesamt ist progressiver, die Menschen nicht in so großen Teilen streng gläubig wie in den USA.

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Aber die Trump-Jahre und der politische Erfolg des US-Präsidenten könnten zur Blaupause für Populisten und Demokratieverächter auf der ganzen Welt werden. Auch in der Bundesrepublik gibt es den Nährboden dafür: Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander, das Misstrauen in Medien wächst und speziell in strukturschwachen Regionen fühlen sich bedeutende Teile der Bevölkerung von der herrschenden Politik vergessen.

Deutschland darf nicht wegsehen

Die Notwendigkeit, gesellschaftliche Spaltung zu bekämpfen, gibt es demnach nicht nur in den USA. Zum Beispiel führte die Corona-Pandemie in Deutschland zu einer Bewegung, die in diversen Eigenschaften an den Trumpismus erinnert. "Querdenken" sieht die herrschende Politik und die etablierten Medien als Feind, gibt den Menschen eine Identität, den Glauben, für etwas Richtiges zu kämpfen. Auch diese Bewegung legitimiert rechtsradikale Gruppierungen in ihren Reihen, rückt sie damit weiter in die gesellschaftliche Mitte. Der versuchte Sturm auf das Reichstagsgebäude im August war lediglich die Vorstufe der Stürmung des Kapitols in Washington.

Deshalb muss auch die Gesellschaft in Deutschland die Risse innerhalb der Bevölkerung bekämpfen, sonst droht am Ende ein Politiker wie Donald Trump, der die Wut und das Misstrauen für sich politisch nutzt. Der erste Schritt, um das zu verhindern, klingt leicht, ist aber vor allem in der Pandemie sehr schwer: Wir dürfen Wut nicht mit Wut begegnen, denn das lässt die Risse immer größer werden. Davon profitieren am Ende nur die Extremisten.

Verwendete Quellen
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