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Nato-Beitritt der Ukraine: Was er für Russland bedeuten würde


Zukunft der Ukraine
Diesen Schritt würde Russland wirklich fürchten

MeinungEin Gastbeitrag von Michael Roth, SPD

Aktualisiert am 10.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wolodymyr Selenskyj: Der ukrainische Präsident will sein Land in die Nato führen. (Quelle: IMAGO)

Im Juli entscheiden die Nato-Staaten über ihr künftiges Verhältnis zur Ukraine. Warum das Land unbedingt Mitglied des Bündnisses werden muss, schreibt der Außenexperte Michael Roth (SPD) im Gastbeitrag.

Russlands verbrecherischer Angriffskrieg gegen die Ukraine dürfte kein baldiges Ende finden. Putin sitzt weiterhin fest im Sattel. Ein wachsendes Unbehagen in der russischen Gesellschaft über den verbrecherischen Krieg gibt es nicht. Russland verfügt nach wie vor über Material und Menschen, die der Kremlherrscher rücksichtslos verheizt.

Trotzdem müssen wir bereits jetzt die Weichen für die Nachkriegszeit stellen. Russland darf nie wieder die Sicherheit, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine gefährden oder infrage stellen. Dies kann nur mit einem ukrainischen Nato-Beitritt gewährleistet werden. Von dem nächsten Nato-Gipfel in Vilnius am 11./12. Juli 2023 muss deshalb ein klares Signal ausgehen, wie ein realistischer Pfad der Ukraine zu einer Nato-Mitgliedschaft aussehen kann.

Michael Roth (Archivbild) sieht den Aufstand von Jewgenij Prigoschin als einen "Super-Gau für einen Diktator".
Michael Roth (SPD) (Quelle: Martin Schutt/dpa-bilder)

Der Außenexperte

Michael Roth ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und Präsidiumsmitglied der SPD. Im April 2022 handelte er sich auch aus der eigenen Partei Kritik ein, weil er gemeinsam mit der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter in die Ukraine reiste.

Zurzeit liegen unterschiedliche Modelle auf dem Tisch, wie die Sicherheit und die territoriale Integrität der Ukraine in der Nachkriegszeit garantiert werden können. Zum einen gibt es die Idee, von den Vereinten Nationen mandatierte internationale Friedenstruppen in der Ukraine zu stationieren, um einen möglichen Waffenstillstand zu sichern und die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten. Aus Sicht der Befürworterinnen und Befürworter wäre dieses Modell für Russland eher tragbar als eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft. Allerdings hat die Rücksichtnahme auf Russlands Sicherheitsinteressen nie zu mehr Sicherheit und Frieden in Europa geführt und würde der Ukraine abermals ihre freie Bündniswahl und Souveränität absprechen.

Eine weitere Option sind Sicherheitszusagen nach dem Vorbild der US-amerikanischen "Commitments" für Israel. Frankreichs Präsident Macron forderte kürzlich in Moldau Sicherheitsgarantien, die zwischen einer Nato-Mitgliedschaft und dem "Modell Israel" liegen. Die US-amerikanischen Sicherheitszusagen machen Israel zum größten Empfänger von Militärhilfe Washingtons und garantieren Israels stets militärische Überlegenheit gegenüber seinen Feinden.

Macrons Vorschlag geht aber noch weiter. Denn mit Sicherheitsgarantien würden sich Staaten dazu verpflichten, im Falle eines erneuten russischen Angriffs der Ukraine auch mit eigenen Soldatinnen und Soldaten beizustehen. Ein großer Vorteil dieser Ansätze ist, dass die Ukraine bereits vor Ende des Krieges diese Zusagen erhalten könnte. Jedoch frage ich mich, welche Länder ernsthaft im Falle einer abermaligen russischen Aggression bereit wären, die Ukraine gemeinsam mit wenigen Alliierten "on the ground" zu verteidigen? Fühlte sich Russland nicht ermutigt, eine kleine Koalition williger Staaten herauszufordern – hybrid, militärisch, propagandistisch?

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Merkel wollte Putin nicht provozieren

Glaubhafte Garantien oder Zusagen können wichtige Zwischenetappen auf dem Pfad zu einer ukrainischen Nato-Mitgliedschaft sein. Aber sie können diese nicht ersetzen, insbesondere nicht vor dem Hintergrund schmerzhafter Erfahrungen der Ukraine in ihrer jüngsten Geschichte: Bereits 1994 verpflichteten sich Russland, die USA und Großbritannien im Budapester Memorandum, als Gegenleistung für die Abgabe ihrer Nuklearwaffen die territoriale Integrität der Ukraine zu wahren. Am Ende verhinderten diese Verpflichtungen weder die Annexion der Krim noch die russische Besatzung des Donbass oder den brutalen russischen Angriffskrieg im vergangenen Jahr.

Allzu lange haben wir die Souveränität der Staaten des östlichen Europas, allen voran der Ukraine und Georgiens, relativiert, um die angeblich berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands zu wahren. Bereits 2008 haben die Ukraine und Georgien ihren Wunsch geäußert, der Nato beizutreten, weil sie wussten, dass sie nur innerhalb der Allianz in Sicherheit und Frieden leben können. Damals stellten sich vor allem Deutschland und Frankreich gegen einen raschen Nato-Beitritt der beiden Staaten, um Russland nicht zu provozieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy begründeten dies damals auch mit der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz in beiden Ländern für eine Nato-Mitgliedschaft. Heute sind die Zustimmungswerte in der Ukraine und Georgien jedoch beeindruckend groß.

Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an

Geholfen hat die abermalige Rücksichtnahme auf vermeintliche russische Sicherheitsinteressen trotzdem nicht: nur wenige Monate später marschierte Russland in Georgien ein, und wenige Jahre später annektierte Russland die Krim und besetzte den Donbass. Wir sollten daher den Wunsch der souveränen und freien Ukraine endlich ernst nehmen und den Weg zur Nato-Mitgliedschaft freimachen.

Wir dürfen uns aber keine Illusionen machen. Die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine wird kein Selbstläufer. Selbst gegen den Beitritt der Musterschüler Finnland und Schweden gab und gibt es Vorbehalte. Die Türkei und Ungarn missbrauchten die Nato-Aspirationen beider Länder für Wahlkampfzwecke und unlautere Koppelgeschäfte. Die Ukraine verdient einen transparenten und fairen Beitrittsfahrplan. Klar ist aber: der Krieg muss erst beendet werden. Ziel muss ein Plan sein, der von der gesamten Allianz getragen wird und bis zum Beitritt die Sicherheit und territoriale Integrität der Ukraine schützt. Das wäre ein weiteres starkes Signal der Ge- und Entschlossenheit der Alliierten gegenüber Russland.

Kurzfristig muss die Ukraine militärisch so unterstützt werden, dass sie sich bestmöglich verteidigen und besetzte Gebiete wieder befreien kann. Dabei geht es zurzeit vor allem um stetigen Nachschub an Munition. Mittelfristig braucht die Ukraine glaubhafte Sicherheitsgarantien durch die internationalen Unterstützer der Ukraine, allen voran die EU, Großbritannien und die USA, die sich dazu verpflichten, die ukrainischen Streitkräfte auf Nato-Standard auszurüsten und auszubilden, und im Falle eines abermaligen Angriffs, die Ukraine zu verteidigen.

Mindestens so wichtig wie Sicherheitsgarantien sind der Wiederaufbau und der EU-Beitritt des Landes. Ein ukrainischer Staat am Rande des wirtschaftlichen und finanziellen Kollapses wird sich nur schwerlich gegen anhaltende russische Bedrohungen wehren können. Ein Marshallplan für die Ukraine und die zügige, konditionierte EU-Integration bilden die nötige politisch-wirtschaftliche Flankierung einer zukünftigen Nato-Mitgliedschaft. Es ist ein ähnliches Rezept, das den Staaten Mittel- und Osteuropas bereits in den 1990er- und 2000er-Jahren den Weg in eine friedliche, sichere und demokratische Zukunft geebnet hat.

Nur eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft wird dem russischen Imperialismus ein endgültiges Stoppschild setzen und somit dauerhaft einen gerechten Frieden und Sicherheit in Europa garantieren.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag von Michael Roth (SPD)
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