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Wahlkampf vor der Bundestagswahl in Brandenburg: AfD im Aufwind


Wahlkampf der AfD
"Dann färbt sich die ganze Deutschlandkarte blau"


23.02.2025Lesedauer: 7 Min.
Schulplatz in Neuruppin: Wahlplakat des AfD-Direktkandidaten Götz Frömming am Imbisswagen.Vergrößern des Bildes
Schulplatz in Neuruppin: Wahlplakat des AfD-Direktkandidaten Götz Frömming am Imbisswagen. (Quelle: Jakob Hartung/t-online)
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Vor der Bundestagswahl tritt die Alternative für Deutschland so selbstbewusst und geeint auf wie noch nie. Doch auf die Partei könnten schwierige Zeiten zukommen, wie ein Besuch an der Basis zeigt.

Kurz vor Schluss ist es im Winterwahlkampf noch einmal bitterkalt geworden. Bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein spazieren nur wenige Menschen dick eingepackt über den Schulplatz in Neuruppin, einer kleinen Stadt in Brandenburg. Neben einigen Marktständen buhlen gleich zwei Parteien um die Aufmerksamkeit der Passanten. Während die SPD Flyer an ein paar wenige Interessierte verteilt, hat die AfD deutlich größer aufgefahren: zwischen einem Infostand, einer eigenen Imbissbude und einem historischen Feuerwehrwagen tummeln sich deutlich mehr Menschen.

Die AfD steht kurz vor dem größten politischen Erfolg ihrer Geschichte. Ein Fünftel aller Wahlberechtigten wird nach aktuellen Umfragen der Partei ihre Stimme geben. Im Osten ist die AfD besonders stark: Dort könnte die Partei fast alle Direktmandate holen. Doch was soll die Partei mit all der Zustimmung anstellen, wenn niemand mit ihr zusammenarbeiten will? Und kommt nach jedem Hoch nicht auch irgendwann ein Tief? t-online hat vor Ort nach Antworten gesucht.

Die Veteranin

Im Mittelpunkt des AfD-Stands in Neuruppin steht ein langer Holztisch, auf dem blaue Gummischlümpfe, blaue Kugelschreiber, Deutsche-Mark-Münzen aus Plastik und Zollstöcke mit AfD-Logo liegen. Hinter dem Tisch steht Gabriele Köhler und hat alles unter Kontrolle. "Die Zollstöcke aber nicht einfach so verschenken, dafür sind die zu teuer", ruft die Vorsitzende des Kreisverbandes Ostprignitz-Ruppin einem ihrer Helfer zu.

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Die 67-jährige Rentnerin ist schon seit 2016 Mitglied der AfD und damit im Vergleich zu den anderen Anwesenden ein Urgestein. Die ersten Jahre in der Partei seien sehr anstrengend gewesen, als es intern großes Misstrauen gegeneinander gab und Mitglieder bereit waren, sich im Gerangel um Posten "ein Messer in den Rücken" zu stoßen, erzählt Köhler. Sie blieb trotzdem dabei, denn sie hatte schon Schlimmeres durchgemacht.

Die gelernte Altenpflegerin wuchs in der DDR auf. Beim Verteilen von Flyern wurde sie von der Stasi erwischt und musste dafür ein Jahr lang ins Gefängnis. Danach wollte sie lange politisch "erst mal in Ruhe gelassen werden", sagt sie. Doch aus Unzufriedenheit mit der Regierung ging sie schließlich in die Partei. Dort hat sie den Bundestagsabgeordneten Götz Frömming aus ihrem Wahlkreis schätzen gelernt. Der hat sich für später noch zum Besuch am Infostand angekündigt. "Götz Frömming hat mir sogar geholfen, meine Möbel zu Hause aufzubauen", erzählt Köhler stolz.

Mit der steigenden Zustimmung im Land habe auch die Arbeit in der Partei immer mehr Spaß gemacht, sagt Köhler. "Aktuell erleben wir ein Superhoch, die Stimmung war nie besser." Doch für die Zeit nach der Bundestagswahl sieht die Kreisvorsitzende Probleme aufkommen. Sollte es der AfD gelingen, Regierungsverantwortung zu übernehmen, müsste die Partei erstmals beweisen, dass sie tatsächlich etwas verändern kann. "Die Bevölkerung könnte nicht mit uns einverstanden sein", befürchtet sie. Und auch der erneute Gang in die Opposition birgt Tücken: "Wenn die anderen Parteien es dann besser machen, könnte es für uns wieder bergab gehen", sagt sie.

Dann muss sich Gabriele Köhler wieder um ihren Stand kümmern. Zwei Jugendliche fragen nach Kugelschreibern der Partei. "Die wollen wir unserem Lehrer geben, um ihn zu ärgern", erklären sie feixend. Immer wieder kommen ganze Gruppen von jungen Leuten an den Stand und decken sich mit Werbegeschenken ein. Henry Preuß steht daneben und freut sich: "Das ist seit den Europawahlen im letzten Jahr so", erklärt der Sprecher des Kreisverbandes. "Unsere Partei hat sich verändert."

Der ehemalige Kirchenfunktionär

Henry Preuß ist 2021 durch die Corona-Proteste zur AfD gestoßen. Er habe damals mit seinem achtjährigen Sohn gegen die Impfpflicht protestiert, weil dieser von einer Impfunverträglichkeit betroffen sei. Nach dem Beitritt wollte er aktiv werden und zog für die Partei schließlich in die Stadtverordnetenversammlung und den Kreistag ein. "Ich bin populär und kein Parolenhauer", erklärt Preuß seinen schnellen Aufstieg.

Außerdem sei er schon zuvor in der Stadt bekannt gewesen, weil er ein Autohaus betreibe und die Fahrzeuge vieler Neuruppiner repariert habe, erklärt der 50-Jährige. Das Gespräch wird von einem vorbeilaufenden Kunden unterbrochen. "Henry, meine Bremsen quietschen immer noch", ruft der Mann Preuß zu.

Es ist jedoch eine weitere Nebentätigkeit, die Preuß auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt gemacht hat. So war der AfD-Politiker auch Vorsitzender des Ortskirchenrates in Alt Ruppin sowie Mitglied im Leitungsgremium der Gesamtkirchengemeinde Ruppin – bis die evangelische Kirche einen Unvereinbarkeitsschluss fasste und ihn aus den Ämtern entfernte. Für eine Weile blieb er noch Mitglied der Kirche, kürzlich trat er jedoch aus. "In meinem Autohaus habe ich die Aufträge für Kirchenautos verloren, aber dafür viele neue Kunden durch die AfD dazugewonnen", sagt Preuß.

Die Kirche begründete ihre Entscheidung damit, dass es eine "erkennbare weitere Radikalisierung der AfD" gebe. Henry Preuß ärgert sich darüber: "Wir kommen einfach nicht weg von der Keule", sagt er. Er räumt ein, dass es Rechtsextreme in der Partei gegeben habe, die lautstark den Ton angegeben hätten. Doch das gehört laut Preuß der Vergangenheit an. "Der Flügel wurde eliminiert und die rechtsextremen Stimmen sind leiser geworden", sagt er.

Laut Verfassungsschutz Brandenburg ist der Landesverband der AfD ein Verdachtsfall auf Rechtsextremismus. Offenbar plante die Behörde, die Brandenburger als "erwiesen rechtsextrem" hochzustufen, doch dann kam die vorgezogene Neuwahl dazwischen, berichtete die "Tagesschau".

Die Warnung des Verfassungsschutzes hat der wachsenden Popularität der AfD bislang keinen Abbruch getan. Ihre hohe Zustimmung macht es derweil für die anderen Parteien immer schwerer, sie auszuschließen. Während Friedrich Merz eine Zusammenarbeit gebetsmühlenartig ablehnt, hoffen viele in der AfD auf eine schwarz-blaue Koalition. Darunter ist auch Lokalpolitiker Henry Preuß. Vor seiner Bekehrung zur AfD war er selbst CDU-Wähler – und mochte insbesondere den heutigen Kanzlerkanzlerkandidaten: "Ich war Merz-Fan. Heute folge ich ihm immer noch, aber er kriegt keine Herzen mehr von mir", sagt er.

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Über die Chancen auf eine Koalition gibt sich der Lokalpolitiker betont optimistisch. Merz habe ja schon oft seine Meinung geändert und wenn die Koalitionsverhandlungen mit Rot-Grün scheitern würden, sei Schwarz-Blau nah. "Wir hätten dann eine große Mehrheit, da würde alles dran abprallen", sagt er. Zudem sieht er große Parallelen in den Positionen der beiden Parteien.

Noch steht zwischen der Union und der AfD die Brandmauer. Die bröckelt jedoch zunehmend – auch in der Neuruppiner Stadtverordnetenversammlung. Wie Preuß berichtet, habe sich die CDU im Ältestenrat "erstmalig" bereiterklärt, mit der AfD zu stimmen – um die Einrichtung eines Migrationsbeirats zu verhindern.

Die Neue

Mitten im Satz wird Preuß abrupt von Rositha Neumann unterbrochen. Die 37-Jährige fordert den Parteisprecher auf, einen Hotspot auf seinem Handy einzurichten. "Wir haben gerade 5.000 Leute bei TikTok im Livestream und jetzt ist das Internet weg!", sagt sie. Preuß kommt dem Wunsch eilig nach und Neumann setzt die Live-Berichterstattung vom Infostand fort.

Während Kommentare von Zuschauern einlaufen ("War die Antifa schon da?"), erzählt Neumann über ihre noch junge Parteikarriere. Sie sei erst vor einem Jahr eingetreten, weil ihr Sohn in der Schule von älteren Jugendlichen mit Migrationshintergrund gejagt wurde. Sich selbst würde sie nicht als politischen Mensch beschreiben, sondern zuerst als "Mutter und Ehefrau", sagt sie. Bevor sie den Wahlkampf auf TikTok teilte, filmte sie sogenannte Brotdosenvideos, in denen sie das Mittagessen ihrer Kinder präsentierte.

Die Altenpflegerin schwärmt für die AfD und besonders für den für später noch angekündigten Abgeordneten Frömming. Der konnte sie auf einer Gruppenwanderung durch das Havelland für die Parteiarbeit gewinnen. "Die AfD ist wie eine große blaue Familie", sagt sie. Der Verlust eines Kindes habe sie vor einigen Jahren in schwere psychische Probleme gestürzt, doch das Engagement in der Partei habe "besser als Therapie" gewirkt und ihr neue Kraft gegeben.

Begeistert berichtet Neumann vom Wahlkampfauftakt der AfD in Halle: "Das war wie ein Familientreffen", sagt sie. Auch Autohändler Preuß war vor Ort und erinnert sich besonders gerne an das Grußvideo von Elon Musk: "Da hatte ich Gänsehaut." Der von dem Milliardär eingeleitete Kahlschlag im amerikanischen Regierungsapparat, bei dem bislang Zehntausende Beamte entlassen wurden, findet Preuß "stark beeindruckend". Alle würden doch Bürokratie abbauen wollen, doch passiert sei bislang nichts. "Vielleicht ist etwas Ähnliches bei uns auch nötig", sagt er.

Auch Alice Weidel war in Halle aufgetreten und hatte eine populistische Rede voller Maximalforderungen gehalten: darunter den Abriss aller Windräder und "Remigration". Am Wahlkampfstand in Neuruppin beeilt sich Preuß, das zu entkräften. "Wir reißen gar nichts ab", sagt er. Auch den Begriff "Remigration" sollte die Partei überdenken, sagt Kreisvorsitzende Köhler und erzählt weiter: "Jugendliche kommen an unseren Stand und haben Angst um ihre ausländischen Freunde, dabei wollen wir die doch gar nicht abschieben."

Der Abgeordnete

Auf dem Schulplatz in Neuruppin senkt sich die Sonne langsam. Die SPD hat ihren Infostand schon vor langer Zeit abgebaut. Mit einer Stunde Verspätung kommt schließlich der Bundestagsabgeordnete Frömming an den Stand. Er umarmt die Vorsitzende, gibt einem Jugendlichen ein Autogramm und wird dann sofort von einem älteren Herren in Beschlag genommen, der eine Kappe mit Kreuzfahrt-Logo trägt und ein Foto für seinen Stammtisch in Thailand machen möchte.

Frömming kann sich losreißen und sagt t-online: "Die Stimmung im Land ist schlecht, aber dafür bei uns in der Partei gut." Er blickt eher skeptisch auf eine Koalition mit der Union. Diese sei, wenn überhaupt, nur unter von der AfD diktierten Bedingungen möglich. Würde die AfD aber in die Opposition gehen, dann müssten die "Kartellparteien" wieder koalieren, wie er die demokratischen Parteien abfällig nennt. Diese würden dadurch weiter an Profil verlieren und eine Koalition nicht lange durchhalten. Die Folge bei der nächsten Wahl? "Dann färbt sich die ganze Deutschlandkarte blau", prophezeit er.

Verwendete Quellen

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