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Linguist zur Kanzlerwahl: "Dieser Koalitionsvertrag ist unverbindlicher"


Linguist zur Kanzlerwahl
"Dieser Koalitionsvertrag ist unverbindlicher"

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 14.03.2018Lesedauer: 3 Min.
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Unterzeichnet: Wenn man den Text des Koalitionsvertrages mit dem vorherigen vergleicht, stößt man darauf, dass er unverbindlicher ist.Vergrößern des Bildes
Unterzeichnet: Wenn man den Text des Koalitionsvertrages mit dem vorherigen vergleicht, stößt man darauf, dass er unverbindlicher ist. (Quelle: Kay Niethfeld/dpa-bilder)

Mit Wiederwahl von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Vereidigung kann die neue Regierung loslegen. Der Koalitionsvertrag ist besonders unverbindlich, zeigt die Analyse eines Sprachwissenschaftlers.

163 Mal tauchen Varianten das Wortes "digital" auf, dazu 88 Mal Digitalisierung: Wenn es rein nach der Häufigkeit dieser Worte im Koalitionsvertrag geht, dann meint die Koalition es diesmal ernst. Und auch ernster als 2013. Der Linguist Dr. Simon Meier von der Professur für Angewandte Linguistik an der TU Dresden hat mit t-online.de den Koalitionsvertrag sprachwissenschaftlich analysiert. Er sagt: "Die Begriffe tauchen im aktuellen Koalitionsvertrag signifikant häufiger auf als in der Regierungsvereinbarung 2013".

Meier und t-online.de haben die Koalitionsverträge miteinander verglichen – und zusätzlich erhoben: Was wurde noch breit in den Wahlprogrammen von Union und SPD erwähnt, landete aber nicht mehr oder nur noch knapp im Koalitionsvertrag?

Das kommt im neuen Koalitionsvertrag größer raus:

Digitalisierung und digital sind auffällige Befunde: Sie stehen besonders groß in der Wortwolke: Je größer dort ein Wort auftaucht, desto stärker prägt es einen Text im Vergleich zu anderen Texten, in diesem Fall dem vorherigen Koalitionsvertrag. Was auch ins Auge sticht: Die Koalitionspartner betonen stärker das "Wir", und sie verwenden deutlich häufiger das unverbindliche "Wollen". 910 Mal taucht es auf 179 Seiten auf und ist damit das häufigste aller gezählten Worte – Worte wie "der" oder "die" ausgenommen. Zunächst ist das nicht ungewöhnlich: "Das Wort ist für solche Texte insgesamt typisch", sagt Meier. "Durch die Analyse zeigt sich aber, dass es diesen Vertrag besonders stark prägt."

2013 war die Formulierung "Die Koalition wird das und das tun" verbreitet, jetzt heißt es "wir wollen". Auch "prüfen" taucht viel häufiger auf als 2013. Für Meier ein Ausdruck großer Unverbindlichkeit in den Aussagen. "Man kann es so zusammenfassen: Jede Menge guter Wille, aber konkrete Zusagen sind Mangelware."

Hinweise auf eine größere Herausforderung durch Migration liefert der Vergleich nicht: "Migration", "Flüchtlinge" oder "Integration" tauchen nicht signifikant häufiger auf als 2013 – lediglich "Afrika" liefert an dieser Stelle einen Hinweis zur Bekämpfung von Fluchtursachen. "Terror " oder "Gewalt" sind auch nicht auffällig, "Sicherheitsbehörde" wird allerdings häufiger genannt.

Das zeigt aber zugleich, dass die Aussagekraft dieser Analyse im Detail Grenzen hat. Was zahlenmäßige Unterschiede herausarbeitet, blendet Details aus: Auch in knappen Passagen kann sich große politische Aussagekraft verbergen. Und umgekehrt taucht das Thema Klimaschutz, das vielen Kritikern zu kurz kommt, sogar etwas häufiger auf als 2013.

Das war der alten Groko wichtiger:

"Wachstum", "Finanzmarkt", "Beschäftigung" und "Krise" sind Begriffe, die in der Einigung 2013 unter dem Eindruck der Eurokrise deutlich präsenter waren. In dem Vertrag waren auch "Erneuerbare" (Energien) und "Energiewende" stärker genannte Aufgabenfelder. Auch "Datenschutz", den Staatssekretärin Dorothee Bär gerade als Digitalisierungshemmnis ausgemacht hat, war 2013 in dem Papier noch präsenter.

Mit "werden" und "müssen" lehnte sich die Koalition damals weiter aus dem Fenster. "2013 musste in Abgrenzung von Schwarz-Gelb viel stärker eine Zäsur markiert werden", erläutert Sprachwissenschaftler Meier. Der aktuelle Koalitionsvertrag stehe dagegen im Zeichen der Fortsetzung von Bewährtem. "Wir wollen ... stärken/weiterentwickeln".

Das kommt aus den Programmen kürzer:

Linguist Meier hat auch verglichen, was jeweils im Wahlprogramm von Union und SPD stärker vertreten war als es dann im Regierungsvertrag gelandet ist. "Deutschland" ist ein Beispiel, das im Wahlprogramm der Union eine größere Rolle spielt als im Groko-Papier. "Leitkultur" stand zwar nur viermal im Unionswahlprogramm, findet sich aber in der Koalitionsvereinbarung gar nicht mehr. Deshalb taucht der Begriff auch klein in der Übersicht auf, was das Unionsprogramm vom Regierungsvertrag unterscheidet. Bei einem "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben" überschriebenen Programm ist es nicht verwunderlich, dass "haben", "Erfolg" und "Lebensqualität" groß vorkamen.

Die SPD war mit "müssen" und deutlich mehr Verbindlichkeit in die Wahl gezogen, wenn sie auch das Wort längst nicht so oft im Programm hatte wie die Linke. Das Thema "Einkommen" war im sozialdemokratischen Wahlprogramm noch deutlich stärker präsent, als es das nun in der Vereinbarung mit der CDU ist.

Beim Formulieren des Regierungsvertrags sind dann beispielsweise auch "Bürgerversicherung", "tarifvertraglich" oder "Gerechtigkeit" auf der Strecke geblieben oder kürzer gekommen. Titel des Programms war "Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit".

Verwendete Quellen
  • Der Koalitionsvertrag 2018
  • Mitschrift der Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionsvertrags
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