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Grüne und FDP erfolgreich unter Jungwählern: "Olaf Scholz ist eine Merkel 2.0"


"CDU und SPD müssen nicht mehr unbedingt mitmischen"

  • David Schafbuch
Von Titus Blome, David Schafbuch

Aktualisiert am 05.10.2021Lesedauer: 8 Min.
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Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner: Unter jungen Wählern waren Grüne und FDP die beliebtesten Parteien.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner: Unter jungen Wählern waren Grüne und FDP die beliebtesten Parteien. (Quelle: Michael Kappeler/dpa-bilder)

Hätten bei der Bundestagswahl nur Menschen unter 24 abgestimmt, wären Grüne und FDP stärkste Kraft geworden. Was zieht junge Menschen zu diesen Parteien? Zwei Jungwählerinnen diskutieren.

SPD und CDU als Volksparteien? Unter jungen Wählern ist von diesem Status nicht mehr viel zu sehen: Unter Erstwählern und den 18- bis 24-Jährigen haben die meisten für FDP und Grüne gestimmt. Das Signal ist klar: Die nächste Generation möchte etwas Neues. Doch was genau stellen sich die jungen Menschen vor?

Valeria Schell ist 18 Jahre alt und studiert "Philosophy, Politics and Economics" in Düsseldorf. Bei ihrer ersten Bundestagswahl gab sie Ende September ihre Stimme der FDP. Außerdem möchte sie nun den Jungen Liberalen beitreten.

Elsa Rother ist 23 Jahre alt und absolviert derzeit ein Praktikum beim Europarat in Straßburg. Sie ist Deutsch-Französin und studiert Internationale Beziehungen in Brüssel. Sie stimmte für die Grünen.

Im Gespräch mit t-online diskutieren die beiden darüber, was sie an SPD und Union stört, warum ihnen Parteiprogramme wichtiger als Personen sind und wie ihre Wunschregierungen aussehen sollen.

t-online: Die Grünen und die FDP sind aktuell die beliebtesten Parteien unter jungen Wählern: Gab es ein Thema, das für eure Wahl ausschlaggebend war?

Valeria: Ich habe mich für die FDP entschieden, weil mir Bildungspolitik und Digitalisierung am wichtigsten ist, aber auch der Klimaschutz. Deshalb waren auch die Grünen eine Option. Ich bin jedoch davon ausgegangen, dass sie ohnehin stark sein werden und ich finde die Herangehensweise der FDP bei vielen Problemen besser. Ich wollte, dass beide Parteien in der Regierung landen.

Elsa: Der Klimawandel ist auch der Grund gewesen, warum ich die Grünen gewählt habe. Die vergangenen Generationen haben zu wenig getan. Für die Grünen ist das ein Thema seit ihrer Gründung. Aber die Partei steht auch für Bildungsgerechtigkeit und eine progressive LGBTQ+-Politik. Ich sehe dort Gemeinsamkeiten mit der FDP: Beide sind etwa für eine Änderung des sogenannten Transsexuellen-Gesetzes oder das Abschaffen eines Werbeverbots bei Schwangerschaftsabbrüchen.

Valeria: Grüne und FDP sind definitiv die progressivsten Parteien. Die Wege unterscheiden sich, aber häufig verfolgt man dieselben Ziele. Beide Parteien wollen zum Beispiel ein elternunabhängiges Bafög.

Das ist alles sehr programmatisch. Gab es auch Personen, die euch überzeugt haben?

Elsa: Ich folge keinem grünen Politiker auf den sozialen Medien. Die Partei hatte einfach ein gutes Programm und war mir am sympathischsten.

Valeria: Man kann nicht bestreiten, dass Christian Lindner rhetorisch stark ist. Aber auch für mich zählen mehr das Programm und die Grundwerte: Offenheit, Liberalismus, Pluralismus. Bei den Grünen gefallen mir oft die Methoden nicht. Man kann zum Beispiel die gesamte Energiewende nicht über Steuern finanzieren.

Elsa: Ich finde es gut, dass auch die FDP stark im Bundestag vertreten ist. Aber die Partei macht keine Politik für alle Gesellschaftsschichten, sondern größtenteils für reiche Menschen.

Valeria: Das finde ich nicht. Auch die FDP will wirtschaftlich schwächere Schichten zu unterstützen. Sie wollen nur allen die Möglichkeit bieten, sich selbst hochzuarbeiten. Das finde ich besser durchdacht, als von den einen zu nehmen, um den anderen zu geben. Das senkt den Investitionswillen und sorgt nicht für soziale Gerechtigkeit.

Die ersten Sondierungsgespräche haben beide Parteien ohne Union und SPD geführt. Bei welchen Themen verlaufen für euch die roten Linien?

Valeria: Steuererhöhungen dürfen kein Thema sein. Wir kommen gerade aus einer wirtschaftlich sehr schwierigen Phase. Eine Reichen- oder Vermögenssteuer wird uns Wirtschaftlichkeit und Investitionen kosten.

Elsa: Die Grünen wollen eher, dass alle einander unterstützen. Die FDP setzen mehr auf den rein individuellen Aufstieg. Deswegen ist die Steuerpolitik ein Knackpunkt. Aber auch bei grünen Verboten wird es schwierig, zum Beispiel Verbrennungsmotoren oder einem Tempolimit auf Autobahnen.

Das Tempolimit ist generell ein großer Streitpunkt zwischen Grünen und FDP, wie steht ihr dazu?

Elsa: In anderen Ländern funktioniert das gut. Ich habe aber keine wirkliche Meinung dazu, denn ich habe keinen Führerschein.

Valeria: Es gibt sicher Stellen auf der Autobahn, wo es nützlich wäre. Aber es pauschal überall einzuführen, sehe ich nicht ein. Wir sind viel zu spät dran mit dem Klimaschutz. Deswegen brauchen wir viele neue Technologien. Verbote helfen nicht.

Gerade zeigen beide Parteien, dass sie gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen: Als Zeichen dafür haben die Verhandlungsführer nach den ersten Gesprächen ein gemeinsames Selfie auf Instagram veröffentlicht.

Valeria: Das Foto war ein gutes Signal, dass es nicht mehr so läuft wie früher.

Elsa: Es ist gut, dass beide Parteien Druck ausüben. Das sind die Wunschparteien der jungen Menschen. Wenn sich Grüne und FDP einigen, finden wir mehr Gehör. Außerdem waren die Reaktionen auf das Foto sehr lustig. Es gab einen Haufen witziger Memes.

Valeria: Das Selfie war gute Eigenwerbung. Instagram ist auch die angemessene Plattform dafür. Twitter, Facebook oder eine Pressemitteilung wären einfach falsch gewesen.

Elsa: Ja, Instagram ist inzwischen auch eine Plattform für Politik und Aktivismus. Dort sind die jungen Menschen. Da kam das Signal am besten an.

Der Bundestag ist der jüngste seit über 30 Jahren mit einem Altersdurchschnitt von 47,5 Jahren. Die Grünen liegen mit 42,6 unter dem Schnitt, die FDP mit 47,8 leicht darüber. Wünscht ihr euch einen noch jüngeren Bundestag?

Valeria: Eine Quote braucht es nicht. Es wäre großartig, wenn es auch ein paar jüngere Menschen gibt. Aber ich möchte, dass dort möglichst kompetente Menschen sitzen, die auch ein abgeschlossenes Studium oder eine Ausbildung haben. Wir brauchen nicht nur Berufspolitiker.

Elsa: Ich will auch nicht, dass Leute nur wegen ihres Alters in den Bundestag kommen. Aber ich finde es interessant, dass viele junge Menschen gewählt wurden. Ich glaube, das liegt daran, dass wir in den vergangenen Jahren oft vergessen wurden, vor allem in der schwierigen Zeit, die wir gerade durchmachen.

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Bei der Geschlechterverteilung herrscht in einigen Parteien eine große Ungleichheit. Die FDP-Fraktion im Bundestag ist etwa nur zu 24 Prozent weiblich. Vermisst du Frauen in der FDP, Valeria?

Valeria: Ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis wäre natürlich besser. Aber es gibt keine wirkliche Barriere für Frauen in der FDP. Ich habe gerade meinen Antrag bei den Jungen Liberalen in meiner Heimatstadt Grevenbroich gestellt. Dort bin ich auf Kommunalebene die einzige aktive Frau. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum nicht mehr Frauen eintreten.

Vielleicht ein Beispiel: Christian Lindner hat auf einem Parteitag 2020 die damalige Generalsekretärin Linda Teuteberg mit einem Altherrenwitz verabschiedet. Viele empfanden sein Verhalten respektlos und sexistisch.

Valeria: Der Witz war in der Tat unpassend. Aber ich höre im Alltag viel Schlimmeres. Das macht es nicht besser, aber das würde mich nicht davon abhalten, in der Partei aktiv zu werden.

Bei den Grünen ist jetzt Robert Habeck als Vizekanzler im Gespräch – und nicht Annalena Baerbock. Wird sie ungerecht von ihrer Partei behandelt?

Elsa: Sie hat selbst zugegeben, dass sie Fehler gemacht hat. Trotzdem hat sie das beste Ergebnis aller Zeiten für die Grünen geholt. Ich hoffe, dass man sie auch als Vizekanzlerin in Betracht zieht. Sie hat im Wahlkampf gezeigt, was sie kann. Obwohl ich finde, dass sie oft härter angegangen wurde, weil sie jung und eine Frau ist. Es kamen oft Fragen zu ihren Kindern, die Männer nicht gestellt bekommen.

Valeria: Diese Klischees nerven mich auch. Da kann man sich auch hinstellen und sagen, dass Männer angeblich kein Multitasking können. Das braucht niemand. Aber Baerbock hat immer gut reagiert und diesen veralteten Ideen die Stirn geboten. Ich hoffe, das hat vielen die Augen geöffnet, wie lächerlich solche Fragen sind.

Die Grünen kämpfen auch für Diversität. Zuletzt wurde die Partei kritisiert, dass in dem Verhandlungsteam kein einziges Mitglied einen Migrationshintergrund hat. Wird die Partei angemessen repräsentiert, Elsa?

Elsa: Nur für die Quote bringt das auch nichts. Es wäre gut, wenn man an den Namen hören könnte, dass nicht nur Almans [türkisch für "Deutsche", Anm. d. Red.] verhandeln. Ich glaube, die meisten wollen aber nach ihrer Kompetenz und nicht nach ihrem Namen oder Hautfarbe ausgewählt werden. Ich denke, wir sind trotzdem auf dem richtigen Weg.

Valeria: Die Grünen sind doch für Quoten. Warum die nicht intern anwenden?

Elsa: Ich bin nicht die Partei, das kann ich nicht beantworten. Ich glaube auch, dass Quoten dafür da sind, dass Leute den Fuß in die Tür bekommen – nicht, um alles durchzuregeln. Außerdem muss man leider einräumen, dass Deutschland wirklich sehr weiß ist. Ich bin gerade in Frankreich, da fällt einem das noch mal besonders auf.

Was hättet ihr am liebsten: Eine Jamaika- oder Ampelkoalition?

Valeria: Die Union passt besser, aber sie hat stark an Rückhalt verloren und ist mir oft zu konservativ. Die SPD steht für alles und nichts, aber sie hat wirklich viele Stimmen gewonnen. Ich habe noch keine endgültige Antwort gefunden.

Elsa: Die Ampel wäre besser. Olaf Scholz hat die Wahl gewonnen. Es stimmt, dass die SPD nicht wirklich für etwas steht, aber deswegen ist sie auch kompromissbereiter. Ich hoffe, dass die Grünen in der Ampel mehr Wirkung haben. Die CDU mag ich gar nicht.

Valeria: Für Jamaika ist die Union gerade zu zerstritten. Mit den Flügelkämpfen und der CSU sitzen bei der Union nicht nur zwei, sondern drei oder vier verschiedene Gruppen für sie am Verhandlungstisch.

Elsa: Armin Laschet als Kanzler wäre furchtbar. Er ist so inkonsequent. 2017 war er gegen die Ehe für alle. Jetzt hat er versucht, so zu tun, als wäre er dafür gewesen. Das ist unsympathisch.

Valeria: Ich finde, dass vieles bei ihm aufgebauscht wurde. Die Reaktion auf sein Lachen bei der Flutkatastrophe fand ich komplett überzogen. Aber er schafft es wirklich nicht, sich auf irgendwas festzulegen. Das kann man aber auch Olaf Scholz vorwerfen. Er will unbedingt mitregieren, aber hat keine eigenen Themen mehr. Das ist für mich keine Partei, die SPD ist ein Lückenfüller.

Wärt ihr mit Olaf Scholz als Kanzler zufrieden?

Elsa: Olaf Scholz ist eine Merkel 2.0, die er ja sehr stark kopiert hat. Er kommt mir aber ein wenig überlegter vor. Zumindest wäre er besser als Laschet. Aber Scholz ist nicht die Kandidatin, für die ich gestimmt habe.

Valeria: Er ist kein Vordenker und kein innovativer Kopf. Er kann gut delegieren. Scholz macht sicher nicht alles kaputt, aber mein Wunschkandidat ist er wirklich nicht.

Elsa: Er kann gerne einiges an FDP und Grüne delegieren.

Valeria: Ja, das würde vielleicht helfen.

Zum Abschluss: Was wäre – unabhängig von Wahlergebnissen – eure absolute Wunschregierung?

Valeria: Eine Tandemspitze mit zwei Kanzlern fände ich nicht schlecht. Das funktioniert in einigen Parteien oder großen Konzernen gut. Vielleicht ein sozialliberales Bündnis mit der SPD.

Elsa: Eine Tandemspitze funktioniert glaube ich nicht. Es ist schon gut, dass es nur eine Person ganz oben gibt. Sonst würde das zu Konflikten führen. Ich wäre sehr zufrieden mit einer Koalition aus Grünen und FDP. CDU und SPD müssen nicht mehr unbedingt mitmischen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Valeria Schnell und Elsa Rother am 1.10.2021
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