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"Die CDU kämpft an drei Fronten": Politikwissenschaftler zur aktuellen Lage


Debatte um Laschet-Nachfolge
"Er ist der Wunschkandidat der Basis"

InterviewVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 14.10.2021Lesedauer: 6 Min.
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Wahlkampfkundgebung der CDU: Albrecht von Lucke sieht einen ganz klaren Favoriten im Kampf um den Parteivorsitz.Vergrößern des Bildes
Wahlkampfkundgebung der CDU: Albrecht von Lucke sieht einen ganz klaren Favoriten im Kampf um den Parteivorsitz. (Quelle: ULMER Pressebildagentur/imago-images-bilder)

Wer folgt auf Armin Laschet? Und wie wird die CDU zukunftsfähig? Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke prophezeit einen schwierigen Prozess – und sieht einen Favoriten für den Chefposten.

Wo geht's hin mit der CDU? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Partei selbst, sondern die ganze politische Landschaft. Noch ist Armin Laschet CDU-Chef, seinen Rückzug hat er allerdings schon angekündigt. Die Partei will nun alle Spitzenposten neu wählen lassen, auch den Posten des Vorsitzenden. Das alles soll im Konsens funktionieren.

Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke erwartet einen schwierigen Prozess. Will die CDU eine schnelle Entscheidung, steht eigentlich nur ein Politiker zur Wahl. Ein Gespräch über die Fronten, an der die CDU nun kämpfen muss.

t-online: Herr von Lucke, die CDU will ihre Parteispitze – vom Präsidium bis zum Vorsitz – komplett neu aufstellen und das im Konsens. Kann das funktionieren?

Albrecht von Lucke: Die Vorstellung, dass man sich dieses Mal nicht zerstreitet oder in Kampfkandidaturen zerlegt, ist eine große Illusion. Es geht faktisch um einen einzigen relevanten und entscheidenden Posten, den des Parteichefs. Denn der neue Vorsitzende wird es sich nicht nehmen lassen, auch den Fraktionsvorsitz zu übernehmen. Und damit geht es auch um eine Vorentscheidung darüber, wer den nächsten Kanzlerkandidaten abgibt. Diese Machtfrage muss nun geklärt werden. Ein Konsens, wie ihn Noch-Parteichef Armin Laschet anstrebt, ist da zum Scheitern verurteilt.

Welche Strömungen rivalisieren denn jetzt miteinander?

Man kann in der CDU gar nicht mehr von klar konturierten klassischen Strömungen sprechen. Auch in dieser Hinsicht ist die CDU inhaltlich entkernt. Das ist sicherlich auch ein Erbe der Ära Merkel und nun ein Teil des Problems: Die einzelnen Personen stehen und agieren weitgehend für sich, sie konkurrieren als Solitäre gegeneinander. Um die Hauptprotagonisten zu nennen, die am vehementesten um den Parteivorsitz streiten: Friedrich Merz, Jens Spahn, Norbert Röttgen, Ralph Brinkhaus und vielleicht noch Carsten Linnemann.

Viel Zeit bleibt nicht, um diese Frage zu klären. Im Frühjahr schon wird im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gewählt, wo die CDU derzeit die Ministerpräsidenten stellt.

In der Tat. Deshalb steckt die CDU in einem echten Dilemma. Sie will einerseits die Erneuerung mit möglichst vielen neuen Köpfen leisten. Personen aber, die noch unbekannt sind und kein Profil haben, bergen das ungeheure Risiko, dass die Partei in den kommenden Wahlkämpfen nicht schlagkräftig genug ist. Die Partei ist also in der Zeitfalle und das ist nicht das einzige Problem.

Welche Probleme sehen Sie noch?

Die CDU kämpft an gleich drei Fronten. Erstens innerhalb der Union gegen die CSU, deren Getriebene sie ist. Die Attacken von Markus Söder im Wahlkampf gegen Armin Laschet waren desaströs, gegen seine Partei muss sich die CDU nun stärker behaupten. Zweitens muss sie sich gegen die FDP profilieren. Die Union muss unheimlich aufpassen, dass ihr die von vielen Wählern zugeschriebene Wirtschaftskompetenz nicht von der FDP abgenommen wird – als angeblicher Stimme der ökonomischen Vernunft in der Koalition. Und zu guter Letzt muss sie als Opposition der neuen Regierung unter Olaf Scholz die Stirn bieten. Ich gehe davon aus, dass die Ampelkoalition noch vor Ende dieses Jahres zustande kommt. Dann muss die Union sofort handlungsfähig sein. Das wird aber fast unmöglich sein, da die CDU nun auch die Basis mit einbeziehen will.

Albrecht von Lucke: "Gewissermaßen sucht die CDU hier eine eierlegende Wollmilchsau"
Albrecht von Lucke: "Gewissermaßen sucht die CDU hier eine eierlegende Wollmilchsau" (Quelle: Eventexpress/imago-images-bilder)


Zur Person: Albrecht von Lucke ist Jurist, Politikwissenschaftler und Publizist, er schreibt unter anderem als Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik".

Es wurde nun eine Konferenz mit allen Kreisvorsitzenden für Ende Oktober einberufen, die klären sollen, ob und wie die Basis beteiligt wird.

Viele Stimmen in der Partei drängen auf die Beteiligung der Basis, daran wird die CDU kaum vorbeikommen. Im ersten Wahlgang wird aber eine absolute Mehrheit fast nie erreicht, dann braucht es noch eine Stichwahl. Das kostet viel Zeit. Diese Konferenz wird also eine wichtige Rolle spielen. Dort wird sich zeigen, ob es bereits eine Position zu einem Favoriten gibt.

Ich glaube, dass es da schon auf Friedrich Merz zulaufen könnte, der ohnehin als Wunschkandidat der Basis gilt. Wenn die anderen Kandidaten dann ein Einsehen haben, könnte die Partei in wenigen Wochen tatsächlich zu dem Schluss kommen, sich zu Merz' Gunsten zu entscheiden. Das ist die einzige Möglichkeit, die ich sehe, um aus einem langwierigen Entscheidungsprozess herauszukommen. Allerdings spricht angesichts der Ambitionen der Konkurrenten nicht sehr viel dafür.

Merz steht nun nicht unbedingt für Erneuerung.

Das nicht, aber er steht für die Mobilisierung der Basis, für ein klar konturiertes konservatives sowie neoliberales, wirtschaftsfreundliches Profil. Er wäre auch in der Auseinandersetzung mit einem Markus Söder oder der FDP auf Augenhöhe. Diesen Stand hat ein Carsten Linnemann mit Sicherheit noch nicht. Jens Spahn hat als Gesundheitsminister in der Krise keine gute Figur abgegeben, viele sehen ihn außerdem in erster Linie als Karrieristen. Norbert Röttgen wiederum ist ein Solitär in der Partei, ohne eigenes Netzwerk, und kann die Basis nicht richtig begeistern. Brinkhaus halte ich für einen klugen, rhetorisch hochbegabten Politiker, er wäre auch sicherlich ein guter Oppositionsführer. Allerdings ist er in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt und in seiner Fraktion auch nicht unumstritten. Wenn es aber auf ein Zweierduell hinausläuft, würde ich es zwischen Merz und Brinkhaus vermuten.

Die CDU hat massiv Stimmen an die SPD verloren, im Osten viele Direktmandate an die AfD. Die nun wieder zurückzuholen, wird ein ziemlicher Spagat.

Gewissermaßen sucht die CDU hier die berühmte eierlegende Wollmilchsau. Im Osten ist einerseits die Behauptung gegen die AfD ungemein wichtig, die Landesverbände drängen deswegen auf ein schärferes Profil. Darum ist Merz dort so beliebt, Laschet galt in seiner Beliebigkeit als viel zu weich. Die CDU muss andererseits aber auch die Mitte zurückerobern, die heute viel ökologischer tickt als noch vor einigen Jahren. Da hat die CDU derzeit eine große Leerstelle. Um den Anschluss nicht zu verlieren, müsste also jemand wie Merz auch ein bisschen softer und anschlussfähiger werden.

Heißt?

Er wird sich nicht mehr so ignorant gegenüber der Klimapolitik geben können wie noch vor ein, zwei Jahren, als er mächtig gegen Fridays for Future und Greta Thunberg austeilte. Das wirkte geradezu arrogant und ist kein Gestus, mit dem ein Oppositionspolitiker von 24 Prozent auftreten sollte, wenn er die Stimmenbasis gerade auch bei den Jüngeren erweitern will.

Reicht das, um der SPD die Stimmen wieder abzuluchsen?

Man wird sicher nicht erwarten können, dass der Parteivorsitzende alles abdecken kann. Das trifft ohnehin auf keinen der Kandidaten zu. Es wird also auch auf das Team ankommen, das den neuen Parteichef dann umgibt.

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Da kommt die CSU wieder ins Spiel: Markus Söder hat in Bayern schon vor einiger Zeit die Klimathematik verstärkt aufgegriffen und versucht, sich dadurch stärker in der ökologischen Mitte aufzustellen.

Söder hat es in der Tat geschafft, technologische Fortschrittlichkeit im ökologischen Gewand zu demonstrieren. Merz allein würde sehr lange brauchen, um dahin zu kommen. Deswegen muss sich die CDU da insgesamt eine Scheibe abschneiden.

Sie hatten bereits gesagt, die Behauptung gegenüber der CSU ist eine der drei großen Schlachten. Parteichef Söder war auch in der CDU fast überpräsent.

Bei einer derart selbstbewusst, ja sogar aggressiv gegenüber der größeren Schwesterpartei auftretenden CSU braucht es einen starken CDU-Vorsitzenden, der deutlich macht: Wir lassen uns hier nicht unterbuttern. Deshalb hat Friedrich Merz nach der Wahlniederlage Markus Söder auch scharf attackiert. Allerdings muss man sagen, dass Söder im Wahlkampf auch ganz viele Sympathien verspielt hat. Seine Attacken gegenüber Laschet haben eine erstaunliche Ruch- und Charakterlosigkeit offenbart. Auch in Bayern wird er von der Jungen Union wegen seines schwachen Wahlergebnisses stark angegriffen. Am kommenden JU-Deutschlandtag wird er vorsichtshalber gar nicht erst teilnehmen. Die Söder-Festspiele könnten also bis auf weiteres vorbei sein. Doch umso mehr wird er jetzt auf knallharte Opposition gegen die Ampel setzen.

Wenn die Ampelkoalition tatsächlich zustande kommt, wird sich auch die CDU in der Oppositionsrolle einfinden müssen. Dort säße sie dann mit der AfD und Linken. Wie schwierig wird es, sich da zu profilieren?

Die Abgrenzung zur AfD ist die kardinale Herausforderung. Die CDU muss einerseits konservative Themen vertreten, um der AfD wieder ein paar Prozentpunkte abzunehmen. Sie darf aber andererseits auch nicht zu weit in die Gefilde der AfD geraten, um nicht selbst zu populistisch zu werden und damit die Mitte zu verprellen. Für eine Partei aber, die gar nicht mehr weiß, wofür sie eigentlich steht, und auf der Suche nach ihrem konservativen Kern ist, wird das unglaublich schwierig. Auf diese gewaltige Herausforderung ist die CDU nach sechzehn Jahren als Kanzlerinnenwahlverein überhaupt nicht vorbereitet.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Gespräch mit Albrecht von Lucke
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