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Olaf Scholz, die SPD und Russland: Rowdy macht Stress auf dem Pausenhof


Die SPD und Russland
Wer stoppt den Rowdy?

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 01.02.2022Lesedauer: 6 Min.
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Olaf Scholz und Lars Klingbeil: der Kanzler, der SPD-Chef und die Haltung zu Russland.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz und Lars Klingbeil: der Kanzler, der SPD-Chef und die Haltung zu Russland. (Quelle: Felix Zahn/photothek.net/imago-images-bilder)

Wie hältst Du es mit Russland? Diese Frage wird niemandem so intensiv gestellt wie der SPD. Dass die Partei unsortiert ist, hat auch mit einer Überraschung zu tun, die eigentlich keine ist.

Es war ein Treffen, das es offiziell gar nicht geben sollte. Zu einem Problem, das offiziell überhaupt keines ist.

An diesem Montag um 16 Uhr finden sich ungefähr 20 Politiker der SPD zu einem Gespräch zusammen. Die eine Hälfte sitzt im Willy-Brandt-Haus, die andere ist per Video zugeschaltet. Parteichef Lars Klingbeil hat sie eingeladen, ohne die Öffentlichkeit groß zu informieren.

Politiker der Bundesregierung sind dabei, Ministerpräsidenten und Außenpolitiker, aus Berlin und Brüssel, auch der Chef der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Es ist eine wilde Mischung. Genauso wild wie der Eindruck, den die SPD zuletzt bei dem Thema macht, das an diesem Nachmittag diskutiert werden soll: die Russlandpolitik.

Die SPD hat nicht erst seit gestern ein vielschichtiges Verhältnis zu Russland, um es vorsichtig auszudrücken. Ein früherer Kanzler, der sich heute von Wladimir Putin als Gaslobbyist bezahlen lässt und der Ukraine "Säbelrasseln" vorwirft, nimmt da nur eine der schwierigen Positionen ein. Wenn auch eindeutig die schwierigste.

Doch es braucht in diesen Tagen gar keinen Gerhard Schröder, um internationale Partner an der Haltung der SPD zweifeln zu lassen. In den vergangenen Wochen haben das Sozialdemokraten, die noch nicht im vergoldeten Ruhestand sind, auch alleine ganz gut hingekriegt. Selbst wenn viele offiziell eine angeblich große Einigkeit beschwören.

Die Debatte zeigt, dass die SPD wieder neu lernen muss, was es bedeutet, Kanzlerpartei zu sein. Und dass Olaf Scholz lernen muss, was es bedeutet, Kanzler zu sein. Auf die harte Tour. Denn dummerweise stehen Scholz und seine Partei mitten auf der Weltbühne, jetzt, wo es um Krieg und Frieden geht – und ausgerechnet um Russland.

Rowdys auf dem Pausenhof

Wer das Verhältnis der SPD zu Russland besser verstehen möchte, der kann viele Geschichtsbücher lesen. Man kann sich zum Beispiel mit Herbert Wehner beschäftigen. Einem Kommunisten, der in der Nazizeit ins Moskauer Exil ging und später zu einem wichtigen Sozialdemokraten wurde. Seine historischen Verdienste bestreiten nur wenige. Doch selbst heute ist noch unklar, wie eng seine Verbundenheit zu Moskau zeitlebens wirklich gewesen war.

Allerdings ist Wehner seit mehr als 30 Jahren tot. Seinen tiefenpsychologischen Einfluss auf die heutige Sozialdemokratie zu ergründen, ist ziemlich ambitioniert. Greifbarer sind aktuelle wirtschaftliche Interessen, die es offensichtlich etwa bei Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig gibt, Stichwort: Nord Stream 2.

Doch wer nicht davon ausgehen will, dass wegen solcher und weiterer Verbindungen zu Russland automatisch alle deutschen Sozialdemokraten unangemessen rubel- und putinfreundlich sind, der wird noch eine weitere Erklärung brauchen. Und die liegt in zwei außenpolitischen Denkschulen begründet, die sich in der SPD gegenüberstehen.

Diskussionen über Außenpolitik werden oft mit großen Gesten und komplizierten Worten geführt, doch eigentlich bewegen sie sich meist in ähnlichen Kategorien wie ein Streit auf dem Pausenhof. Die entscheidende Frage lautet: Wie hält man einen Rowdy davon ab loszuprügeln?

Hier wie dort gibt es zwei Denkschulen:

  • Die einen glauben, es brauche möglichst deutliche Drohungen, weil ein Rowdy nur Härte verstehe und sonst einfach immer weitermache.
  • Die anderen glauben, es dürfe bloß nicht zu deutliche Drohungen geben, weil der Rowdy sonst immer weitermachen müsse, um zu zeigen, dass er doch eigentlich der härteste Hund ist.

Zwei Wege, ein Ziel. Die erste Haltung bedeutet in der Außenpolitik nicht automatisch Kriegstreiberei und die zweite nicht automatisch Moskau-Liebe, zumindest abseits von Extrempositionen. Es mag für die eine Haltung mehr Evidenz in der Weltgeschichte geben als für die andere. Doch das Problem ist und bleibt, dass eigentlich niemand so richtig weiß, was einen Rowdy wirklich umtreibt, schon gar nicht, wenn der Wladimir Putin heißt.

Von Schröder bis Gabriel

Anhänger der zweiten Denkschule, die den Rowdy nicht unnötig provozieren wollen, sind in der SPD traditionell stärker vertreten als in der CDU. Mit Rolf Mützenich gehört der Fraktionschef zu ihnen. Er dachte vor einigen Tagen mal wieder über die Überwindung der Nato nach. Der Parteilinke Ralf Stegner twittert sich gerade mit einer ähnlichen Linie ins Rampenlicht.

Und auch Kevin Kühnert kann man wohl dieser Denkschule zurechnen. Selbst wenn seine Formulierung, man solle an der ukrainischen Grenze jetzt mal "keinen Konflikt herbeireden", wohl das Versehen eines Neu-Generalsekretärs war.

Ihnen gegenüber stehen in der SPD die Anhänger eines harten Kurses gegen Rowdys. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, gehört zu ihnen. Er hat bisher als einziger prominenter Genosse offen Gerhard Schröder widersprochen und ihn ermahnt, dass er "nicht nur Privatmensch" sei, sondern eigentlich Altkanzler.

Außenpolitiker Nils Schmid sprach davon, dass Russland mit der Annexion der Krim die "besondere Beziehung" zu Deutschland "zerstört" habe. Man müsse "eine glaubhafte Abschreckungskulisse aufrechterhalten", also: Härte zeigen. Und der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel tut, was er oft tut: Er setzt noch einen drauf und fordert eine "Diskussion ohne Tabus und Denkverbote" über Waffenlieferungen an die Ukraine.

Was in der SPD im Übrigen genauso wenig mehrheitsfähig ist wie Schröders Kumpeleien mit Putin.

Die Verantwortung des Olaf Scholz

Trotzdem ist das eine beachtliche Kakophonie, die vielleicht als Debattenfreude durchgehen könnte, wenn nicht gerade Krisenzeiten wären und die SPD Kanzlerpartei. Allerdings spricht viel dafür, dass es Wladimir Putin gar nicht so sehr interessiert, was ein Ralf Stegner so auf Twitter schreibt. Und was Gerhard Schröder sagt, dürfte ihn noch ein bisschen weniger überraschen.

Entscheidend ist nun seit einigen Wochen, was Olaf Scholz sagt, der neue Bundeskanzler. Und der hat über mehrere Wochen wenig dafür getan, das Tohuwabohu aufzulösen.

Im Gegenteil bezeichnete Scholz Nord Stream 2 über viele Tage als "privatwirtschaftliches Projekt", über dessen Genehmigung "völlig unpolitisch" entschieden werde. Ganz anders übrigens als der grüne Koalitionspartner.

Vor zwei Wochen kramte Scholz plötzlich eine Vereinbarung der großen Koalition mit der US-Regierung aus dem Juli 2021 hervor. Aus ihr geht faktisch hervor, dass bei einem Angriff Russlands auf die Ukraine alle Optionen auf dem Tisch liegen. Also auch ein Aus für Nord Stream 2, wobei er die Pipeline bis heute nicht namentlich erwähnt.

Die erste Äußerung widerspricht der zweiten zwar nicht notwendigerweise. Aber sie ließ Raum für Interpretationen, die wiederum durch die Widersprüche in der SPD befeuert wurden.

Klingbeils Versuch der Klärung

Es gibt Genossen, die der Meinung sind, Olaf Scholz hätte ruhig früher sagen dürfen, dass "alle Optionen auf dem Tisch" liegen. Interessant ist deshalb, dass der Kanzler am Montag keiner der 20 Sozialdemokraten war, die über die Russlandpolitik diskutiert haben.

Anders übrigens als Manuela Schwesig, der Regierungschefin von Mecklenburg-Vorpommern, also dem Land, in dem Nord Stream 2 anlandet. Sie soll Teilnehmern zufolge die neue Linie der SPD mitgetragen haben, über die zwei Stunden diskutiert wurde, wenn auch ohne große Euphorie.

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SPD-Chef Lars Klingbeil hat für diese neue Einigkeit etwas getan, das in einem Buch über die Kunst des Kompromisses wahrscheinlich ganz zu Beginn stehen würde: Er hat einfach alle satisfaktionsfähigen Positionen in der SPD aneinandergereiht.

Herausgekommen ist der Klingbeil'sche Fünfklang, den er schon am Freitag im Bundestag vorgetragen hat. Und der geht so:

  1. "Die Eskalation geht von Russland aus."
  2. Für den Fall eines Angriffs liegen "alle Optionen auf dem Tisch" (außer militärische).
  3. "Wir liefern keine Waffen in die Ukraine."
  4. Es brauche "nicht jeden Tag Drohgebärden", jetzt müsse man "über Frieden reden".
  5. "Einen dauerhaften Frieden gibt es nur mit Russland."

Irgendwo findet sich da jeder wieder. Außer vielleicht Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel.

Huch, wir sind ja wieder wer

Es ist jetzt in der SPD durchaus Anerkennung zu vernehmen für Klingbeil, seinen Kompromiss und sein Russlandtreffen. Er habe das klug gemacht, heißt es. Die Sozialdemokraten träten schon seit knapp zwei Wochen konsolidierter auf, besser sortiert.

Allerdings schwingt bei vielen Sozialdemokraten gerade auch immer noch etwas anderes mit: eine große Überraschung.

Es ist im Kern eine Überraschung darüber, wie wichtig man auf einmal wieder ist. Die Überraschung ist umso größer, weil die SPD ja schon seit Jahren Regierungspartei ist, Vizekanzlerpartei. Was aber der Schritt zur Kanzlerpartei bedeuten würde, haben dann offensichtlich doch viele unterschätzt.

Jeder Halbsatz sei nun wichtig, sagt jemand, jetzt, wo man ständig von einem Milliardenpublikum beobachtet werde.

Für den Kanzler selbst gilt das natürlich ganz besonders. Olaf Scholz ist lange gut damit gefahren, immer dann den "Scholzomaten" zu spielen, wenn es brenzlig wird, und lieber nichts zu sagen als etwas Falsches.

Als Kanzler in Krisenzeiten aber kann gerade Nichtssagen das falsche sein.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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