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Scholz besucht die Ukraine: Bundeskanzler scheint erfolgreich gewesen zu sein


Scholz-Reise in die Ukraine
Die Überraschung von Kiew

Von Miriam Hollstein

14.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Scholz in Kiew: Wie lässt sich Putin stoppen?Vergrößern des Bildes
Scholz in Kiew: Wie lässt sich Putin stoppen? (Quelle: Reuters/VALENTYN OGIRENKO/Reuters-bilder)

Morgen Russland, heute Ukraine: Olaf Scholz versucht, einen Krieg in Europa noch zu verhindern. In Kiew ist der Empfang erstaunlich sanft – und der Kanzler kann sogar einen kleinen Erfolg verbuchen.

Olaf Scholz kommt zu spät. 40 Minuten nach der geplanten Uhrzeit trifft der Bundeskanzler am Montagmittag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein. Ein Corona-Verdachtsfall im Regierungsflieger hatte den Abflug verzögert. Statt der geplanten zwei Stopps bei zwei Mahnmalen, als Geste der Demut gedacht, muss Scholz mit seiner Kolonne gleich in den Präsidentenpalast zum Gespräch mit Wolodymyr Selenskyj fahren. Die Kränze müssen warten.

Der Vorfall ist sinnbildlich für die ersten Wochen der Kanzlerschaft von Olaf Scholz: Zeit zum Aufwärmen gab es für ihn nicht. Stattdessen ist er neben der Pandemie gleich mit einer zweiten gigantischen Aufgabe konfrontiert: Er muss helfen, den Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine und damit einen Krieg zu verhindern.

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Am Wochenende hatte sich die Lage noch einmal zugespitzt. Am Freitag war bekannt geworden, dass US-Geheimdienste bereits an diesem Mittwoch mit einer russischen Invasion rechnen. Am Samstag hatte das Auswärtige Amt alle deutschen Staatsbürger in der Ukraine aufgerufen, das Land nach Möglichkeit zu verlassen. Am Sonntag hatte Russland seine Truppen im Grenzgebiet verstärkt. Mehr als ein Dutzend ukrainischer Oligarchen verließen das Land in Privatjets.

Auf Scholz' Besuch lastete noch aus anderem Grund ein besonderer Druck. Die Ukraine wirft der Bundesregierung vor, auch bei der Einschätzung der Dramatik der Lage zu spät gewesen zu sein. Besonders aber verübelt sie Deutschland, dass es sich weigert, Verteidigungswaffen zu liefern. Zwar hätte die Ukraine auch damit wohl militärisch keine Chance gegen die übermächtige russische Armee. Aber in Zeiten wie diesen kann die Symbolik eine entscheidende Rolle spielen.

Nach Kiew hat Scholz zwar zum Verdruss der Ukrainer keine Zusage für Waffenlieferungen mitgebracht. Aber er ist nicht mit leeren Händen gekommen. Einen ungebundenen Kredit in Höhe von 150 Millionen Euro verspricht er Selenskyj – zusätzlich zu einem bereits laufenden Kredit in gleicher Höhe. Außerdem will die deutsche Regierung Unternehmen zu Investitionen in der Ukraine ermutigen.

Unterschiede spielen plötzlich keine Rolle mehr

Deutschland ist einer der größten finanziellen Unterstützer der Ukraine: Seit der Annexion der Krim hat es das Land mit bilateralen Hilfen in Höhe von über 1,8 Milliarden Euro unterstützt. Man habe die Ukraine damit "widerstandsfähiger gegenüber ausländischer Einflussnahme gemacht", betont Scholz in Kiew.

Mehr als zwei Stunden dauert das ursprünglich für 35 Minuten angesetzte Vieraugengespräch zwischen dem Kanzler und dem ukrainischen Präsidenten. Zwei völlig unterschiedliche Charaktere treffen dabei aufeinander – hier der stets emotionslos-beherrschte Scholz, dort der den großen Auftritt liebende Ex-Fernsehstar Selenskyj. Doch beim anschließenden Auftritt vor der Presse sind beide sichtbar um einen harmonischen Eindruck bemüht.

Auch wenn Selenskyj einräumt, dass man "einige Unterschiede bei der Bewertung" gehabt habe, will er diese in der Pressekonferenz selbst auf Nachfrage von Journalisten nicht vertiefen. Die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 bezeichnet er als eine "geopolitische Waffe", weist aber zugleich darauf hin, Scholz habe zugesagt, die Ukraine beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu unterstützen. Sein Land hoffe zudem auf Unterstützung bei einem Beitritt seines Landes zur EU: "Das könnte ein wichtiges Signal sein."

Als Emissär des Westens will Scholz wiederum sowohl die Ukraine als auch Russland zu einer Geste bewegen: Die Ukraine soll signalisieren, dass sie auch zu Zugeständnissen an den russischen Präsidenten bereit ist, Wladimir Putin müsse aber auch Deeskalationsbereitschaft demonstrieren.

Zumindest in Kiew scheint Scholz mit diesem Ansatz erfolgreich zu sein. Im Gespräch signalisiert Selenskyj nicht nur die Bereitschaft, die Minsker Vereinbarungen doch weiter umzusetzen. Auf diese Abkommen von 2014 und 2015 hatten sich Russland und die Ukraine unter Vermittlung von Frankreich und Deutschland (das sogenannte Normandie-Format) in der weißrussischen Hauptstadt Minsk geeinigt. Sie sehen unter anderem einen Sonderstatus für die umstrittenen Gebiete sowie eine von der OSZE überwachte Sicherheitszone an der Grenze vor. Die ukrainische Führung hatte sie zuletzt aber als "Diktat aus Moskau" abgelehnt.

Eindeutige Warnungen nach Moskau

In der gemeinsamen Pressekonferenz rückt Selenskyj auch ausdrücklich vom Ziel eines zeitnahen Beitritts der Ukraine zur Nato ab. Dieser sei ein "Traum", von dem man noch nicht wisse, wann man ihn erreiche, formuliert er bei der Pressekonferenz blumig. Wichtig sei, sich auf den Weg zu machen.

Auch Scholz betont: "Diese Frage ist nicht aktuell." Umso unverständlicher sei deshalb, dass Russland sich derart auf eine Nato-Mitgliedschaft fokussiere. Von Kiew aus sendet er eindeutige Warnungen nach Moskau: "Niemand sollte an der Entschlossenheit der Nato und der EU" zweifeln. Man sei "jeden Tag" bereit, auf eine russische Eskalation zu reagieren: "Wenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine verletzen sollte, wissen wir, was zu tun ist."

Das Kalkül von Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Wenn in dieser Situation eine Eskalation verhindert wird, könnte der Boden für einen direkten Dialog zwischen den beiden Präsidenten Putin und Selenskyj im Beisein von Macron und Scholz bereitet werden.

Die größte Sorge ist inzwischen bei vielen Beobachtern, dass es nicht mehr allein um die Frage geht, ob Putin seine Truppen gezielt in die Ostukraine einmarschieren lässt. Sondern auch darum, ob nicht ein versehentlich gezündeter Funke das Fass zum Explodieren bringen könnte. "Der berühmte erste Schuss geschieht oft nicht mit Absicht", sagt einer, der nah an den Verhandlungen dran ist. Doch bislang ist Putin zu keinerlei direkten Gesprächen mit Selenskyj bereit.

Warum Scholz nicht direkt nach Moskau fliegt

Wie unversöhnlich die Konfliktparteien sind, zeigt die Reiseroute von Olaf Scholz. Statt von Kiew auf dem kürzesten Weg direkt ins 750 Kilometer Luftlinie entfernte Moskau weiterzufliegen, kehrt er am Montagabend nach Berlin zurück.

Außenministerin Annalena Baerbock war nach ihrem Besuch in Kiew Mitte Januar direkt weitergereist. Das war weder in Kiew noch in Moskau besonders gut angekommen.

Ob Scholz am Dienstag in Moskau etwas erreichen kann? Selbst jene, die Putin seit Jahrzehnten beobachten, können ihn nicht mehr einschätzen. Verändert habe sich der Präsident, heißt es, lebe abgeschottet in einer Blase, zu der nur noch wenige Zugang hätten. Aus dem kühlen Strategen von früher sei ein völlig unberechenbarer Mann geworden. Eine Hoffnung ist, dass Putin es sich nicht mit China verderben will. Dann würde er bis mindestens zum Ende der Olympischen Spiele keinen militärischen Angriff wagen. Eine Frist, die lächerlich kurz erscheinen mag. Aber jeder Tag, an dem weiter verhandelt wird, zählt.

Verwendete Quellen
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