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SPD-Nachwuchs: Die groteske Parallelwelt der Jusos


Flüchtlinge und Zusammenhalt
Die groteske Parallelwelt der Jusos

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 17.10.2022Lesedauer: 3 Min.
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Flüchtlinge auf der Balkanroute an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien: Viele wollen weiter nach Mitteleuropa. (Quelle: IMAGO/Nicolas Economou)

Die SPD-Innenministerin will die Flüchtlingszahlen begrenzen, doch die Nachwuchsorganisation der Partei rebelliert. Ein typischer und falscher Reflex, findet t-online-Kolumnist Christoph Schwennicke.

Seit jeher leben die Jusos in einer ganz eigenen Welt, in einer Art Metaversum des Hehren und Idealen. Das war schon so zu einer Zeit, als es Mark Zuckerbergs Plattform Meta noch gar nicht gab.

Vor 25 Jahren verirrte sich der Kollege Jochen Buchsteiner, damals bei der Wochenzeitung "Die Zeit", staunend in diese Welt und brachte seine irritierenden Eindrücke von einem Kongress der Jungsozialisten in der Ost-Berliner Kongresshalle zu Papier. Weil der Veranstaltungsort aus der Ferne an ein gelandetes Raumschiff erinnerte, brachten es die Beobachtungen des Reporters Buchsteiner zu einer unvergessenen Überschrift. "Auf dem Planeten Juso" hatten die Kollegen in der Zentrale seinen Text überschrieben.

Zumindest leben die Jusos in einer Parallelwelt. In die ist nun deren Parteifreundin Nancy Faeser jäh eingedrungen. Die deutsche Innenministerin schlug angesichts der von vielen Seiten anschwellenden Flüchtlingszahlen in Abstimmung mit europäischen Nachbarn vor, Deutschland für Geflüchtete aus der Ukraine weiter offenzuhalten, die Zuwanderung von Asylbewerbern über die Balkanroute und das Mittelmeer aber zu begrenzen.

"Macht uns sprachlos"

Was die Jusos postwendend kommentierten. "Nancy Faesers Aussage zur Begrenzung der Zuwanderung nach Europa macht uns sprachlos", sagte Birkan Görer dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Wir erwarten von einer Bundesinnenministerin der SPD, dass sie die Gesellschaft zusammenhält."

(Quelle: t-online)

Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

In allem Respekt vor der anderen Meinung und in aller bei diesem Thema gebotenen Ruhe und Besonnenheit: Genau das macht eure Bundesinnenministerin, liebe Jusos!

Als das letzte Mal eine große Zahl von Asylsuchenden nach Deutschland kam, 2015 und 2016, da setzte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer menschlich sympathischen Politik der offenen Grenze eben diesen Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel. Mehr noch: Er zerbrach.

In Europa machten sich enorme politische Fliehkräfte ans Werk, weil anfangs nur wenige (Österreich und Schweden), alsbald aber kein einziges EU-Land von Bedeutung mehr der Politik der deutschen Bundeskanzlerin in der Flüchtlingsfrage zu folgen bereit war. In der deutschen Gesellschaft und dem politischen Gefüge feierte die AfD ein Comeback, wie es ansonsten undenkbar gewesen wäre. Und es entstand eben jener Sog, den heute Merkels Nachfolger als CDU-Chef, Friedrich Merz, beklagt.

Das Thema spaltete die deutsche Gesellschaft wie kein zweites.

Jetzt ist wieder Wutzeit. Die AfD erfreut sich bei Landtagswahlen und in Umfragen nach einer zwischenzeitlichen Delle wieder großen Zuspruchs. Und der speist sich bisher vor allem aus Corona-Koller und dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Massiv aber schiebt sich obendrein das Flüchtlingsthema wieder auf die Agenda. Landräte und Bürgermeister jedweder politischen Couleur schlagen Alarm, dass sie mit Versorgung und Unterbringung nicht mehr hinterherkommen. Eine weitere Gelegenheit für die AfD, auch hier wieder politisches Kapital daraus zu schlagen.

Innenministerin legt persönliche Wendung hin

Daher ist Frau Faeser eben um jenen gesellschaftlichen Zusammenhalt bemüht, den die Jusos sich wünschen, wenn sie spürt und danach handelt, dass eine Überlastung weitere unselige Verschiebungen im politischen Gefüge Richtung Rechtsaußen bedeuteten.

Dabei legt die Innenministerin eine beachtliche persönliche Wendung an den Tag. Bis vor Kurzem fiel sie innerhalb Europas noch mit Vorschlägen auf, die ein Mehr und keine Begrenzung der Flüchtlingszahlen bedeutet hätten. Noch Anfang dieses Jahres wollte sie eine europäische Asylpolitik nach deutschem Vorbild etablieren und eine Koalition der dazu Willigen bilden. Es folgte ihr kein einziges EU-Land in diesen Club der Avantgarde.

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Inzwischen fordert sie beschleunigte Asylverfahren in Deutschland. Es imponiert mir, wenn sich Spitzenpolitikerinnen und -politiker von Fakten der wirklichen Welt erreichen und umstimmen lassen. Was Grüne übrigens ruhig bei der Laufzeitverlängerung der verbliebenen drei Kernkraftwerke und die FDP beim Tempolimit auch tun könnten. Die Jusos hingegen zeigen in ihrer Reaktion keine Lernkurve. Gegen sie ist der Hund des Pawlow ein Zufallsgenerator.

Es entbehrt nicht jeder Ironie, dass eine konservative Kanzlerin (präziser: eine Kanzlerin, die ihre Karriere auf einer konservativen Partei aufgebaut hat) mit ihrer ultraliberalen Migrationspolitik einen Zustand hergestellt hat, den nun eine Sozialdemokratin begradigen muss. Das Muster ist nicht neu. In genau dieser Rolle fand sich bei diesem Thema schon einmal ein sozialdemokratischer Innenminister vor 20 Jahren wieder. Er hieß Otto Schily und erwirkte den Asylkompromiss, der die Asylpraxis in Deutschland verschärfte.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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