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AfD wird 10 Jahre: "Olaf Scholz ist etwas Wichtiges gelungen"


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Wird die AfD jetzt noch stärker?
"Olaf Scholz ist etwas Wichtiges gelungen"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

Aktualisiert am 07.02.2023Lesedauer: 6 Min.
Alice Weidel: Sie leitet gemeinsam mit Tino Chrupalla Bundespartei und Fraktion der AfD.Vergrößern des Bildes
"Unser Land zuerst": Alice Weidel leitet gemeinsam mit Tino Chrupalla Bundespartei und Fraktion der AfD. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)
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Die AfD wird zehn Jahre alt – und ist in Umfragen so stark und stabil wie selten. Woran liegt das? Ein Experte erklärt die Strategien der Partei.

Die umstrittenste Partei Deutschlands feiert Geburtstag: Am Montag will die AfD im hessischen Königstein ihr zehnjähriges Jubiläum begehen. 300 AfD-Politiker und Parteifreunde sind eingeladen. Der Protest ist groß: Gewerkschaften und Vereine haben eine Demonstration angekündigt, die Polizei riegelt die Straße ab, Schulen lassen zur Sicherheit den Unterricht ausfallen.

Unabhängig vom Protest auf der Straße erzielt die Partei in Umfragen mit 14 bis 16 Prozent gute Werte. Hinter CDU, SPD und Grünen ist sie vierte Kraft im Land. Die Zustimmung ist größer als bei den beiden vergangenen Bundestagswahlen.

Welche Strategien machen die AfD zurzeit so erfolgreich? Ein Gespräch mit Autor und Politikberater Johannes Hillje über die Entwicklung der Partei, ihre Haltung zum Ukraine-Krieg und das strategisch wichtige Jahr 2024.

Johannes Hillje arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater.
Johannes Hillje arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater. (Quelle: Imago/Mauersberger)

Zur Person

Johannes Hillje, 37 Jahre alt, hat Politikwissenschaften studiert und zu Strategien der AfD promoviert. Im Herbst 2022 erschien sein Buch "Das 'Wir' der AfD: Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus". Bereits 2017 veröffentlichte er "Propaganda 4.0 – Wie rechte Populisten Politik machen".

t-online: Herr Hillje, die AfD steht in Umfragen seit Wochen stabil bei 14 bis 16 Prozent. Warum ist sie zehn Jahre nach ihrer Gründung so stark wie selten?

Johannes Hillje: Das hängt mit ihrer Entwicklung hin zu einer thematisch flexiblen Partei zusammen. Sie ist als nationalkonservative Anti-Euro-Partei gestartet, wurde dann zu einer rechtspopulistischen Antimigrationspartei und ist heute eine radikal rechte, multithematische Anti-System-Partei. Als solche versucht sie, bei jedem Krisenthema Verunsicherung in Wut gegen die demokratischen Institutionen zu verwandeln.

Das scheint zurzeit gut zu gelingen.

Erst Corona, jetzt Energiekrise und Inflation, dazu permanent die Klimakrise – die Menschen stehen unter großem Veränderungsdruck. Und zwar bei ganz alltäglichen Dingen: Mobilität, Heizen, Ernährung. Die AfD profiliert sich als Verteidigerin eines vermeintlich normalen Lebensstils. Der Diesel soll auf der Straße bleiben, das Windrad nicht aufgestellt werden, der Facharbeiter-Kollege kein Migrant sein. Die AfD deutet Veränderung als Identitätsverlust, kulturalisiert ökonomische Fragen und will mit ihrem Normalitätsversprechen ihre Klientel von Veränderungsdruck entlasten. Das wirkt zurzeit recht gut.

Die AfD inszeniert sich mit Blick auf den Ukraine-Krieg auch intensiv als "Friedenspartei". Ist das auch Ausdruck dieser Strategie: Frieden gleich Normalität gleich Wohlstand?

Die AfD ist keine pazifistische, sondern vielmehr eine aggressive, völkische Partei. Aber zum Ukraine-Krieg sendet sie erstens die Botschaft: Wir wollen Frieden, dann müsst ihr nichts ändern und alles wird wieder so wie vorher. Zwar ist das Illusion, aber diese Botschaft kann für Ost- wie Westdeutsche attraktiv sein. Die AfD sagt aber auch zweitens: Wir wollen eine Partnerschaft mit Russland, keine mit den USA. Das spricht die Putin-Freunde an, von denen es im Osten mehr gibt als im Westen. Das ist die derzeitige Doppelbotschaft der AfD.

Aber dieselbe Strategie verfolgt doch auch die Linke?

Es gibt Überschneidungen, aber die Linke ist bei einigen Forderungen uneinig, zum Beispiel bei der Fortsetzung russischer Gaslieferungen. Von solchen Alleinstellungsmerkmalen profitiert die AfD. Sie kann dann ihre populistische Erzählung ausbreiten: Wir sind die Einzigen, die Politik fürs Volk machen. Auch wenn ihre Vorschläge realitätsfern und zugleich schädlich fürs Land sind.

Nach sehr langem Zögern will nun auch Kanzler Olaf Scholz der Ukraine Kampfpanzer liefern. Wird das der AfD weiteren Zulauf verschaffen?

Das glaube ich nicht. Denn Olaf Scholz ist etwas Wichtiges gelungen: Er hat die eigenen Anhänger, die eher skeptisch waren, von seinem Kurs überzeugt. Anfang Januar haben die meisten SPD-Anhänger die Lieferung von Kampfpanzern noch abgelehnt, nach Scholz' Entscheidung waren sie dann mehrheitlich dafür.

Wie auch die Mehrheit der restlichen Bevölkerung.

So ist es. Nur unter AfD-Wählern gibt es den gegensätzlichen Trend: Unter ihnen ist die Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine noch weiter gestiegen. Sie positionieren sich wieder einmal diametral entgegen der Mehrheit in diesem Land.

Die AfD war noch nie so radikal, wie sie es in ihrer jetzigen Form ist. Warum schreckt das Wähler nicht ab?

Die Mehrheit ist von der AfD abgeschreckt. Bei der negativen Sonntagsfrage werden die Menschen gefragt: Welche Partei würden sie auf keinen Fall wählen? Da liegt die AfD mit 70 bis 80 Prozent immer auf dem ersten Platz. Aber es gibt eine sehr gefestigte Kernwählerschaft der AfD. Sie hat unter den Parteien den größten Anteil an Wählern, die sich nicht vorstellen können, irgendeine andere Partei als die AfD zu wählen. Mindestens die Hälfte der AfD-Wähler ist treu.

Daran ändert auch nichts, dass der Verfassungsschutz die AfD beobachtet?

Nein, die Werte haben sich dadurch nicht geändert.

Warum?

Die radikale Ausrichtung der AfD ist inzwischen offensichtlich. Man muss deswegen bei den Stammwählern der AfD von einem rechtsradikalen Weltbild und demokratieskeptischen Haltungen ausgehen. Bei ihnen ist die Partei vermutlich auch mit ihrer Erzählung gut durchgedrungen, dass der Verfassungsschutz ein parteiisches Instrument der Regierung sei.

Was haben zehn Jahre AfD verändert?

Die AfD hat die Empfänglichkeit für populistische und rechtsradikale Denkmuster in der Gesellschaft erhöht. Das zeigte sich deutlich bei Protesten gegen die Corona- oder Energiepolitik: Ein gemeinsamer Nenner war dort oftmals eine Feindlichkeit gegenüber demokratischen Institutionen und Eliten in Politik und Medien. Zudem hat die AfD der rechtsextremen Ideologie im Land Vorschub geleistet, die die weltanschauliche Grundlage für die Attentate von Hanau oder Halle war.

Welche Rolle spielt die Haltung der anderen Parteien für den Erfolg der AfD?

Der Erfolg der AfD hat auch mit den Versäumnissen anderer Parteien zu tun. Um ein Thema herauszugreifen: Bei Problemen im Feld der Migrationspolitik waren fast alle Parteien lange Zeit nicht sprechfähig. Parteien links der Mitte konnten eigene Konflikte mit ihren Wertvorstellungen nicht auflösen, Parteien rechts der Mitte fanden keine eigene Sprache, die nicht die Schlüsselbegriffe der AfD wiederholte. Das gelingt der CDU leider bis heute nicht.

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Sie meinen die Forderungen der CDU nach einer Deutschpflicht auf Schulhöfen oder die Aussagen über "kleine Paschas" nach der Silvesternacht?

Zum Beispiel. Es braucht eine eigene Sprache und einen Kurs, der Probleme offen anspricht und über Chancen nicht weggeht, der vor allem nicht in die rechtspopulistische Rhetorik der AfD verfällt und Ressentiments schürt. Auch wenn über Wirtschaftsmigration in den letzten Monaten diskutiert wurde, folgte die CDU allzu oft demselben Schema wie die AfD: Ökonomische Themen verschob sie auf das kulturelle Feld. Aus der Diskussion um die Staatsbürgerschaft machte sie keine wirtschaftspolitische Fachkräftedebatte, sondern eine kulturelle Identitätsdebatte. Aber auf diesem Feld hat die AfD immer Heimvorteil.

Wo sehen Sie die AfD in fünf Jahren?

Das ist schwer zu prognostizieren, die Partei bleibt im Wandel. 2024 wird ein strategisch wichtiges Jahr für sie. Sie wird vermutlich bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen stark abschneiden, aber dann keine Koalitionspartner finden, um zu regieren. Wenn die Wählerinnen und Wähler merken, dass es bei der AfD keine politische Wirksamkeit gibt, dann wird sie vermutlich langfristig Stimmen verlieren. Damit wird sie nicht von der Bildfläche verschwinden, aber schwächer.

In der Union gibt es einige, die einer Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr abgeneigt scheinen. Gerade im Osten hört man immer wieder: Man sollte die AfD mal machen lassen, dann würde sie schon zeigen, dass sie wenig kann.

Diese Entzauberungsstrategie hat auch in anderen Ländern nicht funktioniert. In Italien ist Matteo Salvinis "Lega" jetzt zum wiederholten Male an der Regierung beteiligt. Die FPÖ hat gerade wieder bei den Wahlen in Niederösterreich gewonnen. Trump wurde in den USA gewählt, wieder abgewählt und könnte jetzt erneut kandidieren. Sind sie erst einmal im Amt, können sie Regierungserfahrung vorweisen, sie sind normalisiert und bewirken teilweise dann auch etwas im Sinne ihrer Wähler. Das wäre ein großer strategischer Fehler der anderen Parteien. Isolation statt Integration ist ein wirksamer Umgang mit der AfD.

Dennoch: Wie hoch ist die Gefahr, dass irgendein CDU- oder FDP-Landesverband in näherer Zukunft mit der AfD koaliert?

Noch sind die Hemmungen zu groß. Es gäbe einen öffentlichen Aufschrei und eine Konfrontation mit der Bundespartei. Ich sehe nicht, dass die Führung eines Landesverbandes dieses Risiko derzeit eingehen will.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Johannes Hillje
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