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AfD | Gefährliches Doppel: Weidel und Höcke treten zusammen in Erfurt auf


Höcke und Weidel in Erfurt
Geeint und brandgefährlich

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 30.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, Bundeschefin Alice Weidel: Die beiden gaben sich in Erfurt das Mikro in die Hand.Vergrößern des Bildes
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, Bundeschefin Alice Weidel: Die beiden gaben sich in Erfurt das Mikro in die Hand. (Quelle: IMAGO / Karina Hessland)

Mit Alice Weidel und Björn Höcke üben in Erfurt erstmals die prominentesten Figuren der AfD den Schulterschluss. Es ist ein gefährliches Doppel, das vor allem eine Botschaft hat.

Es ist noch eine Stunde bis zur Kundgebung, auf der Alice Weidel und Björn Höcke gemeinsam auftreten sollen. Mitglieder der AfD Aschaffenburg stehen vor der Thüringer Staatskanzlei bereit und entfalten ein Transparent: "Alice für Deutschland" steht darauf.

Es ist ein Gruß an die Bundesvorsitzende Weidel, ein Wunsch für Deutschland – und klingt zugleich sehr ähnlich wie die Losung der SA, Kampftruppe der Nationalsozialisten: "Alles für Deutschland". Weil der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke diesen Satz 2021 in einer Wahlkampfrede verwendete, wurde gerade seine parlamentarische Immunität aufgehoben, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn.

Das Transparent taugt als Symbol für das, was an diesem Samstag in Erfurt passiert: Die einst vor allem als Wirtschaftsliberale bekannte AfD-Bundesvorsitzende Weidel und der rechtsextreme Höcke treten gemeinsam auf. Es ist das erste Mal überhaupt, dass die beiden zusammen ohne andere Redner auf der Bühne stehen. Und der Schulterschluss zwischen den prominentesten Köpfen, den schärfsten Rhetorikern der AfD, die als Feinde starteten, dann angeblich einen Nichtangriffspakt schlossen und nun offenbar gut und gerne miteinander auskommen. Der rechtsextreme Treiber Höcke und die Frontfrau des Rechtspopulismus – geeint.

Viele warten auf Weidel

Auf wen man sich im Publikum am meisten freut? "Alice Weidel", antworten einige vor der Kundgebung. Höcke kennt man hier schon, Weidel aber lässt sich selten im Osten blicken. Ihr letzter Auftritt in Thüringen fand im Bundestagswahlkampf 2021 statt. Andere sagen: "Hauptsache AfD" oder: "Egal, beide eine Partei".

Das trifft es gut. Denn seit dem Parteiaustritt des ehemaligen AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen Anfang 2022 – dem letzten, der zumindest noch ein wenig versuchte, die Rechtsextremen in der Partei in die Schranken zu weisen – hat sich die AfD gewandelt. Öffentlicher Streit ist seltener geworden, die Partei tritt geschlossener auf – und schlägt dabei einen immer radikaleren Kurs ein.

Die Partei steht nun als "rechtsextremistischer Verdachtsfall" unter Beobachtung, gerade hat der Verfassungsschutz die Parteijugend "Junge Alternative" (JA) als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Funktionäre unterscheiden neuerdings in zwei Zeitaltern: die "alte AfD" vor Meuthens Abgang, die "neue AfD" danach.

"Junge Alternative" an der Spitze

In Thüringen läuft die "Junge Alternative" an der Spitze der Kundgebung, neben Deutschland- und Russland-Flaggen ist sie mit ihren Fahnen zahlenmäßig am prominentesten vertreten. Daneben: "Wir sind das Volk" und "Ami go home"-Flaggen, Männer in "Ungeimpft"-Pullovern und mit Plakaten um den Hals, auf denen der Kanzler und seine Minister Habeck und Faeser als "Volksverräter" bezeichnet werden. Mitglieder der Thüringer AfD verteilen im Publikum rot leuchtende Karten, auf denen steht: "Rote Karte für Deutschlandhasser und Kriegstreiber".

Der Auftritt in Erfurt steht für die "neue AfD" und soll zugleich ein frühes und starkes Signal sein. Im Gegensatz zu den anderen Parteien nämlich befindet sich die AfD schon jetzt im "Vorwahlkampf", wie Weidel es später formulieren wird. Denn im kommenden Jahr wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gleich in drei östlichen Bundesländern gewählt.

Die AfD rechnet hier mit Spitzenwerten, in Thüringen erzielt sie diese schon jetzt: 28 Prozent Zustimmung hat sie laut einer aktuellen Umfrage des INSA-Meinungsforschungsinstituts. Es wäre ihr bisher bestes Ergebnis: als stärkste Kraft im Land und sechs Prozentpunkte vor der derzeit regierenden Linken. Und die AfD will hier schon jetzt beanspruchen, was ihr aus ihrer Sicht zusteht: Regierungsbeteiligung, endlich.

"Höcke, Höcke, Höcke"

Zunächst aber folgt das Doppelspiel: Höcke hält auf dem Theaterplatz eine Rede voller Geschichtsrevisionismus, mit Anklängen an den Nationalsozialismus, voller Rassismus. Weidel betont vor allem die Wirtschaft und zeichnet das Bild eines AfD-regierten Landes. Für ihre Zuhörer ein Traum, für andere ein Alptraum.

"Höcke, Höcke, Höcke" und "Frieden, Freiheit, Souveränität", ruft die Menge rhythmisch, als Höcke die Bühne betritt. Und der völkische Vordenker legt los, spult in Kürze sein Programm ab, beschwört den "volksoppositionellen Widerstand" und will auch den "letzten Schlafmichel" wachrütteln.

Es brauche keine "Baerbock-Wende", sondern eine "echte 180-Grad-Wende" in Deutschland, ruft Höcke. "Raus aus dem Selbstzerstörungsmodus, rein in den Selbsterhaltungsmodus." Die Zuwanderung sei eine "Katastrophe", der Verdienstorden für Ex-Kanzlerin Angela Merkel eine Schande. Das Publikum buht laut, einige rufen "Schande".

Auch auf die Ermittlungen gegen ihn wegen der SA-Losung "Alles für Deutschland" geht Höcke ein – und wiederholt sie indirekt gleich noch einmal. Man dürfe "Zuwanderung bis zum Volkstod" und "Deutschland verrecke" in diesem Land fordern – aber als Patriot dürfe man nicht "alles für Deutschland" fordern. "Das ist strafbewehrt, das ist eine Schande", sagt Höcke.

Vater der AfD-Friedenstaube

Dann geht Höcke über zur Außenpolitik, einem Thema, bei dem er der Bundespartei von Thüringen aus den Marschweg diktiert hat. Die Friedenstaube, einst Symbol von Hippies und Blumenkindern, brachte er im Ukraine-Krieg als einer der ersten als neues AfD-Symbol ins Spiel. Mit großem Erfolg – inzwischen firmiert die ganze Partei als "Friedenspartei", Tauben und Peace-Zeichen tauchen auch in Erfurt im Publikum auf. In Hintergrundgesprächen freuen sich Funktionäre über diesen populistischen Erfolg – und lachen über die Grünen und Linken, die nun angeblich zu ihnen wechseln.

"Deutschland ist kein souveränes Land", ruft Höcke. Die Politik werde in den USA, in Washington gemacht. Die Regierungsvertreter hierzulande? Nichts weiter als "eingesetzte Theaterpuppen", befindet der ehemalige Geschichtslehrer und attestiert dem Kriegstreiber Putin: "Russland ist für mich kein Feind, sondern natürlicher Partner."

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Der Verfassungsschutz? Ebenso gesteuert von der Regierung wie die Gerichte. Die Regierung? "Kartellparteien". Die Medien? "Demokratieverachtend" und bezahlt von der Regierung. Immer wieder fordert Höcke die "rote Karte", das Publikum hebt willig die Arme und die vorab verteilten Karten.

Den wichtigsten Satz aber sagt Höcke fast am Ende seiner Rede: "Wir operieren mit einer auf Jahre angelegten Strategie", sagt er da. Und verkündet: "Wir wollen regieren – und wir werden regieren."

Weidel: "Ich habe geweint"

Danach dauert es nur ein paar Minuten, bis Alice Weidel die Bühne betritt. "Wir werden von Idioten regiert", ruft sie gleich zu Beginn, schimpft auf "Wärmepumpen- und Windkraft-Lobbyisten", die alle miteinander verwandt seien, auf Habeck und die "pseudoliberalen Stiefelknechte" von der FDP.

Auch ihr Lieblingswort ist heute "Schande", ansonsten wird sie nur ein einziges Mal emotional, bleibt ansonsten hart im Duktus und vor allem wirtschaftlich beim Thema: Nach der Entscheidung gegen die allgemeine Impfpflicht im Publikum, da habe sie geweint. Sie wiederholt es: "Ich habe nach dieser Abstimmung geweint, ich habe bei meinen Eltern angerufen." Das Publikum klatscht laut, jubelt.

Danach zeichnet Weidel minutenlang das Bild eines von der AfD regierten Deutschlands –ohne "Zwangsabgabe" für die öffentlichen Rechtlichen, mit schlanken Steuern und eigener Währung. "Dieses Regierungsprogramm ist es wert, dass wir uns für es einsetzen", ruft sie. "Nächstes Jahr das Kreuz setzen: bei uns, bei Björn Höcke, bei allen ehrenamtlichen Helfern."

Platz bleibt halbleer

Weidel weiß genau: Die Regierungsbeteiligung ist ein Fantasma. Die AfD hat dafür gar nicht das Personal. Und mit jedem Auftritt wie in Erfurt, mit jeder Unterstützung für den aktuellen Kurs, macht sie sich für die anderen Parteien als Koalitionspartner noch unmöglicher und festigt die Brandmauer der Demokraten gegen sich. Doch darum dürfte es im Kern auch nicht gehen, die Behauptung ist eine wohl gewählte Finte.

Hauptfokus ist und bleibt der von Höcke immer wieder beschworene "Widerstand". Und die Enttäuschung, der Frust, der diesen Widerstand bei den Zuhörern treibt, wird wachsen, wenn die Partei sehr gut abschneidet – aber keine Chance bekommt, zu regieren.

Bitter nur für die beiden AfD-Chefdenker, die an diesem Tag so sehr für sich werben: Der Theaterplatz vor ihnen bleibt zur Hälfte leer. Da mag Höckes rechte Hand von der Bühne noch so sehr behaupten, der ganze Platz sei voll. Es bleibt, wie so vieles an diesem Tag, eine Lüge.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen bei der Kundgebung der AfD in Erfurt am 29. April
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